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Vor dem Morgen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
192 Seiten
Deutsch
Unionsverlagerschienen am15.12.20151. Auflage
Einen glücklichen Sommer verbringen die Inuit-Großmutter Ninioq und ihr Lieblingsenkel Manik auf einer kleinen, unbewohnten Insel vor der Küste Grönlands. Sie trocknen den reichen Fang des Frühjahrs, und während der hellen Nächte vertreiben sie sich die Zeit mit Geschichtenerzählen. Unter der Anleitung der weisen Ninioq macht Manik die ersten Schritte auf seinem Werdegang als tüchtiger Fänger. Als der Herbst kommt, freuen sich die beiden auf die Heimkehr in die Siedlung. Aber die Boote, die sie zurückholen sollten, bleiben aus. Ninioq hält immer wieder vergeblich Ausschau. Was wäre, wenn sie den unbarmherzigen arktischen Winter alleine überstehen müssten? Was, wenn sie gar die letzten Menschen auf dieser Welt wären?

Jørn Riel (1931-2023) kam im Alter von achtzehn Jahren als Mitglied einer Expedition in den Osten Grönlands und blieb dort. Von 1962 bis 1965 unternahm er Reisen nach Westindien, Nordafrika und Südostasien. Zu Fuß durchquerte er Sumatra in elf Monaten. Später arbeitete er im Dienst der UNO im Vorderen Orient, in Syrien und Jordanien. Nachdem er in Thailand, Indonesien und Papua-Neuguinea seinen Wohnsitz hatte, pendelte er zwischen +40 Grad Malaysia und -40 Grad Skandinavien.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,99

Produkt

KlappentextEinen glücklichen Sommer verbringen die Inuit-Großmutter Ninioq und ihr Lieblingsenkel Manik auf einer kleinen, unbewohnten Insel vor der Küste Grönlands. Sie trocknen den reichen Fang des Frühjahrs, und während der hellen Nächte vertreiben sie sich die Zeit mit Geschichtenerzählen. Unter der Anleitung der weisen Ninioq macht Manik die ersten Schritte auf seinem Werdegang als tüchtiger Fänger. Als der Herbst kommt, freuen sich die beiden auf die Heimkehr in die Siedlung. Aber die Boote, die sie zurückholen sollten, bleiben aus. Ninioq hält immer wieder vergeblich Ausschau. Was wäre, wenn sie den unbarmherzigen arktischen Winter alleine überstehen müssten? Was, wenn sie gar die letzten Menschen auf dieser Welt wären?

Jørn Riel (1931-2023) kam im Alter von achtzehn Jahren als Mitglied einer Expedition in den Osten Grönlands und blieb dort. Von 1962 bis 1965 unternahm er Reisen nach Westindien, Nordafrika und Südostasien. Zu Fuß durchquerte er Sumatra in elf Monaten. Später arbeitete er im Dienst der UNO im Vorderen Orient, in Syrien und Jordanien. Nachdem er in Thailand, Indonesien und Papua-Neuguinea seinen Wohnsitz hatte, pendelte er zwischen +40 Grad Malaysia und -40 Grad Skandinavien.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783293304420
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum15.12.2015
Auflage1. Auflage
Seiten192 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2614 Kbytes
Artikel-Nr.3421187
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe




2


Der Aufbruch verlief freudig und ganz ohne Wehmut. Obwohl die Wintersiedlung sie lange gut und freigebig versorgt hatte, war der allgemeine Wunsch aufgekommen, die Küste zu bereisen und neue Orte aufzusuchen. Niemand erinnerte sich mehr so richtig an die schweren Jahre, in denen die leeren Mägen geschmerzt hatten und der Hunger sie abstumpfte und entkräftete. Niemand erinnerte sich an die beißende Kälte, die in den Häusern herrschte, wenn der letzte Lampenspeck verbraucht war, und niemand konnte sich mehr an die langen, dunklen Tage erinnern, an denen man mit den wimmernden Kindern unter den Schlaffellen lag und auf das Jagdglück der wenigen Fänger wartete, die noch die Kraft besaßen, auf Fang zu gehen. Zwei Winter lang hatten sie in der Siedlung bei Inugsuk im Überfluss gelebt, und jetzt waren sie des Wohlbekannten müde.

