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Den Dritten das Brot

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
144 Seiten
Deutsch
Septime Verlagerschienen am15.02.2016
Ende des siebzehnten Jahrhunderts besiedelten die sogenannten Donauschwaben die pannonische Tiefebene. In beinahe zwei Jahrhunderten bewirtschafteten sie das Land und brachten es zur Blüte. Noch vor Ende des Zweiten Weltkriegs wurden jedoch fast alle deutschstämmigen Bürger im Kollektiv zu Kriegsverbrechern erklärt, enteignet und verfolgt. Marlenes Vater wurde damals in ein russisches Arbeitslager verschleppt, sie, ihre Mutter und Großmutter kamen in ein serbisches Internierungslager, wo sie Hunger und der Gewalt der serbischen Partisanen ausgesetzt waren, bis ihnen nach zwei Jahren Gefangenschaft die Flucht nach Österreich gelang. Siebzig Jahre nach diesen Ereignissen erreicht ein Brief aus Serbien die heute achtzigjährige Marlene. Dieser Brief ist für Marlene Anlass, mit ihrer Tochter Klara eine Reise ins Gebiet der Vojvodina zu unternehmen, um die Orte ihrer Vergangenheit zu besuchen. Die Geschichte dieser Reise in die Vergangenheit ist die Erinnerung an das vergessene, vielfach verdrängte Schicksal der Donauschwaben im ehemaligen Jugoslawien in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg am Beispiel einer von Zehntausenden unschuldigen Familien, die mit der sich abzeichnenden Niederlage des Dritten Reiches zur kriminellen Minorität erklärt wurden und ihren Anspruch verloren, im sozialistisch-föderativen Jugoslawien zu bleiben. Das Buch erzählt von einer Versöhnung zwischen Menschen, die einander nie gehasst haben, von einer Wiederbegegnung, die Jahrzehnte früher hätte stattfinden sollen und die nun, im Lebenswinter der Protagonistinnen, umso wertvoller wird.

Gabriele Vasak wurde 1963 in Wien geboren. Sie arbeitet als freie Journalistin und Schriftstellerin. Von ihr erschienen bislang mehrere Romane, Sachbücher und Lyrikbände. Zuletzt der Roman Sowieso allein (2009) und der Lyrikband Dunkelweiß: Über die vermeintliche Liebe (2012). Für ihren Artikel »Kleine Welt«, eine literarische Skizze über Demenz, erhielt sie 2009 den »Prälat-Leopold-Ungar-Journalistinnen-Anerkennungspreis«. Den Dritten das Brot ist Gabriele Vasaks erster Roman bei Septime.
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Produkt

KlappentextEnde des siebzehnten Jahrhunderts besiedelten die sogenannten Donauschwaben die pannonische Tiefebene. In beinahe zwei Jahrhunderten bewirtschafteten sie das Land und brachten es zur Blüte. Noch vor Ende des Zweiten Weltkriegs wurden jedoch fast alle deutschstämmigen Bürger im Kollektiv zu Kriegsverbrechern erklärt, enteignet und verfolgt. Marlenes Vater wurde damals in ein russisches Arbeitslager verschleppt, sie, ihre Mutter und Großmutter kamen in ein serbisches Internierungslager, wo sie Hunger und der Gewalt der serbischen Partisanen ausgesetzt waren, bis ihnen nach zwei Jahren Gefangenschaft die Flucht nach Österreich gelang. Siebzig Jahre nach diesen Ereignissen erreicht ein Brief aus Serbien die heute achtzigjährige Marlene. Dieser Brief ist für Marlene Anlass, mit ihrer Tochter Klara eine Reise ins Gebiet der Vojvodina zu unternehmen, um die Orte ihrer Vergangenheit zu besuchen. Die Geschichte dieser Reise in die Vergangenheit ist die Erinnerung an das vergessene, vielfach verdrängte Schicksal der Donauschwaben im ehemaligen Jugoslawien in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg am Beispiel einer von Zehntausenden unschuldigen Familien, die mit der sich abzeichnenden Niederlage des Dritten Reiches zur kriminellen Minorität erklärt wurden und ihren Anspruch verloren, im sozialistisch-föderativen Jugoslawien zu bleiben. Das Buch erzählt von einer Versöhnung zwischen Menschen, die einander nie gehasst haben, von einer Wiederbegegnung, die Jahrzehnte früher hätte stattfinden sollen und die nun, im Lebenswinter der Protagonistinnen, umso wertvoller wird.

