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Der Junge der nicht hassen wollte

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
224 Seiten
Deutsch
Riverfield Verlagerschienen am01.12.20161. Auflage
Behütet und umsorgt wächst der kleine Shlomo Graber, fernab vom damaligen Weltgeschehen, im Kreise seiner drei jüngeren Geschwister in einem ungarischen Städtchen auf. Sein weiser Großvater und seine liebende, fürsorgliche Mutter prägen die glücklichen Kinderjahre des Jungen. Er ist 14 Jahre alt, als sein Leben eine tragische und völlig unerwartete Wendung nimmt: Er und seine Familie werden von den Nazis deportiert. Mit seinem unbändigen Lebenswillen, einem unerschütterlichen Glauben an sich selbst, aber auch mit Nächstenliebe und manchmal gar mit Humor überlebt der Jugendliche in den folgenden Jahren drei Konzentrationslager. Shlomo und sein Vater werden am Ende des Zweiten Weltkriegs als einzige Überlebende der Familie befreit. Er beschließt, ein neues Leben zu beginnen. Doch um an dem Erlebten nicht zu zerbrechen, zeigt der 18-Jährige mittels einer unglaublichen Geste, dass das Unvorstellbare dennoch möglich ist - er verzeiht!

Shlomo Graber wurde 1926 in den Karpaten der Tschechoslowakei geboren. Seit 1989 wohnt er in Basel, wo er als Kunstmaler und Referent tätig ist.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextBehütet und umsorgt wächst der kleine Shlomo Graber, fernab vom damaligen Weltgeschehen, im Kreise seiner drei jüngeren Geschwister in einem ungarischen Städtchen auf. Sein weiser Großvater und seine liebende, fürsorgliche Mutter prägen die glücklichen Kinderjahre des Jungen. Er ist 14 Jahre alt, als sein Leben eine tragische und völlig unerwartete Wendung nimmt: Er und seine Familie werden von den Nazis deportiert. Mit seinem unbändigen Lebenswillen, einem unerschütterlichen Glauben an sich selbst, aber auch mit Nächstenliebe und manchmal gar mit Humor überlebt der Jugendliche in den folgenden Jahren drei Konzentrationslager. Shlomo und sein Vater werden am Ende des Zweiten Weltkriegs als einzige Überlebende der Familie befreit. Er beschließt, ein neues Leben zu beginnen. Doch um an dem Erlebten nicht zu zerbrechen, zeigt der 18-Jährige mittels einer unglaublichen Geste, dass das Unvorstellbare dennoch möglich ist - er verzeiht!

Shlomo Graber wurde 1926 in den Karpaten der Tschechoslowakei geboren. Seit 1989 wohnt er in Basel, wo er als Kunstmaler und Referent tätig ist.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783952464069
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum01.12.2016
Auflage1. Auflage
Seiten224 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.3287515
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Obwohl Mutter eine religiöse Frau war, setzte sie der religiösen Bevormundung gewisse Grenzen und ließ sich von niemandem etwas vorschreiben. Andere »Frömmige« versuchten, sich manchmal in unsere Erziehung einzumischen und mehr »Jiddischkeit« einzufordern. Aber in diesen Dingen wahrte Mutter ihre Unabhängigkeit - und auch die ihrer Kinder. Ihre Regeln bestimmten zum Beispiel: Schläfenlocken nicht länger als bis zu den Ohrläppchen. Normale Kleidung statt orthodox-jüdischer Aufmachung. Und auch in Bezug auf die Lektüre von Büchern ließ Mutter sich keine Vorschriften machen. Sie las sogar Bücher, die in orthodoxen Kreisen verboten, verpönt und geächtet waren. Meist lieh ich die Bücher für sie in der Bibliothek aus. Mutter war stets bestrebt, uns Allgemeinwissen und eine Berufsausbildung zu verschaffen, damit wir für die Einwanderung in Israel gerüstet wären. Auch dies ein weiterer Beweis ihrer Unabhängigkeit, welche zu der Zeit ziemlich ungewöhnlich gewesen sein muss. Aber Mutter schien ihren eigenen Kopf zu haben und scherte sich nicht darum, dass es Vater (wie auch sonst irgendeinem Juden in unserem Umfeld) nie in den Sinn gekommen wäre, nach Israel auszuwandern. Dies sollte sich später grundlegend ändern. Wer weiß, vielleicht hatte Mutter auch eine Vorahnung von dem, was kommen würde, und wollte deshalb so bald wie möglich ins »Heilige Land« auswandern.

