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Whiteout

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
192 Seiten
Deutsch
mareverlagerschienen am29.08.2017
'Lieber Amundsen, Scott ist tot. Melde dich, Wilson.' Die E-Mail, die Hannas Welt ins Wanken bringt, besteht nur aus einer Zeile und erreicht die Wissenschaftlerin ausgerechnet während einer wichtigen Antarktisexpedition, von der sie neue Erkenntnisse über das Klima der Vergangenheit erwartet. Mit einem Schlag ist die Erinnerung an ihre beste Jugendfreundin Fido wieder da, die vor zwanzig Jahren ohne Erklärung den Kontakt abbrach und damit alle gemeinsamen Zukunftspläne verriet. In der endlosen Weite des Eises lassen die ungeklärten Fragen von damals Hanna immer mehr die Kontrolle verlieren. Als die Spannungen in ihrem kleinen Forscherteam zunehmen und dann auch noch ein Schneesturm den Erfolg ihres Projektes gefährdet, wird die Zeit im Eis endgültig zur Zerreißprobe.

Anne von Canal, geboren 1973, war nach dem Studium der Skandinavistik und Germanistik zehn Jahre lang im Verlagswesen und als Übersetzerin tätig, bevor sie sich selbst dem Schreiben widmete. Sie lebt an Mosel und Elbe. Ihr Roman 'Der Grund' (mare 2014) war ein großer Erfolg bei Publikum und Presse.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR20,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR9,99

Produkt

Klappentext'Lieber Amundsen, Scott ist tot. Melde dich, Wilson.' Die E-Mail, die Hannas Welt ins Wanken bringt, besteht nur aus einer Zeile und erreicht die Wissenschaftlerin ausgerechnet während einer wichtigen Antarktisexpedition, von der sie neue Erkenntnisse über das Klima der Vergangenheit erwartet. Mit einem Schlag ist die Erinnerung an ihre beste Jugendfreundin Fido wieder da, die vor zwanzig Jahren ohne Erklärung den Kontakt abbrach und damit alle gemeinsamen Zukunftspläne verriet. In der endlosen Weite des Eises lassen die ungeklärten Fragen von damals Hanna immer mehr die Kontrolle verlieren. Als die Spannungen in ihrem kleinen Forscherteam zunehmen und dann auch noch ein Schneesturm den Erfolg ihres Projektes gefährdet, wird die Zeit im Eis endgültig zur Zerreißprobe.

Anne von Canal, geboren 1973, war nach dem Studium der Skandinavistik und Germanistik zehn Jahre lang im Verlagswesen und als Übersetzerin tätig, bevor sie sich selbst dem Schreiben widmete. Sie lebt an Mosel und Elbe. Ihr Roman 'Der Grund' (mare 2014) war ein großer Erfolg bei Publikum und Presse.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783866483330
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum29.08.2017
Seiten192 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1133 Kbytes
Artikel-Nr.3322084
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
1

Unser Herz schlägt nicht mehr.

Über der eisigen Weite liegt eine Stille, glatt wie Emaille. Die Zeltwand flattert leise, doch sonst höre ich nichts.

Etwas ist schiefgegangen.

Ich setze mich auf.

Zappa?, will ich rufen. Thomas! Aber ich kann mich nicht überwinden, meine Stimme in dieses außerordentliche Schweigen zu zwingen. Es ist zu groß.

Ich schließe die Augen, um besser hören zu können, aber da ist nichts.

Kein Laut. Kein Puls.

Vielleicht bin ich allein. Zappa, Thomas, Ole, Fränzi - keiner mehr da, das Camp weg, unsere Geräte verschwunden. Oder es ist mein Herz, das nicht mehr schlägt, und ich bin nicht mehr da. Vielleicht ist das die Ewigkeit, und ich bin bloß meine eigene Idee. Es würde mich nicht überraschen.

Hier muss man auf alles gefasst sein.

Ich sollte nachsehen, was passiert ist. Sollte mir einen Überblick verschaffen, feststellen, wo der Fehler liegt. Ob es einen Schaden gibt. Ob der Ausfall die Expedition gefährdet. Müsste mir Gedanken machen, über die möglichen Konsequenzen. Sollte. Müsste. Doch mehr, als meine Augen ziellos über den gelben Himmel zu schicken, der sich über mir spannt, bringe ich nicht fertig. Ich sitze einfach nur da, schaue, lausche. Und spüre, wie die Kälte durch die Nasenlöcher in mich hineinkriecht und langsam meine Gedanken lähmt.

