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Belladonna

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
420 Seiten
Deutsch
Hoffmann und Campe Verlagerschienen am20.02.2018
Ein hochaktueller Roman über den Zustand unserer Welt. Andreas Ban ist ein Psychoanalytiker, der nicht mehr analysiert, und ein Schriftsteller, der nicht mehr schreibt. Ein echter Intellektueller, dessen Welt seit Jahren mehr und mehr verfällt, die nur noch aus Erinnerungen besteht, an Freunde und Geliebte, aber auch an die Schrecken des 20. Jahrhunderts. Eine Parabel über die Tücken des Alterns in unserer gnadenlosen modernen Welt und einen wahren Helden unserer Zeit: einen vergessenen, verstoßenen Intellektuellen, der in einer Gesellschaft, die ewige Jugend predigt und kritische Gedanken unterdrückt, zu leben und denken versucht. 

Da?a Drndi?, geboren 1946 in Zagreb, war eine der wichtigsten kroatischen Autorinnen. Ihre Romane wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Ihr Roman Sonnenschein (Hoffmann und Campe 2015) war für den Internationalen Literaturpreis nominiert und wurde mit den renommierten Literaturpreisen Fran Galovic, Kiklop und dem Independent Foreign Fiction Readers' Prize ausgezeichnet. Drndi? verstarb am 5. Juni 2018 in Rijeka.
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Produkt

KlappentextEin hochaktueller Roman über den Zustand unserer Welt. Andreas Ban ist ein Psychoanalytiker, der nicht mehr analysiert, und ein Schriftsteller, der nicht mehr schreibt. Ein echter Intellektueller, dessen Welt seit Jahren mehr und mehr verfällt, die nur noch aus Erinnerungen besteht, an Freunde und Geliebte, aber auch an die Schrecken des 20. Jahrhunderts. Eine Parabel über die Tücken des Alterns in unserer gnadenlosen modernen Welt und einen wahren Helden unserer Zeit: einen vergessenen, verstoßenen Intellektuellen, der in einer Gesellschaft, die ewige Jugend predigt und kritische Gedanken unterdrückt, zu leben und denken versucht. 

Da?a Drndi?, geboren 1946 in Zagreb, war eine der wichtigsten kroatischen Autorinnen. Ihre Romane wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Ihr Roman Sonnenschein (Hoffmann und Campe 2015) war für den Internationalen Literaturpreis nominiert und wurde mit den renommierten Literaturpreisen Fran Galovic, Kiklop und dem Independent Foreign Fiction Readers' Prize ausgezeichnet. Drndi? verstarb am 5. Juni 2018 in Rijeka.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783455002768
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum20.02.2018
Seiten420 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2537700
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
CoverTitelseiteWidmungAm Samstag, den 19. Januar [...]So.Er heißt Andreas Ban.Er ist ein schöner [...]Andreas Ban liegt mit [...]Die Schmerzen beim Laufen [...]Als Jugoslawien auseinanderbricht, arbeitet [...]Viele Jahre später liest [...]Ja, in Skopje geht [...]Andreas Bans obsessive GedankenAus Paris kommt Andreas [...]Nach zwölf Monaten ist [...]Sie konnten es kaum [...]Ich hab noch einen [...]Für keine einzige Zeitung [...]Gutenachtgeschichte bambole senza guerreEs ist einigermaßen glimpflich [...]Der Fall Rudolf SassRequiescat in paceHeute gibt es in [...]Es war 2006 oder [...]Amsterdam im TaschenformatManchmal scheint es Andreas [...]Andreas Ban fährt nirgendwo [...]Liste der persönlichen Gegenstände zur Ausfuhr - Umzug, Ada Ban - von Serbien nach Kroatien:Melancholiker bringen sich nicht [...]Wenn Pferde lange allein [...]Dann kam das mit [...]Dann kam sie.Es ist Anfang November [...]Es ist kalt. Die [...]Seit fünf Tagen versuche [...]LiteraturnachweisListennachweisFußnotenÜber die Autorin und die ÜbersetzerinnenImpressummehr
Leseprobe

So.

