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Schweig wie ein Grab

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am12.02.2018
Ein einsames Kloster im Wald, Nacht, Nebel über dem alten Kirchhof, auf dem sich seltsame Gestalten zu schaffen machen: Viktor und Tobias Anders, die Bestatter, haben einen Deal mit dem in der Fränkischen Schweiz lebenden Schweigeorden der Karthäuserinnen. Stirbt eine der wenigen Nonnen, die noch im Kloster leben, bahren die anderen sie auf und ziehen sich zurück, bevor sie jemand zu Gesicht bekommt. Dann kommen die Bestatter, um die Tote allein auf dem klostereigenen Gottesacker zu begraben. Doch als Viktor und Tobias das Grab ausheben, finden sie eine Leiche, die dort nicht hingehört ...

Tessa Korber, 1966 in Grünstadt in der Pfalz geboren, studierte in Erlangen Germanistik, Geschichte und Kommunikationswissenschaften und promovierte im Fachbereich Germanistik. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Nürnberg.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextEin einsames Kloster im Wald, Nacht, Nebel über dem alten Kirchhof, auf dem sich seltsame Gestalten zu schaffen machen: Viktor und Tobias Anders, die Bestatter, haben einen Deal mit dem in der Fränkischen Schweiz lebenden Schweigeorden der Karthäuserinnen. Stirbt eine der wenigen Nonnen, die noch im Kloster leben, bahren die anderen sie auf und ziehen sich zurück, bevor sie jemand zu Gesicht bekommt. Dann kommen die Bestatter, um die Tote allein auf dem klostereigenen Gottesacker zu begraben. Doch als Viktor und Tobias das Grab ausheben, finden sie eine Leiche, die dort nicht hingehört ...

Tessa Korber, 1966 in Grünstadt in der Pfalz geboren, studierte in Erlangen Germanistik, Geschichte und Kommunikationswissenschaften und promovierte im Fachbereich Germanistik. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Nürnberg.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641214296
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum12.02.2018
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2005 Kbytes
Illustrationen1 schwarz-weiße Abbildungen
Artikel-Nr.2535900
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Viktor Anders hob den Kopf und lauschte. Neben den Geräuschen der Kühlung, die die Leichen in ihren Fächern frisch hielt, war das helle Zwitschern einer Amsel zu vernehmen, das den Tag verabschiedete. Viktor musste nur diesen Laut hören, um zu wissen, dass draußen im Garten die Abenddämmerung zwischen den Kieferbäumen stand und der Himmel über dem Dach ihres Hauses tief dunkelblau wurde.

Fürsorglich strich er der alten Dame die blond gefärbten Löckchen aus der Stirn. »Dann wollen wir mal Schluss machen für heute, Frau Müller.« Er hob den Lippenstift gegen das Licht, von dem Herr Müller gesagt hatte, seine Frau hätte das Haus niemals verlassen, ohne ihn aufzulegen. Er war viel zu grell.

Frau Müller hatte die Augen geschlossen und die Hände auf der Brust verschränkt. Sie würde sich in diesem Leben nicht mehr zu Kritik an ihrem Geschmack äußern.

Viktor deckte die Frau wieder zu, das leuchtende Lippenrot, die bis unter die gezupften Brauen türkisfarben geschminkten Lider, die Dauerwelle mit der Glitzerspange im Haar. Sie war das Ebenbild der Frau auf dem Foto, das ihnen als Schminkvorlage gedient hatte und das er ihr nun auf die Brust legte, ehe er sie wieder in ihr Kühlfach schob. Ihr Leben lang hatte sie versucht, die junge Frau von zwanzig Jahren zu konservieren, als die sie sich immer gesehen hatte. Jetzt, im Tode, war dieser groteske Versuch endgültig zu etwas geronnen, dem man nur mit Schrecken begegnen konnte. Oder mit Rührung.

»Gute Nacht«, murmelte Viktor und machte sich auf den Weg nach oben. In der Küche holte er sich eine Flasche Rotwein und ein Glas. Damit wollte er sich auf die Terrasse des alten Hauses setzen, in dem er zusammen mit seinem Onkel und seiner Tante wohnte. Die beiden im linken Flügel des ersten Stockes, er im rechten. Das Erdgeschoss und den Keller teilten sie sich mit den Toten.