Direkt neben meinem Kopf ist ein kleiner Punkt auf dem Stoff, er ist schon lange dort, ein alter Bekannter, weder schwarz noch weiß. Seltsam eigentlich. Ist das ein Loch? Ich strecke den Zeigefinger aus und fühle darüber. Zum ersten Mal. Tatsächlich, die Sonne hat sich ein Loch gebohrt.

Ein Seufzen ertönt.

Kurz meine ich, es kommt aus meiner Brust, so nah klingt es. Doch dann folgt ein dumpfes Klopfen. Ich halte die Luft an. Mühsam und ein wenig aus dem Takt steigert sich das Pochen, bis wieder der vertraute Rhythmus durchs Camp hämmert.

Als hätte es den Moment der Verlassenheit nie gegeben.

Hanna, bist du da? Hallo? Thomas für Hanna!

Thomas gedämpfte Stimme lässt Luft in mein Vakuum. Ich ziehe mein Funkgerät an der Antenne unter dem Kopfkissen hervor und drücke den Sprechknopf.

Ich höre, sage ich, so routiniert es geht.

Alles in Ordnung?

Was soll ich darauf antworten - Mein Herz schlägt, wir sind alle noch da, vor uns liegt ein arbeitsreicher Tag.

Ja?, sage ich.

Wir hatten eine Panne am Generator. Aber Zappa hat wieder alles im Griff, sagt Thomas.

Gut, sage ich. Das ist gut. Ich dachte schon â¦

Also, dann?

Es klingt wie eine Frage. Ich weiß nicht, wonach, und warte.

Kommst du gleich rüber?, höre ich schließlich.

Ja, klar. Bin schon unterwegs.

Okay. Thomas Ende.

Es knackt und rauscht.

Kraftlos sinke ich zurück auf meine Isomatte. Natürlich bin ich erleichtert. Alles andere wäre eine Lüge.

Seit uns die kleine zweimotorige Maschine vor zwei Tagen mit unseren Materialkisten hier absetzte, wie eine Handvoll Sträflinge in der Wüste, seit wir im Schneewirbel der Propeller standen und dem letzten Stück Heimat winkten, seit das Flugzeug endgültig im Blau verschwand, sind wir völlig auf uns gestellt. Die kurze Beklommenheit, als die Motoren nicht mehr zu hören waren, haben wir schnell weggelacht.

Wir gehören zusammen. Sind ein Außenposten im Grenzbereich des Möglichen. Ein einziger Organismus. Ein kleiner antarktischer Fünfzeller. Und mehr als alles andere brauchen wir unser Herz.

Ich horche nach draußen. Es wummert verlässlich.

Entschlossen öffne ich der Kälte den Schlafsack und ziehe schnell die Thermohose über meine Leggins. Dann die Isostiefel. Den Fleecepulli über mein Merinohemdchen. Jacke. Schal, Mütze, Handschuhe, wie eine Daumenkinofigur. Zum Schluss noch die Sonnenbrille. Nie ohne Sonnenbrille. Dann schlage ich die Zelttür zurück und strecke mich hinaus ins Weiß, Weiß, Weiß.

Nichts hat sich verändert. Die Ebene liegt nackt in der Sonne dahingestreckt, unbescheiden und selbstverständlich, als wäre sie die ganze Welt. Man könnte es glauben. Nichts als Eis, so weit Auge und Möglichkeiten reichen. Terra nullius. Niemands Land.

Das Ausmaß an Ödnis ist atemberaubend, macht mich immer wieder stumm und zugleich seltsam froh. Ich fühle mich sauber. Der Kopf gefegt bis in die Ecken.

Auf dem Weg zum Bohrschacht stehen die Markierungsfähnchen Spalier und verbeugen sich an ihren Bambusstangen im leichten Wind. Ich nicke ihnen zu. Lüfte im Vorbeigehen höflich meine Mütze, der Schnee unter meinen Füßen quietscht trocken wie Styropor.

Guten Morgen, sage ich mit einem angedeuteten Diener, als ich am Rand des Grabens stehen bleibe.

Hey Boss, da bist du ja.

