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Lumpenball

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
240 Seiten
Deutsch
Emons Verlagerschienen am27.07.2017
Ein biografischer Roman über eine moderne, selbstbewusste Kölnerin zur Zeit des politischen Umbruchs. Köln in den 1930er Jahren: Das Nachtleben sprüht vor Freizügigkeit und Kreativität. Frauen entdecken Selbstbestimmtheit und Freiheit. Die quirlige Künstlerszene dreht dem bürgerlichen Karneval auf ihren »Lumpenbällen' eine lange Nase und bildet einen Gegenpol zur sich radikalisierenden politischen Stimmung. Für die junge Fanny, Puppenspielerin am Hänneschen-Theater, wird es ihr erster und letzter Lumpenball sein, denn ihre Welt verändert sich über Nacht dramatisch.

Marina Barth, Jahrgang 1960, ist Kabarettistin und seit 2001 Chefin des Klüngelpütz-Theaters in Köln. Die Theater- und Buchautorin arbeitet zudem als Regisseurin, Moderatorin und historische Stadtführerin. 2014 schrieb sie ein Stück für das Kölner Hänneschen-Theater und begegnete dort ihrer Protagonistin Fanny Meyer.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR11,90
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR8,49

Produkt

KlappentextEin biografischer Roman über eine moderne, selbstbewusste Kölnerin zur Zeit des politischen Umbruchs. Köln in den 1930er Jahren: Das Nachtleben sprüht vor Freizügigkeit und Kreativität. Frauen entdecken Selbstbestimmtheit und Freiheit. Die quirlige Künstlerszene dreht dem bürgerlichen Karneval auf ihren »Lumpenbällen' eine lange Nase und bildet einen Gegenpol zur sich radikalisierenden politischen Stimmung. Für die junge Fanny, Puppenspielerin am Hänneschen-Theater, wird es ihr erster und letzter Lumpenball sein, denn ihre Welt verändert sich über Nacht dramatisch.

Marina Barth, Jahrgang 1960, ist Kabarettistin und seit 2001 Chefin des Klüngelpütz-Theaters in Köln. Die Theater- und Buchautorin arbeitet zudem als Regisseurin, Moderatorin und historische Stadtführerin. 2014 schrieb sie ein Stück für das Kölner Hänneschen-Theater und begegnete dort ihrer Protagonistin Fanny Meyer.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783960412427
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum27.07.2017
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3861 Kbytes
Artikel-Nr.3313612
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

4. JANUAR 1933

Ich las zum hundertsten Mal die in sorgfältigen Buchstaben auf eine Weihnachtskarte gemalten Worte.

Fräulein Fanny Meyer

Luxemburger Straße 285b

Köln

Ich musste lächeln und strich vorsichtig mit dem Finger darüber. Beim prüfenden Blick in den Spiegel setzte ich mir den schwarzen Glockenhut aufs rechte Ohr und zupfte auf der linken Seite eine widerspenstige Haarsträhne ins Gesicht. Unwillkürlich streckte ich meinem Spiegelbild die Zunge heraus.

Zu pausbackig, zu kindlich und viel zu wenig interessant!

Noch über eine Stunde Zeit. Trotzdem schlüpfte ich schon in die schwarzen knöchelhohen Stiefeletten mit Kaninchenfell und schnürte sie sorgfältig zu. Es war kalt im Flur. Am Fenster wuchsen Eisblumen in kunstvollen Mustern über die Scheibe.

Ich hauchte fest auf die eisige Scheibe und rieb eine kleine Fläche im Blumenmuster frei, um hinunter auf die Straße gucken zu können. Draußen war es bereits dunkel, nur wenige Menschen gingen am Nachmittag des 4. Januar 1933 ihren Geschäften nach. Dick vermummt eilten sie durch die Kälte, um sich möglichst rasch am heimischen Ofen wohlig ausstrecken zu dürfen.

Die, die daheim einen warmen Ofen hatten.

Massen von Bettlern waren vor Weihnachten überall in den Straßen zu sehen gewesen, endlos lange Schlangen ausgezehrter Gesichter hatten vor den Suppenküchen und Notschlafstellen gestanden. Ich schämte mich oft, dass ich mitunter einfach weggesehen hatte, weil es zu viele waren und weil ich nicht wusste, was man sonst hätte tun können.

»So viel Elend«, hatte Vater gestöhnt, »man weiß nicht, wie das weitergehen soll! Und die Kommunisten mit ihrem Geschrei machen die Sache auch nicht besser.«

Es ist erst der 4. Januar, dachte ich, da sind die Weisen aus dem Morgenland noch unterwegs und müssen Tag und Nacht dem Stern folgen, bis sie übermorgen endlich ankommen.

