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In was wir uns verlieben

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
220 Seiten
Deutsch
Voland & Quisterschienen am04.06.20141. Auflage
Ein Sohn besorgt auf Wunsch seiner Mutter Blumen für die Beerdigung der Geliebten seines Vaters, zwei Liebende sind gefangen in einem Leben ohne Wahlmöglichkeiten, schmerzhafte Kindheitserinnerungen werden geweckt, als ein junger Mann mit seinem Vater im Garten des zerstörten Hauses arbeitet ... Vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse im zerfallenden Ex-Jugoslawien handeln Simi?s Geschichten von Hoffnung und Enttäuschung, Treue und Verrat sowie der Unmöglichkeit, den anderen Menschen vollständig zu verstehen. »In was wir uns verlieben« wurde 2005 mit dem Jutarnji-List-Preis für das beste kroatische Prosawerk ausgezeichnet.

Roman Simi?, Jahrgang 1972, war Redakteur der bedeutenden kroatischen Literaturzeitschrift Quorum und ist Organisator und Programmdirektor des renommierten Festival of the European Short Story. Zweimal erhielt er den Goran-Preis für junge Dichter. Seine Erzählungen wurden ins Französische, Spanische, Schwedische, Slowenische, Polnische, Bulgarische, Serbische, Litauische und Englische übersetzt. 2005 wurde ihm für »In was wir uns verlieben« der Jutarnji-List-Preis für das beste kroatische Prosawerk verliehen. Roman Simi? gilt als eine der bedeutendsten Stimmen der zeitgenössischen kroatischen Literatur.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR18,90
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR6,99

Produkt

KlappentextEin Sohn besorgt auf Wunsch seiner Mutter Blumen für die Beerdigung der Geliebten seines Vaters, zwei Liebende sind gefangen in einem Leben ohne Wahlmöglichkeiten, schmerzhafte Kindheitserinnerungen werden geweckt, als ein junger Mann mit seinem Vater im Garten des zerstörten Hauses arbeitet ... Vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse im zerfallenden Ex-Jugoslawien handeln Simi?s Geschichten von Hoffnung und Enttäuschung, Treue und Verrat sowie der Unmöglichkeit, den anderen Menschen vollständig zu verstehen. »In was wir uns verlieben« wurde 2005 mit dem Jutarnji-List-Preis für das beste kroatische Prosawerk ausgezeichnet.

Roman Simi?, Jahrgang 1972, war Redakteur der bedeutenden kroatischen Literaturzeitschrift Quorum und ist Organisator und Programmdirektor des renommierten Festival of the European Short Story. Zweimal erhielt er den Goran-Preis für junge Dichter. Seine Erzählungen wurden ins Französische, Spanische, Schwedische, Slowenische, Polnische, Bulgarische, Serbische, Litauische und Englische übersetzt. 2005 wurde ihm für »In was wir uns verlieben« der Jutarnji-List-Preis für das beste kroatische Prosawerk verliehen. Roman Simi? gilt als eine der bedeutendsten Stimmen der zeitgenössischen kroatischen Literatur.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783863910570
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum04.06.2014
Auflage1. Auflage
Seiten220 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1244 Kbytes
Artikel-Nr.3106470
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

DER GERUCH DER ERDE



Der Vater eilte den feuchten Kiespfad zwischen Garage und Hoftor entlang. Er reichte ihm die Werkzeugtasche über das Auto, öffnete das Tor und hetzte, die dunkelblaue Baseballmütze der New York Yankees tief in die Stirn gezogen, wieder um das Auto herum und rutschte auf den Fahrersitz.

So außer Atem, frisch rasiert und in abgewetzter Lederjacke erinnerte er Roko an den selbstzufriedenen ehemaligen Astronauten aus einer amerikanischen Fernsehserie, eine Gestalt, die ihm, vielleicht gerade wegen dieser Ähnlichkeit, nie gefallen hatte. Ihm schien, als könne er sogar den immergrünen Kiefernduft des Rasierwassers seines Vaters, den Geruch nach eingefetteter Haut und die Duftbäumchen aus dem Wageninneren riechen.

»Fertig«, sagte der Vater. »Lass uns fahren.«

Als wollte er etwas von seiner morgendlichen Lebendigkeit auf ihn übertragen, trommelte er auch noch kurz an das Fenster auf Rokos Seite, drückte mit den Fingerspitzen die Beifahrertür auf und hupte kurz.

Roko sagte nichts.

Der immer ungeduldiger werdende Blick seines Vaters schlug ihm auf den Magen, er drückte vorsichtig seine zur Hälfte gerauchte Zigarette auf dem Dach der alten Hundehütte aus, warf seine Tasche auf die Rückbank und zwängte sich auf den Beifahrersitz.