Gabriele Vasak wurde 1963 in Wien geboren. Sie arbeitet als freie Journalistin und Schriftstellerin. Von ihr erschienen bislang mehrere Romane, Sachbücher und Lyrikbände. Zuletzt der Roman Sowieso allein (2009) und der Lyrikband Dunkelweiß: Über die vermeintliche Liebe (2012). Für ihren Artikel »Kleine Welt«, eine literarische Skizze über Demenz, erhielt sie 2009 den »Prälat-Leopold-Ungar-Journalistinnen-Anerkennungspreis«. Den Dritten das Brot ist Gabriele Vasaks erster Roman bei Septime.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783903061408
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum15.02.2016
Seiten144 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse676 Kbytes
Artikel-Nr.3240446
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

 

4

 

 

Einen Augenblick lang hatte Marlene ein Gefühl von Heimkommen, auf der Fahrt hatte sie vor sich hingeträumt, all die ehemaligen Freunde, Bekannten und Geschäftspartner ihrer Eltern wären auf den Straßen von OdzaÄi, wenn sie dort ankämen, sie würden sie fürstlich begrüßen mit Hochrufen für eine der angesehensten Familien des Ortes, würden ihnen ihre Häuser öffnen, sie einladen zu Speis und Trank und Feier, und ein Wunder hätte bewirkt, dass ihr Elternhaus noch stand, daneben das Geschäft und unweit davon die Druckerei, und alle würden sagen, sie hätten nur darauf gewartet, dass sie endlich zurückkämen, um Haus und Besitz wieder zu übernehmen, um wieder die angesehensten Bürger des Städtchens zu sein, um mit ihren jetzigen Familien die Geschäfte ihrer verstorbenen Eltern weiterzuführen, um das glückliche Leben weiterzuleben, das sie dort geführt hatten, und Marlene sah sich in dem exklusiven Papiergeschäft ihrer Eltern mit den feinen Ledermappen und den edlen Füllfedern und dem Papier in allen Stärken und Farben, und sie sah ihren Mann Gregor als den Geschäftsführer der Druckerei und Klara und sie im großen Bürgerhaus, das sie führen würde wie früher ihre Eltern, sie würde zu Festen und Feiern laden, und die Musik würde aufspielen und die unverwechselbar traurigschönen Melodien würden erklingen, und ⦠der Vater tot, verschleppt in ein Arbeitslager, elendig gestorben nach wenigen Monaten.

Mit einem Mal war das Fest in Marlenes Kopf verblasen. Alles war lächerlich klein, einzig der Turm der Kirche ragte noch immer majestätisch in den Himmel, doch selbst er erschien ihr nun viel kleiner und niedriger als in ihrer Erinnerung und was alles andere betraf, so war nichts mehr so wie es gewesen war. Dass ihr Elternhaus und die Druckerei nicht mehr standen, hatte sie gewusst, aber als sie jetzt ihre Schritte in jene Gasse lenkten, die für sie mit unvergesslichen Kindheitserinnerungen verbunden war, schlug ihr Herz bis in den Hals und fiel kurz danach in die tiefsten Tiefen ihres Leibes, als ihr das Leben bestätigte, dass das Haus nicht mehr existierte. Der langgezogene, weitläufige Bürgerbau war abgerissen worden, an seiner Stelle stand nun eine hässliche dreistöckige Mietskaserne, die Fassade war grau und blätterte ab, schäbige Gardinen verdeckten nur teilweise die Armseligkeit der Behausungen hinter den kleinen Fensterscheiben, die mehr Gucklöcher aus Gefängnissen als Fenster zur Welt zu sein schienen.

