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Irgendwo ins grüne Meer

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
224 Seiten
Deutsch
Arche Literatur Verlagerschienen am27.05.20161. Auflage
Die Insel: Wir träumen alle von einer anderen, aber jeder sehnt sich nach ihr. Ob real oder erdacht - ab und zu braucht man einen Ort fernab von der Welt. 15 Autorinnen und Autoren spüren dieser Sehnsucht nach und machen dabei ganz unerwartete Entdeckungen. Venedig, Sizilien, Kvaløya, die Badeinsel in der Ostsee oder im Hallenbad, ein Ecklokal in einer belebten Straße oder eine stürmische Hallig - die Inselträume sind vielfältig, doch womöglich ist der wichtigste Ort noch immer die innere Insel, auf der wir uns im Geheimen selbst begegnen? Literarisch, lustig, frisch, stürmisch und abgründig - Irgendwo ins grüne Meer erfindet die Insel neu. Und als besonderes Extra nimmt Harry Rowohlt uns in einem seiner letzten kurzen Texte noch einmal mit nach Schwimmen-zwei-Vögel.

Isabel Bogdan, geboren 1968 in Köln, übersetzte u. a. Jane Gardam, Nick Hornby und Jonathan Safran Foer. 2011 erschien ihr Buch ?Sachen machen?. 2006 erhielt sie den Hamburger Förderpreis für Übersetzung und 2011 den für Literatur. 2016 erschien ?Der Pfau?, 2019 folgte ?Laufen?.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextDie Insel: Wir träumen alle von einer anderen, aber jeder sehnt sich nach ihr. Ob real oder erdacht - ab und zu braucht man einen Ort fernab von der Welt. 15 Autorinnen und Autoren spüren dieser Sehnsucht nach und machen dabei ganz unerwartete Entdeckungen. Venedig, Sizilien, Kvaløya, die Badeinsel in der Ostsee oder im Hallenbad, ein Ecklokal in einer belebten Straße oder eine stürmische Hallig - die Inselträume sind vielfältig, doch womöglich ist der wichtigste Ort noch immer die innere Insel, auf der wir uns im Geheimen selbst begegnen? Literarisch, lustig, frisch, stürmisch und abgründig - Irgendwo ins grüne Meer erfindet die Insel neu. Und als besonderes Extra nimmt Harry Rowohlt uns in einem seiner letzten kurzen Texte noch einmal mit nach Schwimmen-zwei-Vögel.

Isabel Bogdan, geboren 1968 in Köln, übersetzte u. a. Jane Gardam, Nick Hornby und Jonathan Safran Foer. 2011 erschien ihr Buch ?Sachen machen?. 2006 erhielt sie den Hamburger Förderpreis für Übersetzung und 2011 den für Literatur. 2016 erschien ?Der Pfau?, 2019 folgte ?Laufen?.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783037900048
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum27.05.2016
Auflage1. Auflage
Seiten224 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1710 Kbytes
Artikel-Nr.3235774
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Im Jahr der Kolibris

Maximilian Buddenbohm


Das war in dem Jahr, in dem die Kolibris auftauchten. Ich kann mich daran noch erinnern, weil mich die Kolibris so beschäftigt haben. Das Jahr weiß ich nicht mehr, aber die Sache mit den Kolibris, so etwas behalte ich. Da hat hier jemand nachts Kolibris an die Häuser gesprüht. Erinnerst du dich? Nein? Ach.

Einfarbige Kolibris, wie diese Silhouettenvögel. Aber nicht schwarz, nein, die waren blau, rot und grün, vielleicht gab es sogar noch mehr Farben. Richtig auffällig waren die. Abgesehen von den Farben waren sie alle gleich, mit einer Schablone gemacht. Sie waren natürlich viel größer als echte Kolibris, sonst hätte man sie kaum gesehen.

Erst waren es nur zwei an dem Eckhaus da vorne, auf frisch gestrichenen Wänden, die fielen sofort auf. Dann wurden es mehr, alle paar Häuser gab es einen. Dann sah man welche in den Nebenstraßen und irgendwann im ganzen Stadtteil. Man ging morgens aus dem Haus und fragte sich, wo es wohl heute neue Kolibris geben würde, und dann fand man auch prompt welche. Gespreizte Flügel, wie im Flug. Den langen Schnabel vorgereckt, als ob sie an tropischen Blüten saugen würden. Aber da waren keine Blüten, nur nackte Wände. Die Vögel waren viel hübscher als andere Graffitis. Das weißt du nicht mehr? Es waren wirklich so viele, ja. Und wir haben doch alle darüber geredet, damals. Weil man auch nicht wusste, was das sollte. Wieso ausgerechnet Kolibris? In Hamburg?

