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Am dunklen Fluss

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
239 Seiten
Deutsch
Picus Verlagerschienen am29.08.20161. Auflage
Ein magischer Sommer begründet die Freundschaft zwischen Martin und den Zwillingen Paul und Billie. Ihre Vertrautheit findet aber schon bald ein jähes Ende. Zwanzig Jahre nach diesem Sommer werden Paul, ein aufstrebender Regisseur, und der Archäologe Martin mit ihrer Vergangenheit konfrontiert: Das zufällige Auftauchen eines ehemaligen Schulkameraden zwingt sie, sich nicht nur ihrer Vergangenheit, sondern auch ihren Geheimnissen - ihrer Liebe, ihrem Hass, ihrer Schuld und ihrer Einsamkeit - zu stellen. Und alles führt immer wieder zu Billie und ihrem Verschwinden zurück. In Tiefen und Untiefen menschlicher Emotionen, mit Leidenschaften und Unbewältigtem konfrontiert Elisabeth Schmidauer ihre Helden - und ihre Leserinnen und Leser.

Elisabeth Schmidauer, geboren 1961 in Linz, Studium der Germanistik und Geschichte, lebt und arbeitet in Wien. Mitglied des ur.theaters, Improvisationsschauspielerin im Theater Drachengasse in Wien. Im Picus Verlag erschienen 'Das Grün in Doras Augen' (2015), 'Am dunklen Fluss' (2016), 'Mord für Anfänger und Fortgeschrittene' (2019) sowie ihr neuester Roman 'Fanzi' (2021).
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextEin magischer Sommer begründet die Freundschaft zwischen Martin und den Zwillingen Paul und Billie. Ihre Vertrautheit findet aber schon bald ein jähes Ende. Zwanzig Jahre nach diesem Sommer werden Paul, ein aufstrebender Regisseur, und der Archäologe Martin mit ihrer Vergangenheit konfrontiert: Das zufällige Auftauchen eines ehemaligen Schulkameraden zwingt sie, sich nicht nur ihrer Vergangenheit, sondern auch ihren Geheimnissen - ihrer Liebe, ihrem Hass, ihrer Schuld und ihrer Einsamkeit - zu stellen. Und alles führt immer wieder zu Billie und ihrem Verschwinden zurück. In Tiefen und Untiefen menschlicher Emotionen, mit Leidenschaften und Unbewältigtem konfrontiert Elisabeth Schmidauer ihre Helden - und ihre Leserinnen und Leser.

Elisabeth Schmidauer, geboren 1961 in Linz, Studium der Germanistik und Geschichte, lebt und arbeitet in Wien. Mitglied des ur.theaters, Improvisationsschauspielerin im Theater Drachengasse in Wien. Im Picus Verlag erschienen 'Das Grün in Doras Augen' (2015), 'Am dunklen Fluss' (2016), 'Mord für Anfänger und Fortgeschrittene' (2019) sowie ihr neuester Roman 'Fanzi' (2021).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783711753281
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum29.08.2016
Auflage1. Auflage
Seiten239 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1795 Kbytes
Artikel-Nr.3264674
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Paul

Sie lächelte. Der Rest ihres Lebens war auf ein paar Sekunden zusammengeschrumpft. Ihr Körper beschrieb einen Bogen, als er fiel. Die Anmut ihres Falls. Dann lag ihr zerbrochener Körper seltsam verdreht auf dem Eis. Ihr Gesicht war weiß und leer, in ihren Augen spiegelte sich der Himmel. Raben flatterten auf, schwarz, über kahlen Bäumen.
1

Ich hatte gewusst, wovon ich mich fernhalten musste. Von einem bestimmten Lächeln, einem Klang in einer Stimme, einer Sehnsucht. Nie mehr die Last eines anderen tragen, sagte ich mir, nie mehr schuldig werden am andern. Die Frauen, mit denen ich schlief, waren mir gleichgültig. Wir fielen ineinander und blieben uns fremd, das wollte ich so. Dann schien es, als könnte ich ein anderer sein. Ich lernte Olga kennen, das ging gut, ein paar Jahre lang. Ich konnte mit Olga sein, ohne mich erinnern zu müssen. Aber Olga ist gegangen, vielleicht hat etwas gefehlt. Keine Verwicklungen mehr, wusste ich wieder, keine Liebe, wozu. Und dann war plötzlich Luise da, in Griechenland, in meinem Schreibkurs.

»Ich bin so wohl bei dir, Luise«, habe ich gesagt - ich hätte wissen müssen, dass das gefährlich war.

