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Die Unruhigen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
416 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am11.06.2018
Sehen, sich erinnern, verstehen. Alles hängt davon ab, wo du stehst.
Als sie zum ersten Mal nach Hammars kam, war sie ein knappes Jahr alt und ahnte nichts von der großen und umwälzenden Liebe, die sie dorthin geführt hatte. Im Grunde waren es drei Lieben.
Vater und Tochter sitzen mit einem Aufnahmegerät zwischen sich zusammen. Ihr Plan lautet, das Altern in einem Buch zu dokumentieren, das sie gemeinsam schreiben wollen. Als sie ihn endlich in die Tat umsetzen wollen, hat das Alter ihn in einer Weise eingeholt, die ihre Gespräche unvorhersehbar und unzusammenhängend macht.
'Die Unruhigen' ist ein genreüberschreitender Roman über ein Kind, das es nicht erwarten kann, erwachsen zu werden, und Eltern, die am liebsten Kinder sein wollen, über Erinnerungen und Vergessen und die vielen Geschichten, die ein Leben ausmachen.


LINN ULLMANN ist eine der bedeutendsten Autorinnen Skandinaviens. Ihre Romane sind vielfach preisgekrönt und in 30 Sprachen übersetzt, 2017 erhielt sie von der Schwedischen Akademie den Doubloug -Preis für ihr Gesamtwerk. Bei Luchterhand erschien zuletzt 'Das Verschwiegene' - unter dem Titel 'The Cold Song' u.a. auf der Jahresbestenliste der New York Times und eines der Lieblingsbücher von James Wood (New Yorker). Für 'Die Unruhigen' erhielt sie den Hörerpreis des Norwegischen Rundfunks, der Roman war für den Kritikerpreis und den Nordischen Literaturpreis nominiert. Eine Bühnenfassung davon hatte im Herbst 2018 am Königlichen Dramatischen Theater Stockholm unter der Regie von Pernilla August ihre Uraufführung.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextSehen, sich erinnern, verstehen. Alles hängt davon ab, wo du stehst.
Als sie zum ersten Mal nach Hammars kam, war sie ein knappes Jahr alt und ahnte nichts von der großen und umwälzenden Liebe, die sie dorthin geführt hatte. Im Grunde waren es drei Lieben.
Vater und Tochter sitzen mit einem Aufnahmegerät zwischen sich zusammen. Ihr Plan lautet, das Altern in einem Buch zu dokumentieren, das sie gemeinsam schreiben wollen. Als sie ihn endlich in die Tat umsetzen wollen, hat das Alter ihn in einer Weise eingeholt, die ihre Gespräche unvorhersehbar und unzusammenhängend macht.
'Die Unruhigen' ist ein genreüberschreitender Roman über ein Kind, das es nicht erwarten kann, erwachsen zu werden, und Eltern, die am liebsten Kinder sein wollen, über Erinnerungen und Vergessen und die vielen Geschichten, die ein Leben ausmachen.


LINN ULLMANN ist eine der bedeutendsten Autorinnen Skandinaviens. Ihre Romane sind vielfach preisgekrönt und in 30 Sprachen übersetzt, 2017 erhielt sie von der Schwedischen Akademie den Doubloug -Preis für ihr Gesamtwerk. Bei Luchterhand erschien zuletzt 'Das Verschwiegene' - unter dem Titel 'The Cold Song' u.a. auf der Jahresbestenliste der New York Times und eines der Lieblingsbücher von James Wood (New Yorker). Für 'Die Unruhigen' erhielt sie den Hörerpreis des Norwegischen Rundfunks, der Roman war für den Kritikerpreis und den Nordischen Literaturpreis nominiert. Eine Bühnenfassung davon hatte im Herbst 2018 am Königlichen Dramatischen Theater Stockholm unter der Regie von Pernilla August ihre Uraufführung.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641205324
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum11.06.2018
Seiten416 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1378 Kbytes
Artikel-Nr.2515437
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Sehen, sich erinnern, verstehen. Alles hängt davon ab, wo du stehst. Als ich das erste Mal nach Hammars kam, war ich ein knappes Jahr alt und ahnte nichts von der großen und umwälzenden Liebe, die mich dorthin geführt hatte.

Im Grunde waren es drei Lieben.

Gäbe es ein Teleskop, das man auf die vergangene Zeit richten könnte, würde ich sagen können: Sieh her, da sind wir, so hat es sich abgespielt. Und jedes Mal, wenn wir uns unsicher gewesen wären, ob das, woran ich mich erinnere, wahr ist, oder ob das, woran du dich erinnerst, wahr ist, oder ob das, was geschah, auch wirklich geschah, oder ob wir überhaupt existieren, wären wir in der Lage gewesen, uns nebeneinanderzustellen und zu schauen.

Ich nummeriere, ordne und katalogisiere. Ich sage: Es waren drei Lieben. Ich bin heute genauso alt wie mein Vater, als ich geboren wurde. Achtundvierzig. Meine Mutter war siebenundzwanzig, sie sah damals bedeutend älter und zugleich bedeutend jünger aus, als sie tatsächlich war.