Thomas sieht zu mir herauf. Mit hochgeschobenen Ärmeln und beschlagener Brille steht er in drei Metern Tiefe. Verschwitzt. In seinem Bart hängt zu winzigen Eiszapfen gefrorener Atem. Als wüchse der ganze Mann langsam in die Umgebung hinein.

Den Anfang haben wir schon mal, sagt er. Deutet auf den großen Handbohrer, auf die dunkle Öffnung im Eis, die unser Bohrloch werden soll.

Wo ist Zappa?, frage ich.

Repariert noch irgendwas am Generator. Die Einspritzpumpe hat gestreikt, sagt er. Aber jetzt läuft sie wieder.

Ich atme endgültig auf.

Kaum auszudenken, was ein schwerwiegender Generatorenausfall für unseren Zeitplan bedeuten würde. Schließlich haben wir mit der eigentlichen Arbeit noch gar nicht begonnen.

Thomas steigt die acht glatten Stufen hinauf, die wir gestern ins Eis gesägt haben. Stellt sich neben mich, betrachtet unsere Baustelle, die Arme in die Seiten gestemmt. Zufrieden.

Bestens, sage ich und kann doch nicht umhin, zu fragen: Warum habt ihr mir heute Morgen nicht Bescheid gesagt?

War ja nur eine Kleinigkeit.

Ich weiß. Aber trotzdem â¦

Was rede ich da? Es muss klingen, als würde es mir an Vertrauen oder Selbstbewusstsein fehlen.

War doch nicht zu überhören, die Stille, oder? Thomas grinst. Aus seinem Bart löst sich ein Tropfen.

Du schmilzt, Gletscher, sage ich.

Er wischt sich mit dem Handrücken über den Mund. Apropos schmelzen ⦠Wie wäre es mit Kaffee?

Unbedingt. Und dann klotzen wir ran, damit wir morgen endlich anfangen können, zu bohren.

Bohren. Das Wort allein lässt mein Zwerchfell beben, meine Nerven flattern. Alles in mir will bohren, notfalls mit dem Zahnstocher.

Jahrelange Planung, monatelanges Vorbereiten, wochenlange Anreise von Frankfurt über Kapstadt und Novo Airbase, hierher, an diesen Ort jenseits von Zeit und Zivilisation; tagelanges Graben, Sägen, Bauen und Installieren bis zur Erschöpfung, der Aufbau eines funktionierenden Lebensraums aus dem weißen Nichts - alles, um einen rund dreihundert Meter langen Eiskern bohren zu können. Ein Loch so tief, wie der Eiffelturm hoch ist, das ist der Plan. Das ist unsere Forschung. Darum bin ich hier. Darum sind wir alle hier. Weil wir nichts mehr und dringender wollen, als dem Eis seine Geheimnisse zu entlocken.

Ja, sagt Thomas. Es wird Zeit.

Höchste Zeit, sage ich.

Wir schauen zu, wie ein Schleier aus Wildschnee vor uns in die Luft steigt. Diamond dust. Schwebende Kristalle, in spektraler Kraft funkelnd.

Die gute Nachricht ist, die Zeit bleibt heute stehen, sagt Thomas.

Und tatsächlich.

Heigh-Ho, Heigh-Ho, it s off to work I go.

Eine rote Schaufel über der Schulter marschiert Ole singend in unsere Ahnung von Ewigkeit.

Er wirbelt die Schippe einmal herum wie ein Funkenmariechen seinen Bâton und rammt sie vor sich in den Schnee.

So, sagt er entschieden. Was gibt s zum Frühstück?

Mir fällt so schnell keine Antwort ein.

Du kannst heute wählen zwischen gebratenem Speck, Würstchen und Rührei, sagt Thomas. Zu allem natürlich Toast, hausgemachte Marmelade und frische Südfrüchte.

Klingt göttlich, sagt Ole. Zu dumm, dass ich auf Diät bin! Aber war nicht eben von Kaffee die Rede?

Er wartet nicht ab, was wir dazu sagen, ist schon wieder in Richtung unseres Quartiers davon. Bei jedem zweiten Schritt wirft er seine Fellmütze in die Höhe. Wieder und wieder fliegt die Schapka in die Luft, flattert unbeholfen mit den Ohrenklappen.

Seltsamer Vogel, sagt Thomas.

Ich weiß...
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