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Plan D

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
552 Seiten
Deutsch
Schöffling & Co.erschienen am06.10.2011
Ostberlin 2011: Die Wiedervereinigung hat es nie gegeben, Egon Krenz ist seit 22 Jahren an der Macht und die DDR nahezu pleite. Die Hauptstadt: ein maroder Moloch, verpestet und verdreckt von Millionen Ölmotoren des Trabant-Nachfolgers Phobos. Die letzte Chance für den Sozialismus: Wirtschaftsverhandlungen mit der BRD und ihrem Bundeskanzler Oskar Lafontaine. Doch dann wird ein ehemaliger Berater von Krenz ermordet aufgefunden - und alles weist darauf hin, dass die Täter aus den Reihen der Stasi kommen. Als auch noch der SPIEGEL über diesen Fall berichtet, ist klar: Wird die Unschuld der Stasi nicht bewiesen, ist die DDR endgültig erledigt. Im grauen, zerfallenden Ostberlin suchen Martin Wegener von der Volkspolizei und sein westdeutscher Kollege Richard Brendel nach den Mördern - und finden heraus, warum die Entwicklung der DDR so katastrophal verlaufen musste. Mit Witz und beißender Ironie erzählt Simon Urban eine packende Geschichte über politischen und menschlichen Verrat, über die vergebliche Suche nach Wahrheit und Liebe. PLAN D ist ein deutsch-deutscher Thriller, der von den großen Irrtümern des zwanzigsten Jahrhunderts handelt. Und von ihrem Weiterleben heute.

Simon Urban, geboren 1975 in Hagen, Germanistikstudium in Münster, Ausbildung an der Texterschmiede Hamburg, Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig, lebt in Hamburg und Techau (Ost-Holstein). 2009 gewann er bei den Clio-Awards den Grand Prix und Gold für die erste literarische Live-Werbepause. Für die Agentur Jung von Matt schrieb er den Edeka-Clip #heimkommen, der weltweit für Aufsehen sorgte und mit mehr als 60 Millionen Klicks zu den erfolgreichsten deutschen Virals überhaupt gehört. Für seinen ersten Roman 'Plan D' wurde er 2011 mit dem Debütpreis des Stuttgarter Krimipreises ausgezeichnet. Das Buch wurde in elf Sprachen übersetzt. 2014 erschien der Roman 'Gondwana'.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,95
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextOstberlin 2011: Die Wiedervereinigung hat es nie gegeben, Egon Krenz ist seit 22 Jahren an der Macht und die DDR nahezu pleite. Die Hauptstadt: ein maroder Moloch, verpestet und verdreckt von Millionen Ölmotoren des Trabant-Nachfolgers Phobos. Die letzte Chance für den Sozialismus: Wirtschaftsverhandlungen mit der BRD und ihrem Bundeskanzler Oskar Lafontaine. Doch dann wird ein ehemaliger Berater von Krenz ermordet aufgefunden - und alles weist darauf hin, dass die Täter aus den Reihen der Stasi kommen. Als auch noch der SPIEGEL über diesen Fall berichtet, ist klar: Wird die Unschuld der Stasi nicht bewiesen, ist die DDR endgültig erledigt. Im grauen, zerfallenden Ostberlin suchen Martin Wegener von der Volkspolizei und sein westdeutscher Kollege Richard Brendel nach den Mördern - und finden heraus, warum die Entwicklung der DDR so katastrophal verlaufen musste. Mit Witz und beißender Ironie erzählt Simon Urban eine packende Geschichte über politischen und menschlichen Verrat, über die vergebliche Suche nach Wahrheit und Liebe. PLAN D ist ein deutsch-deutscher Thriller, der von den großen Irrtümern des zwanzigsten Jahrhunderts handelt. Und von ihrem Weiterleben heute.