Ich mag solche uralten Geschichten. Sie lassen diese komplizierte Welt für einen Augenblick etwas übersichtlicher werden. Als wisse jeder von uns, was zu tun ist. Da ist der Stern, in diese Richtung gehen wir â¦ und wir haben die Gewissheit, anzukommen. Eine schöne Vorstellung.

Zwar war Vater gleich am Montag wieder ins Geschäft gegangen, und auch ich musste heute wieder ins Theater, doch die feiertägliche Verschlafenheit wollte noch nicht so schnell aus der Stadt weichen. Gegenüber waren hinter der Fensterscheibe noch weihnachtliche Kerzen angezündet und beleuchteten schwach die dort aufgestellten Krippenfiguren, die sich durch die zuckenden Flammen zu bewegen schienen, als seien sie auf der Wanderung.

Die Elektrische kreischte heran und hielt wenige Meter vom Haus entfernt, allerdings in der falschen Richtung. Ich musste in die Bahn stadtauswärts steigen, und die kam erst in zwanzig Minuten. Die Uhr in der Wohnstube schlug zweimal: halb vier. Um drei viertel wollte ich los. Noch eine Viertelstunde. Wie die Zeit kriecht, wenn man friert und wartet!

Vom Rand her fror die freigeblasene Stelle am Fenster langsam wieder zu. Immer kleiner wurde das Guckloch, und eine neue eisige Blüte begann ihre zarten Blätter über die freie Fläche auszustrecken. Ich band mir den dicken wollenen Schal um und suchte nach Muff und Tasche. Wieder strich ich über die Karte.

Liebste Fanny!

Du wirst Augen machen, wenn Du diesen Gruß bekommst, denn vom 4. bis 6. Januar bin ich in Köln und besuche die Mutter. Was sagst Du? Ich freue mich so, meine liebste beste Fanny bei dieser Gelegenheit wiederzusehen, und möchte unbedingt mit Dir ins Puppenspiel kommen. Hol mich am 4. Januar einfach am Stadtwaldgürtel bei der Mutter ab!

Voller Aufregung und Vorfreude

Deine Frieda

Seit Kindertagen waren wir beste Freundinnen. Unsere Eltern hatten im selben Haus gewohnt, Friedas in der ersten Etage und meine in der zweiten, da, wo wir immer noch leben. Wir Mädchen waren unzertrennlich und teilten alle Geheimnisse.

Frieda hatte dicke blonde Zöpfe und ich braune, an Sonntagen mit großen weißen Schleifen. Frieda trug ein blaues Kleid mit einer roten Schürze und ich ein rotes mit einer blauen. Was die eine hatte, wollte die andere auch. Wir waren wie Zwillinge. Beide hatten wir den ganzen Sommer über das Knie an der gleichen Stelle aufgeschrappt, wie unsere Mütter kopfschüttelnd bemerkten.

Wir besuchten die gleiche Schule, wir schwärmten für denselben jungen Mann, einen Assessor von gegenüber mit vorwitzigem Schnauzbart, der leider an der Spanischen Grippe verstarb. Oder Gott sei Dank, so mussten wir nicht um ihn streiten â¦ Der arme Herr Assessor! Wir waren versessen auf Milchreis mit Zimt und Zucker und banden als junge Mädchen unsere Kopftücher neckisch im Nacken, weil es gerade große Mode war.

Als Frieda im Park des weißen Wasserschlösschens von einer Kreuzotter gebissen wurde, rannte ich zu Tode erschrocken um ihr Leben, um den Vater herbeizuholen, der der schreienden Frieda kurz entschlossen kreuz und quer das Bein aufschnitt und die Wunde aussaugte, um ihr damit das Leben zu retten. Friedas Eltern waren voller Dankbarkeit, obwohl ihre Tochter seither hinkte, weil das Bein nie mehr ganz heil wurde.

»Zum Glück für uns alle hat sie trotzdem einen Mann gekriegt«, hatte Friedas Mutter am Polterabend erleichtert erklärt. Den Helmut, der ein feiner Kerl war, obwohl er nicht viel sprach.

Wir hatten im Krieg gemeinsam gebangt, ob unsere Väter von der Somme zurückkehren würden, und gemeinsam getrauert, als Friedas Papa für immer fortblieb. Mit Begeisterung war auch er fürs Vaterland in den Krieg gezogen, geradewegs ins Giftgas hinein. Ich schob den Gedanken daran, wie er wohl gestorben sein mochte, immer weit von mir. Vater hatte nie ein einziges Wort darüber verloren.

Frieda und ich hatten uns jetzt fast drei Jahre nicht mehr gesehen. Seit Frieda mit Helmut nach Heppenheim gezogen war. Wegen der vielen Arbeitslosen und Kriegsveteranen gingen die Weingeschäfte in Köln immer schlechter.

