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Einsame Schwestern

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
180 Seiten
Deutsch
Septime Verlagerschienen am19.02.2018
Die siamesischen Zwillinge Lina und Diana sterben unter mysteri­ösen Umständen. Erst danach erfährt ihr Vater Rostom von deren Existenz, und dann, Seite für Seite, über das Leben seiner Töchter und deren unterschiedliche Persönlichkeiten in ihren ergreifenden Tagebucheinträgen. Die beiden gegensätzlichen Stimmen zeichnen ihre außergewöhnlichen Er­­fahrungen als zwei getrennte Personen auf, die sich einen Körper teilen müssen. Bis ins Teenager-Alter werden die verletzlichen Zwillinge von der Außenwelt verborgen und von der Großmutter umsorgt, die darum kämpft, die beiden in einem verarmten post­sowjetischen Georgien zu beschützen - einer Gesellschaft mit wenig Mitgefühl für Behinderte. Nachdem die Großmutter stirbt, sind Lina und Diana wehrlos und fallen jeder Art von Misshandlung zum Opfer. Sie werden sexuell und psychisch missbraucht, sie werden gezwungen, als Freaks im Zirkus zu arbeiten. Von der Taille abwärts verbunden, bleibt den Schwestern als einziger Rück­zugsort die Welt ihrer Tagebücher: Lina, unbeschwert und glücklich, ist fähig, sich zu verlieben, schreibt Gedichte, hat eine optimistische und romantische Seele und erfreut sich an den kleinen Dingen des Lebens. Diana, angespannt und bodenständig, kann ihre Situation nicht akzeptieren. Nur von der Großmutter unterrichtet und versteckt vor der Außenwelt, erweitern die beiden ihren Wortschatz durch Fernsehsendungen und dem Blättern in Illustrierten. Die daraus entstehende einfache Sprache in ihren Tagebucheinträgen unterstreicht das Bild der Isolation der Zwillinge und macht diesen einzigartigen Roman authentisch.

Ekaterine Togonidze wurde 1981 geboren. 2011 erschien ihre erste literarische Veröffentlichung. Für ihre Arbeiten wurde sie mehrmals ausgezeichnet, zuletzt erhielt sie 2012 den renommierten Saba-Preis. Ekaterine Togonidze war 2013 offizieller Gast der Leipziger Buchmesse, im gleichen Jahr war sie auch Stipendiatin des Literarischen Colloquiums Berlin. Ekaterine Togonidze prägt seit über fünf Jahren Georgiens Literaturlandschaft. Mit ihrem ersten Roman Einsame Schwestern war sie die erste Schriftstellerin, die das Thema 'Körperliche Behinderung' in Georgien literarisch verarbeitete und zur Diskussion brachte.
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Produkt

KlappentextDie siamesischen Zwillinge Lina und Diana sterben unter mysteri­ösen Umständen. Erst danach erfährt ihr Vater Rostom von deren Existenz, und dann, Seite für Seite, über das Leben seiner Töchter und deren unterschiedliche Persönlichkeiten in ihren ergreifenden Tagebucheinträgen. Die beiden gegensätzlichen Stimmen zeichnen ihre außergewöhnlichen Er­­fahrungen als zwei getrennte Personen auf, die sich einen Körper teilen müssen. Bis ins Teenager-Alter werden die verletzlichen Zwillinge von der Außenwelt verborgen und von der Großmutter umsorgt, die darum kämpft, die beiden in einem verarmten post­sowjetischen Georgien zu beschützen - einer Gesellschaft mit wenig Mitgefühl für Behinderte. Nachdem die Großmutter stirbt, sind Lina und Diana wehrlos und fallen jeder Art von Misshandlung zum Opfer. Sie werden sexuell und psychisch missbraucht, sie werden gezwungen, als Freaks im Zirkus zu arbeiten. Von der Taille abwärts verbunden, bleibt den Schwestern als einziger Rück­zugsort die Welt ihrer Tagebücher: Lina, unbeschwert und glücklich, ist fähig, sich zu verlieben, schreibt Gedichte, hat eine optimistische und romantische Seele und erfreut sich an den kleinen Dingen des Lebens. Diana, angespannt und bodenständig, kann ihre Situation nicht akzeptieren. Nur von der Großmutter unterrichtet und versteckt vor der Außenwelt, erweitern die beiden ihren Wortschatz durch Fernsehsendungen und dem Blättern in Illustrierten. Die daraus entstehende einfache Sprache in ihren Tagebucheinträgen unterstreicht das Bild der Isolation der Zwillinge und macht diesen einzigartigen Roman authentisch.

