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Nacht und Nebel

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
230 Seiten
Deutsch
Unionsverlagerschienen am06.11.20151. Auflage
Mine, die heimliche Geliebte des Geheimdienstmitarbeiters Sedat, ist verschwunden. Er selbst hat bei der Aushebung eines Terroristenunterschlupfs kaltblütig auf Fliehende geschossen. Gibt es zwischen diesen beiden Ereignissen einen Zusammenhang? Sedat, der nur knapp einem Attentat entkommen ist, macht sich auf die Suche. Sie führt ihn in Istanbuls Künstlerszene, in die Schattenwelt der Kinderprostitution und Kleinstadtganoven. Kategorien wie 'Gut' und 'Böse' lösen sich auf. Das herrschende System verliert für Sedat Tag für Tag an Glaubwürdigkeit. Je näher er der Lösung des Falls kommt, desto mehr zerfällt seine Selbstsicherheit. In einem furiosen Finale bricht seine Lebenslüge zusammen.  

Ahmet Ümit, geboren 1960 in Gaziantep im Südosten der Türkei, schloss 1983 das Studium der Verwaltungslehre in Istanbul ab und schrieb im gleichen Jahr seine erste Erzählung. Von 1974 bis 1989 beteiligte er sich an Untergrundaktionen. Später arbeitete er in einer Werbeagentur. Er gilt als der Autor, der für die Türkei den Kriminalroman literaturfähig gemacht hat. Viele seiner Erzählungen wurden verfilmt.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,95
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR9,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextMine, die heimliche Geliebte des Geheimdienstmitarbeiters Sedat, ist verschwunden. Er selbst hat bei der Aushebung eines Terroristenunterschlupfs kaltblütig auf Fliehende geschossen. Gibt es zwischen diesen beiden Ereignissen einen Zusammenhang? Sedat, der nur knapp einem Attentat entkommen ist, macht sich auf die Suche. Sie führt ihn in Istanbuls Künstlerszene, in die Schattenwelt der Kinderprostitution und Kleinstadtganoven. Kategorien wie 'Gut' und 'Böse' lösen sich auf. Das herrschende System verliert für Sedat Tag für Tag an Glaubwürdigkeit. Je näher er der Lösung des Falls kommt, desto mehr zerfällt seine Selbstsicherheit. In einem furiosen Finale bricht seine Lebenslüge zusammen.  

Ahmet Ümit, geboren 1960 in Gaziantep im Südosten der Türkei, schloss 1983 das Studium der Verwaltungslehre in Istanbul ab und schrieb im gleichen Jahr seine erste Erzählung. Von 1974 bis 1989 beteiligte er sich an Untergrundaktionen. Später arbeitete er in einer Werbeagentur. Er gilt als der Autor, der für die Türkei den Kriminalroman literaturfähig gemacht hat. Viele seiner Erzählungen wurden verfilmt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783293301689
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum06.11.2015
Auflage1. Auflage
Seiten230 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3307 Kbytes
Artikel-Nr.3421110
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe






Wie bin ich hierher gekommen? Und woher? Ich weiß es nicht! Ich fand mich hier, sinnlos auf und ab laufend, vor diesem Haus mit der Eisentür, die für alle Ewigkeit geschlossen bleibt, den Fenstern, auf denen eine dicke Staubschicht liegt, mit den von Fäulnis geschwärzten Fensterrahmen, vor diesen alten Mauern mit dem bräunlichen Moos. Was habe ich hier zu suchen vor diesem armseligen Gebäude, das einer gespenstischen Ruine gleicht, in diesem Garten, der wie ein verwahrloster Friedhof aussieht? Ich weiß es nicht. Sosehr ich mich bemühe, mein Gedächtnis kann die Tür zur Vergangenheit nicht einen Spalt weit öffnen. Doch, einige Traumgestalten regen sich, aber sie bleiben verschwommen. Es ist, als hätte die Zeit verschmolzen und durcheinander gemischt, was ich erlebt habe. Ich habe mich in ein wirres Rätsel verstrickt und kann es nicht lösen. Genauso wie ich die Geschichte dieses tristen Hauses nicht verstehe, das mitten in dieser Einöde Wind und Regen überlassen ist.

Ich verstehe nichts von Architektur, aber so viel kann ich sagen: Mit seinen hohen Türmen, den kahlen Wänden und den winzigen Fenstern hat dieses Bauwerk mit unseren Gebäuden nicht das Geringste gemein. Es erinnert mich an Schlösser, die ich in Deutschland gesehen habe. Wenn jetzt Mine hier wäre, würde sie sagen: »Diese Türme sind typisch für das Mittelalter, die Fenster zeigen den Einfluss der deutschen Renaissance.«

Mine! Ja, Mine habe ich gesucht! Seit fünf Tagen ist sie weg. Ich bin zu ihr nach Hause gegangen. Seit fünf Tagen hat niemand von ihr gehört. Aber - hier stimmt doch was nicht! Was hat die verschwundene Mine damit zu tun, dass ich jetzt hier vor diesem Geisterhaus mitten in der öden Steppe stehe?

