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Altstädter Friedhof in Erlangen, 14. Mai, 10 Uhr 30, meine 35. Beerdigung, die zahlreichen Nachkommen streiten am Grab um den Fernsehsessel des 73-Jährigen (eBook)

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
263 Seiten
Deutsch
ars vivendi Verlagerschienen am12.12.2017
Erlangen, 1992: Im Auftrag eines Bestattungsunternehmens jobbt Physikstudent Ferdinand Degenhardt mit seinen Freunden als Beerdigungshelfer. Bald schließt sich die hübsche, geheimnisvolle Tilda der Gruppe an. Sie scheint sich besonders für verstorbene alte Frauen zu interessieren. Geht in Erlangen ein Serienmörder um? Die Polizei interessiert sich nicht sonderlich für die auffallend vielen toten Damen. Ferdinand und Tilda beschließen, auf eigene Faust eine Falle zu stellen ...

Theobald Fuchs, Jahrgang 1969, studierte Germanistik, Mathematik und Physik und promovierte 1998 in Erlangen. Er ist Mitglied der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und Mitgestalter der Veranstaltungsreihe Radio Bernstein in der Galerie Bernsteinzimmer. Seit 1997 schreibt Fuchs Glossen für die Satirezeitschrift Salbader. Später begann er, im Magazin Titanic unter der Rubrik Vom Fachmann für Kenner lustige Miniaturen zu veröffentlichen und Beiträge für die Kolumne Fürther Freiheit in den Fürther Nachrichten zu erdichten. 2014 gewann er den Jurypreis des Fränkischen Krimipreises. 2016 erschien sein erster Kriminalroman Niemand ruht ewig bei ars vivendi.
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Produkt

KlappentextErlangen, 1992: Im Auftrag eines Bestattungsunternehmens jobbt Physikstudent Ferdinand Degenhardt mit seinen Freunden als Beerdigungshelfer. Bald schließt sich die hübsche, geheimnisvolle Tilda der Gruppe an. Sie scheint sich besonders für verstorbene alte Frauen zu interessieren. Geht in Erlangen ein Serienmörder um? Die Polizei interessiert sich nicht sonderlich für die auffallend vielen toten Damen. Ferdinand und Tilda beschließen, auf eigene Faust eine Falle zu stellen ...

Theobald Fuchs, Jahrgang 1969, studierte Germanistik, Mathematik und Physik und promovierte 1998 in Erlangen. Er ist Mitglied der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und Mitgestalter der Veranstaltungsreihe Radio Bernstein in der Galerie Bernsteinzimmer. Seit 1997 schreibt Fuchs Glossen für die Satirezeitschrift Salbader. Später begann er, im Magazin Titanic unter der Rubrik Vom Fachmann für Kenner lustige Miniaturen zu veröffentlichen und Beiträge für die Kolumne Fürther Freiheit in den Fürther Nachrichten zu erdichten. 2014 gewann er den Jurypreis des Fränkischen Krimipreises. 2016 erschien sein erster Kriminalroman Niemand ruht ewig bei ars vivendi.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783869138633
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum12.12.2017
Seiten263 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1640 Kbytes
Artikel-Nr.3363297
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


 

Alt, einsam, vergessen

Da es seit Tagen wie aus Kübeln goss, war allen klar, dass dieser Einsatz kein verspäteter Osterspaziergang werden würde. Im strömenden Regen würden wir über die glitschigen Steine der anderen Gräber hinweg den Sarg bis zur Grube wuchten müssen, die für ihn oder, je nach Betrachtungsweise, für die er bestimmt war. Die Seile würden triefen vor Nässe, unten in dem schlammigen Loch würden Stofffetzen, Holzsplitter und anderes Zeug, dessen Herkunft ich gar nicht so genau kennen wollte, im braunen Wasser schwimmen, und der Pfarrer, den ich schon von anderen Einsätzen hier in Marloffstein kannte, war alles, nur kein Mann der kurzen Rede.

So weit also nichts, worauf ich nicht vorbereitet gewesen wäre. Es war dies immerhin mein zweiunddreißigster Einsatz als Bestattungshelfer. Dass ich jedoch Tilda, die heute erst ihren dritten Auftrag als Blumenmädchen erledigen sollte, fünf Minuten, ehe es losging, dabei erwischte, wie sie sich an der aufgebahrten Leiche der alten Dame zu schaffen machte - das überraschte mich dann schon.

Der Pfarrer, der in seinem Kabuff hinter der Aufbahrungshalle noch eine Zigarette rauchte, sprach mit Hausmayr, dem einzigen festen Mitarbeiter unseres Bestattungsunternehmens, im Plauderton über eine Beerdigung in der Vorwoche, während der ein älterer Herr im Publikum einen Herzinfarkt erlitten hatte.

»Gott sei dank war´n die Sanitäter da. Ich hätt kei zweite Kiste dabeig´habt«, sagte Hausmayr.

»Ein Freund der Familie war es«, ergänzte der Pfarrer. »Ich wäre beinahe zu spät zu meinem nächsten Termin gekommen ...«

»So eine Sach kann echt den ganzen Ablauf durcheinanderbringen«, verkündete Hausmayr eine Erkenntnis, die er den vielen Hundert zurückliegenden Bestattungen seines bisherigen Berufslebens mühsam abgerungen hatte.

