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Die Tankstelle von Courcelles

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Edition Nautiluserschienen am05.03.2018
Ohayons erster Fall - Matthias Wittekindts neuer Kriminalroman ist das Prequel zu seinen hochgelobten Fleurville-Krimis. Die Vogesen in den 1970er Jahren: grün, friedlich, ein wenig am Rand von allem. Hier wächst abgeschieden eine Gruppe von Kindern zu Jugendlichen heran, die mehr oder weniger subtile Rangkämpfe ausfechten. Als Lou, die nachts an der Tankstelle jobbt, Zeugin eines Verbrechens wird, ändert sich alles: ein erschossener Fahrer neben seinem Auto, ein verwaister Lieferwagen, aus dem Spender gerissene Papiertücher, als hätte jemand dort etwas gesucht - was ist passiert? Der junge, schlanke und vollkommen unerfahrene Ohayon versucht, hinter die Selbstdarstellungen der Jugendlichen zu schauen. War Lou wirklich nur Zeugin? Oder hat sie die Gunst der Stunde zu einer Tat genutzt, deren Folgen sie nicht absehen konnte? In seiner unnachahmlichen Erzählweise umkreist Wittekindt seine Figuren, rückt immer näher an sie heran, zeigt sie von allen Seiten. Ob Freund, Lehrer oder Ermittler - allmählich scheint niemand mehr ohne Schuld zu sein. 'Die Tankstelle von Courcelles' ist ein Kriminal- und Entwicklungsroman, in dem ein Verbrechen ein ganzes Leben, bis in die Kindheit zurück, in neuem Licht erscheinen lässt.

Matthias Wittekindt wurde 1958 in Bonn geboren. Nach dem Studium der Architektur und Religionsphilosophie arbeitete er in Berlin und London als Architekt. Es folgten einige Jahre als Theaterregisseur. Seit 2000 ist er als freier Autor tätig, schreibt u.a. Radio-Tatorte für den NDR. Für seine Hörspiele, Fernseh-Dokumentationen und Theaterstücke wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. 2004 erschien sein Romandebut 'Sog' (Eichborn), bei Nautilus hat er die Kriminalromane 'Schneeschwestern' (2011), 'Marmormänner' (2013), 'Ein Licht im Zimmer' (2014), 'Der Unfall in der Rue Bisson' (2016) und 'Die Tankstelle von Courcelles' (2018) veröffentlicht. Für 'Marmormänner' wurde Matthias Wittekindt mit dem 3. Platz des Deutschen Krimipreises 2014 ausgezeichnet.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR16,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR13,99

Produkt

KlappentextOhayons erster Fall - Matthias Wittekindts neuer Kriminalroman ist das Prequel zu seinen hochgelobten Fleurville-Krimis. Die Vogesen in den 1970er Jahren: grün, friedlich, ein wenig am Rand von allem. Hier wächst abgeschieden eine Gruppe von Kindern zu Jugendlichen heran, die mehr oder weniger subtile Rangkämpfe ausfechten. Als Lou, die nachts an der Tankstelle jobbt, Zeugin eines Verbrechens wird, ändert sich alles: ein erschossener Fahrer neben seinem Auto, ein verwaister Lieferwagen, aus dem Spender gerissene Papiertücher, als hätte jemand dort etwas gesucht - was ist passiert? Der junge, schlanke und vollkommen unerfahrene Ohayon versucht, hinter die Selbstdarstellungen der Jugendlichen zu schauen. War Lou wirklich nur Zeugin? Oder hat sie die Gunst der Stunde zu einer Tat genutzt, deren Folgen sie nicht absehen konnte? In seiner unnachahmlichen Erzählweise umkreist Wittekindt seine Figuren, rückt immer näher an sie heran, zeigt sie von allen Seiten. Ob Freund, Lehrer oder Ermittler - allmählich scheint niemand mehr ohne Schuld zu sein. 'Die Tankstelle von Courcelles' ist ein Kriminal- und Entwicklungsroman, in dem ein Verbrechen ein ganzes Leben, bis in die Kindheit zurück, in neuem Licht erscheinen lässt.

