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Streitfall Siegerjustiz

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
336 Seiten
Deutsch
Edition Berolinaerschienen am04.09.20151. Auflage
Nach dem Mauerfall begannen Gerichte der DDR, sich mit Rechtsbrüchen von Verantwortlichen zu befassen: Arbeitsgruppen wurden eingerichtet, Ermittlungsverfahren gegen Erich Honecker und andere Politbüromitglieder eingeleitet. Nach dem 3. Oktober 1990 übernahmen bundesdeutsche Stellen. Klar war nun: Die DDR durfte nichts anderes als ein Unrechtsstaat gewesen sein! Das galt es jetzt auf juristischem Wege zu beweisen und »aufzuarbeiten«. Doch die Schuldfrage musste in den Zigtausenden nun eingeleiteten Verfahren gemäß DDR-Rechtslage geklärt werden. Die Bilanz 25 Jahre nach dem Ende der DDR nimmt sich demgegenüber denkbar bescheiden aus: Über 21.000 eingestellten Verfahren standen lediglich 211 Verurteilungen gegenüber, davon 22 tatsächlich vollstreckte Freiheitsstrafen. Klaus Behling bereitet erstmals in kompakter Darstellung diesen Themenkomplex verständlich auf. Er beschreibt die wichtigsten Verfahren gegen Entscheidungsträger, analysiert sowohl die Rechtsgrundlagen als auch unzählige Einstellungs- und Urteilsbegründungen und liefert so eine hochspannende Gesamtschau der »Aufarbeitung des DDR-Unrechtsstaates«. Wie es um diesen tatsächlich bestellt war, diese Schlussfolgerung bleibt jedem Leser selbst überlassen.

Klaus Behling, geboren 1949, ist Asienwissenschaftler und war Diplomat in Laos, Kambodscha und Rumänien. Bis zur Wendezeit arbeitete er am Institut für Inter-nationale Beziehungen, bevor er von 1991 bis zu seiner Pensionierung als Journalist für den Springer Verlag tätig war. Zuletzt erschien in der edition berolina: »Plötzlich und unerwartet ...« Selbstmorde nach Wende und Einheit (2015).
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Produkt

KlappentextNach dem Mauerfall begannen Gerichte der DDR, sich mit Rechtsbrüchen von Verantwortlichen zu befassen: Arbeitsgruppen wurden eingerichtet, Ermittlungsverfahren gegen Erich Honecker und andere Politbüromitglieder eingeleitet. Nach dem 3. Oktober 1990 übernahmen bundesdeutsche Stellen. Klar war nun: Die DDR durfte nichts anderes als ein Unrechtsstaat gewesen sein! Das galt es jetzt auf juristischem Wege zu beweisen und »aufzuarbeiten«. Doch die Schuldfrage musste in den Zigtausenden nun eingeleiteten Verfahren gemäß DDR-Rechtslage geklärt werden. Die Bilanz 25 Jahre nach dem Ende der DDR nimmt sich demgegenüber denkbar bescheiden aus: Über 21.000 eingestellten Verfahren standen lediglich 211 Verurteilungen gegenüber, davon 22 tatsächlich vollstreckte Freiheitsstrafen. Klaus Behling bereitet erstmals in kompakter Darstellung diesen Themenkomplex verständlich auf. Er beschreibt die wichtigsten Verfahren gegen Entscheidungsträger, analysiert sowohl die Rechtsgrundlagen als auch unzählige Einstellungs- und Urteilsbegründungen und liefert so eine hochspannende Gesamtschau der »Aufarbeitung des DDR-Unrechtsstaates«. Wie es um diesen tatsächlich bestellt war, diese Schlussfolgerung bleibt jedem Leser selbst überlassen.