Simon Urban, geboren 1975 in Hagen, Germanistikstudium in Münster, Ausbildung an der Texterschmiede Hamburg, Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig, lebt in Hamburg und Techau (Ost-Holstein). 2009 gewann er bei den Clio-Awards den Grand Prix und Gold für die erste literarische Live-Werbepause. Für die Agentur Jung von Matt schrieb er den Edeka-Clip #heimkommen, der weltweit für Aufsehen sorgte und mit mehr als 60 Millionen Klicks zu den erfolgreichsten deutschen Virals überhaupt gehört. Für seinen ersten Roman 'Plan D' wurde er 2011 mit dem Debütpreis des Stuttgarter Krimipreises ausgezeichnet. Das Buch wurde in elf Sprachen übersetzt. 2014 erschien der Roman 'Gondwana'.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783895619649
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2011
Erscheinungsdatum06.10.2011
Seiten552 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2702 Kbytes
Artikel-Nr.2750963
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



1

Wegener öffnete den Reißverschluss der Cordhose, zog mit zwei Fingern seinen Penis heraus und entspannte sich. Ein paar Sekunden war es vollkommen still, dann prasselte der heiße Urin auf das trockene Laub, immer schubweise, ein Schwall versiegte, dann kam der neue, wuchs zu einem dampfenden Bogen und verkümmerte wieder, wurde vom nächsten abgelöst. Wegener stellte sich breitbeiniger hin, zählte mit, zum zehnten, zum elften, zum zwölften Mal baute sich der dünne Strahl auf, krümmte sich und ging ein, plötzlich unterbrochen, dann tröpfelte es nur noch.

Wer sich vom Tatort entfernt, sollte wenigstens nicht mit bepissten Schuhen zurückkommen, hatte Früchtl immer gesagt und es selbst nie geschafft, und wenn er vorher nichts gesagt hätte, wären seine Schuhe hinterher niemandem aufgefallen.

Wegener legte den Kopf in den Nacken. Starrte in die Nacht. Die Metallverkleidung der Pipeline glänzte im Mondlicht, ein silbriger Streifen, der sich rechts und links zwischen den Bäumen verlor. Dieser Streifen würde weiterglänzen, wenn man ihm folgte, wenn man im immer gleichen Abstand zur Leitung bliebe und das Mondlicht im richtigen Winkel auf das Blech treffen ließ, durch ein verschwommenes Labyrinth aus Eichenstämmen und den Betonpfeilern des Pipeline-Viadukts, kilometerweit über den knisternden Laubboden bis zur Sektorengrenze.

Diese Röhre leuchtet einem immer noch den Weg in den Westen, dachte Wegener, diese Röhre ist der fette Ariadnefaden des Sozialismus. Und musste lächeln. Oben würden sie sich das anhören und die Köpfe wiegen und sagen: Oberflächlich betrachtet, bitte, aber wer genau hinsehe, dem falle doch wohl auf, dass diese Röhre vielmehr den Weg in den Osten leuchte, tief hinein in die Sozialistische Union, bis in den Ural, sogar bis nach Sibirien, das sei doch ein entscheidender Unterschied, nur das Gas wandere schließlich westwärts, sonst nichts.

Wegener schüttelte seinen Penis, schob ihn zurück in die Hose, zog den Reißverschluss hoch. In der Tiefe des Waldes flammten die Scheinwerfer der Spurensicherung auf, gleißende, durch Baumstämme zerteilte Flecken, die immer mehr wurden, die schnell zu einem großen Fleck zusammenwuchsen, auf den er jetzt halbblind zusteuerte wie auf das Licht am Ende eines lichtlosen Tunnels, über Äste und Gesträuch stolpernd, bis es hell genug war für einen Blick auf seine Schuhe: Zwei Flecken auf dem rechten, einer auf dem linken.

Acht Strahler hatten Lienecke und seine Leute aufgestellt, je vier auf jeder Seite der Pipeline, die jetzt nicht mehr silbrig glänzte, sondern fleckig und vermoost aussah, der größte unter den vielen, schäbigen Versorgungskanälen, die Ostdeutschland in immer dünnere Streifen schnitten. Hinter dem flatternden Absperrband waren der Vertreter des Energieministeriums und seine Sicherheitsbeamten längst zu gelangweilten Gaffern erstarrt. Neben ihnen brummte der Generator auf seinem Hänger, rote Kabel schlängelten sich wie ausgehärtete Blutspuren den Hügel hinauf durchs Laub. Lienecke verteilte kartonweise Müllbeutel. Seine Assistenten begannen so ameisenartig Laub zu harken und in die Säcke rieseln zu lassen, als hätte das Politbüro gerade mit sofortiger Wirkung trockene Blätter verboten. Wie immer, wenn er Lienecke und seine Leute bei der Arbeit sah, tauchend, kletternd, grabend, abklebend, schabend, eintütend, sortierend, fegend, kratzend, war Wegener froh, mit solchen Puzzlespielen nichts zu tun zu haben, sich auf diese Typen verlassen zu können, die früh genug erkannt hatten, dass Glück und Unglück von einem Tropfen Schweiß, Sperma oder Urin auf dem Schuh abhingen und dass unerschöpfliche Geduld eine seltene Gabe war, mit der man es weit bringen konnte, vor allem in der Deutschen Demokratischen Republik.