Die Verstorbenen waren keine unangenehme Gesellschaft, fand Viktor. Er war schon vieles gewesen in den letzten zehn Jahren: Kellner, Pfleger, Wahrsager, Automechaniker, Drogendealer, Spülhilfe, Erntearbeiter, Surfbrett-Verleiher und Schüler eines Haiku-Meisters. Nirgends war er lange geblieben, immer auf Wanderschaft. Heimgekehrt war er auch nur, weil seine Eltern gestorben waren. Weniger, um sein Erbe anzutreten, als um alte Rechnungen zu begleichen und Antworten zu erhalten, auf Fragen, die er noch gehabt hatte. Was er gefunden hatte aber war ... Er hielt inne und dachte nach, ehe er den ersten Schluck Wein nahm. So etwas wie wachsenden Frieden? Gab es das überhaupt?

Bäume wuchsen. Menschen auch, bis etwa zum 18. Lebensjahr. Wie nannte man das, was danach geschah - oder auch nicht? Er spitzte die Ohren und hörte jetzt das regelmäßige Quietschen des Trampolins, auf dem sein Cousin Tobias sich austobte, um später besser einschlafen zu können. Tobias war schon achtzehn, aber noch immer war der Schlaf ein böses Monster für ihn, gegen das er jeden Abend kämpfte, so lange es ging.

So waren die Menschen, dachte Viktor und nahm einen tiefen Schluck. Sie zappelten herum, fochten die sinnlosesten Kämpfe aus, und am Ende fielen sie einfach um. Wie Frau Müller.

»Prost«, sagte er laut, als er an die alte Dame dachte. Wenn sie jetzt hier neben ihm im Zimmer aufgetaucht wäre, ein wenig durchsichtiger als die Rosenbüsche vor dem Fenster, mit lautlos wabernden Umrissen, um sich neben ihn zu setzen, er hätte ihr ein Glas hingestellt. Vielleicht hätte er mit ihr über ihren Geschmack in Sachen Styling gesprochen, ganz dezent natürlich. Vermutlich wäre sie dann beleidigt gewesen. Im Umgang mit Frauen, lebend oder tot, hatte er einfach kein glückliches Händchen.

Viktor nahm einen zweiten Schluck. Ah, tut das gut, dachte er nur, sonst nichts. Die Amsel sang. Das Geräusch des Trampolins. Es wurde Nacht.

Mit dem siebzehnten Schluck spannte Viktors Seele unbeholfen ihre Flügel aus und setzte zum Landeanflug auf unerforschtes Gelände an. Auf einmal schrie Tobias wie eine Seemöwe, hoch und schrill. Viktors Landeklappen flatterten, verklemmten sich. »Was ist denn jetzt wieder?«, fragte er.

Dann klingelte es an der Haustür.

Viktor stand auf und brummelte Unverständliches über das feine Gehör seines Cousins, der den Ankömmling schon lange vor dem Klingelzeichen bemerkt hatte, obwohl er ihn unmöglich hatte sehen können, schließlich stand das Trampolin hinter dem Haus. Vielleicht hatte er ihn sogar auf irgendeiner anderen Ebene wahrgenommen, auf der Frau Müller vielleicht gerade an einem Schlückchen Wein nippte. Wer wusste schon, wie es im Gehirn eines Autisten zuging. Viktor öffnete die Tür.

»Frau Siebenschritt«, sagte er. Er bemerkte den gereizten Klang seiner Stimme und trat schnell beiseite, um den misslungenen Empfang wieder wettzumachen. »Kommen Sie doch rein.«

Frau Siebenschritt war die Frau eines vor zwei Tagen verstorbenen Apothekers. Sie war, was man in den besten Jahren nannte, gepflegt, schlank, diszipliniert. Mit lockerem Haarknoten und Perlenkette, beides trug sie schon seit zwanzig Jahren und würde es auch die nächsten zwanzig Jahre so halten. Sicherlich hatte sie sich noch nie irgendwo fehl am Platz gefühlt.

Sie hielt sich mit beiden Händen am Schulterriemen ihrer Handtasche fest. »Ich weiß, es ist spät.« Die Uhr im Flur schlug genau in diesem Moment satte elf Schläge und gab ihr recht. Die Geschäftszeiten waren lange vorbei. »Es tut mir leid«, sagte sie. Unsicher stand sie im Dunkel des Flurs.

Viktor zögerte, das grelle Deckenlicht anzumachen, und entschied sich stattdessen für eine kleine Standleuchte, die unter ihrem Stoffschirm nur sanft glomm. Frau Siebenschritt sah aus wie jemand, dessen Gefährte vor fünf Wochen aus heiterem Himmel die Diagnose Krebs erhalten hatte, wie eine Frau, die an einem Sterbebett saß, ehe sie noch ganz begriff, was gerade geschehen war. Die tolle Reise nach Agadir: abgesagt. Die Wandergruppe: ohne sie unterwegs. Ihr Mann, eben noch gesund und für alles im gemeinsamen Leben verantwortlich, verlor Büschel von Haaren und schmiss mit Gegenständen um sich wie ein trotziges Kind. Dann hörte er auf zu atmen, und sie begriff es nicht.