»Im Baugeschäft müsste man sein«, hatte Friedas Mann Helmut seufzend gesagt, »wo doch die ganzen Kriegsversehrten von ihrer Versehrtenrente Häuser bauen dürfen!« Draußen am Stadtrand gebe es bereits ganze Straßenzüge für die Einbeinigen und welche für die mit nur noch einem Arm. Er habe es mit eigenen Augen gesehen, hatte er erzählt, und dann war er weggezogen mit Frieda. An die Weinstraße.

Und heute ist sie wieder da - als ob sie niemals weg gewesen wäre!, freute ich mich wie eine Königin, wenn ich daran dachte, was ich ihr alles zu erzählen hatte. Ich knöpfte jetzt eilig den schweren Tuchmantel zu, denn es war allerhöchste Zeit, zur Bahn zu gehen.

»Wiedersehen, Mama!«

»Wiedersehen, Kind! Grüß mir die Frau Schröter«, kam es zurück.

Ich eilte die hölzerne Stiege hinab durch das eisige Treppenhaus und schlug die Haustür zu.

Die Luxemburger Straße lag dunkel vor mir, nur schwach von einigen Gaslaternen beleuchtet. Von der Haltestelle aus konnte ich die Mauer des weißen Wasserschlösschens sehen, wo wir Kinder immer im Park gespielt hatten, obwohl es damals noch verboten war. Inzwischen öffnete der Besitzer des »Weißhauses« manchmal die Tore seines Parks und erlaubte eine öffentliche Nutzung. Seit der kleine See zugefroren war, fanden sich alle Kinder des Viertels zum Schlittschuhlaufen ein.

Heute Abend, an einem der letzten Tage der Weihnachtsferien, hatten Erwachsene sogar ein paar Fackeln aufgestellt und drehten mit ihren Kindern eine späte Runde auf dem Eis. Ihr Lachen lag in der Luft, genau wie die schwere Rauchwolke aus zahlreichen Kaminen. Es war windstill. Die Luft wurde nach unten gedrückt, sodass der Rauch unbeweglich an den Schornsteinen kleben blieb wie auf einer Fotografie. Man roch die Feuer, schmeckte die Asche auf der Zunge, und wer ein weißes Hemd trug, fand die Rußspuren schon bald am Kragen.

Die Bahn kam, und ich stieg ein. Der Schaffner zwinkerte mir zu. »Na, Verehrteste, fahren wir heute nicht in die falsche Richtung?«, fragte er.

Ich schüttelte den Kopf und verriet ihm, während er einen Fahrschein für mich abriss, dass ich heute vor der Vorstellung meine Freundin Frieda abholen müsste. Abholen wollte. Abholen durfte! Mein Herz hüpfte, und das Lächeln platzte mir zwischen den Worten immer wieder aus dem eingefrorenen Gesicht. Der Schaffner lächelte freundlich zurück und zapfte mit Daumendruck die Retourpfennige aus seinem Münzwechsler. Noch ehe die Bahn anruckte, hing ich schon wieder meinen Gedanken nach, die wie vergessenes Herbstlaub hinter der Stirn herumsegelten.

Wie schnell wir erwachsen geworden waren, wie nah die Kindheitserinnerungen plötzlich rückten, seit Friedas Karte im Postkasten gelegen hatte. Und dass sie mich inzwischen mit »Verehrteste« ansprachen! Ich musste schon wieder grinsen.

Die Elektrische bog in den Sülzgürtel ein.

Kurz nach der Überquerung der Dürener Straße wurde meine Aufmerksamkeit von einer kleinen Wagenkolonne in Anspruch genommen. Drei vornehme schwarze Wagen hielten direkt hintereinander am rechten Straßenrand.

Die wenigen Fahrgäste in der Bahn drückten sich die Nasen an der Scheibe platt.

»Ist da der Erzbischof?«, fragte eine alte Dame hinter mir und erhielt keine Antwort. An der Kreuzung Aachener Straße/Gürtel musste ich aussteigen und ging zur Tür. Kalte Luft schlug mir von draußen entgegen, als der Schaffner die Tür öffnete.

Die drei Automobile waren von hier aus gut zu sehen. Ihre Chauffeure hatten...
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Marina Barth, Jahrgang 1960, ist Kabarettistin und seit 2001 Chefin des Klüngelpütz-Theaters in Köln. Die Theater- und Buchautorin arbeitet zudem als Regisseurin, Moderatorin und historische Stadtführerin. 2014 schrieb sie ein Stück für das Kölner Hänneschen-Theater und begegnete dort ihrer Protagonistin Fanny Meyer.