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Keinland

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
196 Seiten
Deutsch
Wallstein Verlagerschienen am31.07.2017
»Keinland' ist ein Liebesroman, aber auch ein Roman über Schuld, Erinnerung, Herkunft und Grenzen. Eigentlich hatte Nadja nur ein Interview mit Martin Stern führen wollen, aber von der ersten Sekunde an ist da eine schwer erklärbare Nähe - und eine Fremdheit, die sich auch dann nicht auflöst, als die beiden sich näherkommen. Woher rührt diese Nähe? Und warum ist diese Fremdheit nur so schwer zu überwinden? Nadja sagt ja zu dieser Liebe, an die Martin nicht recht glauben kann. Martin, der als Jude in Frankfurt am Main aufgewachsen ist, Deutschland aber nach der Wiedervereinigung verlassen hat und nach Tel Aviv gezogen ist. Zu vieles liegt zwischen den beiden: biographische Erfahrungen, geographische Entfernung und eine Vergangenheit, die nicht nur mit den eigenen Lebensläufen zu tun hat. Das falsche Land, das richtige, das neue, das heilige - Jana Hensel lotet in kunstvollen Zeitsprüngen und Erinnerungen an Tage in Berlin und Nächte in Tel Aviv, an tiefe Innigkeit und immer wieder scheiternde Gespräche die Grenzen zwischen zwei Liebenden aus. Dabei umkreist sie mit großer sprachlicher Kraft und Intensität unsere Auffassung von Heimat, Geschichte und Schicksal und stellt mit ihren Charakteren die Frage, wie weit die Vergangenheit unser Leben bestimmt.

Jana Hensel, geb. 1976 in Leipzig, Studium der Romanistik und der Neueren Deutschen Literatur in Leipzig, Aix-en-Provence, Berlin und Paris. Als Studentin gab sie die Literaturzeitschrift Edit und gemeinsam mit Thomas Hettche die Internetanthologie »Null' heraus. Ihr Buch »Zonenkinder' über die Erfahrungen ihrer Generation vor und nach dem Mauerfall war ein Bestseller. Seither arbeitet sie als Journalistin, u. a. als stellvertretende Chefredakteurin des Freitag. 2010 gewann sie den Theodor-Wolff-Preis. »Keinland' ist ihr literarisches Debüt.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR20,00
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
EUR15,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR15,99

Produkt

Klappentext»Keinland' ist ein Liebesroman, aber auch ein Roman über Schuld, Erinnerung, Herkunft und Grenzen. Eigentlich hatte Nadja nur ein Interview mit Martin Stern führen wollen, aber von der ersten Sekunde an ist da eine schwer erklärbare Nähe - und eine Fremdheit, die sich auch dann nicht auflöst, als die beiden sich näherkommen. Woher rührt diese Nähe? Und warum ist diese Fremdheit nur so schwer zu überwinden? Nadja sagt ja zu dieser Liebe, an die Martin nicht recht glauben kann. Martin, der als Jude in Frankfurt am Main aufgewachsen ist, Deutschland aber nach der Wiedervereinigung verlassen hat und nach Tel Aviv gezogen ist. Zu vieles liegt zwischen den beiden: biographische Erfahrungen, geographische Entfernung und eine Vergangenheit, die nicht nur mit den eigenen Lebensläufen zu tun hat. Das falsche Land, das richtige, das neue, das heilige - Jana Hensel lotet in kunstvollen Zeitsprüngen und Erinnerungen an Tage in Berlin und Nächte in Tel Aviv, an tiefe Innigkeit und immer wieder scheiternde Gespräche die Grenzen zwischen zwei Liebenden aus. Dabei umkreist sie mit großer sprachlicher Kraft und Intensität unsere Auffassung von Heimat, Geschichte und Schicksal und stellt mit ihren Charakteren die Frage, wie weit die Vergangenheit unser Leben bestimmt.