Matthias Wittekindt wurde 1958 in Bonn geboren. Nach dem Studium der Architektur und Religionsphilosophie arbeitete er in Berlin und London als Architekt. Es folgten einige Jahre als Theaterregisseur. Seit 2000 ist er als freier Autor tätig, schreibt u.a. Radio-Tatorte für den NDR. Für seine Hörspiele, Fernseh-Dokumentationen und Theaterstücke wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. 2004 erschien sein Romandebut 'Sog' (Eichborn), bei Nautilus hat er die Kriminalromane 'Schneeschwestern' (2011), 'Marmormänner' (2013), 'Ein Licht im Zimmer' (2014), 'Der Unfall in der Rue Bisson' (2016) und 'Die Tankstelle von Courcelles' (2018) veröffentlicht. Für 'Marmormänner' wurde Matthias Wittekindt mit dem 3. Platz des Deutschen Krimipreises 2014 ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783960540717
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum05.03.2018
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse884 Kbytes
Artikel-Nr.3371510
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Lou

Dünne Beine sind für ein Mädchen kein Grund, sich geschlagen zu geben. Vor allem dann nicht, wenn das Mädchen erst neun Jahre alt ist und noch nie über seine dünnen Beine nachgedacht hat.

So war Lou ein paar Jahre vor den blutigen Ereignissen an der Tankstelle von Courcelles einfach nur ein klapprig dürres Kind, das ein hellgrünes Fahrrad mit einem ebenfalls klapprigen Gepäckträger besaß. Ihr erster richtiger Freund - so nannte sie ihn - war so alt wie sie.

»Wie heißt du?«

»Fabien, ich wohne oben in der Rue Bonaparte.«

»Tolles Fahrrad, wie viele Gänge?«

»Fünf.«

Fünf Gänge, das war 1978 ganz gut für ein Fahrrad, das von Lou hatte nur drei. Die brauchte es auch, denn die wenigsten Wege in Courcelles sind eben, und Lou liebte es, sich und ihr Fahrrad mit hochrotem Kopf und brennenden Augen über steilste Waldwege und Trampelpfade auf den Berg hinter der Stadt hochzuquälen, um sich dann in halsbrecherischem Tempo â¦

»Hör auf, Mama, ich falle nicht. Außerdem ist es mein Fahrrad.«

Da hatte sie vollkommen recht, sie stürzte nie. Und wenn es mal passierte, waren es höchstens ein paar Schrammen oder eine Beule am Kopf. Nur einmal war es schlimmer, da konnte Lou eine Woche lang ihren Kopf nicht mehr drehen. Zum Glück merkte es niemand, und davon abgesehen machte man in Courcelles auch nicht aus jedem Wehwehchen gleich eine große Sache. Man nahm auch an, schwere Verbrechen würden woanders geschehen.

Schon bald beherrschte Lou ihr Fahrrad, als wäre es ein Teil von ihr. Selbst engste Kurven nahm sie wie eine Rennfahrerin. So wie sie wagte das niemand. Außer Fabien, der allerdings immer aufs Neue stimuliert werden musste.

»Jetzt trau dich doch mal richtig, dann bist du auch schneller.«

Fabien hatte Übergewicht und die Angewohnheit, stets durch den offenen Mund zu atmen. Überhaupt schloss er den Mund nur selten, was ihn dümmer aussehen ließ, als er war.

»Einfach runter, Fabien. Richtig treten. Und nie auf die Bremse.«

War das bereits ein Hinweis auf Stärke? Hatte Lou schon damals mehr Mut, mehr innere Kraft als andere, übte sie sich auf diese Weise darin, über Widerstände, gleich welcher Art, hinwegzugehen?

