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Auf der Suche nach einer anderen Medizin

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
549 Seiten
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am11.02.2019Originalausgabe
»Was Psyche und Körper stark macht« - Schlagzeilen wie diese begegnen uns heute überall. Rückenschmerzen, Atemnot, Hautausschlag - viele körperliche Beschwerden schreiben wir emotionalen Konflikten, mangelnder Achtsamkeit oder Dauerstress zu. Doch woher stammen derartige Vorstellungen von Psychosomatik? Der vorliegende Band bietet erstmals einen Überblick über die Geschichte der psychosomatischen Medizin in Deutschland. Pointierte Einzeldarstellungen präsentieren ein Panorama, das neben den Spielarten der Psychosomatik im 20. Jahrhundert auch die Suche nach einer Medizin zeigt, die sich als menschlichere Alternative zur modernen, vermeintlich seelenlosen Apparatemedizin verstand.



Alexa Geisthövel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin an der Berliner Charité.

Bettina Hitzer ist Minerva-Forschungsgruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR28,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR27,99

Produkt

Klappentext»Was Psyche und Körper stark macht« - Schlagzeilen wie diese begegnen uns heute überall. Rückenschmerzen, Atemnot, Hautausschlag - viele körperliche Beschwerden schreiben wir emotionalen Konflikten, mangelnder Achtsamkeit oder Dauerstress zu. Doch woher stammen derartige Vorstellungen von Psychosomatik? Der vorliegende Band bietet erstmals einen Überblick über die Geschichte der psychosomatischen Medizin in Deutschland. Pointierte Einzeldarstellungen präsentieren ein Panorama, das neben den Spielarten der Psychosomatik im 20. Jahrhundert auch die Suche nach einer Medizin zeigt, die sich als menschlichere Alternative zur modernen, vermeintlich seelenlosen Apparatemedizin verstand.



Alexa Geisthövel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin an der Berliner Charité.

Bettina Hitzer ist Minerva-Forschungsgruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518759820
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum11.02.2019
AuflageOriginalausgabe
Reihen-Nr.2264
Seiten549 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.3410796
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



9Alexa Geisthövel und Bettina Hitzer
Psychosomatik - eine Gebrauchsanweisung
für dieses Buch


Überraschenderweise gibt es bisher keine historische Gesamtdarstellung der Psychosomatik im 20. Jahrhundert, obwohl sie gerade in der deutschsprachigen Medizin auf breite Resonanz stieß und eine Vielfalt an Konzepten, diagnostischen und therapeutischen Methoden hervorbrachte. Dieses Buch tut einen ersten Schritt, um diese Leerstelle auszufüllen. Es bietet erstmals eine informative Geschichte psychosomatischer Medizin in Deutschland. Darüber hinaus versteht es sich als kritische Intervention im vielstimmigen Gespräch darüber, wie eine humane, dem Menschen zuträgliche und am Menschen orientierte Medizin aussehen könnte.

Denn die Suche nach einer »anderen« als der jeweils kritisierten dominanten Medizin, jene Suche also, die die psychosomatische Medizin in den vergangenen hundert Jahren angetrieben hat, ist bis heute keineswegs erfolgreich abgeschlossen. Die so genannte Biomedizin steht gegenwärtig im Zentrum harscher Kritik. Vom »betrogenen Patienten« spricht etwa der Radiologe Gerd Reuther in seinem gleichnamigen Bestseller und meint damit, dass in Kliniken oft nur oberflächlich Symptome, nicht selten sogar zum Nachteil der Patienten, behandelt werden, dass die unkritische, wissenschaftlich unzureichende und teilweise allein ökonomisch motivierte Anwendung von Diagnoseverfahren und Therapien oftmals desaströse Folgen zeitigt, sowie schließlich, dass Umweltfaktoren im Rahmen der Erforschung und Behandlung von Krankheiten nur unzureichend Berücksichtigung finden.[1]

Deutlich grundsätzlicher auf ein fehlgeleitetes Verständnis von Wissenschaft in der Medizin zielt dagegen die Kritik des medizinischen Anthropologen David Napier, der im Auftrag der renommierten medizinischen Zeitschrift Lancet seit 2014 eine Kommission leitet, die sich mit der Beziehung zwischen Kultur und Gesundheit beschäftigt.[2] Die Arbeit dieser Kommission geht davon 10aus, dass kulturelle Faktoren jeden einzelnen Aspekt von Medizin und Heilung wesentlich mitbestimmen. Kultur prägt demnach nicht nur die Art und Weise, wie Menschen medizinische Hilfeleistungen in Anspruch nehmen (können), wie sie mit Krankheit und den jeweils angebotenen Therapien umgehen und diese subjektiv erleben. Kulturell bestimmte Annahmen beeinflussen auch Fragestellungen und Verfahrensweisen medizinischer Forschung und sind wesentlich an der Definition von Krankheiten beteiligt. Auch Vorstellungen darüber, was im wissenschaftlichen Verständnis »objektiv« ist, wurden und werden zutiefst von kulturellen Faktoren beeinflusst.[3] Aus diesen Annahmen über die untrennbare Wechselbeziehung oder gar Einheit von Kultur und Gesundheit beziehungsweise Krankheit zog der Medizinhistoriker Volker Roelcke jüngst die Schlussfolgerung, nur eine »kulturwissenschaftlich kompetente Heilkunde« könne den Menschen in die Medizin zurückbringen.[4]

