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Robbe schwimmt rückwärts

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
160 Seiten
Deutsch
Rotpunktverlagerschienen am12.08.20151. Auflage
»Ich bin neunzehn. Es ist immer ein Thema, wie alt man ist, es wird besprochen, sie fragen danach. Jung sein ist ­richtig gut. Das sagen sie. Wenn du jung bist, bist du formbar, so nennen sie es.« Mona will auf die Schauspielschule. Wieder hat sie ihre Kleidertüte unterm Arm und memoriert Gretchen auf dem Klo. Ein allerletztes Mal wird sie sich auf die Prozedur des Vorsprechens einlassen: Begrüßung, Aufwärmen mit Füßekneten, Singen, improvisieren, Bessersein. In ihr sitzt ein schmatzendes Tier: die Angst. Aber Mona ist mutig. Und voller Hoffnung. Weil es keine Alternative gibt als das Glück. Silvia Overaths Romandebüt führt in die intimen Rituale des Aufnahmeverfahrens an einer Schaupielschule. Tage zwischen Probebühnen, Schnellimbissen und dem Etagenbett in der Jugendherberge, dessen Himmel die spermafleckige Matratze und dessen Erde das Linoleum ist, auf dem Mais-Chips zwischen Männersocken liegen. Wenn Mona im Zoo den Robben zuschaut, denkt sie an ihren Vater, den Matrosen. Und an ihre schöne Mutter, die sagt: Bestimmt kommt er zurück! Tag für Tag wird die Gruppe kleiner. Wer darf bleiben? Lunet, die Apfelmus aus dem Glas löffelt, Florian, der geschmeidige Mönch, das Mädchen mit den Stelzen? Oder sie, Mona, der 'sprechende Papagei, wenn er weiblich besetzt sein soll'? Der schmale Roman ist ein Fest intensiver Momente. Hier spricht, tobt, singt, explodiert eine junge Stimme. Und führt Mona am Ende über das Theater ins Leben.

Silvia Overath, geboren 1986 in Tübingen, studierte Kulturwissenschaften in Hildesheim und London sowie Drehbuch an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Sie arbeitet als Drehbuchautorin und Lektorin und lebt in Hamburg. 2010 gewann sie den Nachwuchspreis des Schwäbischen Literaturpreises. 'Robbe schwimmt rückwärts' ist ihr erster Roman.
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Produkt

Klappentext»Ich bin neunzehn. Es ist immer ein Thema, wie alt man ist, es wird besprochen, sie fragen danach. Jung sein ist ­richtig gut. Das sagen sie. Wenn du jung bist, bist du formbar, so nennen sie es.« Mona will auf die Schauspielschule. Wieder hat sie ihre Kleidertüte unterm Arm und memoriert Gretchen auf dem Klo. Ein allerletztes Mal wird sie sich auf die Prozedur des Vorsprechens einlassen: Begrüßung, Aufwärmen mit Füßekneten, Singen, improvisieren, Bessersein. In ihr sitzt ein schmatzendes Tier: die Angst. Aber Mona ist mutig. Und voller Hoffnung. Weil es keine Alternative gibt als das Glück. Silvia Overaths Romandebüt führt in die intimen Rituale des Aufnahmeverfahrens an einer Schaupielschule. Tage zwischen Probebühnen, Schnellimbissen und dem Etagenbett in der Jugendherberge, dessen Himmel die spermafleckige Matratze und dessen Erde das Linoleum ist, auf dem Mais-Chips zwischen Männersocken liegen. Wenn Mona im Zoo den Robben zuschaut, denkt sie an ihren Vater, den Matrosen. Und an ihre schöne Mutter, die sagt: Bestimmt kommt er zurück! Tag für Tag wird die Gruppe kleiner. Wer darf bleiben? Lunet, die Apfelmus aus dem Glas löffelt, Florian, der geschmeidige Mönch, das Mädchen mit den Stelzen? Oder sie, Mona, der 'sprechende Papagei, wenn er weiblich besetzt sein soll'? Der schmale Roman ist ein Fest intensiver Momente. Hier spricht, tobt, singt, explodiert eine junge Stimme. Und führt Mona am Ende über das Theater ins Leben.

