Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
316 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am23.03.20181. Auflage
Ausgerechnet in einem Antiquariat in New Jersey stößt ein russischer Bücherfreund auf ein zweiteiliges Manuskript in seiner Muttersprache. Der seltsame Fund entpuppt sich als atemberaubendes Bekenntnis: Ein Mann, der sich K. nennt, erzählt die Geschichte seiner verhängnisvollen Liebe. Sie beginnt in einem Sommer im Herzen der Ukraine, als K. erst elf Jahre alt ist. Dem Jungen erscheint nachts eine Frau in Weiß. Sein Großvater schweigt sich über den Spuk aus, doch hört K. im Dorf allerlei Gerüchte und Legenden, die auf ein dunkles Familiengeheimnis verweisen. Später begegnet er am Ufer des Flusses einem verführerischen jungen Mädchen: Tonja. Jede Nacht rudert K. mit dem Mädchen auf den Fluss hinaus, ohne das Rätsel ihrer Herkunft ergründen zu können. K.s Gesundheit verfällt immer mehr, seine Eltern holen ihn zurück nach Moskau, die Ferien sind zu Ende. Von da an wird K. zum Getriebenen, ein Leben lang. Er kann das Mädchen einfach nicht vergessen, flüchtet sich in die Welt der Bücher, während um ihn herum Verwandte und Freunde sterben und eine ganze Gesellschaft zerfällt - das Ende der Sowjetunion naht. Auf der Jagd nach Tonja reist K. zwischen Moskau und Kiew hin und her, findet sie, verliert sie wieder, seine Liebe nimmt immer bedrohlichere Züge an. Schließlich verfolgt er Tonjas Spur bis nach Amerika. Als sie einander in Florida wiedersehen, lässt sich die Enthüllung des schrecklichen Geheimnisses nicht länger aufschieben ...

Oleg Postnow, 1962 in Nowosibirsk geboren, ist Professor für Philologie, Übersetzer und Schriftsteller. Für seine literarische Prosa wurde er bereits mehrfach ausgezeichnet.
mehr

Produkt

KlappentextAusgerechnet in einem Antiquariat in New Jersey stößt ein russischer Bücherfreund auf ein zweiteiliges Manuskript in seiner Muttersprache. Der seltsame Fund entpuppt sich als atemberaubendes Bekenntnis: Ein Mann, der sich K. nennt, erzählt die Geschichte seiner verhängnisvollen Liebe. Sie beginnt in einem Sommer im Herzen der Ukraine, als K. erst elf Jahre alt ist. Dem Jungen erscheint nachts eine Frau in Weiß. Sein Großvater schweigt sich über den Spuk aus, doch hört K. im Dorf allerlei Gerüchte und Legenden, die auf ein dunkles Familiengeheimnis verweisen. Später begegnet er am Ufer des Flusses einem verführerischen jungen Mädchen: Tonja. Jede Nacht rudert K. mit dem Mädchen auf den Fluss hinaus, ohne das Rätsel ihrer Herkunft ergründen zu können. K.s Gesundheit verfällt immer mehr, seine Eltern holen ihn zurück nach Moskau, die Ferien sind zu Ende. Von da an wird K. zum Getriebenen, ein Leben lang. Er kann das Mädchen einfach nicht vergessen, flüchtet sich in die Welt der Bücher, während um ihn herum Verwandte und Freunde sterben und eine ganze Gesellschaft zerfällt - das Ende der Sowjetunion naht. Auf der Jagd nach Tonja reist K. zwischen Moskau und Kiew hin und her, findet sie, verliert sie wieder, seine Liebe nimmt immer bedrohlichere Züge an. Schließlich verfolgt er Tonjas Spur bis nach Amerika. Als sie einander in Florida wiedersehen, lässt sich die Enthüllung des schrecklichen Geheimnisses nicht länger aufschieben ...