Jetzt ist er allein.

In einer schäbigen Wohnung in einer kleinen Stadt.

Über die Wohnung, auch über die Stadt hat er berichtet, geschrieben, gegrübelt, er wird es nicht mehr tun. Er denkt nicht mehr. Nicht an die kalte, düstere und heruntergekommene Wohnung, so wie auch er geworden ist, düster, heruntergekommen und zunehmend kälter, nicht an die Stadt, die er schon gänzlich abgeschrieben hat, als gäbe es sie nicht, als wäre sie zerstört, in ein apokalyptisches Loch gefallen, und er schwebt jetzt über dem Abgrund (wie Fausta Fink in ihrem roten Kimono), entfernt sich immer weiter, wird klein wie die Stille, bis er verschwindet.

Er könnte irgendwo sein, jetzt ist es egal.

Die Fensterläden öffnet er nicht, nur manchmal, wenn in seinem Kopf Musik erklingt und ihn aufwühlt. Wenn durch seinen Körper eine winzige Freude fährt, ein kleiner blasser Blitz, der aufleuchtet und rasch erlischt. Dann öffnet er die Fenster und schaut hinaus, verfolgt aus dem vierten Stock das Ein- und Ausfahren der Züge. Starrt auf die Hangars. Auf die Container, in die Ratten und Katzen springen, wartet darauf, dass sie durch den Müll tanzen, dann sagt er Ach, und sein Atem stockt. Mit Mühe hebt er die Augenlider, sein Blick überfliegt den Abschaum des Meeres, das drüben vor dem flachen Gebirge sanft schaukelt, dann fällt die Klappe, er igelt sich wieder ein, humpelt hastig und schwerfällig den elf Meter langen schmalen Flur hinunter, will sich wie ein Maulwurf in seinem dunklen Loch verkriechen, in seiner Grabesstille, und jedes Mal spürt er, wie sich die Wände verschieben, aufeinander zubewegen, näher rücken, fast wie ein Tunnel, und wie von Sinnen hüpft er den Gang entlang, raufrunter hopp raufrunter raufrunter hopp, damit ihn die Wände nicht erdrücken, zu einem dünnen Todesstrich zusammenpressen wie dem auf einem EKG-Monitor.

Das Spray, sagt er, wo ist das Spray?, inhaliert einmal, zweimal, dreimal.

Dann wird es besser. Er bekommt Luft.

Das Nachdenken hat er aufgegeben. Er hat schon alles überdacht, sein Leben. In kleine Haufen und Stapel hat er alles sortiert, Tage, Jahre, Geburten und Tode, Lieben, die wenigen, die es gab, Reisen, viele, Bekanntschaften, viele, Familiendramen, seine sinnlosen Unternehmungen und noch sinnloseren Kleinkriege, fast alle verloren, Sprachen, die eigene und fremde, Zeitgeister, all das hat er sorgfältig katalogisiert, und den ganzen Kram, den inzwischen nutzlosen Ballast, hat er verschnürt und in den Winkeln der geräumigen Wohnung verteilt, als stünde wieder ein großer Umzug bevor.

Eine Kaserne, sagt er, ich lebe in einer Kaserne.

Dieser Tage wird er jemanden beauftragen, den ganzen Abfall fortzuschaffen, den Plunder, zu dem sein Leben zusammengeschrumpft ist, er wird jemanden holen, der ihm die Klumpen verpfuschter Tage aus den Augen schafft, damit sie einander nicht mehr anstarren, er und die unzähligen Fetzen, die vor sich hin modern und einen widerwärtigen Mief absondern, der nicht beängstigend, nur irritierend und aufdringlich ist, während sie allmählich zu Staub zerfallen und seine Atmung behindern. Nehmen Sie alles mit, wird er sagen, weg damit. Die Bücher sind sortiert, er hat aufgeräumt, einige hat er weggeworfen, einige verschenkt. Er verschenkt auch seine Kleidung, die Schuhe, an manchen Tagen wie im Fieber. Zu viel Ballast hat sich angesammelt, allerhand Müll. Er verschenkt Mäntel, Jacken, Anzüge, Pullover, Hemden, ach, wie viele Hemden er doch hat, Schuhe, die er nie getragen hat.