Silvia Overath, geboren 1986 in Tübingen, studierte Kulturwissenschaften in Hildesheim und London sowie Drehbuch an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Sie arbeitet als Drehbuchautorin und Lektorin und lebt in Hamburg. 2010 gewann sie den Nachwuchspreis des Schwäbischen Literaturpreises. 'Robbe schwimmt rückwärts' ist ihr erster Roman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783858696748
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum12.08.2015
Auflage1. Auflage
Seiten160 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1640 Kbytes
Artikel-Nr.3212624
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Tag 1. Runde 1

Es ist da. Es ist wieder bei dir und du denkst: Das ist die Übelkeit an so einem Morgen. Das ist das, was immer wieder kommt. Es zieht sich vom Unterbauch hoch, klettert die Seiten entlang, weicht der Lunge und anderen Weichteilen aus und setzt sich wie ein Tier hinter deinem Busen ab. Die Fühler legt es auf deinen ersten Rippenbogen, die Beine streckt es in deine Speiseröhre hinein, es dehnt seine Gelenke, es rekelt sich, macht es sich bequem, entspannt sich. Es streckt seinen weichen Panzer, der besetzt ist von kleinen Hornplatten, die sich gegeneinander verschieben und dabei leise knistern. Dann bleibt es dort, schmatzt in deinem Inneren vielleicht, weil es warm und kuschelig wird und es sich gut beherbergt fühlt. Du kannst fast hören, wie es sich weiter ausdehnt. Du fühlst dich elend, dein Oberkörper ist lahmgelegt, deine Beine zittern, obwohl du dich hingesetzt hast, aber das Tier mit seinen Extremitäten in deinem Hals will noch weiterwachsen, will sich richtig ausbreiten und du musst ihm Raum geben. Du lehnst dich gegen die Wand, willst dich entspannen, spürst aber immer noch den Druck, es wird einfach sehr eng da, mit euch beiden zusammen. Und ganz klar bist du diejenige, die nachgibt. Du ziehst dich zurück, sagst, das ist nicht mein Körper, das ist nur etwas, was mich zufällig gerade begleitet, ich würde ja gehen, wenn ich könnte. So etwas sagst du. Dann sitzt du da und wartest und versuchst, dir selbst nicht wieder zu nahe zu kommen. Und du denkst: Wir hatten das alles schon mal. Das hier ist nichts Neues. Du weißt, es gibt keinen Grund, das zuzulassen, diese Enge auf deine Kosten. So weit waren wir schon. Schon oft.

Ein Mann kommt herein. Er stellt sich in die Mitte des großen Raums hier. Er trägt einen Schal um den Hals und sagt: »Eine Ablehnung ist nicht persönlich gemeint. Ich will, dass Sie das wissen.« Dann macht er eine Pause und rückt diesen Schal zurecht, als wäre der eine Ringelnatter, zum Accessoire dressiert, und er würde ihr Leckerli geben, damit sie stillhält und nicht zudrückt. Ich kenne diesen Satz. Aus Wien, aus Leipzig, aus München, aus Frankfurt. Ich habe den Satz in Salzburg zur Begrüßung bekommen, in Hamburg, in Stuttgart, in Bern, in Berlin. Und mit jeder Stadt geht ein bisschen mehr Glaube daran verloren, dass er wahr sein könnte oder überhaupt irgendetwas meint.