Ich erinnere mich, dass ich einmal mehrere Tage der Schule fernbleiben musste, weil ich krank war. Mutter schrieb dem Lehrer eine Entschuldigung auf Jiddisch, während Frauen in Ungarn sonst fast nie Jiddisch schrieben. Der Lehrer fragte mich: »Wer hat diesen Brief geschrieben?« Ich antwortete, dass Mutter es getan habe. Darauf riss er die Entschuldigung wütend in Fetzen und schrie mich an: »Wie kann eine Frau es wagen, einem Lehrer zu schreiben!«

Als ich später nach Hause kam und den Vorfall in der Schule schilderte, zuckte meine Mutter nur verächtlich mit den Schultern und sagte mit einem spitzbübischen Lächeln auf den Lippen: »Gott hat nie gesagt, dass Frauen dümmer zu sein haben als Männer.« 

*

Die meisten Straßen von Nyírbátor waren ungepflastert. Ausnahmen bildeten nur der zentral gelegene Marktplatz und ein paar Straßen, die von ihm abgingen. Das war auch das Handelszentrum der Stadt. Die meisten Geschäfte lagen am Marktplatz und fast alle befanden sich in jüdischem Besitz. Deshalb ruhte der Handel am Schabbat und an den jüdischen Feiertagen. Bauernmärkte, Handwerksbetriebe und Kleinindustrie waren überwiegend am Stadtrand angesiedelt.

Das Rathaus war das größte und stattlichste Gebäude der Innenstadt. Es hatte einen hohen Turm mit einer Uhr an jeder Seite, die man von allen Enden der Stadt sehen konnte. Der Turm hatte einen breiten, umlaufenden Balkon, von dem aus die Feuerwehr über den gesamten Stadtbereich wachte. Brach irgendwo Feuer aus, läutete der Wächter die Glocke über seinem Kopf und signalisierte mit einer roten Fahne die Richtung des Brandherds.

Auf dem Marktplatz, vor dem Rathaus, befand sich in einer kleinen Gartenanlage ein Heldendenkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs. Eine Marmortafel verzeichnete die Namen der Söhne Nyírbátors, die im Krieg gefallen waren, darunter 14 Juden. Auf der anderen Seite des Platzes stand das zweitgrößte Gebäude der Stadt, die einzige Handelsbank der ganzen Umgebung. Sie gehörte einem Juden namens Elek.

Jeden Donnerstag war normalerweise Wochenmarkt auf dem Marktplatz. Und jeden Herbst gab es einen Jahrmarkt, auf dem die Bauern ihre Erzeugnisse selbst verkaufen konnten. Dann wurden auf dem Marktplatz reihenweise Zelte mit breiten Wegen dazwischen aufgestellt, damit die Besucher die Auslagen zu beiden Seiten begutachten konnten. Die meisten Handwerker, die ihre Erzeugnisse auf dem Markt feilboten, waren Juden, vor allem in den Branchen Bekleidung, Schuhwerk, Möbel und Kurzwaren. Am Rand des Marktplatzes verkauften Bauern Hühner, Gänse und Feuerholz.

Die Handwerker arbeiteten monatelang, um ein ausreichend großes Angebot für den Jahrmarkt anzufertigen. Uns Kinder beschäftigten sie bei den Zelten, damit wir Wache hielten. Auch ich wachte, und zwar beim Zelt eines Schneiders. Ich sollte besonders ein Auge auf die »Zigeuner« haben, die auf den Markt kämen, um zu stehlen, wie man mir erklärte.

Viel Geld habe ich bei dieser Arbeit nicht verdient, aber ich bin um viele Erlebnisse und Erfahrungen reicher geworden.

Den Verkauf der Waren übernahmen geübte Verkäufer. Natürlich Juden, die das Wesen der Bauern kannten, ihren Dialekt sprachen und jeden zweiten Satz mit jiddischen Worten, saftigen Flüchen und versteckten Witzen würzten. Diese Verkäufer waren echte Schlitzohren und nutzten, nebst ihrer Überzeugungskunst, so machen »Trick«, um die Waren loszuwerden.

Zum Beispiel kauften sie alte Uhren, die meist gar nicht mehr funktionierten, öffneten diese und platzierten ein paar Stücke Blei oder ähnlich schweres Metall in die Gehäuse. Zu jener Zeit war eine Uhr erst dann wirklich wertvoll, wenn sie auch schwer genug in der Hand lag. Dann steckten die Verkäufer bei Mänteln und Jacken jeweils eine Uhr in die rechte Tasche. Wenn ein Bauer ein Kleidungsstück anprobierte, steckte er gern die Hände in die Taschen, und sobald er die Uhr in der Tasche fühlte, fragte er prompt nach dem Preis, ohne den Mantel oder die Jacke nochmals auszuziehen, denn die meisten nahmen wohl an, dass jemand eine teure Uhr in diesem Kleidungsstück vergessen habe.

Ich war noch ein kleiner Junge, aber etwas hatte ich daraus gelernt: Schlitzohrigkeit und unredliche Menschen sind überall zu finden.

