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Dorfbeben

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
280 Seiten
Deutsch
script5erschienen am12.12.20161. Auflage
Ein bedrückender Psychothriller über kollektive Schuld und Schweigen, der Leser in seinen Bann ziehen wird und noch lange nachhallt. Weil die Großstadt zu laut ist, lebt Mattes auf dem Land bei seiner Oma. In Auroth ist es ruhig, hier passiert nichts Außergewöhnliches. Die Jungen fahren samstags kilometerweit über die Landstraße zur nächsten Driving Disco. Und am Montag gehen sie alle wieder zur Arbeit. In der Sparkasse oder beim Gemeindeamt oder hinter der Käsetheke bei REWE. Nur Mattes hat keinen ordentlichen Job. Er verdient sich ein paar Euro mit Orgelspielen in der Kirche und schreibt Songs über die Einsamkeit. Da zerreißt ein Mord das dörfliche Einerlei. Jakob Bähner, ein angesehener Bürger, wird brutal erstochen. Ausgerechnet beim Gemeindeausflug, ausgerechnet mitten in einer Chorprobe. Als Mattes sich wenig später einen Mitschnitt der Probe anhört, glaubt er, darauf Stimmen zu hören, die auf den Mörder hinweisen. Gemeinsam mit Lena, seiner nur wenige Jahre älteren Tante, macht er sich auf die Suche und stößt auf ein Geheimnis, das viele Jahre zurückzuliegen scheint. Nominiert für den Hansjörg-Martin-Preis 2011

Agnes Hammer wurde 1970 geboren. Geschrieben hat sie eigentlich schon immer, jedenfalls kann sie sich noch genau an den karierten Block erinnern, auf den sie mit acht Jahren ihre erste Geschichte schrieb. Nach dem Abitur studierte sie Germanistik und Philosophie in Köln. Seit 1998 arbeitet sie in Düsseldorf mit sozial benachteiligten Jugendlichen in einem großen Berufsbildungszentrum. Sie ist seit 2005 Anti-Aggressivitäts-Trainerin. Für ihren Roman 'Herz, klopf!' wurde sie 2010 mit dem Kranichsteiner Literaturstipendium ausgezeichnet. Darüber hinaus ist sie Preisträgerin des Kurd-Laßwitz-Stipendiums 2011 und Stipendiatin des Landes Nordrhein-Westfalen.
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Produkt

KlappentextEin bedrückender Psychothriller über kollektive Schuld und Schweigen, der Leser in seinen Bann ziehen wird und noch lange nachhallt. Weil die Großstadt zu laut ist, lebt Mattes auf dem Land bei seiner Oma. In Auroth ist es ruhig, hier passiert nichts Außergewöhnliches. Die Jungen fahren samstags kilometerweit über die Landstraße zur nächsten Driving Disco. Und am Montag gehen sie alle wieder zur Arbeit. In der Sparkasse oder beim Gemeindeamt oder hinter der Käsetheke bei REWE. Nur Mattes hat keinen ordentlichen Job. Er verdient sich ein paar Euro mit Orgelspielen in der Kirche und schreibt Songs über die Einsamkeit. Da zerreißt ein Mord das dörfliche Einerlei. Jakob Bähner, ein angesehener Bürger, wird brutal erstochen. Ausgerechnet beim Gemeindeausflug, ausgerechnet mitten in einer Chorprobe. Als Mattes sich wenig später einen Mitschnitt der Probe anhört, glaubt er, darauf Stimmen zu hören, die auf den Mörder hinweisen. Gemeinsam mit Lena, seiner nur wenige Jahre älteren Tante, macht er sich auf die Suche und stößt auf ein Geheimnis, das viele Jahre zurückzuliegen scheint. Nominiert für den Hansjörg-Martin-Preis 2011

Agnes Hammer wurde 1970 geboren. Geschrieben hat sie eigentlich schon immer, jedenfalls kann sie sich noch genau an den karierten Block erinnern, auf den sie mit acht Jahren ihre erste Geschichte schrieb. Nach dem Abitur studierte sie Germanistik und Philosophie in Köln. Seit 1998 arbeitet sie in Düsseldorf mit sozial benachteiligten Jugendlichen in einem großen Berufsbildungszentrum. Sie ist seit 2005 Anti-Aggressivitäts-Trainerin. Für ihren Roman 'Herz, klopf!' wurde sie 2010 mit dem Kranichsteiner Literaturstipendium ausgezeichnet. Darüber hinaus ist sie Preisträgerin des Kurd-Laßwitz-Stipendiums 2011 und Stipendiatin des Landes Nordrhein-Westfalen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783732004232
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Verlag
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum12.12.2016
Auflage1. Auflage
Seiten280 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2113 Kbytes
Artikel-Nr.3287440
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