Der Mann mit der Ringelnatter redet weiter: »Vielleicht suchen wir gerade nicht Ihren Typ. Oder wir haben von Ihrem Typ schon jemand. Das ist nicht persönlich gemeint. Sie wären ja dann einfach zu viel - Wissen Sie, das ist kein schöner Beruf. Sie können froh sein, wenn Sie heute nicht weiterkommen.« Bestimmt schwitzt er in der Halsgegend, weil sich der Schal immer enger um ihn herumlegt, die Ringelnatter will beständig fürs Stillhalten gelobt werden, da ist sie anspruchsvoll. Sie kennt das alles auch schon, vielleicht wird ihr langweilig. Sie schaut auf uns und denkt: Was für armselige Kreaturen, da unten. Wir hängen am Boden herum und schauen zu ihr hoch. Und der Schlangenträger atmet. Er zieht sich mit jedem Atemholen eine Welle Sehnsüchte in die Lunge. Er raucht uns, bis wir seine Sucht und sein Lungenkrebs sind.

Runde eins, so sagen wir, das ist heute. Und Runde eins ist immer überfüllt, in manchen Städten reisen bis zu tausend Bewerber an. Das heißt: Gestern saßen sie hier auf dem Boden, vorgestern, letzte Woche. Sie haben sich die Unterarme aufgekratzt, sie haben nichts gegessen, sie haben Kippen gedreht, Kaffee getrunken - keinen Pfefferminztee, der ist schlecht für die Stimmbänder - und manche haben gebetet. Das Linoleum ist noch warm.

Wir sind die Letzten. Wer seine Anmeldung nicht erst mit dem letztmöglichen Poststempel abgeschickt hat, war klüger als wir. Der wurde früher eingeladen. Der war frischer und hatte wache Prüfer.

Für diese Bewerbung bin ich zur Hauptpost am Bahnhof gerannt und habe den Beamten am Schalter vollgeheult: »Den Stempel von heute, ach, bitte.« Und ich habe große Augen gemacht und bin stehen geblieben und war ziemlich gut verzweifelt.

Ich wollte mich nicht noch einmal bewerben. Eigentlich. Wollte nicht Rollen aussuchen, Figuren andenken, lieben lernen, Kraft sammeln, um mich fertigmachen zu lassen, später. Wollte ich nicht mehr, das alles. Und dann habe ichs doch gemacht.

Der Mann streicht über das Schwanzende der Ringelnatter und wünscht uns allen viel Glück. Er hat vergessen, dass er uns vorhin Glück als Nichtweiterkommen erklärt hat. Bestimmt ist er Dramaturg. Heute musste der Dramaturg mit dem Schal einspringen. Der Leiter für Schauspiel ist krank geworden oder hatte einfach keine Lust mehr und steht gerade mit einer Kollegin vor dem Kaffeeautomaten und macht Witze, wie viele kleine Mädchen heute eine jämmerliche Julia zeigen werden.

Wir sind immer viel mehr Mädchen. Das macht mich schon fertig, beim ersten Blick in den Saal: überall Hintern und die Hüften mit den Knochen, überall die weichen Kinnpartien und die Stimmen höher.

An Schauspielschulen sprechen zwei Drittel Mädchen vor und ein Drittel Jungen. Hier gibt es vier Ausbildungsplätze für Mädchen und vier für Jungen, an manchen Schulen gibt es fünf, an manchen drei. Und immer eine Geschlechtergleichheit. Später an Theatern braucht man viel mehr Männer und ein paar junge Frauen, gerne hübsch.

Jede Begrüßung war Hoffnung. Am Anfang habe ich an jede Begrüßung geglaubt, ich habe mitgeschrieben. Ich dachte, ich kann verstehen: Sie wollen es aufgekratzt oder weich. Sie mögen es hysterisch oder willig oder mit besonders betontem Ich. Aber eine Begrüßung ist ein Überrest aus der Zeit, als wir noch nicht so viele waren. An einigen großen Schulen gibt es keine, dann wird ein Informationsblatt an den Eingang gehängt, auf dem dein Name steht und eine Uhrzeit. Manchmal dauert es auch drei Tage bis zu dieser Uhrzeit. Manchmal sagen sie von Anfang an, dass sie keine Lust haben auf noch mehr Bewerber und man im Grunde schon zu spät dran ist. So wie heute.