Klaus Behling, geboren 1949, ist Asienwissenschaftler und war Diplomat in Laos, Kambodscha und Rumänien. Bis zur Wendezeit arbeitete er am Institut für Inter-nationale Beziehungen, bevor er von 1991 bis zu seiner Pensionierung als Journalist für den Springer Verlag tätig war. Zuletzt erschien in der edition berolina: »Plötzlich und unerwartet ...« Selbstmorde nach Wende und Einheit (2015).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783958415119
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum04.09.2015
Auflage1. Auflage
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2097 Kbytes
Artikel-Nr.3217207
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1. Die Wende in der DDR-Justiz

Ende 1989 war in der DDR die Macht der SED gebrochen. Damit gab es Besiegte, doch noch wusste niemand so recht, wer die Sieger waren. Trotz erster Forderungen »Wir sind ein Volk« - und damit war nun bereits die Wiederherstellung der deutschen Einheit gemeint - diskutierten viele der Akteure der Wende in den unterschiedlichsten Gruppen, wie »der Sozialismus« in der DDR zur lebenswerteren Gesellschaft gemacht werden könnte. Einig waren sich alle darin, dass zunächst erst einmal gründlich aufgeräumt werden müsse.

Ein mögliches Werkzeug dabei schien die Justiz zu sein. Da sie sich bisher ausschließlich als Erfüllungsgehilfin zur Sicherung der Macht der SED betätigte, musste der Anstoß dazu von außen kommen. Und: Er sollte demokratisch legitimiert sein. Deshalb beschloss die Volkskammer am 13. November 1989 die Einrichtung eines zeitweiligen Untersuchungsausschusses »zur Überprüfung von Fällen des Amtsmissbrauchs, der Korruption, der persönlichen Bereicherung und anderen Verdachts der Gesetzesverletzung«. Er konstituierte sich am 22. November und bestand aus je zwei Vertretern aus jeder der zehn im Parlament vertretenen Fraktionen. Vorsitzender wurde der von 1960 bis 1986 als Präsident des Obersten Gerichts der DDR tätig gewesene CDU-Abgeordnete Heinrich Toeplitz.

In der öffentlichen Wahrnehmung stellte sich dieser Ausschuss als Ausdruck des politischen Willens dar, mit der Vergangenheit »abzurechnen«. Das entsprach jedoch nicht seiner Arbeitsordnung. Sie sah lediglich vor, »bei begründetem Verdacht auf Strafrechtsverletzungen ⦠den Generalstaatsanwalt der DDR mit der Untersuchung« zu beauftragen. Als Zielstellung seiner Tätigkeit ließ der Ausschuss selbst im Volkskammer-Protokoll »die unvoreingenommene Überprüfung von Hinweisen auf Fälle des Amtsmissbrauchs, der Korruption, der ungerechtfertigten persönlichen Bereicherung und anderer gesetzwidriger Handlungen, bei denen der Verdacht der Verletzung von Strafgesetzen besteht und die im Zusammenhang mit der Ausübung von Funktionen in zentralen staatlichen Organen, Einrichtungen sowie in zen­tralen Leitungen von Parteien und gesellschaftlichen Organisationen begangen wurden« festhalten. Seine Hauptaufgabe bestand da­rin, darüber der Volkskammer zu berichten.

Die wesentliche Arbeitsgrundlage bildeten rund 2500 Eingaben von Bürgern. Diese Fülle von Material und die schwindende Dominanz der SED im Parlament führten dazu, dass die Ermittlungstätigkeit des Ausschusses »im Rahmen der Strafprozessordnung« erweitert wurde. Damit eröffneten sich Möglichkeiten - zum Beispiel bei der Vernehmung von Zeugen -, die denen der Staatsanwaltschaft ähnelten. Dennoch blieb dort die Verantwortlichkeit für die Strafverfolgung. Der Untersuchungsausschuss der Volkskammer empfahl bei sechs ehemaligen Politbüro-Mitgliedern die Einleitung von Ermittlungsverfahren.