 

Das Haus ihrer Kindheit war voll Wärme gewesen, Marlene hatte die dicken, weichen Teppiche auf den Holzböden und die Ölgemälde an den Wänden geliebt, ihr eigenes Zimmer war ganz in Rosa gehalten gewesen mit vielen Rüschen und Borten und einem richtigen Himmelbett, ihre Eltern hatten das Anwesen mit Liebe eingerichtet, alles hatte trotz der Größe des Hauses einen heimeligen Geist geatmet, sie hatte sich dort so geborgen gefühlt wie später nie mehr in ihrem Leben, doch dann waren die Männer in Uniformen gekommen, dann, als die Abwanderungen der in OdzaÄi ansässigen Deutschen abgeschlossen waren und es keine Möglichkeit mehr gab wegzukommen, durchzogen Partisanen aus der Gegend von Sombor das Städtchen und die anderen Ortschaften der Batschka. Sie nahmen Einquartierungen vor, alle Deutschen mussten Russen und Partisanen in ihre Häuser aufnehmen, in Marlenes Elternhaus bewohnten nun zwei Serben, die im Finanzamt und im Gemeindehaus arbeiteten, und ein Russe, der jetzt der Druckerei von Marlenes Eltern vorstand, zwei Zimmer neben der Kanzlei des Vaters, so hatten sie Glück im Unglück gehabt, dass kein Militär bei ihnen einquartiert worden war. Wenig später wurde eine Volkszählung durchgeführt, jeder musste Nationalität und Muttersprache angeben, auf den Feldern stand noch der hohe Mais, also wurden die Deutschen zu landwirtschaftlichen Arbeiten herangezogen - so hatte Marlene es in ihrem Bericht notiert.

Heute fragte sie sich, warum sie diesen Bericht geschrieben hatte, den sie niemandem als ihrer Mutter, später dann Gregor und Klara zu lesen gegeben hatte, sie fragte sich auch, was sie als Kind von dreizehn Jahren dazu gebracht hatte, sich dann, wenn ihre Schulaufgaben erledigt waren und sie längst Freundinnen treffen oder in einem Buch schmökern hätte können, doch an den Küchentisch zu setzen, um aufzuschreiben, was in jener Zeit geschehen war, nachdem sie wieder und wieder die Mutter nach Zahlen und Fakten zu den grauenhaften Begebenheiten befragt hatte. Ja, sie hatte damals keine Freundinnen gehabt, mit denen sie sich hätte vergnügen können, aber warum war der Sog der Bücherwelt, in die sie später eingetaucht war, nicht stärker gewesen als diese erwachsene Ernsthaftigkeit, die sie angetrieben hatte zu schreiben? Marlene wusste es nicht, doch sie wusste noch genau, in welch elender Stimmung sie gewesen war, als sie den Abschnitt über jenen trüben Nebeltag im November 1944 verfasst hatte.

 

Es war ein Donnerstag gewesen, da sich Partisanentrupps in den frühen Vormittagsstunden mit Namenslisten versehen auf den Weg gemacht hatten, alle Männer, deren Namen auf den Listen standen, mitzunehmen - zu mehrtägigen Gleisarbeiten, wie es hieß, es waren 183 Menschen, die in ein leerstehendes Haus gebracht wurden, sich dort in Sechserreihen aufstellen mussten und kein Wort mehr sagen durften, bis gegen zwei Uhr nachmittags etwa dreißig junge, kräftige Männer unter ihnen ausgewählt und an den südwestlichen Ortsausgang geführt wurden. Etwa zwanzig Meter hinter einem steinernen Wegekreuz wurde ihnen ein Geviert von zwölf mal fünf Metern vorgemessen, dort hatten sie eine über zwei Meter tiefe Grube auszuheben, als sie damit fertig waren, setzte die Dämmerung ein, im Zwielicht der hereinfallenden Nacht wurden sie erschlagen und in das Massengrab geworfen.

Später, gegen elf Uhr nachts mussten sich die noch im Haus Verbliebenen nackt ausziehen, sie wurden in Gruppen aneinandergefesselt, aus dem Haus zum Ortsausgang geführt, danach wurden sie einzeln an die für sie ausgehobene Grube gezerrt, erschlagen und ebenfalls in das Massengrab geworfen. Unter den 183 waren auch zwei Frauen gewesen, die stellvertretend für ihre Männer, die sich vor den Häschern versteckt hatten, ermordet wurden. Das verlassene Haus, in dem nur die Kleider der Getöteten zurückgeblieben waren, wurde gesperrt, der Zutritt zum Massengrab durch Wachposten verwehrt. Am nächsten Tag zog das etwa vierzig Mann starke Partisanenkommando weiter ins benachbarte Dorf, wo sie 243 weitere Männer deutscher Volkszugehörigkeit töteten.