An der Wand gegenüber sitzt ein Mädchen, ganz angesaugt vom Dramaturgen. Sie ist ein bisschen, wie ich früher war, mit viel Glauben in den Augen. Ihr Hintern in den Wickelhosen breitet sich auf dem Boden aus wie eine Qualle. Sie sitzt nicht auf dem Boden, sie schwimmt auf ihm. Sie hat den Mund geöffnet. Ich kann ihre Zähne sehen und ein Stück von der rosa Zunge. Ab und zu nuckelt sie an einer Wasserflasche, und neben ihr, im Laschennetz des Jack-Wolfskin-Rucksacks, ist ein aufblasbares Kopfkissen festgezurrt. Sie sieht wirklich nicht so aus, als käme sie heute eine Runde weiter. Vielleicht wird sie eine Rolle anspielen dürfen und die Dozenten werden rasch sagen: »Danke, Sie können abgehen.« Keine drei Minuten werden vergangen sein. Die Dozenten werden froh sein: Eine schnelle Entscheidung.

Du kannst hier für andere das Glück einer Zeitersparnis sein.

Aber wer will ihnen das verdenken. Den Dozenten, meine ich. Manche erste Runden dauern eine Woche, und dann haben sie siebzig, achtzig Jugendliche pro Tag auf so einer Bühne stehen, und 99 Prozent gehören da wirklich nicht hin und sehen erbärmlich auf einer Bühne aus, und alle spielen sie Goldoni und Shakespeare, und alle musst du dir anschauen. Leider glauben wir auch alle, zu dem auserwählten einen Prozent zu gehören. Ich auch. Natürlich glaube ich das auch. Natürlich bin ich das eine Prozent.

Was mir fehlt, ist Technik. Das sage ich mir, wenn es mal wieder nicht geklappt hat. Technik. Der Fingersatz beim Klavier. Trainieren, den dritten Finger zu überschlagen, dann den vierten, dann wieder den dritten. Irgendwann wissen: Ich kann mich auf meinen dritten Finger verlassen. Das hat Jonas mal gesagt und Jonas hatte flachshelle Haare und wollte Pianist werden, damals noch.

Und ich sitze immer weiter hier und der Dramaturg redet und das Quallenmädchen nuckelt und draußen wird es hell und ich werde immer älter.

Am Anfang (und du bist noch auf der Schule und sollst eigentlich auf das Abi lernen) gibst du 18 an, wenn sie im Bewerbungsbogen fragen, wie alt du sein wirst, wenn das Semester beginnt. Dann schreibst du 19 (und hast das Abi trotzdem geschafft), und wenn du irgendwann bei 23 bist (und ein Studium begonnen hast oder ein zweites), ist es eigentlich schon zu spät. Als Frau zumindest. Dann wärst du 27, wenn du fertig bist, und 27 ist zu alt, um noch die jungen Mädchen zu spielen.

Männer dürfen älter sein. Viele sind aber auch gerade 20 geworden oder kommen direkt vom Abitur. Es gibt welche, wie das Quallenmädchen, die bestimmt erst 18 sind. Oder wie ich. Ich bin 19. Es ist immer ein Thema, wie alt man ist, es wird besprochen, sie fragen danach. Jung sein ist richtig gut. Das sagen sie. Wenn du jung bist, bist du formbar, so nennen sie es. Du widersprichst nicht so oft, du bist weicher, lässt mehr mit dir machen, hast weniger Eigenes, das es zu verteidigen gilt. Du nimmst Sachen vielleicht nicht so persönlich. Du überlässt es ihnen, dieses...
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Autor

Silvia Overath, geboren 1986 in Tübingen, studierte Kulturwissenschaften in Hildesheim und London sowie Drehbuch an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Sie arbeitet als Drehbuchautorin und Lektorin und lebt in Hamburg. 2010 gewann sie den Nachwuchspreis des Schwäbischen Literaturpreises. "Robbe schwimmt rückwärts" ist ihr erster Roman.
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Overath, Silvia