Ich raffte mich auf und wandte mich an meinen Chef: »Ich will Sie nicht unterbrechen, aber meinen Sie nicht, wir könnten nun langsam den Deckel zumachen?«

»Ja klar, da schaut etz niemand mehr nei«, sagte Hausmayr.

»Wieder so eine traurige Angelegenheit«, seufzte der Geistliche und blies eine Rauchwolke in die Luft. »Drei Mitbewohner aus dem Heim sind hier, wahrscheinlich die einzigen, die noch laufen können. Ansonsten: keine Angehörigen, nichts, niemand. Ich musste mir die Ansprache komplett aus den Fingern saugen.«

Ich ging derweil nach nebenan, wo der offene Sarg stand, in dem die alte Frau nun lag, kalt und starr in ihrem schwarzen Kleid, einen Rosenkranz zwischen den verschränkten Fingern, und kein Mensch schien sich für sie oder das Leben, das sie ja bis vor Kurzem wie auch immer auf ihre Weise gelebt hatte, zu interessieren. Offenbar niemand außer Tilda.

»Was tust du da?«, fuhr ich sie grob an, wobei ich mich des Flüstertons bediente, den wir alle instinktiv anschlugen, sobald wir uns auf dem Friedhof oder in den Kapellen und Aufbahrungsräumlichkeiten aufhielten.

Mit der größten Verblüffung, derer ich fähig war, sah ich, wie Tilda an dem Leichnam hantierte, wie sie sich ungeschickt abmühte, trotz des steifen Halses der Toten deren grauhaarigen Kopf anzuheben, um irgendetwas im Nacken zu erkennen.

Unsere Aufgabe war es, für einen würdigen und reibungslosen Transport der Verstorbenen aus der Aussegnungshalle hinaus auf den Gottesacker bis zum Grab zu sorgen, das ja trotz allem für jeden Einzelnen von uns irgendwo in der mehr oder weniger fernen Zukunft wartet. An den Verstorbenen herumzufummeln und mit den im Sarg gebetteten Körpern gymnastische Übungen anzustellen, stand definitiv nicht auf unserer To-do-Liste.

Tilda sah mich mit ihren undurchdringlichen blaugrauen Augen an.

»Äh, ich weiß nicht«, sagte sie, »ich dachte mir nur, ich schau mal, nicht dass sie nur scheintot ist oder so ...«

»Was?!«, fauchte ich, denn ich fühlte mich als oberster Sargträger natürlich für den reibungslosen und würdigen Ablauf der Veranstaltung verantwortlich. »Spinnst du?«

»Na ja, es könnte doch sein, dass da einer mit einer Spritze ins Genick gestochen hat.«

»Du bist wohl völlig bekloppt! Raus hier jetzt. Da kommt Henry, wir sind gleich an der Reihe und müssen noch den Deckel festschrauben.«

Zusammen mit mir traten an diesem Tag Georg-Wilhelm, Tobias und der große Henry an. Oben auf dem Marloffsteiner Berg lag links von der Hauptstraße, schon ortsauswärts in Richtung des Wasserturms, ein trauriger Friedhof. Sein unebener Boden bestand aus schwerem Lehm, weshalb auch die Grube, die man freundlicherweise vorbereitet hatte, nicht tiefer als ein Meter fünfzig und mit Wasser vollgelaufen war. Außen um das Grab waren schmierige Holzbohlen ausgelegt. Alles, was für eine traurige Feierlichkeit an einem traurigen Tag eben nötig war. Doch immerhin, als das erbarmenswerte Häuflein schwarz gekleideter Gäste den steilen Weg von der Kirche unten im Dorf zum Friedhof hinaufzockelte, hatte das Wetter ein Einsehen, und es hörte auf zu regnen.

Nur mit einiger Anstrengung schafften wir den Sarg die Treppe vor der Kapelle hinab, den schmalen Pfad entlang, der vom Hauptweg abzweigte, und übers Eck ans Grab. Die Seile reichten von der Länge her zwar zehnmal, aber als wir abgelassen hatten, waren sie über und über mit Schlamm verdreckt. Tobias konnte sein Seil nicht mehr herausziehen, da Henry es ungeschickt geworfen hatte, sodass es verkantete. Georg-Wilhelm schaffte es zwar, seines nach oben zu ziehen, aber es war durchtränkt vom Wasser in der Grube, und gerade während wir uns verbeugten, rutschte es schön langsam wie eine Schlange von dem glitschigen Brett wieder hinab ins Loch. In unserer Verbeugung lag wie immer echtes Mitgefühl, denn keinem von uns war es möglich, ungerührt zu bleiben, wenn ein toter Mensch für immer unter der Erde verschwand. Nicht einmal Hausmayr, der ein Gemüt wie ein Metzgershund hatte, konnte sich der Traurigkeit dieses Augenblicks völlig entziehen. Then off we go and smile, dachte ich, als wir vom Grab zurücktraten. Irgendwie fühlten wir uns immer auch ein wenig wie Rockstars, nur dass niemand klatschte, wenn wir von der Bühne abgingen.