Keiner der Assistenten redete während der Arbeit. Auch Lienecke sagte nichts. Nur der Generator brummte und das Laub raschelte. Ab und zu knackte ein Ast. Die sechs gleichmäßig wühlenden Männer in den weißen Ganzkörperanzügen kamen Wegener vor wie seltsam beherrschte Tiere auf einer ebenso mühseligen wie vergeblichen Nahrungssuche. Diese Spurensucher-Spezies verständigte sich mit unsichtbaren Zeichen, steckte telepathisch ihr Revier ab, besaß eine geheime Choreografie, stakste wie eine lethargische Population Albino-Storche über den Waldboden, synchrone Zeitlupe, alle in Reihe, ein Schritt pro Minute. Wegener drehte sich zu den beiden Uniformierten um, die an ihrem Phobos lehnten und rauchten, ohne jeden Sinn für Lieneckes betuliches Ballett. Die Volkspolizisten starrten in die Dunkelheit, beneideten vermutlich ihre Kollegen, die schon vor mehr als einer Stunde mit dem Jäger und seinen beiden sabbernden Kötern zum Revier gefahren waren, zogen an krummen Kippen, ihre Nasen umgedrehte Schornsteine, die den Rauch nach unten bliesen, aber der ließ sich nicht täuschen und trieb unbeirrt nach oben.

Wegener hockte sich hin. Griff in trockene Blätter. Hier hatte es seit Tagen nicht geregnet. Vielleicht sogar seit Wochen nicht. Auf Reifenspuren durften die Laubsammler kaum hoffen. Fußspuren noch unwahrscheinlicher. Blieb die ewige Hoffnung auf unbewusst ausgespuckte Kaugummis, Lackspuren an Eichenrinde, Notizzettel, die durch Hosentaschenlöcher gerutscht waren. Wegener stand wieder auf und lehnte sich an einen Baumstamm. Seine Armbanduhr zeigte Viertel nach neun. Mit Glück würde hier um elf abgebaut. Mit Pech irgendwann zwischen eins und zwei.

Der Kommissar ist vierundzwanzig Stunden am Tag misstrauisch, hatte Früchtl gesagt, und der misstrauische Kommissar bleibt bis zum Schluss. Der misstrauische Kommissar misstraut den Kollegen, der Spurensicherung und dem Mordopfer, weil er der Misstrauer Nr. 1 ist. Der misstrauische Kommissar misstraut an erster Stelle sich selbst. Vertrauen kannst du auf Gott, hatte Früchtl gesagt, und bei uns noch nicht mal auf den.

Lieneckes Truppe rückte jetzt langsam zur Pipeline vor. Neben dem Generator stapelten sich prall gefüllte Säcke. Der nackte Waldboden war eine schrumpelige, braune Haut voller Wurzeladern und Löcher, aber ohne Kaugummis und Notizzettel. Lienecke hob die rechte Hand. Seine Männer nickten. Das sind die Bilder, die mir im Kopf herumlaufen, wie in einem Hamsterrad, wenn ich neunzig bin, dachte Wegener, als Endlosschleife, im Altenheimbett, wenn auch die letzten Synapsen zusitzen und der Speichel in Fäden auf die Bettwäsche tropft. Wenn andere im Delirium von ihren Ginsterbüschen und Kasselerbraten und FDJ-Hanseln gequält werden, dann sehe ich zwei quarzende Vopos vor einer erleuchteten Blätterinsel, auf der die Ku-Klux-Klan-Ortsgruppe Köpenick in Zeitlupe tanzt, stakst, raschelt, während im Hintergrund ein Toter baumelt. Und die Schwester sagt: Aber Herr Wegener!, und geht mir mit der behandschuhten Hand über die letzten grauen Haare, fast zärtlich, so, als hätte die Hand gar keinen Handschuh an, das ist doch alles schon lange vorbei, Herr Wegener, das war einmal, Ihr Wald, Ihre Blätterinsel, Ihr Ballett, Ihr Toter, die dicken Vopos, der Energieministeriumsvertreter. Das haben Sie hinter sich, das spielte mal sieben oder zehn Tage lang eine Rolle in Ihrem Leben, eine Hauptrolle vielleicht sogar, aber danach nicht mehr, niemals, nie. Wegener merkte, wie die Müdigkeit ihn plötzlich packte. Wie die sich dumpf um seinen Kopf wickelte, eine bordsteinkantendicke Schaumstoffmatte, alles dämmend, alles verschluckend. Am liebsten wäre er sofort an dem rauen Stamm nach unten gerutscht, ins trockene Laub, hätte sich knisternd zusammengerollt und Lienecke gebeten, die Lampen auszumachen, ganz schnell, alle acht.

