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Die Ararat-Legende

von
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
156 Seiten
Deutsch
Unionsverlagerschienen am09.11.20151. Auflage
Eines Morgens steht unversehens ein prächtiger, reich geschmückter Schimmel vor Ahmets Hütte und will nicht weichen. Kein Bewohner des Berges Ararat würde jemals gegen die alte Sitte verstoßen und ein solches Geschenk Allahs wieder zurückgeben. Der Pascha aber will seinen Schimmel zurückerobern, er kennt weder Tradition noch überkommenes Recht. Sein Herrscherwahn findet schließlich eine Grenze: der Stolz der Menschen von Ararat schlägt um in Revolte. Im Hintergrund steht immer der Berg Ararat, der feuerspeiende, ewige Vulkan, ein Mahnmal der Brüchigkeit alles Bestehenden, eine Drohung gegen Herrscherwillen, eins mit den Bauern, die ihn bewohnen, ein Schutz für die Liebenden, aber auch bereit, sie zu vernichten, wenn sie mit seinem Gesetz brechen.

Ya?ar Kemal wird der »Sänger und Chronist seines Landes« genannt. Er wurde 1923 in einem Dorf Südanatoliens geboren. Seine Werke erschienen in zahlreichen Sprachen und wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet. 1997 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, 2008 wurde er mit dem Türkischen Staatspreis geehrt. Er starb in Istanbul am 28.2.2015.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextEines Morgens steht unversehens ein prächtiger, reich geschmückter Schimmel vor Ahmets Hütte und will nicht weichen. Kein Bewohner des Berges Ararat würde jemals gegen die alte Sitte verstoßen und ein solches Geschenk Allahs wieder zurückgeben. Der Pascha aber will seinen Schimmel zurückerobern, er kennt weder Tradition noch überkommenes Recht. Sein Herrscherwahn findet schließlich eine Grenze: der Stolz der Menschen von Ararat schlägt um in Revolte. Im Hintergrund steht immer der Berg Ararat, der feuerspeiende, ewige Vulkan, ein Mahnmal der Brüchigkeit alles Bestehenden, eine Drohung gegen Herrscherwillen, eins mit den Bauern, die ihn bewohnen, ein Schutz für die Liebenden, aber auch bereit, sie zu vernichten, wenn sie mit seinem Gesetz brechen.

Ya?ar Kemal wird der »Sänger und Chronist seines Landes« genannt. Er wurde 1923 in einem Dorf Südanatoliens geboren. Seine Werke erschienen in zahlreichen Sprachen und wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet. 1997 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, 2008 wurde er mit dem Türkischen Staatspreis geehrt. Er starb in Istanbul am 28.2.2015.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783293307902
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum09.11.2015
Auflage1. Auflage
Seiten156 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2998 Kbytes
Artikel-Nr.3421052
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



An den Hängen des Ararat, in einer Höhe von viertausendzweihundert Metern, liegt ein See, Küp-See genannt. Er ist so groß wie ein Dreschplatz, und sein Grund reicht weit in die Tiefe - eigentlich mehr ein Brunnen als ein See. Der See, oder die Öffnung dieses Brunnens, wird rings umrahmt von roten, messerscharfen, glänzenden Felsen. Die weiche, kupferne Erde, die sich am Fuß der Felsen zum See hin erstreckt, ist von Längsstreifen durchzogen. Da und dort sprießt auf der kupferfarbenen Erde Gras in einem frischen Grün. Dahinter leuchtet das Blau des Sees. Ein außergewöhnliches Blau. In keinem anderen Wasser trifft man es an, ein solches Blau gibt es kein zweites Mal. Es schimmert dunkel, weich, samten.

Jedes Jahr zur Schneeschmelze, wenn der Frühling erwacht und aus dem Ararat das taufrische Grün hervorbricht, blühen an den Rändern des Sees neben den dünnen Schneestreifen kräftige, kurzstielige, kleine, scharf riechende Blumen. Ihre Farben leuchten wie Juwelen. Selbst die winzigste unter ihnen kann man noch aus weiter Ferne blau, rot, gelb und purpurn glänzen sehen. Die Blumen verströmen einen so scharfen, schwindelerregenden Geruch, dass auch das blaue Wasser und die kupferne Erde des Sees ihn angenommen haben. Man riecht den Duft schon von Weitem.