Oleg Postnow, 1962 in Nowosibirsk geboren, ist Professor für Philologie, Übersetzer und Schriftsteller. Für seine literarische Prosa wurde er bereits mehrfach ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783688109708
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum23.03.2018
Auflage1. Auflage
Seiten316 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse905 Kbytes
Artikel-Nr.3383038
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

VI

Lukes Café war leer - nur ein Besucher mit Schläfenlocken wie der Ladeninhaber blätterte in der Ecke behutsam in einem Folianten. Luke freute sich über mich, beinahe noch mehr als sonst. «Aha, Mister, mal sehen», sagte er, wobei er geheimnisvoll tat und mir zuzwinkerte, «ob das, was ich hier für Sie habe, nach Ihrem Geschmack ist.» Gewandt wie ein Zirkusartist (ein Klischee aus dem Handel, nicht aus der Literatur), zog er ein Buch unter dem Ladentisch hervor und reichte es mir. Es war Ambrose Bierce, ein Sammelband mit Gedichten und Erzählungen. Nach der schlaflosen Nacht wäre mir eine Tasse Kaffee ehrlich gesagt lieber gewesen. Aber ich tat natürlich, als freute ich mich.

In Wahrheit hegte ich nie eine Leidenschaft für Autoren wie Lovecraft, Bierce oder Howard. Ihre Schrecken erschienen mir immer allzu künstlich, um mehr zu sein als bloße Staffage. Hamlet senior beispielsweise - wenn man denn nach Vergleichen sucht - ist weit schauerlicher als sie, und auch Tolstois Vampir ist vollblütiger als ihre blassen phantastischen Figuren, hinter denen, so genau man auch hinschaut, nichts Reales hervorschimmert. Ganz anders bei Poe. Nicht umsonst scherzte er in seinen langweiligsten Erzählungen immer wieder: eine klägliche Grimasse, hinter der sich die Wahrheit kaum verbergen lässt. Aber dank Luke - er hatte sich irgendwann einmal beiläufig nach dem genauen Ziel meiner Fahrten nach New York erkundigt - und auch wegen der Vorliebe unseres Verlages, der im Übrigen immer den Geschmack des Marktes bediente, hatte sich bei mir zu Hause eine ganze Bibliothek derartiger Bücher angesammelt. Für Amerika konnte sie wohl als recht solide gelten. Aber russische Emigranten neigen eben wie Brandopfer generell dazu, jeglichen Kram aufzuheben. Hin und wieder, wenn ich vorm Einschlafen in dem einen oder anderen Buch blättere, entdecke ich (als Spezialist bei einem Dilettanten) einen geschickten Zug, einen Rhythmus, sogar eine Beschreibung von Gefühlen, die mir allzu vertraut, dem Autor selbst aber vermutlich fremd sind. Bierce allerdings mag einiges selbst erlebt haben. Was Lovecraft angeht, so beruht sein literarischer Erfolg auf einem Kunstgriff, der seinen ganzen Stil ausmacht - einem Trick, den anschließend eine ganze Meute von Vertretern dieses Genres übernahm, der aber selbst dann nicht die spielerische Fähigkeit einbüßte, das Vage jedes Albtraums vor dem Hintergrund der öden Tagesangelegenheiten zu erfassen. «Es (das Geständnis) war unfassbar», schreibt Lovecraft, «aber ich glaubte ihm sofort unbesehen. Ich weiß nicht, ob ich ihm jetzt noch glaube» - so die Formel dieses Kunstgriffs. Wir wollen ihn «Enduastos» (Zweifel) nennen und uns merken.

Ira kam am Morgen. Ich erwachte sofort - sie klopfte an die Tür -, aber es war schon zu spät. Ich lief zur Tür, meine Füße tappten auf dem Boden. Es belustigte sie, dass ich nur ein Nachthemd trug, keine Hosen: «Wie ein Mädchen!» Das ganze Haus war sogleich erfüllt von ihr. Sie zog im Wohnzimmer die Vorhänge auf, die Sonne vergoldete den Staub unterm Tisch, Großvater eilte von der animal farm (dem Hühnerhof) herbei, und ich versuchte zu begreifen, ob das, was ich in der Nacht erlebt hatte, wirklich geschehen war.