 

Und hast du gesehen, ein paar sind immer noch da, da vorne war eben einer, guck mal. Touristen fotografieren sie, das ist jetzt Urban Art und gehört so zum Stadtteil. Ich habe sogar schon Postkarten gesehen, auf denen sie drauf waren. Ganz normale Postkarten in den Drehständern am Kiosk. Das Hamburger Rathaus, die Alster, die Elbe, die Kolibris. Auch seltsam. Na, in dem Jahr jedenfalls haben wir diesen Spaziergang an der Elbe gemacht und die Reste vom Atoll gesehen. Das weißt du auch nicht mehr, was? Weil du es nicht wichtig fandst, nehme ich an. Wir fanden nie dasselbe wichtig, das ist fast schon witzig, jedenfalls aus heutiger Sicht. Wir waren kein sehr gutes Paar, was? Nein. Waren wir wirklich nicht.

Aber für mich war er wichtig, dieser Spaziergang an der Elbe, und ich sag dir, was daran wichtig war. Ich erzähle es dir, wenn du es möchtest, es hat etwas mit uns zu tun. Hörst du jetzt zu? Wirklich? Du kannst mir ruhig zuhören. Wenn es dich langweilt, kannst du einfach Tschüss sagen und gehen. Du musst dir nicht erst eine Wohnung suchen und ausziehen, wie damals, es ist viel einfacher. Okay, ich erzähle es dir ja. Heute würdest du übrigens auch keine Wohnung finden, es gibt hier keine leeren Wohnungen mehr, in die man spontan ziehen könnte. Heute bleiben Paare in Hamburg zusammen, weil keiner ausziehen kann. Die Mietpreise retten jetzt hier die Beziehungen.

 

Früher haben wir nie so zusammen gelacht, weißt du noch? Im Rückblick versteht man das gar nicht mehr. Alles so ernst und verkrampft, und dann noch so lange. Heute wären wir viel lustiger zusammen, glaube ich. Egal.

Da sind wir jedenfalls an einem Sonntag Hand in Hand durch den Hafen gegangen, wir waren gerade erst seit kurzer Zeit zusammen. Oder auch nicht, so eindeutig war das ja nicht. Aber immerhin gingen wir Hand in Hand, immerhin verbrachten wir die Nächte und die Wochenenden gemeinsam. Immerhin waren wir uns näher als in den Jahren davor, als das alles so endlos hin und her ging und keiner wusste, was mit uns war, wir nicht und die anderen erst recht nicht. Wir gingen da also Hand in Hand, und wie bei jedem Spaziergang mit dir versuchte ich, das normal zu finden. Ein normales Paar auf einem normalen Spaziergang, was man eben so macht, zu zweit. Ich versuchte zu glauben, das könne immer so bleiben und das sei es jetzt, das richtige Leben. Alles gut. Ich dachte: »Hand in Hand mit ihr« und versuchte, mir das so zurechtzudenken, dass es mich glücklich machte. Ich versuchte auch, mir dich als glücklichen Menschen vorzustellen. Glücklich mit mir. Und manchmal klappte das auch, besonders wenn das Wetter schön war und die ganze Stadt so aussah, als wäre alles gut. Wenn man da dann so am Fluss entlangging und sich nicht stritt, wenn man einfach nur ging, dann war es einfach. Du gingst also neben mir her, du gingst an meiner Hand. Sag mal, darf ich jetzt deine Hand nehmen? Wie früher? Komm, wir gehen wieder wie ein Paar und trinken gleich irgendwo einen auf damals. Ja. So machen wir das.

 

Wir gingen am Holzhafen entlang, es war so ein Tag mit schönem Wetter, und wir gingen viel weiter, als wir gedacht hatten. An Flüssen kann man so gut weit gehen. Da lag dieses Wrack in der Elbe, an Stegen vertäut, und du bliebst stehen, um es dir anzusehen. Schön sah das nicht aus, eher seltsam. Das Wrack konnte man auf den ersten Blick gar nicht deuten, wenn man nicht sowieso schon wusste, was das war. Ein Schiff war es sicher nicht, aber was war es dann? Ich habe es sofort erkannt, aber du konntest es natürlich nicht wissen. Ein kreisförmiges Gebilde von monströsen Ausmaßen, wie ein gigantischer, schiffshoher Rettungsring, aus dem ein großes Stück herausgebrochen war und dem man daher ins Innenleben gucken konnte. Wobei innen kaum noch etwas war. Zerborstene Verstrebungen, Plastikfolienfetzen, die von den Wänden hingen, sinnlos herumbaumelnde Taue und Strippen. Reste von Brettern, die so aussahen, als hätte es mal einen Zwischenboden gegeben, als wären da früher mehrere Etagen drin gewesen. Man hätte innen im Kreis herumgehen können, wenn nicht kniehoch Wasser unten drin gestanden hätte, wenn nicht sowieso ein Segment gefehlt hätte. »Das Atoll« sagte ich, »das ist ja das Atoll. Das kenne ich.« Und ich habe dir dann auch erzählt, was das war. Ich weiß, dass du das nicht mehr weißt, deswegen erzähle ich es dir ja.