Obwohl er schon seit langer Zeit größer war als sein Vater, berührte er nie etwas in dessen Auto, noch nicht einmal um das Radio einzuschalten oder sich Platz für die Beine zu verschaffen. Als er sich noch bemüht hatte, einen Grund dafür zu finden, fiel ihm nichts Überzeugendes ein, kein uraltes Verbot, keine Strafe von früher.

Als er die Suche aufgegeben hatte, blieb in seinem Körper nur ein lächerliches Gefühl zurück, ähnlich einer im Handballen steckenden Bleistiftspitze, ein Gefühl von Steifheit, als säße er im Auto seines Vaters in einem einige Nummern zu kleinen Anzug. Natürlich hatte die Psychologiestudentin Nela dazu ihre eigene Meinung, doch er wollte sie wie auch vieles andere, worüber Nela nachgedacht hatte nicht hören. Wenn sie den Mund öffnete, schloss er die Ohren. Schon seit einiger Zeit hatten sie weder diskutiert noch gestritten sie waren weder Freunde noch Feinde sie waren Bruder und Schwester. Er konnte sich nicht erinnern, wann und warum das so gekommen war: So war es eben einfach, und er war zu satt oder zu müde, um nach Gründen dafür zu suchen.

Er streckte sich kurz und betrachtete seinen Vater aus den Augenwinkeln. Es schien, als hätte er sich in all den Jahren, die er weit entfernt von ihm verbracht hatte, überhaupt nicht verändert. Noch immer das gleiche angegraute Haar, das gründlich rasierte Gesicht, die niedrige Stirn voller Falten und die kaum sichtbaren Lippen so wie er ihn schon immer in Erinnerung hatte. Sein Gang und sein Geruch waren gleich geblieben, und auf seinem Gesicht lag noch immer derselbe Ausdruck von Sicherheit und Festigkeit, der Roko sogar jetzt noch nötigte, sich wie ein kleiner Junge zu fühlen.

Wie immer, wenn er über seinen Vater nachdachte, wünschte er sich, irgendwo anders zu sein.

Für einen Augenblick schien es ihm, als begleitete ihn dieses »irgendwo anders« schon sein ganzes Leben: das Weggehen von zu Hause, der Militärdienst, Zagreb, das Studium, die Arbeit. Anschließend aber war ihm, als übertreibe er und als würde er nun eine Zigarette brauchen. Er tastete nach der Schachtel in seiner Jackentasche, ließ es dann aber und blieb reglos sitzen. In seinem Kopf brummte es, er hielt den Atem an, versuchte sich zu beruhigen.

»Auch das ist jetzt vorbei«, dachte er.

So fühlte es sich auch an. Schon seit einiger Zeit war zwischen ihnen wirklich etwas vorbei, es war so, als hörte etwas auf zu existieren, was vielleicht nie wirklich begonnen hatte.

Doch er hatte das nie laut ausgesprochen, vor allem nicht vor seinem Vater.

Vor ein oder zwei Jahren, im letzten seiner kurzen, aber heftigen Anfälle von Selbstreflexion, hatte er auch die Ursachen für dieses Schweigen auf die Tagesordnung setzen wollen, nur um es dann doch wieder zu vergessen. Genauso wie die nie ausgesprochenen Erklärungen, die er Nela, seiner Nicht-Aufnahme an der Akademie der Bildenden Künste, gewissen jungen Frauen und gewissen Freunden, die im Krieg gewesen waren, schuldig war es hatte sich eben nicht ergeben.

Sein Vater war nur das Ende oder nur der Anfang dieses andauernden Aufgebens, Roko wollte oder konnte das nicht entscheiden.

Vielleicht war es ihm auch egal.

Er zuckte mit den Schultern und versuchte, eine bequemere Sitzposition zu finden. Sie saßen kaum zwanzig Zentimeter auseinander, aber ihm kam es vor, als wären sie sehr weit voneinander entfernt und als würde diese Entfernung immer größer (wie zwei Geraden, die auseinander streben, wie Kreise auf dem Wasser) unweigerlich und selbstverständlich wie chemische Reaktionen, wie die Gesetze der Physik oder der Zeit wie all die Dinge, die in seinem Leben schon immer unausweichlich, schrecklich und unbegreiflich gewesen waren.

Ihm kam der Gedanke, dass selbst ihre seltenen Treffen vollständig von den kreisenden Rhythmen der Natur oder des Kalenders bestimmt waren: nach dem Tod seiner Mutter hatte er seinen Vater nur zu Weihnachten, Ostern, Allerheiligen getroffen, höchstens viermal im Jahr oder noch seltener, wenn er im Sommer nicht kam. Und selbst bei diesen Gelegenheiten, die bei beiden nur zusätzlich die Nervosität steigerten, wechselten sie nur ein paar kurze Sätze, ohne den wirklichen Wunsch, das Gespräch fortzusetzen. Allen Theorien Nelas zum Trotz betrachtete Roko genau diese Tatsache als hinreichend guten Grund für sein Schweigen und dafür, dass er in Vaters Auto den Sitz nicht verstellte.