Den schwarz drapierten Wagen, mit dem wir den Sarg das erste Stück gefahren hatten, brachten wir zurück in den Werkzeugschuppen, dann versammelten wir uns draußen an der Friedhofsmauer und warteten auf Tilda, die noch die paar wenigen Blumengestecke auf dem flachen Erdhügel des Aushubs verteilte, den der Friedhofsdiener aufgeschüttet hatte.

Während wir so dastanden, schob die Sonne die Wolken zur Seite und schickte alles, was sie seit heute Morgen an Strahlen aufgespart hatte, herab zur Erde. Ich schloss die Augen und genoss die Wärme auf meinem Gesicht. Dabei gingen mir Tildas seltsame Äußerungen am Sarg der toten Frau durch den Kopf. Eine Spritze im Genick, dachte ich, was für ein Unsinn! Zugleich fiel mir allerdings wieder ein, dass es erst vor Kurzem einen sehr unschönen Vorfall gegeben hatte, bei der Aufbahrung einer uralten Frau, die ganz ähnlich wie hier praktisch ohne Angehörige ihre letzte Reise angetreten hatte. Sehr lebhaft stand mir wieder das Bild vor Augen, wie Hausmayr, der schon den Sargdeckel herbeitrug, plötzlich und im krassen Kontrast zum pietätvollen Ambiente zu schimpfen begann wie ein Kesselflicker. Es gelang uns notdürftig, den rötlich schwarzen Blutfleck, der sich in der letzten Viertelstunde - von uns unbemerkt - ausgebreitet haben musste, vor den Blicken der drei wackeligen Greisinnen, die noch in der letzten Minute Abschied nahmen, zu verbergen, indem wir das weiße Kissen, auf dem der Kopf der Toten lag, einfach umdrehten. Hausmayr hatte sich später nicht mehr dazu geäußert, weswegen ich davon ausging, dass so etwas eben im Bereich des Normalen lag. Denn auch nach fast einem Jahr im Bestattungsgeschäft fühlte ich mich oft noch wie ein Lehrling, der gut daran tat, den Mund zu halten.

»Und, was habt ihr noch so vor?«, fragte Henry und zündete sich eine Zigarette an.

»Ich fahr zurück in die Stadt, muss noch ein paar Präparate fertig machen«, sagte Tobias, der im zehnten Semester Biologie studierte. Seine Leidenschaft war die Botanik, und nicht selten wies er uns auf interessante Gewächse hin, die zwischen den Gräbern gediehen. Es war deshalb auch nicht verwunderlich, dass er innerhalb unserer Clique der Experte für pflanzliche Rauschmittel im Allgemeinen und Cannabis im Speziellen war.

»Ich komme mit dir«, sagte Georg-Wilhelm, der sich, um Spötter zu entwaffnen, mit sozusagen vorauseilender Ironie selber gerne »Der Zweite« nannte. Er studierte Politik und Geschichte mit Schwerpunkt zwanzigstes Jahrhundert, wobei er seit dem Fall des Eisernen Vorhangs vor wenigen Jahren sich intensiv mit den Landstrichen beschäftigte, die ehemals zur k.-u.-k.-Monarchie gehört hatten: Tschechien, Galizien, Slowenien, Siebenbürgen, Ukraine, Kroatien und so weiter - in kürzester Zeit war er schon überall hingereist und hatte abenteuerliche Geschichten mitgebracht.

Hausmayr erschien in der Pforte, gefolgt von Tilda. Er kam zu uns rüber, drückte mir den Umschlag mit dem Lohn für alle in die Hand und verabschiedete sich bis in drei Tagen, wenn wir in Steudach unseren nächsten Einsatz haben würden.

Ich verteilte das Geld: dreißig Mark für jeden Träger, zwanzig für das Blumenmädchen. Trinkgeld hatte es diesmal nicht gegeben, aber auch so war unsere Bezahlung fürstlich für die insgesamt vielleicht vierzig Minuten Arbeit, da konnte auch nicht irgendein anderer Job in der Spedition oder auf der Messe mithalten.

»Und du?«, fragte ich Tilda. »Jetzt, wo das Wetter mit einem Mal so schön ist, sollten wir das...

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Autor

Theobald Fuchs, Jahrgang 1969, studierte Germanistik, Mathematik und Physik und promovierte
1998 in Erlangen. Er ist Mitglied der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und
Mitgestalter der Veranstaltungsreihe Radio Bernstein in der Galerie Bernsteinzimmer. Seit 1997
schreibt Fuchs Glossen für die Satirezeitschrift Salbader. Später begann er, im Magazin Titanic
unter der Rubrik Vom Fachmann für Kenner lustige Miniaturen zu veröffentlichen und Beiträge
für die Kolumne Fürther Freiheit in den Fürther Nachrichten zu erdichten. 2014 gewann
er den Jurypreis des Fränkischen Krimipreises. 2016 erschien sein erster Kriminalroman
Niemand ruht ewig bei ars vivendi.