Ich wende den Blick zum Gebäude. Bei einem anderen Betrachter würde es Furcht und Schrecken auslösen, bei mir indes nur Traurigkeit. Ich habe es vorher noch nie gesehen, doch ich fühle, dass es ein unauflösliches Band zwischen uns gibt. Ich gehe auf die Tür des Gebäudes zu und sinke in die faulenden Blätter im Garten ein. Über der zweiflügeligen Eisentür zieht ein marmorner Vorsprung meine Aufmerksamkeit auf sich. Was ich auf diesem Vorsprung zuerst bemerke, ist ein Stern. Gleich darunter ähnelt etwas einem Lauf und lässt mich sofort an einen Revolver denken. Unter dem Griff des Revolvers ist ein Halbmond in den Stein gehauen. Ein Stern, darunter ein Revolver und gleich unter dem Revolvergriff ein Halbmond. Vage erinnere ich mich an dieses Emblem, aber ich komme einfach nicht darauf.

Ich nähere mich der Tür. Davor hängt ein verrostetes Hängeschloss. Ich zerre daran. Es gibt nicht nach. Obwohl es so alt und zerbrechlich aussieht, ist es sehr stabil. Ich lasse ab von dem Schloss und versuche die Tür aufzustoßen. Die eisernen Flügel sind ganz eingestaubt, als hätte sie seit Jahren niemand berührt. Sie geben kein bisschen nach. Dunkelgelbe Staubkörnchen flirren um meine Hände. Ich gebe nicht auf. Mit beiden Händen hämmere ich gegen die Tür. Von drinnen kommt kein Laut. Ich schlage noch fester dagegen. Ich schlage, bis meine Hände schmerzen, aber merkwürdig, es macht mir nichts aus, ich schwitze nur. Außerdem schwitze ich nur rechts. Ich hämmere weiter gegen die Tür, aber von drinnen kommt keine Antwort, nur mein Schweiß tritt mir noch immer aus allen Poren. Ich kann die Hitze fühlen, die über meine Haut streicht. Warum schwitzen nur meine rechte Schulter und die rechte Seite des Bauches? Das verstehe ich nicht. Und weil ich es nicht verstehe, steigt Angst in mir auf. Ich fürchte mich vor meiner Vergangenheit, vor meinen Gedanken, meinem Körper und vor diesem alten Haus.

Fürchte dich nicht, sage ich mir. Irgendwann wird schon jemand kommen und mich finden, meine Leute werden mich doch nicht im Stich lassen? Selbst wenn mich alle vergessen, Yıldırım nicht. Yıldırım? Ist Yıldırım nicht tot?

Ich schwitze. Von meiner Schulter, meinem Bauch rinnt warmer Schweiß. Ich merke, dass mein Hemd schwerer geworden ist, dass meine Hose schon ein wenig feucht wird. Immer stärker schwitze ich.

In meinem Ohr schallt ein Klingellaut. Erst glaube ich, dass es der Wind ist, der durch die dürren Äste streicht; als es wieder klingelt, weiß ich, dass es ein Telefon ist. Ich drehe mich um und betrachte das alte Haus vor mir. Wie eine verschlossene Kiste, die ihr Geheimnis nicht preisgibt. Wieder dieses Klingeln, diesmal ist es beharrlicher. Ich muss das Telefon finden. Aufgeregt laufe ich wieder hinüber zur Tür. Bestimmt ist es Yıldırım, der anruft. Endlich hat er meine Spur gefunden. Ich schlage auf die Tür ein, ich stoße sie, ich ramme mit der Schulter dagegen, aber vermag sie kein bisschen zu bewegen. Wieder die Klingel. Aufmerksam lausche ich. Das Klingeln scheint von der Rückseite des Hauses zu kommen. Ich renne in diese Richtung. Als ich an die Ecke komme, ist da eine Telefonkabine, wie sie sonst an den Straßen stehen. Ich muss abnehmen, ehe das Telefon wieder verstummt. Ich stürze in die Kabine. Noch während es klingelt, hebe ich den Hörer ab.

»Hallo?«

Am anderen Ende kein Laut.

»Hallo?«

Mein Körper brennt wie in hohem Fieber. Ich schwitze. »Hallo?«

Eine erstickte Stimme beginnt zu sprechen: »Man hat Yıldırım BinbaÅı erschossen. In der Nähe seines Hauses ⦫

Ich möchte etwas fragen. Aber mein Mund ist so trocken, und ich merke, wie sich die dünne Haut über meinen Lippen spannt und an verschiedenen Stellen aufspringt. Ich versuche meine Lippen mit der Zunge anzufeuchten. Wie eine vertrocknete Echse krümmt sich meine Zunge im Mund. Die Stimme wartet nicht auf meine Frage, der Hörer wird aufgelegt. Wie versteinert bleibe ich mit dem Hörer in der Hand stehen. Vom Hörer fließt eine Flüssigkeit, die aussieht wie roter Schleim, die Schnur entlang zum Apparat. Ich schaue hin, es ist mein eigener Schweiß. Wenn ich noch länger in dieser Kabine bleibe, wird der Schweiß mich umbringen.