«Du hast allein geschlafen? Im Haus?», fragte Ira plötzlich und bedachte mich mit einem seltsamen Blick. Wir traten in den Flur hinaus. Der kupferne Stiefelknecht reckte seine dicken Fühler aus dem Schuhregal hervor. Der Enduastos ließ mich erröten. Ich blickte schräg nach unten, auf den Stiefelknecht. Großvater kam herein und ersparte mir die Antwort. Ira und er küssten sich flüchtig. Schon fünf Minuten später war er finster und knurrte vor sich hin, gefasst auf Iras Streiche und unzufrieden, weil sie allein, ohne zu fragen, den Frühstückstisch gedeckt hatte und dabei im Garten so viel Grünzeug gepflückt hatte, wie ihr in die Hände geraten war - übrigens zu Recht, denn wir aßen umgehend alles auf, vom Knoblauch bis zum Salat, und Rührei, auf ukrainische Art mit Speck gebraten. Es war ein heißer, regloser Tag. Ira ging zum Fluss rauchen. Ich trottete hinterher, gepeinigt von Zweifeln, die nicht nachließen, wenngleich ich zweifelsfrei wusste (wogegen ich aber innerlich zu rebellieren versuchte), dass das kein Traum gewesen war. Doch wirkte es ebenso befremdlich zu wissen, dass das wirklich war.

Es war eine uralte Geschichte. Soweit ich mich erinnere, fürchtete ich mich nie vor der Dunkelheit. Anders als Herrn Galandos Neffe bei de Régnier empfand ich abends in meinem Zimmer keine Angst. Zudem war das Schlafzimmer, in dem ich die Nacht verbracht hatte, der mir am meisten vertraute Raum in Großvaters Haus. Dennoch hingen gerade damit vage Gerüchte in unserer Familie zusammen. Ich hatte sie zuvor schon oft gehört, ihnen aber keinerlei Beachtung geschenkt, sodass ich mich nun mühsam zu erinnern versuchte, was genau erzählt wurde, dieweil ich Ira - vielleicht wegen ihrer allzu wachen Neugier - nicht fragen konnte. Das Boot schaukelte an der Leine. Ich setzte mich ans Heck und beobachtete die Paarung zweier Fliegen. In meinem Kopf lichtete sich allmählich etwas.

Ich wusste, dass meine Mutter genau wie ich von Kindheit an in diesem Zimmer gewohnt hatte. Die Liege, eine andere als jetzt, aber ebenfalls groß, hatte auch damals an derselben Stelle gestanden (genau gegenüber der Couch). Darauf schlief die Mutter zusammen mit ihrer Schwester, meiner Tante, Iras Mutter. Die Sitten des Dorfes trennten die Kinder nachts nicht. Worüber sie vorm Einschlafen tuschelten, weiß der Himmel, aber ich denke, von ihrer Schwester hörte meine Mutter zum ersten Mal, dass es im Haus ein Spukgespenst, eine Mara gab. Die Schwester war älter als meine Mutter. Eines Tages musste sie nach Kiew fahren. In dieser Nacht hörte Großvater meine Mutter schreien, lief zu ihr und fand sie mit dem Kopf unterm Kissen. Zitternd und weinend, wie es sich für ein junges Mädchen gehört, erzählte sie, dass sie im Dunkeln ein Gespenst gesehen habe. Großvater lachte sie aus, verstummte jedoch, als von einer großen Frau in einem weißen Kleid mit Hohlsaum die Rede war. Der Wilkie Collins aus der Dorfbibliothek, der am Abend eifrig gelesen worden war und noch am Kopfende schlummerte, mochte schuld gewesen sein an dem Albtraum, zumindest der Illustrator seines Buches; ob es noch andere, geheimnisvollere Gründe gab (das Tuscheln der Schwester, ihre Abreise), sei dahingestellt, jedenfalls hatte meine Mutter in dieser Nacht die Frau in Weiß gesehen. Und ebendiese Frau hatte vor einigen Stunden in der vormorgendlichen Dunkelheit lautlos die Schwelle meines Schlafzimmers überschritten.

«Weißt du was?», fragte Ira, schleuderte die Kippe genau zwischen zwei Seerosen und reckte sich. «Ist das eine Hitze! Auf dem Boden liegen Sonnenblumen vom letzten Jahr. Ich hab Lust auf Sonnenblumenkerne. Kommst du mit?»

Ich kletterte wortlos aus dem Boot.

Der Boden war verbotenes Terrain, dort hinauf führte eine Treppe aus der Kammer, die eiskalt war wie ein Keller. Auf Regalen an den Wänden standen Krüge, bauchige alte Flaschen aus grünem und blauem Glas, nun allerdings staubgrau. Außerdem Gläser mit Öl, mit Marmelade, mit eingekochten Johannisbeeren und Himbeeren. Großvater, der nur selten krank war, kurierte sich lieber damit als mit der Medizin aus der Anrichte. In den Ecken hingen Zwiebeln. Die Treppe endete an einer quadratischen Luke mit einer schweren Klappe, deren Ränder mit Filz bezogen waren und die nur mit einiger Kraftanstrengung zu öffnen war. Spärliches Licht drang auf den Boden durch zwei schmale Fenster, die zudem auf der Straßenseite von den Ästen der Pflaumenbäume verdeckt wurden. Um hinauszusehen, musste man das Schiebeglas herunterlassen. Hier in der braunen Dunkelheit unter den Dachschrägen gab es vieles, mit dem nicht zu scherzen war: Das war in der Tat kein Spiel nich. Hier stand eine Truhe mit Großvaters kompletter Jagdausrüstung, vom Pulver bis zum Ladestock, ausgenommen lediglich die Doppelflinte selbst, die hing über Großvaters Bett; eine weitere Truhe mit Giften; ein Vorrat an Spiritustabletten, Siphons mit Petroleum. Petroleumlampen aller Art - von «taillierten» Hauslampen mit schmalem Fuß und Lampenschirm über dem Glas bis zu einer tragbaren Lampe in einem Käfig aus Eisendraht - standen in Reih und Glied. Alte Dochte streckten die Zunge aus ihrem Schlitz. Einzeln lagen verstaubte abnehmbare Glaskolben herum. Bloß Sonnenblumenkerne gab es nicht, und Ira zog mich am Ärmel fort. Doch ich verweilte noch einen Augenblick vor einem kleinen Astrolabium und einem in jeder Hinsicht ungefährlichen Grammophon, dessen Nadel längst verloren gegangen war. Wir gingen zurück zum Fluss.

Ich erinnere mich nicht, wann ich die Ruder aus dem Schuppen holte. Dafür erinnere ich mich gut an den Schuppen selbst und sein warmes Dunkel, in dem keine toten Damen aufzutauchen drohten. Die gleiche friedliche Finsternis war mir, wie ich heute weiß, auch auf dem Boden so angenehm gewesen. Ich machte noch einen Abstecher zum Klosett, dann war ich bereit zum Auslaufen.

Wir legten sofort ab. Der Boden des Bootes glitt raschelnd durch Entengrütze und tauchte dann in das frische Wasser des Flusses. Ich ruderte ohne Hast. Mit Ira fuhr ich aus irgendeinem Grund immer zum Weiher. Wir hatten Rückenwind; wir passierten die Biegung, und direkt vor uns lagen die «Trauerweiden». Jetzt, in meiner dumpfen Abkapselung, umgeben von fremdem Festland, erscheint mir vieles außergewöhnlich, ich verspüre sogar eine gewisse Bitterkeit im Herzen, wenn ich versuche, mich an die ersten Blicke zu erinnern, die ich damals insgeheim (wie übrigens immer) unter die Kuppel der Weiden warf, die viel...
mehr