Und jedes Jahr, wenn auf dem Ararat der Frühling erwacht, stellen sich am Küp-See - gleichzeitig mit den scharfen Düften, den Farben, der kupfernen Erde - die kräftigen, groß gewachsenen Hirten ein, die Hirten des Ararat mit ihren melancholischen schwarzen Augen, den langen, feingliedrigen Fingern und ihren Flöten. Am Fuß der roten Felsen breiten sie dann rings um den See ihre Filzumhänge auf der kupfernen Erde und dem tausendjährigen Frühling aus, um sich darauf niederzulassen. Im Morgengrauen noch vor Sonnenaufgang ziehen sie die Flöten aus dem Gurt und stimmen das Lied vom Zorn des Ararat an. Es zieht sich dahin vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang. Und wenn der Tag sich zu Ende neigt, beginnt ein winziger Vogel - weiß wie der Schnee - über dem See seine Runden zu drehen. Ein Vogel, spitz und lang, der Schwalbe ähnlich. Er kreist pfeilschnell über dem See. Stetig zieht er seine weißen, langen Kreise, die einer nach dem andern in das tiefe Blau des Sees fallen. Genau in dem Augenblick, in dem der Tag der Nacht weicht, verstummen die Flöten. Die Hirten stecken ihre Flöten in den Gurt und erheben sich. Der Vogel schießt jählings, aus vollem Flug, auf das blaue Wasser hinab, streift es dreimal nacheinander mit einem seiner Flügel, schwingt sich dann steil wieder in die Lüfte empor und verliert sich in der Ferne. Mit dem weißen Vogel entfernen sich auch die Hirten, still, einer nach dem andern, allein oder zu zweit, und versinken in der Dunkelheit.

Der Grauschimmel stand seit dem letzten Abend vor Ahmets Haustür. Er reckte den Hals, und seine weit geöffneten Nüstern schienen das rissige Holz der Türschwelle gewittert zu haben. Als Erster sah diesen Schimmel vor Ahmets Tür der uralte Weise, der Weise mit dem langen, schneeweißen Bart. Auf dem Schimmel lag ein mit Tulasilber beschlagener Tscherkessensattel. Aus feinem Silber war auch der Steigbügel geformt. Der Weise trat näher an den Schimmel heran und blieb mit gebeugtem Rücken dicht vor ihm stehen. Das Zaumzeug, das an dem mit Gold und Perlmutt beschlagenen Vorderzwiesel hing, war mit Goldfäden durchwirkt. Der Woilach, der unter dem Sattel lag und bis zur Kruppe hin reichte und der einem schon von Weitem ins Auge stach, dieser Woilach war aus gut gekochtem, besticktem Filz. Das Bild einer Sonne war hineingestickt, eine auffällig orangefarbene Sonne aus längst verflossenen Tagen. Hinter der Sonne reckte ein großer, sattgrüner Lebensbaum seine Äste empor. Auch die linke Seite des Schimmels war so bestickt. Der Weise hatte dies irgendwo schon einmal gesehen. Eine flüchtige Erinnerung streifte ihn. Diese Bilder mussten das Zeichen eines ruhmvollen Stammes, einer ruhmvollen Sippe sein.

Der Weise verharrte einen Augenblick lang reglos, etwas verängstigt, ein wenig verwundert, ein wenig erschrocken zugleich. Wer konnte dieser ruhmvolle Gast sein, der Ahmets Haus besuchte? Von welcher Sippe, welchem Bey, welchem Pascha konnte dieses Zeichen stammen? Er kam zu keinem Schluss. Dieses Zeichen aber jagte ihm Angst ein. Solche Zeichen bringen immer Unheil. Mit ihnen kommt und geht die Angst einher.

In dieser Gegend gab es niemanden, der seinen Schimmel so hätte ausstatten können. Außerdem kannte der Weise die Zeichen aller hiesigen Sippen in- und auswendig.

Es war Frühling. Der Schnee auf dem Ararat begann zu schmelzen. Stellenweise schauten schon rote Felszacken hervor, und da und dort lugten die Spitzen der Märzenbecher aus dem Schnee. In der Ferne zogen mit großen Flügelschlägen Kraniche, in einer Linie aufgereiht, vorüber. Sie flogen hinüber zum Van-See.

Ahmet wusste von alldem nichts. In der Morgendämmerung drang die Melodie einer Flöte aus dem Haus. Der Weise kannte sie seit alters her. Ahmets Großvater, Sultan Aga, hatte schon so gespielt. Auch Resul, sein Vater â¦ Niemand am Ararat übertraf die Männer dieses Hauses in der Kunst des Flötenspiels. Vielleicht niemand sonst auf der Welt. Und wenn der Weise das sagte, hatte es Gewicht. Denn er selbst war hier im ganzen Osten, im Kaukasus, Iran und Turan, als berühmter Flötenspieler bekannt.

Er trat noch etwas dichter an den Schimmel heran. Er prüfte das Zeichen aus der Nähe. Der Schimmel schien der aus dem Haus klingenden Flötenmelodie zuzuhören, ja ihr mit gespitzten Ohren zu lauschen. Ahmet spielte ein Lied aus längst vergangener Zeit, ein Lied vom unerbittlichen Zorn des Ararat. Der Weise selbst hatte es den Flötenspielern vom Ararat beigebracht.