Jana Hensel, geb. 1976 in Leipzig, Studium der Romanistik und der Neueren Deutschen Literatur in Leipzig, Aix-en-Provence, Berlin und Paris. Als Studentin gab sie die Literaturzeitschrift Edit und gemeinsam mit Thomas Hettche die Internetanthologie »Null' heraus. Ihr Buch »Zonenkinder' über die Erfahrungen ihrer Generation vor und nach dem Mauerfall war ein Bestseller. Seither arbeitet sie als Journalistin, u. a. als stellvertretende Chefredakteurin des Freitag. 2010 gewann sie den Theodor-Wolff-Preis. »Keinland' ist ihr literarisches Debüt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783835341746
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum31.07.2017
Seiten196 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1832 Kbytes
Artikel-Nr.3321017
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
HÖHLEN

Heute Morgen bist du nach Hause geflogen, ich muss da noch tief und fest geschlafen haben. Du bist irgendwann aufgestanden, hast deinen Koffer genommen und bist gegangen. Dein silberner Rollkoffer stand im Flur, gleich neben der Tür. Dort hast du ihn, nachdem du angekommen bist, abgestellt, und dort ist er stehen geblieben. Und ich habe es nicht bemerkt, ich habe noch geschlafen, so wie Menschen in Filmen auch oft schlafen, wenn jemand geht, die Tür ganz leise ins Schloss zieht. Ich habe es erst viel später auf Twitter gesehen, aber da warst du schon nicht mehr da. Wir hatten die halbe Nacht am Küchentisch gesessen und gestritten. Auf dem Küchentisch standen da schon nicht mehr als eine Schale Obst und zwei Gläser. Irgendwann haben wir begonnen, nur noch Wasser zu trinken. Du bist immer wieder aufgestanden und hast uns neues Wasser aus dem Hahn hinter dir geholt. Über München, über den Mann mit dem Schnauzbart, über alles, über nichts. Über unser Nichts. Gar nicht abstrakt, ganz konkret. Dein Nichts. Mit dem Mann mit dem Schnauzbart hatte alles angefangen, nein, mit dem Mann mit dem Schnauzbart hatte alles geendet, hatte das Ende angefangen. Wahrscheinlich. Danach war ich so erschöpft, ich bin irgendwann zum Sofa hinübergegangen und muss dort eingeschlafen sein. Und nun ist Martin fast schon wieder zu Hause, zu Hause in seinem heiligen Land.

Vor dem Einsteigen in Tegel hat er noch schnell ein Foto von der aufgehenden Sonne gemacht. Am unteren Rand des Bildes kann ich noch das Geländer der Gangway sehen. Für manche mag das aussehen wie ein Zeichen der Hoffnung, auf jeden Fall ein neuer Tag, immerhin schönes Wetter. 17 Followern gefällt das, das ist nicht so schlecht, aber mir gefällt es nicht. Das Foto passt nicht zu ihm, so ein Foto kann jeder machen, so ein Foto macht jeder, die aufgehende Sonne passt nicht zu ihm. Oder sollte ich das besser nicht denken? Sollte ich das lieber für mich behalten, weil es immer Hoffnung gibt, immer Hoffnung geben muss. Wenn auch nicht hier, wenn auch nicht jetzt, wenn auch nicht mehr für uns.

Ich hatte die Regeln verletzt, ich hatte unsere Vereinbarung gebrochen. Es war meine Schuld. Aber auch das behalte ich für mich, nein, Martin, ich erzähle niemandem von unserer Vereinbarung. Du kannst mir vertrauen.

Warum?, fragst du.

Aus Gründen der Tarnung, sage ich.

Nein, Nadja, ich will wissen, warum ich dir vertrauen soll.

Weil ich dir doch auch vertraue, Martin. Ganz einfach.

Und weil es besser ist, sich zu tarnen. Das habe ich doch von dir gelernt, das hast du mir doch beigebracht. Die meisten Leute tarnen sich, hast du immer gesagt. Sie führen bestimmt ein glücklicheres Leben als wir.