Weitere Untersuchungsgruppen, deren Bedeutung jedoch weit unter der des Volkskammer-Gremiums blieb, entstanden am 14. Dezember 1989 beim Ministerrat der DDR, aber auch in der Nationalen Volksarmee und in der sich zur Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) wandelnden SED. Auf regionaler und lokaler Ebene bildeten sich unter Federführung der jeweils dort tätigen »Wende-Aktivisten« ebenfalls entsprechende Gruppen. Damit festigte sich in der Öffentlichkeit der Eindruck, die Bestrebungen, mit der DDR-Vergangenheit »aufzuräumen« und so die Voraussetzungen für einen Neuanfang zu schaffen, seien ernst gemeint. Übersehen wurde, dass jegliche praktische Konsequenz aus den Erkenntnissen der Ausschüsse durch das Nadelöhr der Staatsanwaltschaften musste, um wirksam zu werden. Sie blieben zunächst von der SED dominiert.

Auch nach dem Streichen der Führungsrolle der Partei aus der Verfassung war es offenbar vonseiten der neuen SED-Führung keineswegs beabsichtigt, die im DDR-Recht vorhandenen juristischen Mittel zur Sanktionierung von vermutetem Unrecht zu nutzen. Das bestätigt der damalige Regierungschef Hans Modrow (damals SED-PDS): »Wenn heute behauptet wird, die politische Strafverfolgung von hohen Amtsträgern der DDR habe auf Wink und Weisung der Modrow-Regierung eingesetzt, so ist das eine bewusste Irreführung der Öffentlichkeit und dient der Rechtfertigung der Siegerjustiz. Tatsache ist, dass die Staatsanwaltschaft der DDR aus eigener Initiative oder auf Aufforderung des parlamentarischen Ausschusses im Spätherbst 1989 Verfahren eingeleitet hat. Eine Aufforderung dazu vonseiten der Arbeitsgruppe der Regierung hat es nicht gegeben.«

Von »Siegerjustiz« war keine Rede

Trotz der beginnenden Ermittlungsverfahren beklagte niemand der damals von Strafverfolgung bedrohten Betroffenen »Siegerjustiz«. Ebenso wenig ließen sie Unrechtsbewusstsein erkennen. Ihre Verteidigungsstrategie richtete sich von Anfang an darauf, nachzuweisen, dass sie für eine Strafverfolgung zu alt oder zu krank seien.

Der Begriff »Siegerjustiz« tauchte erst nach dem Ende der DDR auf. Dabei bezog er sich von Anfang an nicht auf das Volk der DDR, dass den Sieg über die SED errungen hatte, sondern auf die Justiz der früheren Bundesrepublik, der die DDR beigetreten war.

Erich Honecker notierte am 3. Dezember 1993 in seinem, seiner Frau zugedachten Gefängnistagebuch: »Ich bin der Letzte, der gegen sittliche und rechtliche Maßstäbe zur Be- oder auch Verurteilung von Politikern ist. Nur müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein: Die Maßstäbe müssen exakt vorher formuliert sein. Sie müssen für alle Politiker gleichermaßen gelten. Ein überparteiliches Gericht, das weder mit Freunden noch Feinden der Angeklagten besetzt ist, muss entscheiden.« Diese Voraussetzungen sah er als nicht gegeben an. Daraus schlussfolgerte er: »Wenn sie heute dennoch über uns zu Gericht sitzen, so tun sie das als Gericht der Sieger über uns Besiegte.« Auch sein Nachfolger Egon Krenz spricht lieber von »Klassenjustiz« und betonte nach seinem Urteil 1997: »Ich habe das Wort Siegerjustiz während des ganzen Prozesses nur einmal benutzt, und zwar in dem Zusammenhang, dass ich gesagt habe, die bundesdeutsche Justiz wird sich von dem Vorwurf der Siegerjustiz nur befreien können, wenn sie sich selbst in Bezug auf die DDR für befangen erklärt.« In einem Brief an den Theologen Friedrich Schorlemmer im September 1997 wiederholte er: »Entgegen vieler Behauptungen rede ich nicht von Siegerjustiz. Ich weiß auch nicht, wie die Presse auf die Idee kam, mich mit diesem Wort zu zitieren.«