So hat es auch seine Mutter vor etwas mehr als dreißig Jahren gemacht, kurz vor dem Ende, hat auf Reisen Teile ihres Lebens zurückgelassen, verschenkt, damals hat er es nicht verstanden. Als sie von einer Akupunktur-Ausbildung in China zurückkam, mit Paketen voller Nadeln, mit riesigen Gummiohren, auf denen die Akupunkturpunkte markiert waren, mit einem fast einen Meter großen Plastikmodell des menschlichen Körpers, das man auf- und zuklappen konnte und aus dessen Innerem man alle Organe, niedlich verkleinerte Nachbildungen aller Organe, herausnehmen und anschauen konnte, Herz, Lungen, Leber, Darm, Galle, alles, dreidimensionale Adern, Venen und Arterien, Knochen, Gehirn, alles konnte man einzeln herausnehmen, verschieben, neu zusammenfügen, wie ein Puzzle, das ganze Innere eines Menschen, und die Figur stand immer aufrecht, fixiert auf einem hölzernen Sockel und durchbohrt von einer Metallstange, als seine Mutter aus China zu ihnen zurückkam, zu ihrer Familie und ihren Patienten in der Psychatrie, aus China, aus irgendeiner chinesischen Provinz, er erinnert sich nicht mehr, welche, China ist ein riesiges Land, facettenreich, aus dieser ärmlichen Wüstenprovinz, wo, das hat sie erzählt, das chinesische Essen keinerlei Ähnlichkeit hat mit dem, was in chinesischen Restaurants in Europa serviert wird, dort ist das chinesische Essen ärmlich, geschmacklos und wässrig, es wird (in Feldlazaretten) auf Blechtellern serviert wie damals in der Jugoslawischen Volksarmee; aus China, wo man seiner Mutter die Haare trocken schnitt, kehrte sie fast ohne Gepäck zurück, mit einem Zettel in der Hand, den sie vom unteren Teil einer Zeitungsseite abgerissen hatte, darauf stand mit Kugelschreiber (einem chinesischen) die Diagnose ca corpus uteri. Sie brachte ihm eine antike Tabakdose aus Rosenholz mit, die steht schon lange leer auf seinem Schreibtisch, dem er sich nicht mehr nähert, sie brachte ihm gerahmte Verse von Lu Hsun mit, seinen Schwestern seidene Kimonos in intensivem Blau und Rot, über die große goldene Drachen flogen, einen alten Fächer, der nach Sandelholz roch, all das holte sie aus einem Koffer, einem kleinen Koffer, in den sie eine Prise Erkenntnis gepackt hatte, und erst später sieht er darin ihre Entschlossenheit und Angst.

Das überdimensionale Gummiohr mit den Reflexzonen des ganzen Körpers knetet er jetzt in seiner Hand. Ein Ohr wie ein Miniaturfötus.

Das Ohr gibt ihm eine Übersicht seiner Organe. Aller Organe. Eine Übersicht seiner Schmerzen. Mal mit einer Nadel, mal mit einem Zahnstocher oder seinem Fingernagel sticht er sich auf seinem Ohr ins Herz, ins Auge, in den Rücken, ins Gehirn und lebt auf. Für einen Moment. Er pulsiert. Wenn ihm das Geld ausgeht, findet er den Punkt gegen Hunger und fühlt sich ganz leicht, er schwankt, als fiele er in Ohnmacht.