Es ist schon so spät, ich sollte endlich vom Sofa aufstehen, in die Küche gehen und mir einen Kaffee machen. Draußen scheint die Sonne, sie sieht mild und noch gar nicht nach Sommer aus. Eigentlich hast du immer den Kaffee gemacht. Du hast sogar die Milch aufgeschäumt, ich musste darüber lachen, ich fand das ein bisschen pedantisch. Bis heute Morgen warst du noch da. Warum, um Gottes willen, habe ich nicht gehört, wie du gegangen bist? Ich sollte duschen, mich anziehen und in die Redaktion fahren. Morgen muss doch auch eine Zeitung erscheinen. Als wäre heute ein ganz normaler Tag. Heute ist ein ganz normaler Tag. Auch Giovanni ist unten auf der Straße schon dabei, die Stühle und Tische vor sein Café zu stellen, ich kann die Mütter mit ihren Kinderwagen, die fast jeden Morgen kommen, bis hier hinauf zu mir in den 2. Stock hören. Sie lachen, dann hören sie auf, weil eines der Babys zu schreien beginnt.

Giovanni ist an vielen Tagen der erste Mensch, mit dem ich spreche. Wenn ich aus dem Haus trete, ruft er laut Buongiorno, Nadja! und winkt mir mit weit geöffneten Armen und einem weißen Geschirrtuch zu, so, als wäre ich weit weg, so, als hätte er Angst, ich könne ihn übersehen, obwohl er doch eigentlich direkt vor mir steht. Auch wenn ich manchmal versuche, mich unbemerkt an ihm vorbeizustehlen, weil ich es eilig habe, weil ich nicht reden möchte, dann ruft er noch lauter nach mir. Come stai, bella? Aber so oder so ähnlich begrüßt er fast jeden, der hier wohnt. In diesem Teil ist unsere Straße noch ruhig, erst weiter hinten, wo der Supermarkt liegt, wird sie belebter und irgendwie größer. Dort fahren mehr Autos, dort gibt es Weinläden, Whiskyläden und Bioläden, dort begrüßt man einander nicht so freundlich wie hier bei uns. Giovanni ist wie ein großes Kind, seine schwarzen Haare erinnern mich an dich. Nein, Martin, ich will damit nicht sagen, dass du wie er bist. Du warst doch nie ein Kind. Nur seine schwarzen Haare erinnern mich an dich und seine schwarzen Augen auch.

Giovanni läuft schnell, noch bevor ich ja oder nein sagen kann, zurück in sein Café und hinter den Tresen, über die Schulter ruft er mir noch einmal wie geht es dir, meine Liebe, zu, macht zwei Espressi und geht wie immer davon aus, dass ich mich kurz zu ihm an den Tresen stelle. Das metallene Sieb der Kaffeemaschine knallt laut gegen die Kanten des Mülleimers. Ich mag dieses Geräusch nicht, habe es noch nie gemocht. Heute aber möchte ich mir am liebsten die Ohren zuhalten. Soll ich Giovanni erzählen, dass ich immer auf dich gewartet habe? Vom ersten bis zum letzten Tag. Dass ich weiter auf dich warten werde, auch wenn ich weiß, dass du nicht mehr zu mir zurückkommen wirst. Aber wenn ich warte, bin ich bei dir, wenn ich warte, lässt du mich bei dir sein und vertreibst mich nicht wie ein lästiges Tier. So ist es immer gewesen. Ich habe immer gewartet. Auf deine Nachrichten, deine Anrufe, deine Hände, deine Worte, deine Fragen. Auf deine Wahrheit. Die es von nun an nicht mehr für mich geben wird. Ob Giovanni das versteht? Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich wird er mich nur aus seinen dunklen Augen ansehen und nichts sagen. Und ich werde in diese Augen noch einmal wie in deine sehen.

Lieber ein andermal, Giovanni, eigentlich sehr gern, Giovanni, rufe ich ihm zu. Aber ich muss mich beeilen, ich komme doch schon viel zu spät ins Büro! Giovanni! Ich lache dabei, ich versuche zu lachen, oder nein, ich versuche eigentlich nur, nicht unglücklich auszusehen. Ein wenig zu lachen, zu lächeln, wenigstens.