Ich weiß nicht, welche der drei Lieben als Erste da war. Aber ich beginne mit der, die 1965 zwischen meiner Mutter und meinem Vater entstand und die endete, ehe ich alt genug war, mich an irgendetwas von ihr zu erinnern.

Ich habe Bilder gesehen und Briefe gelesen und gehört, wie sie von der Zeit erzählten, die sie zusammen waren, und ich habe gehört, was andere erzählen, aber in Wahrheit kann man nicht sonderlich viel über das Leben anderer Menschen wissen, vor allem nicht über das seiner Eltern, und erst recht nicht, wenn diese Eltern es darauf angelegt haben, ihr Leben in Geschichten zu verwandeln, die sie anschließend mit einer begnadeten Fähigkeit dafür erzählen, sich nicht im Geringsten darum zu scheren, was wahr ist und was nicht.

Die zweite Liebe ist eine Verlängerung der ersten und handelt von dem Liebespaar, das zu Eltern wurde, und von dem Mädchen, das ihre Tochter war. Ich liebte meine Mutter und meinen Vater vorbehaltlos, ich nahm sie als gegeben hin, wie man eine ganze Weile die Jahreszeiten als gegeben hinnimmt, oder den Tagesverlauf, oder die Stunden, die eine war Nacht und der andere war Tag, die eine endete, wo der andere begann, ich war ihr Kind und sein Kind, aber angesichts dessen, dass auch sie Kinder sein wollten, wurde es zuweilen ein wenig schwierig. Und dann ist da noch etwas. Ich war sein Kind und ihr Kind, aber nicht beider Kind, es gab niemals uns drei; wenn ich in dem Bilderstapel blättere, der vor mir auf dem Tisch liegt, gibt es kein einziges Foto von uns drei zusammen. Sie und er und ich.

Diese Konstellation existiert nicht.

Ich wollte möglichst schnell erwachsen werden, es gefiel mir nicht, ein Kind zu sein, ich fürchtete mich vor anderen Kindern, vor ihrem Einfallsreichtum, ihrer Unvorhersehbarkeit, ihren Spielen, und um meine eigene Kindlichkeit zu kompensieren, stellte ich mir häufig vor, ich könnte mich aufteilen und viele werden, mich in eine Liliputanerarmee verwandeln, und dass Kraft in uns wäre - wir waren klein, aber wir waren viele; ich teilte mich auf und marschierte vom einen zur anderen, vom Vater zur Mutter und von der Mutter zum Vater, ich hatte viele Augen und Ohren, viele schmächtige Körper, hohe Stimmen und noch mehr Choreographien.

Die dritte Liebe. Der Ort. Hammars, oder Djaupadal, wie er in früheren Zeiten hieß. Es war sein Ort, nicht ihrer, nicht der Ort der anderen Frauen, nicht der Kinder, nicht der Enkelkinder. Eine Zeitlang fühlte es sich so an, als gehörten wir dorthin, als sei es unser Ort. Wenn es wahr ist, dass jeder einen Ort hat, und das ist ja nicht wahr, aber wenn es denn wahr wäre, dann wäre dies mein Ort, jedenfalls mehr mein als der Name, den ich bekam, es war nicht so beklemmend, in Hammars umherzustreifen, wie es beklemmend ist, in seinem Namen umherzustreifen. Ich erkannte den Geruch von Luft und Meer und Stein wieder, und wie die Kiefern sich im Wind krümmten.

Benennen. Namen zu geben und zu nehmen, zu haben und mit ihnen zu leben und zu sterben. Ich hätte gern ein Buch ohne Namen geschrieben. Oder ein Buch mit sehr vielen Namen. Oder ein Buch, in dem alle Namen so alltäglich sind, dass man sie auf der Stelle vergisst, oder so gleichlautend, dass man sie unmöglich auseinanderhalten kann. Meine Eltern gaben mir (nach reichlichem Hin und Her) einen Namen, doch ich habe diesen Namen nie gemocht. Ich erkenne mich in ihm nicht wieder. Wenn jemand meinen Namen ruft, zucke ich zusammen, als hätte ich vergessen, mich anzuziehen, und würde es erst bemerken, sobald ich unter Leuten bin.

Im Herbst 2006 ereignete sich etwas, woran ich später als an eine Eklipse gedacht habe - eine Verdunkelung.

Die Astronomin Aglaonike, oder Aganike von Thessalien, wie sie auch genannt wird, lebte lange vor der Zeit des Teleskops, konnte jedoch mit bloßem Auge den genauen Zeitpunkt für eine Mondfinsternis berechnen.

Ich kann den Mond zu mir herabziehen, sagte sie.

Sie wusste, wo sie gehen und stehen musste. Sie wusste, was passieren würde, und wann. Sie streckte ihre Arme dem Himmel entgegen, und der Himmel wurde schwarz.