2

Von Achim habe ich mehr über Musik gelernt als von jedem anderen. Diesen ganzen Bach-Mozart-Kram, von dem ich sonst keine Ahnung hätte. Notenlesen und so. Wer also eine Modulation von h-Moll nach A-Dur will oder Schwierigkeiten mit dem Quintenzirkel hat, kann sich an mich wenden. Und nur weil Achim es mir beigebracht hat, kann ich ein bisschen Klavier spielen. Also nicht gerade wie Lang Lang, aber schon so, dass ich weiß, was ich da tue.

Und auch über Jazz weiß Achim viel. Wir hören uns oft abends CDs an, die er gekauft hat, und dann steht er neben seiner Anlage und macht mich auf etwas aufmerksam, sieht dabei aus wie sonntags in der Kirche, wenn er mal wieder zu lange predigt. Dabei will ich doch nur der Musik zuhören. Aber das versteht er nicht so ganz.

Jedenfalls machte es mir nichts aus, dass ich am Samstag früh raus musste und schon um acht mit Lena - die nicht alleine zu Hause bleiben wollte - und Oma im Bus saß, um mit dem Seniorenklub wegzufahren. (Brian Molko ist schließlich auch streng christlich aufgewachsen und schreibt jetzt richtig coole Songs mit Texten über Sex und so.)

Achim wäre ohne diese Sache, weswegen er damals versetzt worden ist, niemals in einem Dorf wie Auroth gelandet. Dazu mochte er solche kulturellen Dinge wie Konzerte viel zu gern oder zumindest große Multimedia-Märkte, und das gab es hier nicht mal in der näheren Umgebung. Worum es damals genau ging, erzählte er nicht, und das war wohl auch seine Sache. Bestimmt hätte er in der Kirche auch richtig Karriere machen können, aber er war wohl wirklich zufrieden mit seinen drei Pfarreien, seinen Kommunionkindern und seinem Pfarrgemeinderat.

Jetzt blickte er nach hinten in den Bus, über den Kopf von Jakob Bähner hinweg, zu uns.

»Guten Morgen«, sagte er und grinste. Achim drängelte sich an Jakob vorbei, um uns zu begrüßen.

»Das ist Lena, meine Tante.«

Sie gaben sich die Hand.

»Ich habe viel von dir gehört«, sagte Achim.

»Ich hoffe, ich kann mitfahren.« Sie griff in ihre Jeanstasche und gab ihm zehn Euro. »Sonst hänge ich den ganzen Tag nur zu Hause rum.«

»Kein Thema«, meinte Achim. »Ich gebe das Geld Frau Schneider.« Das war Irmgard, die sich meistens um die Finanzen kümmerte.

Er ging wieder nach vorne.

Bruno, der Busfahrer, reichte ihm das Mikrofon. Achim räusperte sich.

»Ja, guten Morgen, noch mal!« Achim faltete seinen Zettel auf und las ab. »Und willkommen zur Fahrt ins Blaue. Wir werden heute in die schöne Stadt Köln fahren und uns den Dom und Groß Sankt Martin ansehen. Dann essen wir in einem gutbürgerlichen Restaurant - ich habe dort reserviert - zu Mittag und fahren dann nachmittags zum Kloster Mariae Gnaden, wo wir einen Gottesdienst halten, bevor es heimwärts geht. Um fünf Uhr am Nachmittag, so hoffe ich, werden wir alle wohlbehalten wieder in Auroth sein.«

Er machte eine kleine Pause. »Gut, ich hoffe, es sind alle an Bord. Dann wollen wir gemeinsam das Morgengebet sprechen.«

Achim steckte das Mikro wieder in die Halterung, faltete die Hände und begann das »Vaterunser« zu sprechen. Die Alten fielen ein. Auch Oma betete mit.