»Und was machen wir jetzt?«

»Dir fällt auch nie was ein, Fabien. Du bist richtig dumm.«

»Ja, aber was machen wir jetzt?«

»Wir könnten den Berg noch mal runterfahren.«

Auch mit zehn wusste Lou noch nichts von der Verantwortung, die es bedeutet, ein Leben zu führen, sie jagte einfach auf ihrem laut klappernden Fahrrad herum, und nicht selten sagten dann irgendwelche Alten hinter einer Buchsbaumhecke, ohne sie überhaupt zu sehen: »Das ist die Kleine von den Bateliers.«

Nie zog sie die Schrauben ihres Gepäckträgers an, immer war anderes wichtiger. In dieser Weise, also klappernd, klapperte Lou nach und nach die nähere Umgebung von Courcelles ab, sah Störche, ein verbrauchtes, abgemagertes Pferd und die alte Mühle, oben am rauschenden Bach.

Der kleine Ort, in dem Lou 1969 geboren wurde, liegt am Fuß eines langgestreckten steilen Walls, einer Riesenwelle ähnlich, den manche großmütig als Vorgebirge der Vogesen bezeichnen. Wegen dieser mit hohen Buchen bestandenen Welle, die sich 120 Meter über den Ort erhebt, heißt die Stadt Courcelles-la-Montagne. Doch niemand hier benutzt diese Bezeichnung.

Und vor der Welle? Wenn man nach Süden blickt, was ist da? Nun, ein Tag, wie er charakteristisch ist für die Gegend, für die Jahreszeit.

Der nächtliche Regen hat gegen drei Uhr morgens aufgehört. Um kurz nach vier dämmert es, und man weiß, der Asphalt, der wird heute weich werden. Noch ist es nicht so weit, noch hocken sie. Auf den Ästen der Bäume. Regungslos. Vögel. Ihr schwarzes Gefieder, in den kühlen Böen des Morgenwinds gesträubt, schluckt alles Licht.

Hinter ihnen, so weit das Auge blickt, dehnt sich das Land in schattig grünen Wellen. In dieser Struktur zeichnen sich auf den Wölbungen der Hügel bereits erste tiefviolette, teils roséfarbene Flecken ab, die an der Linie eines geschwungenen Horizonts mit den noch unbestimmten Farben des Himmels verschmelzen. Dazu schlanke Pappeln um einzelne Gehöfte herum. Vieh. Noch trüb und träge. Das ist die Ebene vor dem Wall, der Courcelles im Sommer bereits ab 15 Uhr beschattet. Die Ebene, die Vielfalt der Farben, das alles müsste viel genauer beschrieben werden, um einen Eindruck zu geben, denn es ist ja so: Erst auf dem Gipfel des Besonderen zeigt sich das Allgemeine. Das gilt wohl auch für Gesellschaften.

Nun aber der Tag. Die Stunden vergingen, die Temperatur stieg. Und am Nachmittag erklärte Lou, rot und verschwitzt: »Ja, Fabien, du bist schneller geworden, aber du bremst immer noch in der Knüppelkurve. Warum?«

Er antwortete so hastig, als hätte er auf die Frage gewartet: »Weil ich da am meisten Angst habe.«

»Wovor?«

»Dass ich wegrutsche und falle und sterbe, es geht da fünf Meter runter.«

Lou hatte nie über diese Gefahr nachgedacht, und warum die Schlucht Wolfsschlucht hieß, wusste nicht mal ihre Lehrerin. Jedenfalls war da ein baumfreier Kratzer, und dank dieses Kratzers, der von Weitem aussah, als hätte eine riesige Kreatur mit langen Fingernägeln einmal mit ihrem Zeigefinger am Berg runtergeratscht, konnte man von der Knüppelkurve aus den östlichen Ortsausgang von Courcelles sehen, den Bereich, in dem die Lagerhäuser der Spedition Larousse standen. Auf der anderen Straßenseite erkannte man sogar noch die spurdurchzogenen Stellplätze. Manchmal parkten dort dreißig LKWs und manchmal nur drei.

