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Ihr könnt ja nichts dafür!

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
BeBra Verlagerschienen am04.12.2013
Jahrzehntelang haben allwissende Westdeutsche ihren Landsleuten aus dem Osten mit mehr oder weniger Nachsicht das Leben in der Diktatur erklärt. Jetzt lässt der Satiriker Peter Ensikat endlich auch den Wessis Gerechtigkeit widerfahren und veranschaulicht ihnen ihr Leben in der Demokratie. Nach 60 Jahren Bundesrepublik findet sich vieles, wofür man sich schämen könnte: der deutsche Tourist, die deutsche Sozialdemokratie, die deutschen Langzeitkanzler ... - aber keine Sorge: Wir können ja alle nichts dafür! 'Peter Ensikat ist ein sarkastisches Sandmännchen für Ost und Westbürger.' Süddeutsche Zeitung

Peter Ensikat, geboren 1941 in Finsterwalde, ist Schriftsteller und Kabarettist. Bis 1974 arbeitete er als Schauspieler in Dresden und Ostberlin, später avancierte er zu einem der meistgespielten Kabarettautoren in der DDR. Auf zahlreichen Auslandsreisen konnte er sich schon vor der Wende mit eigenen Augen ein Bild vom 'goldenen Westen' machen. Von 1999 bis 2004 war er künstlerischer Leiter des Kabaretts 'Die Distel'. Er schrieb u. a. die Bücher: 'Hat es die DDR überhaupt gegeben?' (1998), 'Das Schönste am Gedächtnis sind die Lücken' (2005) und im be.bra verlag 'Populäre DDRIrrtümer' (2008).
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Produkt

KlappentextJahrzehntelang haben allwissende Westdeutsche ihren Landsleuten aus dem Osten mit mehr oder weniger Nachsicht das Leben in der Diktatur erklärt. Jetzt lässt der Satiriker Peter Ensikat endlich auch den Wessis Gerechtigkeit widerfahren und veranschaulicht ihnen ihr Leben in der Demokratie. Nach 60 Jahren Bundesrepublik findet sich vieles, wofür man sich schämen könnte: der deutsche Tourist, die deutsche Sozialdemokratie, die deutschen Langzeitkanzler ... - aber keine Sorge: Wir können ja alle nichts dafür! 'Peter Ensikat ist ein sarkastisches Sandmännchen für Ost und Westbürger.' Süddeutsche Zeitung

Peter Ensikat, geboren 1941 in Finsterwalde, ist Schriftsteller und Kabarettist. Bis 1974 arbeitete er als Schauspieler in Dresden und Ostberlin, später avancierte er zu einem der meistgespielten Kabarettautoren in der DDR. Auf zahlreichen Auslandsreisen konnte er sich schon vor der Wende mit eigenen Augen ein Bild vom 'goldenen Westen' machen. Von 1999 bis 2004 war er künstlerischer Leiter des Kabaretts 'Die Distel'. Er schrieb u. a. die Bücher: 'Hat es die DDR überhaupt gegeben?' (1998), 'Das Schönste am Gedächtnis sind die Lücken' (2005) und im be.bra verlag 'Populäre DDRIrrtümer' (2008).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783839321102
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum04.12.2013
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1582 Kbytes
Artikel-Nr.3084983
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Wann schlug die Stunde der deutschen Wiedergeburt?

Über das Datum kann man streiten. Über den 8. Mai 1945 als »Tag der Befreiung« konnte man jahrzehntelang nur den Kopf schütteln. Es gab ja von diesem Tag an in Deutschland so gut wie keine Nazis mehr, von denen man hätte befreit werden müssen. Die ganze Nazizeit, das waren die dunklen Jahre, die man jetzt auch lieber im Dunkeln lassen wollte. Mochte sein, dass da im deutschen Namen Unrecht geschehen war, aber doch nicht von Deutschen, jedenfalls nicht von denen, die da draußen im Feld ihre Knochen hingehalten, beziehungsweise zu Hause das Schlimmste verhindert hatten. Die wenigen Verantwortlichen waren - aber wen interessierte das damals im zerstörten Deutschland überhaupt? - von den Alliierten in einem völkerrechtlich zumindest fragwürdigen Prozess in Nürnberg verurteilt und hingerichtet worden. Hitler - von dem man eigentlich erst jetzt dankbar zur Kenntnis nahm, dass er gar kein Deutscher, sondern Österreicher war - hatte sich selbst gerichtet. Der unschuldige Rest war mit Überleben beschäftigt.