Der Schimmel reckte seinen Hals der Melodie entgegen. Auch der Weise â¦ Es war schon lange her, dass er sie nicht mehr gehört hatte. Wie kann in der Melodie einer Flöte ein so riesiger Berg in einen so rasenden Zorn geraten! Des Menschen Sohn steckt voller Rätsel, dachte er. Er ist imstande, aus dieser dünnen Flöte einen riesigen, brüllenden Berg hervorzuzaubern! Solange die Welt besteht, werden die Menschen alles herausfinden, alles über den Adlerflug, den Ameisenhaufen, über den Auf- und Untergang des Mondes und der Sonne, den Tod, das Leben, wirklich alles. Sie werden alles über die Dunkelheit, das Licht - alles, aber auch wirklich alles herausfinden. Nur den Menschensohn selbst werden sie nicht ergründen können. In sein Geheimnis werden sie nicht eindringen.

In der Melodie der Flöte setzte sich der Berg förmlich in Bewegung. Und die Abgründe, die Lawinen, die frostklare Winternacht barsten. Der Mondschein barst. Und der zürnende Berg ging unaufhaltsam seinen Weg. Der Berg schwitzte, der Berg keuchte â¦ Der Ararat stöhnte wie ein gewaltiges Ungeheuer. Der Weise hörte aus dem Innersten des Berges heraus ein Ächzen. Ein entferntes, dumpfes Dröhnen drang aus dem Erdinnern. Ahmet spielte weiter, und der Atem und Zorn des Berges schwollen an. In solchen Augenblicken pflegte dann der Weise sein Ohr auf die dröhnende Erde des Berges zu legen. Dessen Zorn aber wuchs und wuchs, er holte immer tiefer Luft, seine Brust hob und senkte sich, sein Atem flog, er barst auseinander und lud sein ganzes Gewicht auf der Welt ab. Stille breitete sich aus. Eine gähnende Leere. Die Welt war öde, vollkommen öde, während der Ararat von dannen zog und all seine Tiere, seine Menschen mitnahm, seine Sterne, seinen Mond, seine Sonne, seinen wehenden Wind, seinen Regen, Schnee und seine Blumen. Eine leere Welt blieb zurück. Er nahm auch die Herden der Gazellen mit, die Gazellen mit den schwarzen Augenlidern, die die Wüsten bevölkern. In der Melodie der Flöte erstarrte die Öde, eine leere Welt.

Dann auf einmal erstanden vor den Augen des Weisen erneut all die Blumen, die Sterne und Düfte der Welt, die hellen Wasser mit ihren Forellen, die Wüsten mit ihren Gazellen. Er sah den Schimmel vor sich verändert. Die Sonne auf dem Woilach des Pferdes war zum Leben erwacht. Der Lebensbaum hatte seine Blätter abgeworfen und
blühte.

Für einen Augenblick hielt die Melodie der Flöte inne. Hinter dem Gipfel des Ararat tauchte die glutrote Sonnenscheibe auf.

Der Weise kam zu sich. Sein Blick wanderte zum Schimmel, dann wieder zur Tür. Auch der Schimmel hob den Kopf und schaute mit seinen großen, traurigen Augen den Weisen an. Den Weisen beschlich Angst, eine unbestimmte Angst. »Ahmet, Ahmet!«, schrie er.

Ahmet erkannte die Stimme des Weisen und öffnete die Tür. »Komm rein, Onkel!«

Er staunte nicht schlecht, als er den Schimmel sah. Er guckte zuerst den Schimmel, dann den Weisen an.

Der Weise fragte: »Wer ist dein Gast, Ahmet? Er sei willkommen!«

»Ich habe keinen Gast.«

Die Blicke der beiden fielen auf den Schimmel.

Da galoppierte der Schimmel davon, umrundete einmal das Haus, kehrte schließlich zurück und stellte sich wieder vor der Tür auf. Es war ein langer, hochgewachsener Schimmel. Seine Ohren liefen spitz zu. Er hob den Kopf in die Luft, und es machte den Anschein, als wolle er wiehern, aber er wieherte nicht.

Ahmets Haus stand am Fuß eines Felsens. Es war aus unbehauenen roten Steinen gebaut, hatte eine breite Tür und nur ein einziges Fenster.

Der Weise war in Gedanken versunken. Auch Ahmet dachte nach.

Schließlich eröffnete der Weise das Gespräch: »Dieser Schimmel ist dir vom Schicksal...


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Yasar Kemal wird der »Sänger und Chronist seines Landes« genannt. Er wurde 1923 in einem Dorf Südanatoliens geboren. Seine Werke erschienen in zahlreichen Sprachen und wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet. 1997 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, 2008 wurde er mit dem Türkischen Staatspreis geehrt. Er starb in Istanbul am 28.2.2015.

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