Als ich aus der Kabine herauskomme, taucht eine Menschenmenge vor mir auf, ein Trauerzug. Alle sind schwarz gekleidet, offenbar eine offizielle Trauerfeier. In gesammelter Trauer kommen sie mit schweren Schritten näher. Die meisten sind Männer; nur vor dem Sarg geht eine Frau. Vor ihrer Brust trägt sie ein Ölgemälde. Es muss das Bild des Verstorbenen sein. Das Haar der Frau ist unter einem schwarzen Kopftuch verborgen. Als sie sich nähern, erkenne ich sie: Gülseren, Yıldırıms Frau. Ich schäme mich. Ohne zu wissen, warum, werde ich verlegen wie ein Kind. Gülseren kommt auf mich zu, bleibt vor mir stehen. Ich lasse den Kopf hängen.

»Wenn du ihn bloß nicht allein gelassen hättest«, sagt sie. »Er hat dir vertraut.« In ihrer Stimme sind weder Trauer noch Wut. Sie klingt mechanisch und monoton.

Ich weiß nicht, was ich sagen soll, weiche nur zwei, drei Schritte zurück. Sie aber tritt näher. Je näher sie kommt, desto mehr weiche ich zurück. Jeden Schritt, den ich tue, folgt sie mir nach. Ich werde nervös. Was will diese Frau von mir? Ich hebe meinen Kopf. Ich bin darauf vorbereitet, dass sie mich mit einem vernichtenden, anklagenden Blick ansieht, der mir bedeutet, ich sei ein Feigling. Gülseren aber steht aufrecht vor mir mit ausdrucksloser Miene. Sie sieht mich nicht einmal, ihre Augen sehen durch meinen Körper hindurch auf einen Punkt in weiter Ferne. So schaut kein normaler Mensch. Ich sehe zur Menschenmenge hinüber und hoffe, dass mir vielleicht jemand zu Hilfe kommt. Aber sie haben alle den gleichen Blick wie Gülseren ⦠Ich bekomme Angst. Ich will sofort weg von hier, weit weg von diesen merkwürdigen Menschen. Als ich mich umdrehe und losrennen will, stolpere ich über meine eigenen Füße und schlage der Länge nach auf den Boden. Schnell drehe ich mich zu den Leuten um. Gülseren und der Trauerzug kommen auf mich zu. Ich habe keine Zeit, mich aufzurichten. Gleich werden sie mich zertrampeln. Ich greife nach meinem Revolver. Sobald ich mich bewege, wird auch die Menge schneller. Meine Hand findet die Pistolentasche, aber die Waffe ist weg. Sie kommen näher und näher, kein Meter ist mehr zwischen mir und dem Gemälde, das Gülseren vor sich her trägt. Mir ist, als erkenne ich den Mann auf dem Bild, aber je näher es kommt, desto verschwommener die Farben, und die Umrisse lösen sich auf. Ich glaube, ich verliere den Verstand. Ich hebe den Kopf und schaue mit einem letzten Funken Hoffnung auf Gülseren. Ihr Blick ist noch immer auf diesen Punkt in der Ferne gerichtet, keine Regung zeigt sich in ihrem Gesicht. Sie und die Menschen hinter ihr kommen langsam näher. Ich will schreien: »Bleibt stehen! Es ist ein Irrtum!« Aber ich kann den Mund nicht öffnen. Ich weiß nicht, was los ist. Mein Kiefer, die Lippen und die Zunge gehorchen mir nicht mehr. Sosehr ich mich auch anstrenge, nicht einmal ein Seufzer kommt über meine Lippen. Ich habe Angst. Je größer meine Angst wird, desto stärker schwitze ich. Ununterbrochen tritt mir Schweiß aus allen Poren, fließt über meine Schulter, über den ganzen Körper. Das Gemälde nähert sich schnell, jeden Augenblick wird sie es mir ins Gesicht schlagen. Ich wende meinen Kopf zur Seite und presse ihn gegen den Boden. Das Gesicht in die Erde gegraben, warte ich voller Angst darauf, dass ich zertreten, womöglich gelyncht werde. Mein Herz beginnt zu rasen wie eine kaputte Uhr, die zu schnell läuft. Ich höre meinen Schweiß auf die Erde tropfen. Das Tropfen übertönt das Klopfen meines Herzens. Ich stelle mir vor, wie ich aufstehe und eine schleimige Spur von mir auf der Erde...


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Autor

Ahmet Ümit, geboren 1960 in Gaziantep im Südosten der Türkei, schloss 1983 das Studium der Verwaltungslehre in Istanbul ab und schrieb im gleichen Jahr seine erste Erzählung. Von 1974 bis 1989 beteiligte er sich an Untergrundaktionen. Später arbeitete er in einer Werbeagentur. Er gilt als der Autor, der für die Türkei den Kriminalroman literaturfähig gemacht hat. Viele seiner Erzählungen wurden verfilmt.

Bei diesen Artikeln hat der Autor auch mitgewirkt