Lena steckte sich einen Stecker ihres MP3-Players ins Ohr und zog ihren Schal hoch.

Der Bus fuhr durch die Dunkelheit, die großen Scheibenwischer putzten die Scheiben vor ihm blank. Es nieselte.

Achim griff nochmals zum Mikro. »Und nun wollen wir etwas singen.« Er räusperte sich wieder. Dann intonierte er: »Wie schön leuchtet der Morgenstern â¦«

Vielleicht nicht ganz das Lied, das zu einem verregneten Oktobermorgen passte, aber es stand auf seiner privaten Chartliste ganz weit oben und ich musste es oft in der Messe spielen.

Renate und Oma schwangen ihre Soprane gegen die obere Plastikverkleidung, als gebe es kein Morgen.

Renate ist unsere Nachbarin und die beste Freundin von Oma. Die beiden hängen ständig zusammen, wenn Renate nicht gerade in ihrem Büro in der Verbandsgemeinde sitzt, wo sie eine Halbtagsstelle hat.

Vor ihnen saßen Jakob Bähner und seine Frau Maria. Jakob war früher lange Ortsbürgermeister gewesen und wahrscheinlich der, der im Dorf das meiste Geld hatte. Sie wohnten uns schräg gegenüber und machten irgendwie immer alles richtig. Ihr altes Bauernhaus hatte freigelegtes Fachwerk, die Sprossen der Fenster waren glänzend dunkelgrün lackiert und die Wetterseite war mit neuem Naturschiefer beschlagen. Sogar die Blumen im Vorgarten sahen besser aus als bei Oma und mir. Während unter unserem Essigbaum das Gras vermooste, legte Jakob Rollrasen - spezielle Schattenmischung - unter seinen Koniferen aus, während im Sommer unsere Dahlien die Knospen verloren, schnitt Maria aus ihren bunte Pompons für ihre Vase. Ich weiß nicht, wie sie das machten. Aber wenn ich bei ihnen ein Ei lieh und in der blitzblanken modernen Küche herumstand, hatte ich immer das Gefühl, mit Oma in einem ständigen Provisorium zu leben.

Jakob brummte jetzt eine Oktave tiefer mit. Seine Frau Maria traf zwar die Töne, hatte aber keine besonders schöne Stimme. Sogar wenn sie sangen, waren sie richtig, ohne auffällig zu sein.

Die alte verrückte Oma Burkhart und ihr Sohn Herbert in der Reihe vor den Bähners machten den Mund auf, und man kann über Oma Burkhart sagen, was man will - unter anderem, dass sie eine alte Hexe ist -, aber singen kann sie. Sie kennt jede Melodie und hält sich genau daran. Ihr Herbert kann dagegen den Takt und die Melodie nicht halten, ein Beweis dafür, dass sich Musikalität nicht unbedingt vererbt.

Achim brummte unterstützend ins Mikro und zwang die Leute so in die zweite Strophe.

Elli und Martha auf dem Zweier-Sitz rechts neben den Bähners summten zögerlich mit. Die beiden putzten seit - ich weiß nicht, wahrscheinlich seit der Eiszeit - unsere Kirche und kümmerten sich um alles, was sie nichts anging.

Sie sind Nachbarinnen, tragen beide praktische Kurzhaarschnitte und Kittelschürzen und verbringen ihr Leben hinter ihren Küchengardinen, den Blick auf die Dorfstraße gerichtet, um nur ja alles mitzukriegen, was dort passiert. Sie kennen jedes Auto im Dorf und erkundigen sich ungeniert bei Oma, wenn Lena mit einem neuen Auto nach Hause gebracht wird oder mit einem Mann von auswärts durchs Dorf geht.

Sie haben sich auch schon beschwert, dass ich den Keller vom Pfarrhaus als Probenraum benutzen durfte. Achim hatte es ihnen wahrscheinlich als gutes Werk verkauft und sie hatten sich damit abgefunden. An denen konnte Achim jedenfalls wirklich üben, seine Nächsten zu lieben.

Vor Elli und Martha saß Irmgard allein. Sie kümmert sich immer darum, dass das Geld eingesammelt wird, und nimmt es furchtbar genau mit allem. Wenn Elli - die im Dorf als so geizig gilt, dass man Witze darüber macht - mit irgendeiner Begründung nicht zahlen will, blickt sie so lange streng über ihre rechteckige Brille, bis Elli endlich in ihrem Portmonee kramt und doch noch zehn Euro findet.