Tage und Nächte mit Luise auf der Insel. »Wir passen doch gut zusammen«, sagte ich, dann waren es sieben Wochen, acht Wochen, dass wir uns kannten, wir waren zurück in Wien, und immer kam noch eine Woche dazu. Manchmal holte ich sie von der Schule ab oder wir fuhren wohin, ans Wasser, in was Grünes oder Buntes. Oder sie schaute im Theater vorbei, in den Probenpausen saßen wir im Café am Eck, alleine oder mit den anderen, im Park färbten sich die Blätter.

Ich habe alles weggeräumt, was mich an Luise erinnert. Fotos. Die Texte, die sie in Griechenland geschrieben hat. Die Bücher, die ich ihr nicht zurückgegeben habe. Ein T-Shirt. Ihre Zahnbürste. Ihre Stimme auf dem Anrufbeantworter habe ich an dem Tag gelöscht, als wir uns das letzte Mal gesehen haben. Ich habe ihre Handynummer gelöscht, ihre Mails. Da ist nichts mehr, was mich an Luise erinnert.
2

Es waren neun Wochen, zehn Wochen, dass wir uns kannten. Wenn ich nicht im Theater war, war ich bei Luise oder sie kam zu mir. Wir haben gekocht, gegessen, wir sind im Garten gesessen, wir haben miteinander geschlafen. Ich habe so gerne mit ihr geschlafen. Manchmal hat sie geweint, als zerfiele sie unter meiner Berührung. Ich reiche nicht aus, dachte ich, was, wenn ich nicht ausreiche. Einmal fuhren wir an die Donau, Donauauen, wo die Wildnis ist und die Ebene weit. Die Luft war milchig, der Himmel rosa und blau, in der Luft schwammen Silberfäden und die Bäume leuchteten in einem wilden Gold. Traumlos und wie in einem Traum vergingen die Wochen.

Olga kam mit ihrem Baby im Theater vorbei. Es war ein Mädchen, Greti, ein hübsches kleines Ding, das Olgas Haare hatte und Olgas Mund.

»Ich hätte sie gerne Paula genannt«, sagte sie und drückte mir Greti in die Hand. »Aber das hätte mich immer daran erinnert, dass du nicht der Vater bist. Schau sie dir an«, sagte Olga. »Wenn mich jemand gefragt hätte, wie unsere Kinder aussehen würden, dann hätte ich gesagt, genau so.«

»Sie sieht dir ähnlich«, sagte ich. »Luise, das ist Olga, Olga - Luise.«

Olga lachte melodisch, sie entschwebte zu einem der Chefs und ich stand da mit dem Baby, das meines hätte sein sollen. Luise machte ein seltsames Gesicht. Das Baby öffnete die Augen.

»Hat es dir leid getan?«, fragte mich Luise später.

»Was?«

»Olga. Das Baby. Dass es nicht deines ist. Dass Olga nicht deine Frau ist.«

»Nein«, sagte ich.

Luisesätze, wenn sie die Arbeiten ihrer Schüler korrigierte.

»Herr im Himmel, Mühsal und Pein ohnegleichen.« Dass sich die Schülerinnen Lady Macbeth als Tussi dachten, wer will nicht Königin sein, na klar.

»Und warum nicht?«, sagte ich, die Lady so anlegen, das könnte doch spannend sein.

»Meinst du?« Sie runzelte die Stirn und schrieb etwas unter die Arbeit, kopfschüttelnd.

Einmal habe ich sie abgeholt, sie stand im Sonnengekringel, im fallenden Laub, ich rief sie, sie kam über die Straße auf mich zu, hinter ihr johlten die Schüler.

»Das kann ich mir morgen anhören«, sagte sie, wie atemlos.

Wenn sie nicht da war, war es, als wäre ich immer leer gewesen.

»Du musst Luise jetzt wirklich einmal kennenlernen«, sagte ich zu Martin, da war ich schon Wochen wieder in Wien. »Komm zum Essen, du wirst sie mögen.«

Weil ich die beiden in der Küche nicht brauchen konnte, schickte ich sie in den Garten. Später kam ich nach, Luise saß auf der Schaukel, die ich an einen Ast des Apfelbaums gehängt hatte, Martin erzählte von seinen Reisen, seinen Ausgrabungen.

»Hast du das immer gewusst«, fragte Luise, »dass du Archäologe werden willst?«

Martin zögerte. Eigentlich, sagte er, hatte er Priester werden wollen. Ich sah ihn erstaunt an, das hörte ich zum ersten Mal.

»Was ist dazwischengekommen?«, fragte Luise. »Ein Mädchen?«

Im Schatten unter dem Apfelbaum glühte Martins Zigarette auf.