Ekaterine Togonidze wurde 1981 geboren. 2011 erschien ihre erste literarische Veröffentlichung. Für ihre Arbeiten wurde sie mehrmals ausgezeichnet, zuletzt erhielt sie 2012 den renommierten Saba-Preis. Ekaterine Togonidze war 2013 offizieller Gast der Leipziger Buchmesse, im gleichen Jahr war sie auch Stipendiatin des Literarischen Colloquiums Berlin. Ekaterine Togonidze prägt seit über fünf Jahren Georgiens Literaturlandschaft. Mit ihrem ersten Roman Einsame Schwestern war sie die erste Schriftstellerin, die das Thema 'Körperliche Behinderung' in Georgien literarisch verarbeitete und zur Diskussion brachte.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783903061613
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum19.02.2018
Seiten180 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse785 Kbytes
Artikel-Nr.3367504
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

 

 

Teil II

 

 

 

Linas Tagebuch

 

Was für ein Datum haben wir heute bloß?

Papier ⦠Papier ist die Rettung ⦠Ohne Diana werde ich verrückt.

Schreiben beruhigt mich, holt mich zurück ⦠Jetzt muss ich nur noch meine Schwester zurückholen.

Ich bin so glücklich, dass ich etwas zum Schreiben habe! Am Anfang fand ich es peinlich zu fragen, aber dann nahm ich meinen ganzen Mut zusammen ⦠sie brachten mir Papier und einen Kugelschreiber. Dann blieben sie stehen und starrten mich an, in ihrer Gegenwart konnte ich aber nicht schreiben. Diese seltsamen Menschen machen mich müde, immerzu beobachten sie uns, überwachen uns ⦠Sie ziehen uns die Decke ab, manchmal schieben sie sogar unser Nachthemd hoch ⦠Wie schrecklich, wie beschämend ⦠Am liebsten würde ich weinen. Zumindest fürchte ich mich mittlerweile kaum noch.

Sie wundern sich, dass ich schreiben kann. Auch dass wir sprechen können, überrascht sie.

Dabei habe ich das Schreiben fast verlernt, nur mit Mühe setzen sich meine Finger in Bewegung ⦠Ich fühle mich sehr schwach. Wie soll ich mich ohne Diana aber auch fühlen? â¦

Ich lebe in ständiger Angst, dass sie mir meine Notizen wegnehmen. Ich verstecke sie unter dem Bettlaken und drücke nachts kein Auge zu, damit man sie nicht herausholt! Hätten wir bloß eine eigene, nur uns verständliche Sprache, dann würde ich in dieser Sprache schreiben. Außer Diana soll keiner meine Notizen verstehen!

Jetzt ist am wichtigsten, dass sie aufwacht. Wenn sie bloß endlich aufwachen würde â¦

 

xxx

Sogar im Liegen fühle ich, wie schwer sie geworden ist, sie zieht mich regelrecht nach unten. In ihrer Nase stecken irgendwelche Schläuche. Ob das wehtut? Ich frage mich, ob ich sie herausziehen sollte, vielleicht will man ihr damit etwas Böses? Oder genau umgekehrt? Ich bin ratlos â¦

Da ich mich kaum bewegen kann, fällt mir auch das Schreiben schwer. Manchmal scheint Diana nicht mehr zu atmen. In diesen Momenten bleibt mein Herz beinahe stehen! Aber die Leute hier sagen, sie würde aufwachen.

Sie ist bestimmt ganz müde. Armes Schwesterlein ⦠Ich gebe ihr noch ein bisschen Zeit â¦

Das sind also die weißen Kittel aus dem Fernsehen, Frauen, Männer, Frauen, Frauen, Männer ⦠Die Menschen, vor denen uns Großmutter immer gewarnt hat ⦠Aus der Nähe sehen sie ganz anders aus! Mir flimmert es vor den Augen. Meine Ohren dröhnen. Ich will nach Hause.

Als ich wieder zu mir kam und das silberne Blatt nicht mehr um unsere Hüfte hing, bin ich fast durchgedreht, konnte nicht aufhören zu weinen, bis man es mir zurückbrachte. Jetzt liegt es neben meinem Kopf.

Sie sagten, alles sei vom Wasser fortgeschwemmt worden. Das glaube ich nicht.