Einer der Vopos grunzte.

Wegener drehte sich um.

Zwei helle Punkte flimmerten weit entfernt über den Forstweg und kamen langsam näher.

Lienecke hob den Kopf, nickte, sah wieder nach unten.

Seine Assistenten brachen ihre Buddelei ab und verstellten den Winkel der vorderen Strahler. Die Lichtkegel ruckten nacheinander in Richtung Pipeline, illuminierten eine triste Naturbühne, die Show konnte beginnen. Der glänzende, lang gezogene Phobos Prius wurde sichtbar. Sein ovaler Kühlergrill funkelte. Über dem Wagen leuchtete plötzlich auch die Leiche. Aus dem Schatten der Gasleitung herausgeschnitten, erschien sie jetzt grell vor dem Waldschwarz, eine schlaffe, schwebende Marionette an einem einzigen Faden. Dieser Tote dreht uns allen den Rücken zu, dachte Wegener, der hängt zwar am Strick, aber mit der Polizei will er deshalb noch lang nichts zu tun haben. Sein Geheimnis gehört ihm. Keine Lust auf nikotinsüchtige Vopos, Lieneckes Laubsammelroboter, einen hundemüden Ermittler. Hier interessiert sich keiner für den anderen. Hier hat jeder seinen exakt abgegrenzten Job: Hängen, Rauchen, Starren, Suchen. Für eine Sekunde wurde Wegener das Bizarre, das jeder Tatort mit sich brachte, wieder bewusst, die unwirkliche Verbindung von angehaltener Zeit und automatisierter Betriebsamkeit, die Gegenstandswerdung eines Menschen, die erzwungene, willkürliche Gemeinschaft, an der keiner der Anwesenden jemals ein Interesse gehabt hatte. Der Zufall, der den einen hängen und die anderen buddeln ließ und der auch das Gegenteil hätte veranstalten können. In der aktuellen Konstellation bin ich Volkspolizeihauptmann, dachte Wegener, und der aufgeknüpfte dürre Alte mit dem teuren Mantel, der Seidenkrawatte, der goldenen Uhr und den zusammengebundenen Schnürsenkeln ist das Opfer. Fünfundsiebzig, achtzig Jahre Leben enden unter der Nordmagistrale am Müggelsee, warum auch immer, und schon geht das ewige Theater von vorne los, die Ermittlungsfabrik, die Fragen, die Lügen, die Ahnungen, immer gibt es nur fünf mögliche Antworten, natürliches Ableben, Unfall, Suizid, Totschlag, Mord, ein...


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Autor

Simon Urban, geboren 1975 in Hagen, Germanistikstudium in Münster, Ausbildung an der Texterschmiede Hamburg, Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig, lebt in Hamburg und Techau (Ost-Holstein). 2009 gewann er bei den Clio-Awards den Grand Prix und Gold für die erste literarische Live-Werbepause. Für die Agentur Jung von Matt schrieb er den Edeka-Clip #heimkommen, der weltweit für Aufsehen sorgte und mit mehr als 60 Millionen Klicks zu den erfolgreichsten deutschen Virals überhaupt gehört.
Für seinen ersten Roman "Plan D" wurde er 2011 mit dem Debütpreis des Stuttgarter Krimipreises ausgezeichnet. Das Buch wurde in elf Sprachen übersetzt.
2014 erschien der Roman "Gondwana".

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