Ich steige schnell auf mein Fahrrad und fahre an dem kleinen Friedhof, der am Ende unserer Straße liegt und schon lange kein Friedhof mehr ist, rechts vorbei die Straße nach oben und biege links in die Prenzlauer Allee ein. Von hier aus kann ich bis hinunter zum Alexanderplatz und zum Fernsehturm sehen. Früher, denke ich während der Fahrt hinunter nach Mitte oft, war Berlin an dieser Stelle schon zu Ende. Früher hatten hier nur Felder und Friedhöfe gelegen, waren Windmühlen gestanden. Auf alten Ansichten ist das noch zu sehen. Die Stadt sieht darauf weich und kindlich aus, fast schlafend, und ein bisschen so, als läge sie viel weiter im Süden. Aus dem kleinen Friedhof in unserer Straße ist vor ein paar Jahren schon ein Spielplatz geworden, er heißt jetzt Leisepark, und ich bin mir nicht sicher, ob damit die Kinder gemeint sind oder die Toten. Die alten Grabsteine hat man stehen lassen, und die Kinder können nun zwischen den verlassenen Gräbern Vater, Mutter, Kind spielen oder sich Höhlen bauen. Ich sollte umkehren, ich sollte zurückfahren und mich auch in eine der Höhlen legen. Oder besser gleich noch verschwinden. Aber kann man Gräber eigentlich verlassen? Kann man sich eigentlich einfach so aus dem Leben stehlen wie du?

Dabei bist du länger bei mir geblieben, als du wolltest. Viel länger, fast ein ganzes Jahr. Eigentlich wolltest du sofort wieder gehen.

Kommst du wieder zurück zu mir, Martin?

Nein, sagst du.

Ja, sage ich.

So ist es immer gewesen. Von unserem ersten Abend am Strand in Tel Aviv bis heute Morgen. An diesem Abend trug ich das kurze, schwarze Kleid aus Seide und viel zu hohe Schuhe. Du hast immer nein gesagt, und ich habe dir immer mit ja geantwortet. Mit Liebe geht das, habe ich gedacht, mit Liebe geht doch alles, habe ich gesagt und auf den nächsten Tag gewartet. Ich hatte das so bestimmt in irgendwelchen Filmen gesehen, in Liebesfilmen natürlich, mit Happy End natürlich. Ich hatte geglaubt, mein Leben könnte auch so ein Film sein. Aber Liebe reicht nicht immer. Werde ich das nun begreifen? Dass mein Warten nicht reichen wird, wie auch meine Liebe nicht gereicht hat. Verstehen, was wirklich passiert ist, meine ich. Ich weiß, dass Martin denkt, dass die Leute nie begreifen werden, was mit seinen Leuten passiert ist. Was mit ihm noch immer passiert. Auch über diesen Tag hinaus weiter passieren wird.

Hasst du deshalb die meisten Leute so, Martin?

Wie kommst du denn darauf, Nadja?

...

Die meisten Leute sind mir egal. Es geht mir um nichts, es ging mir nur um dich. Du bist nicht wie die Leute.

So haben wir oft geredet. Ja, nein, ja, nein, ja. Meinland, Deinland, Keinland. Vielleicht unser Land. Ein bisschen mehr als nur nichts. Am Telefon, im Auto, in Hotelzimmern, am Strand, im Bett. In Berlin, in Tel Aviv, in München, in Jerusalem. In jeder Stadt der Welt. Für jemanden, der uns nicht kannte, hätte es so aussehen müssen, als wären wir nur selten einer Meinung gewesen, als würden wir die ganze Zeit aneinander vorbeireden. Wir haben oft aneinander vorbeigeredet. Ja, nein, ja, nein, ja. Aber das stimmt...
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Autor

Jana Hensel, geb. 1976 in Leipzig, Studium der Romanistik und der Neueren Deutschen Literatur in Leipzig, Aix-en-Provence, Berlin und Paris. Als Studentin gab sie die Literaturzeitschrift Edit und gemeinsam mit Thomas Hettche die Internetanthologie »Null" heraus. Ihr Buch »Zonenkinder" über die Erfahrungen ihrer Generation vor und nach dem Mauerfall war ein Bestseller. Seither arbeitet sie als Journalistin, u. a. als stellvertretende Chefredakteurin des Freitag. 2010 gewann sie den Theodor-Wolff-Preis.
»Keinland" ist ihr literarisches Debüt.