Sie will auch nicht, dass wir im Keller vom Pfarrhaus proben. Wobei sie stets »kostenlos proben« sagt, sodass Achim klar wird, dass sie durchaus gegen eine kleine Miete ihre Meinung ändern würde.

Lena und ich saßen natürlich in der letzten Bank. Von dort aus konnte ich ziemlich gut sehen, dass der Busfahrer Bruno immer wieder in den Rückspiegel sah, um uns zu beobachten, gesungen wurde jetzt nicht mehr so laut, weil nur noch Oma Burkhart und Achim den Text kannten und sangen.

Wenn wir an einem ungepflegten Grundstück vorbeikamen, sagte Martha laut so etwas wie: »Der sollte auch mal seine Hecke schneiden. Wie sieht das denn aus?« Wenn jemand sein altes Auto oder sonst irgendetwas vor dem Haus stehen hatte: »Sieh dir dieses Gerümpel an! Kann man das nicht wegräumen?«, und Elli und Martha schüttelten dazu missbilligend ihre Köpfe.

Bruno hatte ein unrasiertes teigiges Gesicht und roch immer ein bisschen nach Alkohol und Schweiß. Jeder wusste, dass er trank, obwohl er ja Bus fahren musste. Und dass er ständig seine Frau betrog. Ich verstand nicht so ganz, wie er das anstellte, mit seinem Geruch.

Vielleicht standen die Frauen, die er abschleppte, auf Gewalt, denn Bruno war ein über die Dörfer hinaus bekannter Kirmesschläger. Aber eigentlich war er eine dieser tragischen Gestalten im Dorf, ein Loser, so wie ich. Mir war sein Erfolg bei Frauen unbegreiflich, ich bekam das oft genug mit, wenn wir in irgendeinem Kirmeszelt spielten. Er schleppte meistens die Hübschesten ab, und dass, obwohl er selbst aussah wie ein ungebackener Hefekloß.

Vielleicht wäre das eine Idee für einen Songtext, brutalo man oder so. Aber Vane würde bestimmt etwas dagegen haben und das nicht spielen wollen. Ich schob mir den MP3-Player ins Ohr und schloss die Augen, um ein bisschen zu dösen.

Ich habe die ersten Jahre bei meiner Mutter in Köln gewohnt, bis die Seelentaubheit öfter kam und ich zu meiner Oma aufs Dorf gezogen bin. Ich mag Köln und wenn ich noch hier wohnen würde und hier eine Band hätte, müsste ich wahrscheinlich nicht freitags abends im Jugendheim vom Nachbardorf spielen, sondern würde in richtigen Clubs auftreten. Ich würde vielleicht einen berühmten Produzenten kennenlernen, der mich entdeckt, und vielleicht würde ich sogar einen Haufen Geld verdienen. Aber Vane zum Beispiel hätte ich dann nie kennengelernt, und Achim hätte mir nie den ganzen klassischen Kram erklärt, deshalb weiß ich, dass das Dorfleben irgendwie gut für mich ist.

»Ich will noch was erledigen«, sagte ich, sobald wir aus dem Bus ausgestiegen waren.

»Andrea hat heute aber Dienst«, meinte Oma.

»Ich weiß, ich will woandershin.«

»Ich komm mit«, sagte Lena sofort.

»Geh mit...
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Autor

Agnes Hammer wurde 1970 geboren. Geschrieben hat sie eigentlich schon immer, jedenfalls kann sie sich noch genau an den karierten Block erinnern, auf den sie mit acht Jahren ihre erste Geschichte schrieb. Nach dem Abitur studierte sie Germanistik und Philosophie in Köln. Seit 1998 arbeitet sie in Düsseldorf mit sozial benachteiligten Jugendlichen in einem großen Berufsbildungszentrum. Sie ist seit 2005 Anti-Aggressivitäts-Trainerin. Für ihren Roman "Herz, klopf!" wurde sie 2010 mit dem Kranichsteiner Literaturstipendium ausgezeichnet. Darüber hinaus ist sie Preisträgerin des Kurd-Laßwitz-Stipendiums 2011 und Stipendiatin des Landes Nordrhein-Westfalen.