»Auch«, sagte er schließlich.

»Was noch?«

»Ich habe aufgehört, an Gott zu glauben.« Er drückte die Zigarette aus. »Was ist jetzt mit Essen?«

Wir setzten uns zum Tisch, ich verteilte das Huhn, das Rotkraut, die Erdäpfel.

»Und ihr seid miteinander in die Schule gegangen?«, fragte Luise.

»Erst am Schluss«, sagte ich. Ich sah Martin in die Augen, die waren sehr hell und groß und zornig.

»Wir haben miteinander maturiert«, sagte Martin. »Wir sind gemeinsam nach Wien gegangen. Paul auf die Schauspielschule, ich habe mit Latein angefangen, bevor ich zur Archäologie gewechselt bin.«

Wir erzählten Anekdoten, wem wollten wir was vormachen, endlich brach Martin auf.

»Schau einmal vorbei«, sagte er zu Luise. »Es ist eine Schande, dass du noch nie im Ephesos-Museum warst.«

Ich brachte ihn zur Tür. Luise klapperte in der Küche mit den Tellern, dem Besteck.

»Ich habe das nicht gewusst«, sagte ich.

»Nein«, sagte Martin. »Woher auch.«

»Du hast nie etwas gesagt.«

»Was hätte ich sagen sollen? Dass du nicht der Einzige warst, der etwas verloren hat? Als hätte dich das gekümmert.«

Zehn Schritte von mir zu Luise. »Schlaf mit mir«, sagte ich.

Ich zog ihr die Jacke aus, ich zog ihr das Shirt über den Kopf. Ich vergrub meinen Kopf an ihrer Brust, wir stolperten durch das Wohnzimmer, fielen auf die Couch. Ein leerer Himmel, eine Kurve in die Luft geschrieben. Am nächsten Morgen brennende Scham.

»Ich muss ins Theater«, sagte ich, »wenn du noch frühstücken willst.«

»Es ist Sonntag«, Luises Augen waren groß.

»Komm mir nicht mit Heulen«, sagte ich, »komm mir nicht so.«

Die Endproben vor dem Jubiläumswochenende gingen bis in den Abend, bis in die Nacht, parallel dazu liefen die Aufführungen, die Proben für die nächsten Inszenierungen, ich arbeitete am Sturm, da war keine Zeit, Luise zu treffen, keine Zeit, Luise anzurufen. Manchmal dachte ich an Luise und unsere Insel. Je schneller sie es begreift, dachte ich, und dass ich kein Gott der Macht war, das hätte ich ihr gerne gesagt. Dass Schiffe zerschellten, das musste also sein. Wenn ich weit nach Mitternacht in einen unruhigen Schlaf fiel, da war eine Stimme, ein Atem, ein Gesicht, ich tastete nach Luise, ich hatte mich so gewöhnt, so schnell daran gewöhnt, dass sie neben mir war, das war ein Fehler gewesen.

»Was soll das heißen, es ist schwierig?«

»Ich bin nicht, was sie braucht.«

»Und das war s dann? Du schickst sie fort und suchst dir wieder irgendeine zum Vögeln? Herrgott, Paul!«

»Es ist wegen Billie.« Ich habe mit Martin nie mehr über Billie geredet, seit ihrem Tod nie mehr. »Es ist alles wieder da.«

Am Tag vor dem großen Fest läutete ich bei Luise.

»Ich will mit dir sein«, sagte ich.

Luise stand im Dämmerschatten ihrer Wohnung. Eine Uhr tickte, Holz knackte, »mach das nicht mit mir«, sagte sie.

»Du musst mit ihr über Billie reden«, hatte Martin gesagt. »Wenn du es nicht tust, das ist doch wie lügen.«

Martin, mit seinem naiven Glauben an die befreiende Wirkung der Wahrheit. Martin, der in seinem Gelehrtenleben versank und sein Leben seit Jahren frei hielt von den Abgründen zwischenmenschlicher Beziehungen. Er war bei seinen Steinen und Mauern zu Hause, bei Tonscherben und Glasgefäßen,...
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Autor

Elisabeth Schmidauer, geboren 1961 in Linz, Studium der Germanistik und Geschichte, lebt und arbeitet in Wien. Mitglied des ur.theaters, Improvisationsschauspielerin im Theater Drachengasse in Wien. Im Picus Verlag erschienen "Das Grün in Doras Augen" (2015), "Am dunklen Fluss" (2016), "Mord für Anfänger und Fortgeschrittene" (2019) sowie ihr neuester Roman "Fanzi" (2021).

Bei diesen Artikeln hat der Autor auch mitgewirkt