Herr Siebenschritt lag jetzt hier bei ihnen im Keller, zwei Tage schon. Seine Witwe hatte sich bislang geweigert, irgendwelche Maßnahmen für seine Beerdigung zu ergreifen. Als könnte sie damit seinen Tod ungeschehen machen oder wenigstens verleugnen.

Solche Kunden gab es. Sie waren Onkel Wolfgangs Alptraum. Drei Tage durften zwischen Tod und Beerdigung vergehen. In dieser Zeit galt es eine Menge Entscheidungen zu treffen und Verwaltungskram zu erledigen. Wenn die Hinterbliebenen nicht mitmachten, geriet er als Bestatter in die Bredouille. Die meisten rissen sich zusammen und trauerten später. Oder sie hatten Helfer an ihrer Seite, die sie vertraten. Manche schienen kein Problem damit zu haben, ihre Angehörigen unter die Erde zu bringen. Einige zeigten sogar ein gewisses Vergnügen. Frau Siebenschritt gehörte nicht dazu. Jetzt war sie hier.

Sie trug ein Businesskostüm mit passenden Schuhen. Aber ihr Haar war kaum gekämmt, und ihr Gesicht leuchtend blass. Als Viktor sie näher betrachtete, bemerkte er, dass sie den Rock verkehrt herum anhatte: Die Nähte zeigten nach außen, und am Bund stand das Etikett ab.

»Ich muss ihn sehen«, sagte sie. »Ich muss ihn einfach sehen. Verstehen Sie?«

»Aber ...«, wollte Viktor sagen. Dann besann er sich. »Kommen Sie.«

Er führte sie in den Anbau, vorbei an den nach Fichtenholz duftenden Sargrohlingen in der Werkstatt und der Kammer mit den Urnen, in denen die kremierten Toten ruhten. Dahinter gab es neuerdings noch ein Zimmerchen, in dem die Angehörigen in Ruhe von ihren Toten Abschied nehmen konnten. Es war auf Viktors Betreiben eingerichtet worden, ein schlichter Raum mit blauem Teppich, weißen Wänden und ein paar bequemen Sesseln, auf die Häkeldeckchen zu legen er Tante Hedwig gerade noch hatte hindern können. Seine Freundin Miriam hatte trockene silberne Stämme aus totem, gebleichtem Holz aufgestellt wie Statuen. Und wenn ein Termin anstand, schmückte sie diese Säulen sparsam mit Blumen. Heute waren sie kahl.

Viktor knipste das Licht an. Wieder einmal dachte er, dass er sich einen anderen Raum wünschte, größer, heller, mit gläsernen Wänden, die einem das Gefühl gäben, direkt zwischen den alten Kiefern im Garten zu stehen. Doch für so einen Neubau war Onkel Wolfgang noch immer nicht zu gewinnen. Tote sah man bei der Leichenwäsche, dann bei der Aufbahrung in der Kirche. Aber man hielt keine zivilen Treffen mit ihnen ab. Das hatte, in Wolfgangs Augen, etwas Anrüchiges.

»Warten Sie hier«, sagte Viktor. Er ging in den Keller, zog Herrn Siebenschritt aus der Kühlung, bettete ihn in aller Eile auf eine Rollliege und schob ihn in den Aufzug, der sie beide direkt hinauf in den Anbau bringen würde. Zum Glück hatte er noch ein fleckenloses Leintuch gefunden. Tante Hedwig war mit dem Waschen im Rückstand.

»Bitte«, sagte er, als er die Bremsen arretierte und das Laken zurückzog. Er wusste nicht, was er sonst sagen sollte. Herr Siebenschritt roch ein wenig nach Chemie. Er selbst nach Pinot Grigio. Beides war nicht ideal, aber nun einmal nicht zu ändern.

»Danke«, erwiderte Frau Siebenschritt. Sie legte ihre Handtasche auf einem der Sessel ab, zog ihre Kostümjacke aus, faltete sie ordentlich zusammen, sie ließ die Pumps von den Füßen gleiten, dann legte sie sich neben ihren Mann.

»Aber ...«, wollte Viktor einwenden. Doch wiederum besann er sich. Es gab nichts, was er oder irgendein Außenstehender hierzu hätte sagen dürfen. Er ging hinaus und zog leise die Tür hinter sich zu.

In der Küche...

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