 

So war es wieder und wieder hinter vorgehaltener Hand erzählt worden, so hatte Marlene es niedergeschrieben, doch warum hatte sie nichts von der dumpfen Stille erzählt, die danach über dem Dorf gehangen war, von den Überlebenden, die ihre Häuser tagelang nicht verlassen hatten, von denen, die es doch taten, aus welchen Gründen immer tun mussten, und die dann so schnell wie möglich an die Hauswände gedrückt entlanghuschten wie Schatten? Vielleicht war es aber das Wissen um diese Dinge, das sie dazu brachte, sich jeden Tag versichern zu müssen, dass ihre Lieben noch lebten, dachte Marlene, die jetzt vor dem hässlichen, dreistöckigen Mietshaus mit den kleinen Fenstern und der bröckeligen Fassade stand und daran zu zweifeln begann, dass hier wirklich einmal ihr Elternhaus gestanden war, dieses luxuriöse Haus mit dem schönen, großen Wohnzimmer, in dem auch das Ölbild eines alten Mannes mit Pfeife hing, das ihr immer so gefallen hatte, und in dem der große, weiche Fauteuil stand, in dem Marlenes Großmutter stets gesessen war, neben sich das Radio, das immer eingeschaltet blieb, wenn die Großmutter sich an ihrem Lieblingsplatz eingerichtet hatte, einem Platz, von dem aus sie auch Gratulanten zu ihrem Geburtstag und Namenstag empfangen hatte, da waren nicht nur die befreundeten, angesehen Bürger des Dorfs gekommen, sondern auch alle Arbeiter der Druckerei, und wenn sie der Hausherrin ihre guten Wünsche überbracht hatten, hatte die Großmutter ihnen einen Schnaps ausgeschenkt, jene Großmutter, die zudem die Herrin der Weingärten der Familie war, jene Großmutter, die auch den großzügigen Mahlzeiten im Esszimmer vorstand, jene Großmutter, die später im Lager so elend erkrankt, gestorben und in einem Massengrab verscharrt worden war.

 

Marlene ertrug es nicht mehr, vor diesem hässlichen Haus zu stehen, sie bat Klara, sie mögen doch zur Kirche gehen, die stand, im Gegensatz zum Rest des Dorfes, prächtig renoviert in der Mitte der Ortschaft, nur wenige Meter von ihrem ehemaligen Elternhaus entfernt. Das Eingangstor war beinahe so groß, wie Marlene es in Erinnerung hatte. Da waren die Bänke, in denen sie mit ihren Eltern gesessen war, meist ziemlich weit hinten, und sie dachte daran, wie sie unzählige Male unablässig mit dem Fingernagel in dem Holz der Bank hin- und hergefahren war, um eine Spur zu hinterlassen, wenn ihr langweilig gewesen war, dann hatte ihr die Mutter immer auf die Finger geklopft, Marlene suchte in den Bänken nach einer Spur ihrer Kinderfingernägel, aber sie fand keine. Vorne, im linken Seitenschiff der Kirche stand noch der Marienaltar, den sie so geliebt hatte und der im Mai immer festlich geschmückt gewesen war mit Blumen und zahllosen Kerzen. So einen Altar hatten sie auch zu Hause gehabt, mit einer Marienfigur aus Porzellan, und auch sie hatten ihn im Mai geschmückt. Marlene hatte die Blumen dafür aussuchen dürfen, und eines Tages hatte ihr das Kindermädchen eine kleine porzellanene Marienfigur geschenkt, das war eines der schönsten Geschenke, die sie je bekommen hatte, und sie wünschte, sie hätte diese Madonna noch.

Marlene trat wieder aus der Kirche heraus, stand jetzt auf der Straße, die einmal eine Lehmstraße...
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Gabriele Vasak wurde 1963 in Wien geboren. Sie arbeitet als freie Journalistin und Schriftstellerin. Von ihr erschienen bislang mehrere Romane, Sachbücher und Lyrikbände. Zuletzt der Roman Sowieso allein (2009) und der Lyrikband Dunkelweiß: Über die vermeintliche Liebe (2012).
Für ihren Artikel »Kleine Welt«, eine literarische Skizze über Demenz, erhielt sie 2009 den »Prälat-Leopold-Ungar-Journalistinnen-Anerkennungspreis«.
Den Dritten das Brot ist Gabriele Vasaks erster Roman bei Septime.