 

xxx

Ein seltsamer Geruch hier. Als Kinder hatten wir einmal Fieber. Damals roch es überall nach Essig, weil uns Großmutter immer wieder mit nassen Essiglappen einrieb. Das war nicht angenehm, danach fühlte sich alles ganz kalt an ⦠Hier riecht es anders, beißender. Damals schliefen Diana und ich fast gleichzeitig ein und wachten immer zur gleichen Zeit auf. Was ist denn mit ihr los? Warum schläft sie so fest?

Zum ersten Mal bin ich allein. Und das macht mir Angst.

 

xxx

Die Frau mit dem Hämmerchen spricht ganz langsam und betont jede Silbe. Sie hat Lippenstift aufgetragen, an manchen Stellen auch auf die Zähne. Meinen Namen hat sie sich aber nicht gemerkt:

»Liana, fühlst du hier etwas? Und hier? Oder hier, was fühlst du?« Die Schläge mit ihrem Hämmerchen tun nicht weh, nur ab und an zucke ich, ohne es zu wollen, zusammen. Sie schlägt auch auf Diana.

Was soll ich fühlen, wenn sie auf meine Schwester einhämmert? Hier sind alle etwas seltsam.


Ich kann kaum abwarten, bis ich wieder allein bin. Ständig kommt jemand herein und geht gleich wieder oder kommt herein und geht gar nicht ⦠Am Fenster sitzt eine Frau und bewacht uns. Um den Hals trägt sie eine Kette mit einem silbernen Kreuz. Gelegentlich zieht sie das Kreuz hervor und macht damit ihre Fingernägel sauber - zuerst die eine, dann die andere Hand. Das nervt! Heute kam einer sie holen, die Kolleginnen hätten Kuchen mitgebracht, sie sei bestimmt müde, sagte er, dann könne sie gleich mitkommen. Ich freute mich schon, sie würde endlich gehen, aber sie rührte sich nicht und sagte, sie würde fasten.

Ich würde schon ein Stück Kuchen nehmen.

 

xxx

Ich habe gehört, wie sie sagten, dass ich starke Lungen habe. Es sei nur mir zu verdanken, dass wir das Hochwasser überlebt haben. Diana habe das schlammige Flusswasser geschluckt.

Sie soll endlich aufwachen!

Ich muss mich noch bei ihr entschuldigen wegen des Streits um Mamas Foto. In dem Moment war ich wirklich sauer ⦠und fühlte mich gekränkt ⦠Aber jetzt würde ich ihr auf der Stelle verzeihen, Hauptsache, sie ist endlich wieder da! Ohne sie ist alles sinnlos. Auch wenn ich die Macht hätte, etwas zu ändern, würde ich immer bleiben wollen, wie ich bin, die Schwester von Diana, ihre Zwillingsschwester.

 

xxx

Meine Aufzeichnungen sind jetzt schon ganz zerknittert, weil ich sie immer unter das Bettlaken schiebe, aber so sind sie sicher.

Langsam habe ich mich an den Geruch hier gewöhnt, er fällt mir kaum noch auf. Alles ist sauber hier, die Wände strahlend weiß und die Zimmerdecke hoch, ganz oben sieht man ein Spinnennetz. Abgesehen von den Weißkitteln kommt noch eine alte Frau zu mir. Mit einem nassen Lappen wischt sie den Fußboden auf. Bei ihrem Anblick muss ich an unser Haus denken, dort hat es ähnlich gerochen, das finde ich schön. Ich glaube, sie ist eine anständige Frau. Sie putzt, sieht uns an und sagt kein Wort, sie fragt nichts, sondern stöhnt nur wie Großmutter früher. Sie ist besser als die Ärzte. Vielleicht sollte ich sie fragen, was wir heute für einen Tag haben. Damit ich es in mein Tagebuch schreiben kann, so wie damals â¦

Wie gut, dass wir unsere Tagebücher im Baum versteckt haben! Diana ist klug! Hoffentlich bekommen wir die Hefte bald wieder.

Ob Zaza weiß, dass wir hier sind?

 

Am vierzehnten Juni

Das ist also ein Krankenzimmer.

In meinem Kopf dreht sich ein Karussell von Gesichtern mit unterschiedlichsten Stimmen, sie verschwimmen alle miteinander. Manchmal erscheinen mir diese Menschen auch im Traum. Ich bin müde. Ich verstehe nicht, was sie sagen, sie sprechen von »Analyse« und »Kadiogramm« ⦠von »Rötgen« und »Ultraschnall«, lauter Fremdwörter. Nur manche kommen mir bekannt vor.