Während er sich anschnallte, berührte er mit seiner Schulter die des Vaters und verspürte Unbehagen.

»Lass uns losfahren«, murmelte er.

Das Auto, in dem sie saßen, war ein kleiner, aber bequemer Italiener, den sich sein Vater vom Verkauf eines Stückchen Lands im Dorf, in dem sie niemanden mehr hatten, gegönnt hatte. Sein Vater hatte es vor einem Jahr gekauft, aber er begoss, pflegte und hegte es, als würden diese paar Meter Blech jeden Moment Weintrauben oder Äpfel hervorbringen. Nela hatte natürlich auch dazu ihre eigene Theorie, doch nicht einmal sie sprach über solche Dinge vor seinem Vater, vielleicht weil er ihr im Sommer immer das Auto lieh.

Beim Gedanken an Nela lächelte Roko säuerlich.

Er dachte auch daran, dass er seit dem Tod der Mutter von all dem, was ihn einst mit dem Haus verbunden hatte, am meisten den Garten vermisste.

Solange er sich zurückerinnern konnte, es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, nannten sie die paar Marasca-Bäume und die Süßkirsche, die nie Früchte trug und deren Zweige bis zu seinem ehemaligen Zimmer in der ersten Etage reichten, ihren Garten. Wenn man den Fotografien trauen durfte, waren die Bäume schon vor Roko dagewesen, sogar schon vor dem Zimmer und dem Haus, aber erst Roko und das Haus hatten ihn, unterstützt von einigen Korbsesseln und Mutters Liegestühlen, für die ganze Familie endgültig und für alle Zeiten zu einem Garten gemacht.

Wer weiß warum, aber eine seiner wertvollsten Erinnerungen verband sich genau mit diesem Stückchen Erde: ein vollkommen klarer Augenblick, ein Bild, auf dem sie alle vier er, sein Vater, seine Mutter und Nela (damals noch ein ewig plärrendes Bündel) am Plastiktisch im Garten sitzen und lachen. Roko konnte sich nicht erinnern, wann das gewesen war und warum sie gelacht hatten. Er wusste nur, dass es im Sommer gewesen war, denn alles um sie herum war gelb, grün und warm. Oder kam ihm das nur so vor wegen des Lachens oder wegen irgendetwas, das in der Zwischenzeit verloren gegangen war? Er erinnerte sich daran, wie er aufgestanden und losgerannt, wie er schnell um den Tisch gekreist war, bis ihm schwindelig wurde, wie er gestolpert und gefallen war und wie seine Handflächen gebrannt hatten, als sein Gesicht die Erde berührte, und wie er gezittert hatte, während seine Lungen nicht vom Weinen sondern vom kräftigen Geruch der Erde erfüllt waren, dem Geruch von Wurzeln, dem Geruch eines geheimen Reiches, in dem Ameisen und schnelle rotschwarze Käfer herrschen.

Roko rieb sich die Augen, um all das Grün zu vertreiben, sein flüchtender Blick rutschte auf das Handschuhfach und weiter auf die uralte Kassette mit den Schlagern von Mia Kova neben der Gangschaltung und schließlich auf die abgewetzten Knie seiner Jeans und dann zum Boden.

Am Morgen war er im Garten herumgelaufen, und von seinen Schuhen lief nun ein wenig schlammiges Wasser auf die Fußmatte. Zerstreut verschmierte er den Dreck mit den Füßen, aber er hörte auf, als er das Zucken auf dem Gesicht seines Vaters bemerkte. Sie schwiegen. Sein Vater war aus dem Ort herausgefahren, und schon seit einiger Zeit fuhren sie über die holprige Landstraße in Richtung Küstenstraße. Roko wusste, dass sie in einer halben Stunde jene Stelle erreichen würden, an der die Straße in Richtung der Berge abzweigt, und dass sie sich dann die Serpentinen hinaufschlängeln und dabei das Meer hinter sich lassen würden. Sein Vater würde dann langsamer und ohne...

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Autor

Roman Simic, Jahrgang 1972, war Redakteur der bedeutenden kroatischen Literaturzeitschrift Quorum und ist Organisator und Programmdirektor des renommierten Festival of the European Short Story. Zweimal erhielt er den Goran-Preis für junge Dichter. Seine Erzählungen wurden ins Französische, Spanische, Schwedische, Slowenische, Polnische, Bulgarische, Serbische, Litauische und Englische übersetzt. 2005 wurde ihm für »In was wir uns verlieben« der Jutarnji-List-Preis für das beste kroatische Prosawerk verliehen. Roman Simic gilt als eine der bedeutendsten Stimmen der zeitgenössischen kroatischen Literatur.