 

Die größte künstliche Insel der Welt, so war das Atoll in der Zeitung beworben worden, als es damals vor Travemünde verankert wurde. Da war ich noch ein Kind, elf Jahre oder so. Es lag ziemlich weit draußen, kurz vor der Fahrrinne, wo den ganzen Tag die Fährschiffe nach Skandinavien vorbeizogen. So weit draußen lag es, dass ich nicht hätte hinschwimmen können, aus meiner Kindersicht war da draußen schon das offene Meer. In Wahrheit kann es so weit nicht gewesen sein. Das Atoll war jedenfalls etwas für größere Jungs, nicht für mich. Damals war es natürlich noch strahlend weiß und glänzte in der Sonne, ein höchst unwahrscheinlicher Anblick auf der Ostsee. Da erwartete man Tretboote und Luftmatratzen und plantschende Rentner und irgendwo weiter hinten die riesigen Fähren. Aber das Atoll sah wie in einem Film oder einem Reiseprospekt aus, es sah aus, als könnte es nicht da sein, wo es war. Es sah überhaupt nicht so aus, als könnte es ausgerechnet vor Travemünde in der Ostsee liegen. Das war einfach zu viel von allem, das war ein Bild, das sich jemand ausgedacht haben musste. Blaues Meer und blauer Himmel im Sommer, oben die weißen Möwen, unten weißer Strand, glückliche Feriengäste in der Sonne und dann noch diese weiße Party-Insel, die da auf dem Meer schaukelte. Das konnte eigentlich gar nicht wahr sein. Wie in der Eiswerbung im Kino sah das aus, als würde man einen Film von perfekten Stränden und perfekten Menschen sehen. Man hatte gleich diesen Song im Ohr, wenn man das Atoll sah, Like ice in the sunshine. Man hatte gleich dieses Kinogefühl und summte das Lied so vor sich hin. Dieses Lied, das in meiner Erinnerung nur aus dem endlos wiederholten Refrain bestand, immer wieder Like ice in the sunshine, das war damals doch jahrelang der Soundtrack der Sommerwochen. Like ice in the sunshine, immer wieder der Refrain, noch einmal und noch einmal, bis irgendwann doch noch das Saxofonsolo kam und diese Wahnsinnsfrau in der Schlussszene sich endlich in Großaufnahme das Calippo aus dem Dekolleté zog und anleckte. Ja, natürlich weiß ich das noch so genau. Das wissen alle noch, die es damals als Junge im Kino gesehen haben.

 

Und ich stand da und sah vom Strand aus zu, wie die Touristen mit Tretbooten zum Atoll fuhren oder hinschwammen. Ich sah die Leute oben auf dem Deck stehen und herumgehen, ich sah auch welche von oben ins Wasser springen. Diese ganz langen Kopfsprünge, wie von hohen Klippen irgendwo im Süden, gab es da nicht auch einmal einen Werbespot? Es gab eine Bar an Bord, man konnte sich da draußen auf dem Deck mit einem Cocktail in der Hand sonnen, glaube ich. Sehen konnte man das vom Strand aus natürlich nicht so genau, es war zu weit weg. Aber man hatte doch solche Bilder im Kopf. Manchmal warf jemand da draußen den kreisenden Möwen etwas zu, dann gab es wildes Geschrei, und immer mehr Möwen flogen vom Strand auf und zur Insel und kreisten kreischend darüber. Ich glaube, es gab sogar ein Restaurant an Bord, ich war aber nie drauf. Ich hätte in dem Jahr nicht mal das Geld für ein Tretboot gehabt.

 

Ich stand nur am Strand und überlegte, wann ich da wohl hinkommen würde. In zwei Jahren, in vier Jahren? Wie lange musste man wohl warten, bis man nicht mehr Kind, sondern so ein Jugendlicher war, der das alles machen und haben konnte? Einfach hinschwimmen, mit kräftigen Armen und ruhiger Ausdauer, wie die großen Jungs, die vor mir mit Anlauf vom Steg sprangen und dann einfach immer weiter kraulten, bis man ihre Köpfe in den Wellen aus dem Blick verlor. Ich bekam schon vom Zugucken Angst, so viel Kraft hatte ich einfach noch nicht. Man konnte unter dem Atoll durchtauchen bis in die Mitte des Rings. Das durfte man nicht, aber das war den großen Jungs natürlich egal. Man sah, wie die Köpfe vor dem Atoll abtauchten, dann waren sie weg und tauchten nicht wieder auf. Man hätte auch mit einem selbst...
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