Hier möchte dieses Buch anknüpfen. In ihrem Bemühen, angemessene und dem Menschen hilfreiche epistemische, diagnostische oder therapeutische Modelle zu entwickeln, haben viele Protagonisten und Protagonistinnen psychosomatischer Medizin darüber nachgedacht, wie die Beziehungen zwischen Psyche, Soma und Umwelt gefasst und therapeutisch berücksichtigt werden könnten. Ihre Antworten sind durchaus unterschiedlich ausgefallen. Der hier unternommene Blick in die Vergangenheit zeigt die Vielfalt möglicher Antworten. Er macht jedoch auch deutlich, wie die jeweiligen Antworten von zahlreichen Faktoren abhingen: von den zeitgenössisch geprägten wissenschaftlichen, klinischen und außerklinischen Praktiken, von der Konfrontation mit unterschiedlichen Patientengruppen und deren auch durch die Zeitläufte bedingten Verletzungen und Erkrankungen, von gesundheitspolitischen und ökonomischen Vorgaben sowie von weit über die Medizin hinausreichenden Denkfiguren, die - wie etwa die Kybernetik - Modellvorstellungen der Psychosomatik stark beeinflusst haben. Wesentlichen Anteil daran, wie psychosomatische Medizin sich selbst, ihre Ziele und Zwecke definierte, hatten nicht zuletzt wechselnde politische Ordnungsvorstellungen und Agenden: Sollte psychosoma11tische Therapie der Wiederherstellung einer robusten, womöglich wehrtauglichen Arbeits- und Leistungsfähigkeit dienen, sollte sie eine heilsame Arbeit am Selbst ermöglichen oder die Gesellschaft emanzipatorisch verändern?

Doch die psychosomatische Medizin soll hier nicht einfach als die »andere« Medizin dargestellt werden, als die sie manchmal aufgetreten ist. Denn sie war und ist in vielen ihrer Spielarten eng mit der Biomedizin verwoben. Auch soll sie nicht schlicht als eine per se humanere Alternative präsentiert werden. Stattdessen wird ihre Geschichte hier in der Vielfalt ihrer auch politisch unterschiedlich positionierten Ansätze und Auseinandersetzungen gezeigt. So kann die Lektüre dieses Buches dazu anregen, über vergessene Alternativen oder mögliche Ergänzungen und Erweiterungen der gegenwärtigen Medizin nachzudenken. Und sie stellt an die Leser und Leserinnen die Frage, was psychosomatische Medizin ausmacht, ob sie überhaupt integraler Teil der heutigen Biomedizin sein kann, ohne dabei ihren Wesenskern zu verlieren.


Was ist Psychosomatik?


Der Begriff »Psychosomatik« sagt zunächst nur schlicht, dass es hier um das Zusammenspiel von Seele und Körper geht. Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis des Buches verrät jedoch schnell, dass diese Basisdefinition nicht erklärt, welche Geschichte hier erzählt wird. Denn aus einer derart breit angelegten Perspektive würden ansonsten unerklärliche Lücken klaffen. Warum etwa gibt es kein Kapitel über anthroposophische Medizin? Schließlich schrieben Rudolf Steiner und Ita Wegmann in ihrer 1925 publizierten Grundlegung der anthroposophischen Medizin:

Der Mensch ist, was er ist, durch Leib, Ätherleib, Seele (astralischer Leib) und Ich (Geist). Er muss als Gesunder aus diesen Gliedern heraus angeschaut; er muss als Kranker in dem gestörten Gleichgewicht dieser Glieder wahrgenommen; es müssen zu seiner Gesundheit Heilmittel gefunden werden, die das gestörte Gleichgewicht wieder herstellen.[5]

12Hier geht es also unbestreitbar um eine Vermittlung zwischen einer leiblichen Ebene und anderen Ebenen, die als Psyche gefasst werden könnten.

Ein breites Verständnis von Psychosomatik ließe auch ein Kapitel über den Danziger Arzt Erwin Liek erwarten, der in den 1920er Jahren höchst einflussreich die Naturheilkunde propagierte und als Wegbereiter der Neuen Deutschen Heilkunde gilt. Denn wie viele andere naturheilkundlich orientierte Ärzte unterstrich Liek die Bedeutung von Gefühl und Seele in der Krankheit und betonte etwa im Blick auf die Krebskrankheit 1934: »Der erfolgreiche Krebsarzt mobilisiert, bewußt oder unbewußt, wollend oder ablehnend, seelische Kräfte gegen den Krebs.«[6] Auch innerhalb der Literatur, die man als psychosomatisch im engeren Sinne bezeichnen könnte, finden sich sehr allgemeine oder umfassende Definitionen. So bestimmte etwa 1954 der Erfinder des autogenen Trainings Johannes Heinrich Schultz Psychosomatik als »die Erkenntnis der geschlossenen Einheit des Lebendigen, wie sie besonders im Ausdruckgeschehen jederzeit zutage liegt«.[7] Ungefähr zur gleichen Zeit erklärte der in der DDR tätige Internist Werner Hollmann in der von Erwin Liek mitbegründeten Zeitschrift Hippokrates, dass die psychosomatische Medizin sich durch die Integration zweier Aspekte menschlicher Welterfahrung auszeichne, des »rationalen Erkennens« und des »liebenden Umfangens, des Du-Erlebens«.[8] Obgleich also manche Autoren, die wir zu den Vertretern psychosomatischer Medizin zählen, durchaus den »ganzen« Menschen beschworen, ist dies kein Buch über die unterschiedlichen Facetten der Ganzheitsmedizin, die sich häufig dezidiert von allen Formen der Versachlichung und damit auch von der institutionalisierten Medizin abwandten. Es beschäftigt sich vielmehr mit einer Medizin, die die Einheit von Körper und Psyche ausdrücklich systematisch und...


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Autor

Alexa Geisthövel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin an der Berliner Charité.

Bettina Hitzer ist Minerva-Forschungsgruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin.