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Frau Duan feiert ein Fest

von
Ge, YanBetz, KarinÜbersetzung
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
352 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am08.10.2018
Im Städtchen Pingle in der chinesischen Provinz Sichuan wird so scharf gegessen, dass die Leute mit einem Loch in der Zunge groß werden. Frau Duan genießt als Matriarchin des örtlichen Bohnenpasten-Imperiums höchstes Ansehen. Die Feier zu ihrem achtzigsten Geburtstag soll ein gesellschaftliches Großereignis werden. Doch die von überallher anreisende Verwandtschaft hat nicht nur gute Wünsche im Gepäck ...

Yan Ge, geboren 1984 in Sichuan, gilt als eine der aufregendsten jungen Autorinnen Chinas. Das People's Literature Magazine wählte sie in ihre 'Top 20 Unter 40'. 2013 erhielt sie den Chinese Media Award als Beste Newcomerin im Bereich Literatur. Yan Ge lebt mit ihrer Familie in Dublin.
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Produkt

KlappentextIm Städtchen Pingle in der chinesischen Provinz Sichuan wird so scharf gegessen, dass die Leute mit einem Loch in der Zunge groß werden. Frau Duan genießt als Matriarchin des örtlichen Bohnenpasten-Imperiums höchstes Ansehen. Die Feier zu ihrem achtzigsten Geburtstag soll ein gesellschaftliches Großereignis werden. Doch die von überallher anreisende Verwandtschaft hat nicht nur gute Wünsche im Gepäck ...

Yan Ge, geboren 1984 in Sichuan, gilt als eine der aufregendsten jungen Autorinnen Chinas. Das People's Literature Magazine wählte sie in ihre 'Top 20 Unter 40'. 2013 erhielt sie den Chinese Media Award als Beste Newcomerin im Bereich Literatur. Yan Ge lebt mit ihrer Familie in Dublin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641222697
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum08.10.2018
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse938 Kbytes
Artikel-Nr.3400053
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Kapitel 2

Wann hatte es angefangen?, fragte sich Vater. Er saß mit brennender Zigarette hinter seinem mächtigen Schreibtisch im Direktionszimmer. Er drückte den halb gerauchten Stummel in seinem arschbackengroßen Aschenbecher aus und steckte sich die nächste Zigarette an. Wann?

So genau konnte man das nicht sagen, es musste so um 1997 herum gewesen sein, jedenfalls noch vor den 2000er Jahren. Manchmal hatte er zu viel getrunken oder er konnte nicht schlafen und saß rauchend nachts am Tisch, als ungebeten der Gedanke an Großmutters Tod auftauchte.

Aus unerfind­lichen Gründen hatte er das Gefühl, Großmutter habe nicht mehr lange zu leben. Ständig überlegte er sich, wie es sein würde. Ein Szenario war, dass sein Handy klingelte und »Mama« auf dem Display aufleuchtete, aber der Anrufer ein anderer war. Sofort würde er wissen, dass etwas nicht stimmte, irgendein Nachbar oder ein Freund Großmutters würde sich melden und sagen: »Xue Shenqiang, Ihre Mutter ...« Oder es würde eines Abends oder frühmorgens an der Tür klopfen, er würde halbwach zu seiner Frau sagen »Anqin, da ist jemand an der Tür«, Mutter würde die Tür öffnen, während er weiterdöste, bis er durch den Schlaf hindurch die schrille, bebende Stimme seiner Frau hörte und sofort wüsste, dass es vorbei wäre. Dann würde Mutter zurück ins Schlafzimmer kommen, das Gesicht im Schatten verborgen im Türrahmen stehen, und sagen: »Shengqiang, es ist etwas mit deiner Mutter.«

Seitdem er etwas mit Zhong Xinyu hatte, hatte sich das Szenario verändert. Im einem unpassenden Moment würde plötzlich sein Handy klingeln, »Zhong« würde aufleuchten, und ihre Stimme würde sagen: »Shengqiang, mein Schatz, es ist etwas passiert. Komm schnell!«

Und Großmutter wäre nicht mehr da. Vater zündete sich die nächste Zigarette an. Er würde die Beerdigung organisieren müssen, die Leiche würde in der Feldmarschallhalle auf dem Friedhof der Revolutionsmärtyrer aufgebahrt werden, Zhu Cheng müsste zwölf Kränze besorgen, einen für Vater, einen für seine Schwester, einen für Liu Xingchen und den Rest für all die anderen Verwandten, selbst für seinen Bruder Duan Zhiming. Und dazu die ganze Schreibarbeit. Die Kränze würden majestätisch in zwei Reihen angeordnet, ein großartiger Anblick würde das sein, zwei Klagesänger würden vor dem Eingang der Trauerhalle knien und herzzerreißend singen, sie alle in Trance versetzen, damit keinem der Trauergäste entginge, mit welcher Noblesse Familie Xue der alten Dame das letzte Geleit gab.

Wieder und wieder malte sich Vater die Details aus, alles war bereits sorgfältig geplant. Er sah den vergoldeten Sarg inmitten von weißen Lilien vor sich - was für eine Pracht!

Doch die Jahre vergingen, und Großmutter starb nicht. Gut, dann starb sie eben nicht. Stattdessen starb Großvater, lange vor seiner Zeit. Wohl oder übel musste Vater zuerst dessen Beerdigung vorbereiten, 2005 war das. Ihm brach das Herz, als all die Kränze, Sänger und Spruchbänder nun nach dem Ableben des alten Herrn aufgeboten werden mussten. Großmutter gefiel das gar nicht: »Vulgär ist das. Wer tot ist, ist tot, Asche zu Asche, Feierabend. Wozu eine große Trauerfeier? Alles, was wir brauchen, ist ein Grab, das wir zum Qingming-Fest besuchen können, um dem Toten zu gedenken, mehr nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Das ist hier kein Dorf, in dem jeder jeden kennt«, fuhr sie fort. »Aber wenn du ihn öffentlich aufbahrst, fühlt jedermann sich genötigt, ihm die letzte Ehre zu erweisen und einen Umschlag mitzubringen. Und dann will sich natürlich keiner ­lumpen lassen. Und hinterher heißt es dann, du, der große Fabrikbesitzer, inszenierst eine große Trauerfeier, um den kleinen Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen.«

Vater saß ihr gegenüber, qualmte und sagte kein Wort. Er hätte auch nicht gewusst, was er sagen sollte.

Glück­licherweise lenkte sie ein: »Nun gut, es ist schließlich dein Vater. Wenn die Reihe an mir ist, dann streut meine Asche einfach in den Qingxi, ohne großes Brimborium, eure alte Mutter braucht keine Gedenkfeiern.«

Vater drückte seine Zigarette aus und blieb stumm. Für sich dachte er: Leichter gesagt als getan, Mutter.

Am Ende merkte sie selbst, dass nicht alles so einfach war, wie sie sich das vorstellte.

Noch in derselben Nacht, es musste vier oder fünf Uhr morgens gewesen sein, jedenfalls vor sechs Uhr, hämmerte jemand lautstark gegen ihre Tür. Sie stand auf, schlüpfte in die Hose, die sie am Abend über den Stuhl gelegt hatte, zog die dunkelbraune Strickjacke über, die hinter der Tür hing, richtete vor dem Spiegel ihr Haar und öffnete.

Vor der Tür stand Zhong Xinyu. Im kalten Licht des Treppenhauses sah ihr Gesicht fahl und hässlich aus. Sie starrte die alte Frau an und brachte keinen Laut heraus.

»Ist etwas mit Shengqiang?«

Die Frage brachte Zhong Xinyu noch mehr aus der Fassung. Sie wies mit dem Finger nach oben und stammelte: »Er ... er ...«

Großmutter drückte sich an ihr vorbei und eilte stolpernd nach oben, dabei zog sie sich am Geländer hoch. Die junge Frau holte sie ein und bot ihr den Arm, den Großmutter harsch von sich stieß, wenn auch ohne böse Absicht, sie war einfach zu sehr damit beschäftigt, in den fünften Stock hinauf zu kommen. Alles Vergangene war fortgespült, als hätte man eine Waschschüssel über ihrem Kopf ausgeleert. In ihrem Kopf sang eine Elfe: Was möchten Sie, mein Prinz, was suchen Sie, mein Prinz? - Unterm Pfingstrosenbusch will ich sterben, ein vornehmer Geist will ich werden.

Nun ist er ein vornehmer Geist geworden, dachte sie, als sie den vierten Stock erreicht hatte. Sie konnte bereits die offen stehende Tür von Xinyus Wohnung sehen. Das kann ich nicht Lishan überlassen, überlegte sie weiter, als sie die letzten zwölf Stufen nahm, am besten rufe ich Zhiming an, dass er herkommen soll. In der Halle der Märtyrer mussten sie ihn aufbahren lassen. Wer auf tragische Weise umkommt, braucht eine angemessene Beerdigung.

Oje, Anqin ist ja auch noch da. Also doch Lishan anrufen, damit sie sich um sie kümmert. Sie stieß die Tür auf, betrat die Wohnung als sei es ihre eigene, und marschierte direkt ins Schlafzimmer.

Vater war aber gar nicht tot. Er lag mit schmerzlich verzogener Miene auf dem Bett und starrte mit zusammengekniffenen Augen zur Tür. Tränen verschleierten seinen Blick, als er Großmutter erkannte, ob aus Furcht oder Erleichterung, war nicht auszumachen. Er räusperte sich und krächzte schließlich: »Mama ...«

Wie auf ein Signal beruhigte sich beim Klang seiner Stim­­me ihr Herzschlag. Schließlich hatte sie in ihren achtzig Lebensjahren schon viel erlebt. Da Vater nun also noch lebte, blieb er als Stütze an ihrer Seite erhalten.

Die gute Nachricht brachte sie wieder zur Besinnung. Sie rief die Ambulanz und wies Xinyu an, unten zu warten. Tatsächlich würdigte sie Vater schon keines Blickes mehr, der zusammengekrümmt im Bett lag und in den vom Speichel schon ganz durchnässten Kissenbezug biss. Sie ahnte ja nicht, dass Vaters Zustand auf die Sorge um seine Sohnespflichten zurückzuführen war. Derart besorgt war er, dass er deshalb seiner Mutter den Schlaf geraubt hatte.

So verhielt es sich jedenfalls nach Darstellung meiner Mutter.

Im Grunde hätten alle zufrieden sein müssen, Großmutter starb vorerst nicht und Vater noch weniger. Was auch immer Großmutter davon hielt, er, Vater selbst, hätte sich an jenem Tag nur allzu gern aus dem Leben verabschiedet und den ganzen Mist hinter sich gelassen. Sollte doch Großmutter, Mutter oder sonst irgendwer den Dreck hinter ihm aufräumen. Soll doch Duan Zhiming, das Arschloch, die Scherben zusammenkehren!, dachte er, während er im Krankenbett die Fernsehserie Goldene Hochzeit schaute. Das war Mutters Lieblingsserie, und er fragte sich, ob sich seine Frau wohl deswegen so seltsam benahm, weil sie zu viel von diesem Zeug schaute?

Im nächsten Augenblick öffnete sich bereits die Tür zum Krankenzimmer, und Mutter kam herein, mit einem Lunchpaket in der Hand und einer Thermoskanne unter dem Arm. Als sie sah, dass Vater wach war, stellte sie rasch die Sachen auf dem Nachttisch ab, machte sich daran, sein Kissen aufzuschütteln und sagte: »Shengqiang, wieso bist du auf? Du sollst dich doch ein paar Tage lang gründlich ausruhen!«

Sie drückte seinen Kopf ins Kissen und zog ihm, noch ehe er etwas sagen konnte, die Bettdecke bis unters Kinn. Er sah stumm zu, wie sie die Decke ordentlich glattzog und dachte dabei: Bist du gekommen, um mir die letzte Ehre zu erweisen?

»Du hast bestimmt Hunger. Ich habe dir Karpfensuppe mitgebracht. Doktor Song meinte, Hühnersuppe sei im Augenblick zu fett für dich, lieber Fischsuppe, die ist leicht und trotzdem nahrhaft.«

Mutter redete wie ein Wasserfall und nahm dabei die Deckel von den verschiedenen Gerichten. Vater war schon vom Anblick satt.

Das interessierte Mutter wenig. Fein säuberlich wie ein Chirurg sein Besteck arrangierte sie das Essen, füllte die weiße Karpfensuppe in eine Schüssel und wollte sie Vater einflößen. Er zog seine Hand unter der Decke hervor und nahm ihr die Schüssel ab. »Das kann ich selbst.« Jetzt, wo er den Mund aufmachte, kam ihm seine eigene Stimme befremdlich vor, vielleicht hatte er einfach zu lange nichts gesagt und war ihren Klang nicht mehr gewohnt. »Das kann ich selbst«, sagte er deshalb noch einmal. Diesmal klang es...

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Ge, YanBetz, KarinÜbersetzung
Yan Ge, geboren 1984 in Sichuan, gilt als eine der aufregendsten jungen Autorinnen Chinas. Das People's Literature Magazine wählte sie in ihre "Top 20 Unter 40". 2013 erhielt sie den Chinese Media Award als Beste Newcomerin im Bereich Literatur. Yan Ge lebt mit ihrer Familie in Dublin.