In »Ratschläge für Braut und Bräutigam« warnt Plutarch seine Leser vor solchen, von ihm Zauberinnen genannten Frauen wie Aglaonike, und ermahnt frisch gebackene Ehefrauen, zu lesen, zu lernen und sich zu bilden. Eine Frau, die Geometrie beherrscht, so schreibt er, wird kein Bedürfnis verspüren zu tanzen. Eine belesene Frau lässt sich nicht zur Torheit verleiten. Eine vernünftige, in Astronomie geschulte Frau lacht jedes Mal schallend, wenn eine andere Frau ihr weiszumachen versucht, es sei möglich, den Mond zu sich herabzuziehen.

Niemand weiß genau, wann Aglaonike lebte. Dagegen wissen wir, und das erkannte selbst Plutarch an, so herablassend er in seinem Verweis auf sie ist, dass sie den genauen Zeitpunkt und Ort von Mondfinsternissen vorhersagen konnte.

Ich erinnere mich genau, wo ich stand, aber mir fehlte die Fähigkeit, irgendetwas vorherzusehen. Mein Vater war ein pünktlicher Mann. Als ich ein Kind war, öffnete er die alte Standuhr im Wohnzimmer und zeigte mir ihr Innenleben. Das Pendel. Die Messinggewichte. Er verlangte Pünktlichkeit von sich selbst und allen anderen.

Im Herbst 2006 hatte er noch ein knappes Jahr zu leben, aber das wusste ich damals nicht. Er auch nicht. Ich stand vor der weißen Kalksteinscheune mit der rostroten Tür und wartete auf ihn. Die Scheune war zu einem Kino umgebaut worden und war umgeben von Feldern, Steinmauern und wenigen Häusern. Ein Stück hinter ihr lag der See Dämbaträsk mit seinem reichen Vogelleben - Rohrdommeln, Kraniche, Graureiher, Große Brachvögel.

Wir wollten uns gemeinsam einen Film ansehen. Jeder Tag mit meinem Vater, außer Sonntag, war ein Tag mit Film. Ich versuche mich zu erinnern, welchen Film wir an jenem Tag sehen wollten. Vielleicht Cocteaus Orphée mit seinen schweren Traumbildern. Ich weiß es nicht.

»Wenn ich einen Film drehe«, schrieb Jean Cocteau, »ist es ein Schlaf, und im Schlaf träume ich. Nur die Menschen und Orte im Traum sind von Bedeutung.«

Immer wieder habe ich überlegt, welcher Film es war, aber es fällt mir einfach nicht ein. Die Augen brauchen ein paar Minuten, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, sagte mein Vater immer. Ein paar Minuten. Deshalb hatten wir verabredet, uns um zehn Minuten vor drei zu treffen.

An diesem Tag kam er erst sieben Minuten nach drei, also siebzehn Minuten zu spät.

Es war kein Zeichen. Der Himmel verfinsterte sich nicht. Der Wind fuhr nicht in die Bäume und zerrte an ihnen. Es zog kein Sturm auf, und die Blätter wirbelten nicht im Wind. Ein Kleiber flog über die grauen Felder zum Sumpf hinaus, ansonsten war es still und bewölkt. Die Schafe - die auf der Insel, unabhängig von ihrem Alter, Lämmer genannt werden - grasten ein wenig entfernt, wie sie es immer taten. Wenn ich mich drehe und umschaue, ist alles wie immer.

Papa war so pünktlich, dass seine Pünktlichkeit in mir lebte. Wenn du in einem Haus an den Eisenbahngleisen aufwächst und jeden Morgen von dem Zug geweckt wirst, der am Fenster vorbeidonnert, davon, dass die Wände, Bettpfosten und Fensterrahmen erzittern, dann wirst du, selbst wenn du nicht mehr in dem Haus an den Gleisen lebst, jeden Morgen von dem Zug aufwachen, der durch dich hindurchdonnert.

Es war nicht Cocteaus Orphée. Möglicherweise ein Stummfilm. Wir saßen in der Regel jeder in einem grünen Sessel und ließen die Bilder, ohne Klavierbegleitung, über die große Leinwand flackern. Er sagte, als der Stummfilm verschwand, ging eine ganze Sprache verloren. Könnte es Victor Sjöströms Der Fuhrmann des Todes gewesen sein? Das war sein Lieblingsfilm. Für ihn ist ein einziger Tag so lang wie Jahrhunderte auf Erden. Tag und Nacht muss er in den Geschäften seines Herrn...

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LINN ULLMANN ist eine der bedeutendsten Autorinnen Skandinaviens. Ihre Romane sind vielfach preisgekrönt und in 30 Sprachen übersetzt, 2017 erhielt sie von der Schwedischen Akademie den Doubloug -Preis für ihr Gesamtwerk. Bei Luchterhand erschien zuletzt "Das Verschwiegene" - unter dem Titel "The Cold Song" u.a. auf der Jahresbestenliste der New York Times und eines der Lieblingsbücher von James Wood (New Yorker). Für "Die Unruhigen" erhielt sie den Hörerpreis des Norwegischen Rundfunks, der Roman war für den Kritikerpreis und den Nordischen Literaturpreis nominiert. Eine Bühnenfassung davon hatte im Herbst 2018 am Königlichen Dramatischen Theater Stockholm unter der Regie von Pernilla August ihre Uraufführung.