Eine reale Hoffnung auf deutsche Wiedergeburt gab es im Grunde erst, als nach den Jahren der Nachkriegszeit der Kalte Krieg ausgebrochen war. Dass das Kriegshandwerk, auch ohne Feuerwaffen, ein zutiefst deutsches Handwerk ist, bewiesen die Westdeutschen wie die Ostdeutschen nun im Kalten Krieg, in dem sie ihren neuen Verbündeten Dienste erwiesen, die sie schon sehr schnell unentbehrlich machen sollten in ihrem jeweiligen Bündnis. Dass beide in der Wahl ihrer Verbündeten gar kein Mitspracherecht hatten, scheint damals wie heute kaum einen zu interessieren. Gegen den Russen zu sein, ihn zu fürchten oder zu verachten, jedenfalls zu hassen, daran war man ja in ganz Deutschland noch gewöhnt. Der Russe war das ideale Feindbild überhaupt. Er war als solcher geradezu ein Geschenk für die Westdeutschen. Was die Nazis noch vergeblich gehofft hatten, das fiel den in aller Eile entnazifizierten Westdeutschen in den Schoß - sie durften mit den Westmächten nun gemeinsam wieder gegen die Russen ins Feld ziehen, während die Ostdeutschen einen Bruderbund mit eben diesem Feind eingehen mussten. Es gab damals im Osten einen Witz zum Thema. Frage: »Wieso sind die Russen unsere Brüder und nicht unsere Freunde?« Antwort: »Freunde kann man sich aussuchen.«

Der Kampf um Berlin, den die Sowjets im Juni 1948 mit der Blockade des Westteils der Stadt ausgelöst hatten, wurde zum moralischen Sieg des Westens. Mit einem Schlag wurden nun aus den amerikanischen Besatzern Freunde. Dank ihrer Luftbrücke, mit der sie die hungernden und frierenden Westberliner mit dem Lebensnotwendigsten versorgten, hatten sie nicht nur die Herzen der Berliner, sondern die fast aller Deutschen erobert. Während die bösen Russen im Osten die wenigen nicht zerstörten Industrie- und Bahnanlagen demontierten, um sie in ihrem Land der verbrannten Erde wieder zu errichten, schickten die guten Amerikaner ihren neuen Verbündeten Carepakete und halfen auch bald beim Aufbau der westdeutschen Industrie. Mit der Schlacht um Berlin hatte der Kalte Krieg seinen ersten Höhepunkt erreicht und war im Grunde mit der Aufgabe der sowjetischen Blockade schon entschieden. Dass er von beiden Seiten mit solcher Unerbittlichkeit noch so lange weitergeführt wurde, ist nicht nur mit der Bösartigkeit der einen, also der kommunistischen Seite zu erklären. Das Misstrauen und die Uneinsichtigkeit beider Seiten trugen dazu bei, dass er mehr als vierzig Jahre dauerte. Beigelegt wurde er schließlich durch die überraschend ausgebrochene Vernunft des Unterlegenen. Der Klügere gibt nach, heißt ein deutsches Sprichwort. Der Klügere war in diesem Fall der Russe, was ihn in deutschen Augen allerdings kaum besser machte. Ihm gilt seit Jahrhunderten des Deutschen ungetrübtes Misstrauen, egal, ob da ein Zar, ein Stalin, Breschnew, Putin oder Medwedew herrscht.

Ein weiteres Datum, auf das man die deutsche, Verzeihung, westdeutsche Wiedergeburt festlegen könnte, ist der 23. Mai 1949, er Tag, an dem das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verkündet wurde. Aber was ein neues Grundgesetz für Auswirkung haben könnte, das haben damals wohl nur wenige Deutsche sofort erkannt. Das bayerische Parlament hat es bis heute noch nicht einmal ratifiziert. Aber die bayerische Geschichte verlief ohnehin immer etwas anders als die von Restdeutschland. Hätten die Russen damals Bayern als Besatzungszone zugesprochen bekommen - ich bin mir nicht sicher, ob es 1990 zu einer deutschen Wiedervereinigung gekommen wäre.

Ein anderes Datum, ein Jahr zuvor, dürfte wesentlich bedeutsamer für die hungernden und frierenden Deutschen gewesen sein - der 20. Juni 1948. An diesem Tag wurde die D-Mark eingeführt, und damit begann das, was man später das deutsche Wirtschaftswunder nannte, von dem Ostdeutschland allerdings ausgeschlossen blieb. Die Einführung dieser Deutschen Mark in den Westsektoren Berlins war auch der Auslöser für die sowjetische Berlin-Blockade gewesen, in deren Folge die deutsch-amerikanische Freundschaft zu einem ungeschriebenen Grundgesetzartikel der Bundesrepublik wurde. Auf die D -Mark begründete sich bald ein wirklich neues Selbstwertgefühl, das die Deutschen in der Welt zwar nicht unbedingt beliebter machte, wohl aber ihre Währung. Mehr dazu in einem anderen Kapitel, denn die D-Mark hat ein eigenes Kapitel in jedem deutschen Geschichtsbuch verdient.