Den Gipfel an Dreistigkeit jedoch erlebte ich bei folgender Episode auf dem Jahrmarkt: Ein Schneider war lange auf einem fehlerhaften dreiviertellangen Mantel mit schrägen Taschen sitzen geblieben. Sein Lehrling hatte eine Tasche versehentlich in der umgekehrten Schräge genäht, sodass man mit der Hand nicht hineinkam. Der Schneider bat einen Verkäufer namens Patyi, ihm zu helfen, diesen Mantel loszuwerden, den er schon eine ganze Weile von Jahrmarkt zu Jahrmarkt schleppte. »Verkauf ihn unter Preis, Hauptsache, du wirst ihn los!«, bat der Schneider den geübten Verkäufer.

Dieser zögerte nicht lange, und als er einen Bauern mit einer Peitsche in der Hand auf das Zelt zukommen sah, begrüßte er diesen, als würde er ihn seit eh und je kennen: »János Bácsi (Onkel Janosch), hast du schon den neuen Mantel gesehen? Das ist ein amerikanisches Patent und noch streng geheim.«

Ehe der Bauer noch eine Silbe hervorbringen konnte, hatte Patyi ihm im Nu den alten Mantel aus- und den neuen angezogen. Dann stellte er den Bauern vor den Spiegel, der im Zelt hing, raffte mit einer Hand hinten den Stoff zusammen, ohne dass der Bauer dies bemerkte, sodass es vorn und im Spiegel so aussah, als sei der Mantel genau nach Maß des potenziellen Käufers geschnitten. Dann nahm Patyi des Bauern rechten Arm, führte diesen über Kreuz und über den Bauch - und steckte dessen Hand in die falsch geneigte Tasche. Dann schob er dem ziemlich verdutzt blickenden Bauern dessen Peitsche unter den, über den Bauch verlaufenden Arm und sagte in triumphierendem Tonfall: »Siehst du? Wenn du im Winter auf dem Wagen sitzt, kannst du nicht nur die Peitsche halten, sondern hast auch gleich noch die Hand in der Tasche und spürst die Kälte nicht!«

Bevor der überrumpelte Bauer auch nur ein Wort erwidern konnte, sprach Patyi auch schon weiter: »Der Preis? Nicht teurer als â¦«, sagte er. Er nannte eine Summe, die um einiges höher war als der Neupreis eines makellosen Mantels, und doppelte noch nach, indem er dem immer noch sprachlosen Bauern mit einem verschwörerischen Flüstern in dessen Ohr raunte: »Du darfst aber nicht verraten, woher du diesen Mantel hast, Onkel Bácsi, denn erst im nächsten Monat wird eine neue Sendung aus Amerika eintreffen und offiziell zu einem viel höheren Preis in den Handel kommen.« 

So kam es, dass der Schneider fortan Mäntel mit falschen Taschen eine ganze Weile serienweise herstellte und diese sich auch bestens verkauften.

*

Nach einiger Zeit konnten wir bei den Hathäzis ausziehen und in eine bessere und größere Wohnung übersiedeln, die nicht mehr neben den Stallungen lag.

Einige Wochen später, am Neujahrsfest, wurde ich krank. Der Arzt, Dr. Balog, stellte Diphtherie fest. Seinerzeit war diese ansteckende Krankheit sehr gefährlich. Meine Mutter erfuhr es, als sie in der Syna­goge war, und eilte nach Hause. Auf Betreiben des städtischen Gesundheitsamts wurde eine rote Bekanntmachung an die Eingangstür geheftet, mit dem Wortlaut: »Wegen ansteckender Krankheit Zutritt verboten!« Mein Zustand verschlechterte sich von Stunde zu Stunde, ich war dem Ersticken nahe. Der Arzt ließ eilig ein neues Medikament aus Debrecen kommen, das in der Apotheke in Nyírbátor nicht vorrätig war. Er bat Mutter, dafür zu beten, dass das Medikament noch rechtzeitig einträfe. Tatsächlich kam es in letzter Minute.

Kurze Zeit nachdem er mir das Mittel gespritzt hatte, besserte sich mein Befinden, und ich war außer Lebensgefahr. Dr. Balog, der kein Jude war, weigerte sich, Honorar für die Behandlung anzunehmen. »Von armen Familien nehme ich kein Geld«, brummte er bloß.

*

Ein paar Wochen später brach im Bankgebäude von Nyírbátor Feuer aus. Das Gebäude brannte lichterloh. Die Sommerhitze hatte das Dach des Gebäudes so ausgetrocknet, dass die brennenden Schieferplatten, mit denen das Dach gedeckt war, durch die Luft flogen wie ein Schwarm Kometen. Manche flogen viele Meter weit, brennend und...

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