Das ehemalige Mitglied des Politbüros des ZK der SED, Günter Schabowski, betonte am 18. August 1997 vor dem Berliner Landgericht: »Ich habe hier erklärt, dass ich das Etikett Siegerjustiz und politischer Prozess dieser Verhandlung nicht anheften will und kann. Dabei bleibe ich. Darin sehe ich mich durch das Verhalten des Gerichts und seines Vorsitzenden, Herrn Richter Hoch, während des Verfahrens bestärkt. Wie ich zu diesem Gericht stehe, resultiert aus meiner Annahme der bundesdeutschen Realität, nachdem wir die von uns vertretene politische Realität verwirkt hatten ⦠Ich kann nicht das System akzeptieren und seine rechtsstaatlichen Institutionen für unzuständig erklären, weil ich ihr Objekt geworden bin.«

Diese Bewertungen unterscheiden sich von einer pauschalen Verurteilung angeblicher »Siegerjustiz«, weil sie sich im Kern zur Verantwortung von Politikern bekennen. In der öffentlichen Diskussion überdeckte der Begriff der »Siegerjustiz« jedoch jegliche differenzierte Sicht. Damit diente er vor allem einer propagandistischen Verfälschung der stattgefundenen Abläufe. Inhaltlich zielte er auf die Umschreibung »politischer Säuberungen« und negierte das grundsätzliche Anliegen jeder Strafverfolgung, die sich auf die Ahndung persönlich messbarer Schuld beschränkt.

Die Konzentration auf den Begriff »Siegerjustiz« hemmte die politische Diskussion über das Verhältnis von Recht und Macht. Nach der langen Geschichte der Dominanz der Macht hatte Karl Marx in der »Kritik des Gothaer Programms« die Frage aufgeworfen, ob die ökonomischen Verhältnisse durch Recht geregelt werden oder diese eher das Recht bestimmen. Er beantwortete sie in der »Kritik der Politischen Ökonomie«: »Die Gesamtheit (der) Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt, (welchem) bestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen entsprechen.«

Diese Sicht auf das Recht als »Klassenjustiz« wird bis heute kon­trovers diskutiert. Der Prozess der Herstellung der deutschen Einheit wäre eine Möglichkeit gewesen, die Rolle der Justiz in der jüngeren deutschen Geschichte zu untersuchen. Dies scheint deshalb besonders notwendig, weil auch der demokratische Verfassungsstaat Feinde hat, die er ächtet und ausgrenzt. Daraus ergibt sich die Praxis einer »politischen Justiz«. Der Staats- und Verfassungsrechtler Otto Kirchheimer (1905-1965) sah sie immer dann, »wenn Gerichte für politische Zwecke in Anspruch genommen werden, so dass das Feld politischen Handelns ausgeweitet und abgesichert werden kann. Die Funktionsweise der politischen Justiz besteht darin, dass das politische Handeln von Gruppen und Individuen der gerichtlichen Prüfung unterworfen wird. Eine solche gerichtliche Kontrolle des Handelns strebt an, wer seine eigene Position festigen und die seiner politischen Gegner schwächen will.« Diese »politische Justiz« bringt den Rechtsstaat in die Gefahr, Tatstrafrecht durch Gesinnungsstrafrecht zu überdecken, was sowohl seinem Charakter als auch der im Grundgesetz garantierten Meinungs- und Gewissensfreiheit widerspräche. Rechtswissenschaftler Ulrich K. Preuß (Jahrgang...

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Autor

Klaus Behling, geboren 1949, ist Asienwissenschaftler und war Diplomat in Laos, Kambodscha und Rumänien. Bis zur Wendezeit arbeitete er am Institut für Inter-nationale Beziehungen, bevor er von 1991 bis zu seiner Pensionierung als Journalist für den Springer Verlag tätig war. Zuletzt erschien in der edition berolina: »Plötzlich und unerwartet ...« Selbstmorde nach Wende und Einheit (2015).