Ausgerechnet die Arbeiteraufstände des 17. Juni 1953 im Osten mussten dann herhalten, um der Bundesrepublik den Anlass für einen Nationalfeiertag zu bescheren. Ohne es zu wollen, gab der Westen damit zu, was der Osten immer behauptet hatte, nämlich, dass der 17. Juni ein von Westberlin gesteuertes Unternehmen gewesen sei. Dass er das nicht war, wussten beide Seiten nur zu gut. Aber Krieg ist Krieg, und Wahrheit ist kein Argument, wenn sie nicht ins Geschichtsbild passt. Der Anlass des »Tages der deutschen Einheit« war ja auch schnell wieder vergessen. Schon Ende der sechziger Jahre wusste kaum noch ein Westdeutscher, was er da feierte, wenn er an diesem Tag bei schönem Wetter ins Grüne fuhr. Kurz nachdem man im Oktober 1990 die Einheit selbst gefeiert hatte, war dieser »Tag der deutschen Einheit« kein Feiertag mehr. Dass es in Berlin noch eine »Straße des 17. Juni« gibt, ist zwar allgemein bekannt, aber was es mit diesem Datum auf sich hat, wissen heute höchstens noch die älteren Berliner oder die beruflich mit der »Aufarbeitung der SED-Diktatur« befassten.

Ganz anders verhält es sich mit einem anderen deutschen Datum - mit dem 4. Juli 1954, also dem »Wunder von Bern«. Dieser Tag wird zwar offiziell nicht gefeiert, aber das hat er auch nicht nötig. Man muss kein Patriot sein, um zu wissen, was an diesem Tag geschehen ist. Deutschland wurde Fußballweltmeister. Helmut Rahn hat in der 86. Minute des Endspiels das 3:2 für Deutschland erzielt und damit allen Deutschen den Glauben an sich selbst zurückgegeben.

Dieses Ereignis wurde in der Tat damals in ganz Deutschland bejubelt, auch wenn kein Ostdeutscher in Bern mit aufgelaufen war. Der 4. Juli 1954 war in gewissem Sinne ähnlich gesamtdeutsch wie der 17. Juni im Jahr zuvor, an dem die Westdeutschen auch nur als Beobachter teilgenommen hatten.

Nicht einmal an uns Kindern in Finsterwalde ging dieses Ereignis spurlos vorbei. Von diesem Tag an ließ ich mich, wenn ich beim Kicken auf dem Kirchplatz in Finsterwalde das Tor hütete, nur noch Toni Turek nennen, auch später, als ich vom Fußball zum Handball übergewechselt war, behielt ich diesen Ehrennamen bei. Meine im Sturm oder in der Verteidigung spielenden Fußballfreunde nannten sich abwechselnd Fritz Walter, Morlock, Rahn, aber auch Puskás, Hidekuti oder Kocsis. Einen, den wir Sepp Herberger hätten nennen können, gab es in Finsterwalde leider nicht.

Wir waren zu jung, um die nationale Bedeutung dieses deutschen Fußballsieges zu erfassen. Zwar fühlten wir uns auch als Sieger, aber die ungarischen Verlierer bewunderten wir nicht weniger als die deutschen Weltmeister. Dass wir Dank dieses Fußballspiels wieder etwas galten in der Welt, kam uns in der Kleinstadt kaum zum Bewusstsein. Wir hatten bei der Übertragung natürlich auch am Radio gehangen und gejubelt, als das 3:2 gefallen war, aber daraus zu schließen, dass wir nun wieder »wer sind« in der Welt, um so einen weltpolitischen Zusammenhang zu erkennen, dafür fehlte uns die patriotische Vorbildung. Als ich den Satz »Wir sind wieder wer« zum ersten Mal von meinem Onkel aus Mannheim hörte, war er mir peinlich. Vielleicht war ich auch nur neidisch, weil ich weder seine D-Mark besaß, noch einen VW-Käfer fuhr und auch nicht nach Italien reisen durfte. Für Fußball habe ich mich später auch nicht mehr besonders interessiert. Als allerdings bei einem Vorrundenspiel zur Fußballweltmeisterschaft 1974 die DDR-Auswahl gegen die der Bundesrepublik 1:0 gewann, habe ich mit vielen Ostdeutschen gejubelt. Aber darüber mehr in einem anderen Kapitel.

Dass dieser 4. Juli 1954 so etwas wie eine nationale Wiedergeburt der Deutschen war, hörte ich immer wieder und das nicht nur von Fußballfans. Als...
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Autor

Peter Ensikat, geboren 1941 in Finsterwalde, ist Schriftsteller und Kabarettist. Bis 1974 arbeitete er als Schauspieler in Dresden und Ostberlin, später avancierte er zu einem der meistgespielten Kabarettautoren in der DDR. Auf zahlreichen Auslandsreisen konnte er sich schon vor der Wende mit eigenen Augen ein Bild vom "goldenen Westen" machen. Von 1999 bis 2004 war er künstlerischer Leiter des Kabaretts "Die Distel". Er schrieb u. a. die Bücher: "Hat es die DDR überhaupt gegeben?" (1998), "Das Schönste am Gedächtnis sind die Lücken" (2005) und im be.bra verlag "Populäre DDRIrrtümer" (2008).