Die Ohren - ein seltsames Organ, hässlich wie der ganze menschliche Körper, überhaupt ist der Mensch ein abscheuliches unförmiges Wesen, mit Extremitäten, die aus der massigen Mitte ragen und in dünnen Fühlern münden, mit aufgepfropften bleichen Horngebilden, die ständig wachsen, während an der Spitze dieses Ungeheuers ein kugelförmiges Organ pendelt, an dessen unterem Teil eine größere und in der Mitte zwei kleinere Öffnungen klaffen, aus denen warme Luft strömt, darüber bewegen sich geräuschlos zwei wässrige Kugeln in Höhlen, versehen mit beweglichen Klappen. Und außerdem ist dieses Organ ganz oben von Haaren bedeckt, bei Männern auch vorne.



© health-science-spirit.com, Walter Last



In der Literatur gibt es viele Ohren, Ohren zum Hören und Ohren zum Nichthören, Ohren zum Gift-Einträufeln und Ohren zum Abschneiden. Es heißt, die Ohren würden ein Leben lang wachsen. Alte Menschen haben große Ohren, selbst Greise, die als junge Männer kleine Ohren hatten, bekommen im Alter große, fleischige, schlaffe Ohren mit labbrigen Ohrläppchen, taube Ohren. Als er neulich in den Bus stieg, einen rosafarbenen Hefter an die Brust gedrückt, folgte hinter ihm ein älterer Herr mit Hut und vernarbter runzliger Haut und fragte, Gehen Sie auch in dieses Gebäude zur Versammlung um 16.00 Uhr?, drehte ihm dann den Rücken zu und blieb auf der unteren Stufe stehen, die Türen des Busses standen offen, er betrachtete den Alten im schwarzen Mantel von hinten und war überrascht, dass der Alte kleine Ohren hatte, unglaublich kleine, dämonische Ohren.

Seine Ohren sind in Ordnung, er hat ganz ordentliche Ohren, unauffällig und nicht behaart. Er hört gut, er hört ausgezeichnet, es wäre besser, wenn dem nicht so wäre. Zugegeben, einmal hörte er im linken Ohr das Meer rauschen, ab und zu donnerten Wellen gegen seine Stirn und fluteten seine Schläfen, die Nase, Wörter verzogen sich träge zur Unkenntlichkeit, begleitet von einem unerträglichen Echo. Sie steckten ihn in einen schalldichten Raum und testeten sein Gehör. Der Arzt sagte, Auf dem rechten Ohr hören Sie überdurchschnittlich gut. Das linke Ohr brauchen Sie gar nicht. Doch der schizophrene Zustand seiner Ohren, das Getöse im Kopf, die Kakophonie, dauerte nicht lange, ein, zwei Monate später plätscherte das Meer nur noch leise gegen seine Schädelwände. Jetzt umgibt ihn wieder schreckliches Getöse, das von außen kommt, gegen sein Gehirn hämmert und das er nicht abschalten kann, der grässliche, alles übertönende Lärm der Stadt, der anders ist als der normale Lärm jeder anderen Stadt.

Vor kurzem hat er einen Artikel über jüdische Ohren gelesen. Darin debattieren drei Frauen über Iris-Scans, Gesichtserkennung und die Möglichkeit, Menschen Chips einzupflanzen. Eine der drei Frauen erzählt, dass sie beim Fotografen Passfotos habe machen lassen und wie sehr es sie befremdet habe, als man ihr sagte, Machen Sie die Ohren frei. Wir müssen Ihre Ohren sehen, beide Ohren, sagten sie zu ihr. Das habe sie an die Kriegsgeschichten ihrer Mutter erinnert, sagt die Frau. Die zweite Frau erzählt, wie sie für ihre Enkelinnen Pässe ausstellen ließ und die Polizei sie zweimal mit den Fotos zurückschickte, weil die Ohren ihrer Enkelinnen klein...
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Autor

Daa Drndi¿, geboren 1946 in Zagreb, war eine der wichtigsten kroatischen Autorinnen. Ihre Romane wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Ihr Roman Sonnenschein (Hoffmann und Campe 2015) war für den Internationalen Literaturpreis nominiert und wurde mit den renommierten Literaturpreisen Fran Galovic, Kiklop und dem Independent Foreign Fiction Readers' Prize ausgezeichnet. Drndi¿ verstarb am 5. Juni 2018 in Rijeka.