»Trau dich, Fabien! Du hast eine 5-Gang-Schaltung. Wenn du es schaffst, in der Knüppelkurve nicht zu bremsen, bist du schneller als ich.«

»Ich hab aber Angst.«

»Los! Ohne Angst.«

Courcelles könnte schön sein. Einige Häuser jedenfalls bieten einen Anblick, den Touristen für gewöhnlich als ästhetisch und passend empfinden, da die uralten Behausungen aus dem Gestein des Bergs bestehen, ihm sozusagen entrissen wurden. In der Kirche steht eine kostbare Figurengruppe aus dem vierzehnten Jahrhundert, die zeigt die Anbetung der Heiligen Jungfrau durch die Hirten und Tiere. Lou hat dieses Meisterstück eines Unbekannten oft betrachtet, denn ihre Tante war eine eifrige Kirchgängerin.

So schlicht, so bunt, so klar. Das Kunstwerk mit der Jungfrau, den wüsten Männern und den wilden Tieren hatte ihr anfangs mehr Angst gemacht als das Bild des Gekreuzigten, das mit dem brennenden Busch oder das mit den Schädeln, den Scheiterhaufen, den prasselnden Heuschrecken, der Flutwelle oder dem Kopf auf dem Tablett. Trotzdem blieb sie stets so lange vor der Figurengruppe stehen, dass ihre Tante sie rufen musste, nachdem sie die Kerze für ihren Vater Emile entzündet und gebetet hatte.

Turmfalken umkreisen den Kirchturm, sie gehören noch heute ins Bild.

Leider wurde die Kirche wie die meisten Gebäude in Courcelles irgendwann verputzt und in falschen Farben gestrichen. Überhaupt, die Farben: Purpur, Gold, Grün bis ins Graue hinunter, zwischendrin ein von innen heraus leuchtendes, beinahe kristallines Rosa, schnell vernichtet von einem alles überstrahlenden Weiß, irisierend, schimmernd und in Wirbeln flimmernd über den Maisfeldern, tief unten in der Ebene, auf die Lou ihren Blick damals richtete. Diese Farben sind alle falsch, übersteigert bis an die Grenze zum Aggressiven, unter dem Licht einer Sonne, die alle Konturen verflacht, Linien auflöst und selbst Vögel, Kühe und Schweine zu Boden drückt. Aber morgens! Und erst recht abends. Da kommen die Farben und Konturen zurück, da erheben sich die Tiere, und die Kühe legen ihre Köpfe weit in den Nacken. Das Spiel dauert nur zehn, fünfzehn Minuten. Lou fuhr oft auf den Berg, um diese Verwandlung der Welt zu betrachten.

Aber was sah sie? Was empfand sie? Hat ein Kind wie Lou schon ein Gefühl für Zeit? Für Abstraktion? Für Verantwortung und Mitleid? Hatte man ihr das bereits beigebracht? Oder dachten ihre Eltern: Lassen wir ihr ein paar schöne Jahre, schließlich ist sie ein Mädchen.

»Was ist los, Fabien? Warum weinst du?«

»Ich wäre fast in die Wolfsschlucht gestürzt. Dann wär ich jetzt tot!«

»Du hast ein besseres Fahrrad als ich und schaffst es trotzdem nicht?«

Ein Ast bewegte sich, ein Lichtstrahl fiel auf sein knallrotes Fahrrad.

»Pass auf, Fabien, wir tauschen die Räder. Du gibst mir deins und ich gebe dir...
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Matthias Wittekindt wurde 1958 in Bonn geboren. Nach dem Studium der Architektur und Religionsphilosophie arbeitete er in Berlin und London als Architekt. Es folgten einige Jahre als Theaterregisseur. Seit 2000 ist er als freier Autor tätig, schreibt u.a. Radio-Tatorte für den NDR. Für seine Hörspiele, Fernseh-Dokumentationen und Theaterstücke wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
2004 erschien sein Romandebut "Sog" (Eichborn), bei Nautilus hat er die Kriminalromane "Schneeschwestern" (2011), "Marmormänner" (2013), "Ein Licht im Zimmer" (2014), "Der Unfall in der Rue Bisson" (2016) und "Die Tankstelle von Courcelles" (2018) veröffentlicht.
Für "Marmormänner" wurde Matthias Wittekindt mit dem 3. Platz des Deutschen Krimipreises 2014 ausgezeichnet.

Bei diesen Artikeln hat der Autor auch mitgewirkt