Unser Bett ist auf Rädern. Man schiebt uns damit durch die Flure. Ich mag das, habe aber auch Angst, denn ich weiß nie, wohin wir gefahren werden und warum â¦

Wenn man uns das Hemd aufknöpft, schmiege ich meine Wange an die von Diana und schließe fest die Augen.

Eigentlich tut das alles nicht weh. Manchmal schmiert man uns etwas Kaltes und Nasses auf die Haut, legt dann einen Telefonhörer darauf und guckt sich irgendwelche schwarz-weiße Schwabbelbilder im Fernsehen an. Wozu ist das gut? Viele Leute stehen um uns herum und reden wild miteinander:

»Seht mal, zwei Herzen, eine Leber, zwei Gallenblasen ⦫ Sie sagen noch mehr, ich kann es mir aber nicht merken ⦠Aufschreiben müsste ich es mir. Außerdem sagen sie: »Eine Harnblase, gemeinsames Becken.«

Wann wacht Diana endlich auf, damit wir weg können? Ich kann nicht mehr liegen! Ich möchte mich aufsetzen, laufen. Die Menschen hier kann ich auch nicht mehr ertragen.

 

 

An diesem Tag musste Rostom nicht zur Arbeit. Er war schon lange wach, bieb aber im Bett liegen und zögerte das Aufstehen hinaus, als könnte er so der Wirklichkeit entkommen, die von Tag zu Tag immer bedrohlicher wirkte. Das Chaos, das auf ihn zurollte, nahm in atemberaubender Geschwindigkeit an Größe und Stärke zu. »Was für Kinder? Wie denn? Ach, hätte ich bloß ein Kind ⦫ Rostom wälzte sich im Bett. »Ich wünschte, ich hätte einen Sohn gehabt und ihn zum Mann, zu einem richtigen Mann erzogen ⦫ Solche Gedanken suchten ihn meistens heim, wenn er betrunken war. Nüchtern zu bleiben fiel ihm ziemlich schwer. Da kam ihm sofort der Schnaps in den Sinn, den er im Schrank aufbewahrte.

»Mein Stammbaum weist keinerlei Defekte auf! In meiner Familie sind alle gesund, alle!«, rief er plötzlich.

»Wie hätte ich solche Kinder zeugen können?« Er setzte sich auf die Bettkante und suchte mit den Füßen nach seinen Pantoffeln. Er rieb sich das Gesicht.

»Hätte ich solche Kinder gezeugt, hätte ich mich gleich umgebracht!«, sagte er entschieden und stand auf.

Die Vorladung zur Staatsanwaltschaft stand auf dem Küchentisch an den Brotkasten gelehnt und nahm ihm den Appetit.

 

 

Linas Tagebuch

 

Am fünfzehnten Juni

Ich würde gerne dort weitermachen, wo ich mit dem Schreiben aufgehört habe, kann mich aber nicht an meine letzten Eintragungen erinnern. Wo war ich denn stehen geblieben? Was habe ich zuletzt geschrieben? Auch die Gedichte weiß ich nicht mehr. Wie viele waren es? Zwei? Drei?

Unsere Großmutter ist gestorben, das weiß ich noch. Und danach geriet alles durcheinander â¦

Hochwasser kenne ich nur aus dem Fernsehen. Das, was uns geschah, war anders. Als wären wir geschrumpft und in die Schüssel gefallen, in die ich früher den Kopf getaucht habe. Oder als wäre die auf einmal...
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Autor

Ekaterine Togonidze wurde 1981 geboren. 2011 erschien ihre erste literarische Veröffentlichung. Für ihre Arbeiten wurde sie mehrmals ausgezeichnet, zuletzt erhielt sie 2012 den renommierten Saba-Preis. Ekaterine Togonidze war 2013 offizieller Gast der Leipziger Buchmesse, im gleichen Jahr war sie auch Stipendiatin des Literarischen Colloquiums Berlin.
Ekaterine Togonidze prägt seit über fünf Jahren Georgiens Literaturlandschaft. Mit ihrem ersten Roman Einsame Schwestern war sie die erste Schriftstellerin, die das Thema "Körperliche Behinderung" in Georgien literarisch verarbeitete und zur Diskussion brachte.
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Togonidze, Ekaterine
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Osepashvili, Nino
Übersetzung