Die vier Männer in ihren Kajaks waren zurückgekehrt und hatten von einem tiefen Fjord erzählt, dessen Mündung gegenüber der langen Insel lag, die Kerkertak genannt wurde. Sie hatten eine Herde Narwale aus dem Fjord kommen sehen, und an Kerkertaks Südspitze harpunierten sie zwei Walrosse, von denen sie eines erlegen und im Depot einlagern konnten. Auf dem Festland hatten sie frische Losung von Moschusochsen gesehen, und die Seitentäler waren voller Blumen und Beeren. Ja, es sah wirklich so aus, als ob die ausgewählte Sommersiedlung eine ebenso glückliche Wahl sein würde wie die Wintersiedlung.

Sie beluden die vier Frauenboote, nahmen die Dächer von den Häusern, um sie auszulüften, und brachen auf.

Ninioq saß am letzten Ruder in Katingaks Boot. Sie schaute auf die schwindende Talsenke, wo sie zwei Winter zugebracht hatte; einer der vielen Orte in ihrem ständigen Reiseleben, den sie lieben gelernt hatte. Sie betrachtete den Berg, der sich den hoch liegenden Talwegen des Inlandeises zuneigte, und sie konnte erkennen, dass es ein reiches Beerenjahr werden würde. Die Sonne hatte zeitig Kraft gehabt, und die Zweige waren schon sehr weit gediehen. In diesem Jahr würden die Beeren groß und saftig sein.

Nachdem die Ruder in den Gurten befestigt waren, half sie ihrem Enkel Manik über die Ruderbank und ließ ihn an der Seite sitzen. Der Junge saß ganz still und umklammerte seinen kleinen Vogelspeer. Er war mit seinen sieben Jahren noch so jung, dass ihm das Reiseleben nahezu unbekannt und deshalb alles ungemein spannend war.

Das Boot war randvoll beladen mit Zelten, Kochgeräten, Fellen, Werkzeug, Kleidung und was eine Familie sonst noch besaß. Außerdem lagen Katingaks und des alten Akutaks Hunde noch auf der Ladung. Man hatte ihnen die Läufe vorsorglich zusammengebunden, um auf See größere Raufereien zu verhindern.

Ninioq hob das Ruder aus dem Wasser und ließ ihren Blick auf Manik ruhen. Er war wohl der Mensch, den sie am meisten liebte. Obgleich er gar nicht seinem Vater und Großvater ähnlich war, fand sie doch so viel von beiden ihn ihm. Und sie war zeitweilig fast betreten darüber, wie stark sie sich selbst in ihm wiedererkannte.

Sie schob einen kleinen Fellbeutel, der unter der Ruderbank gelegen hatte, mit dem Fuß nach vorn und zwinkerte dem Jungen zu. Manik zwinkerte zurück und bückte sich nach dem Beutel, der mit kleinen Stückchen Narwalhaut gefüllt war - dem Köstlichsten, was ein Inuit kannte.

Vor Ninioq und Manik saß Kongujuk. Sie war nicht mehr gut zuwege. Kongujuk war ganz plötzlich alt geworden, und die Schmerzen taten das ihre mit jedem Tag, der verging. Seltsam, fand Ninioq, denn Kongujuk war die lebhafteste und vergnügteste Frau gewesen, die sie kannte. Ihr Leben war ungefähr genauso lang gewesen wie Ninioqs, aber es war wechselhafter verlaufen. Als junges Mädchen war sie von einem etwas älteren Junggesellen bei Agpa aus dem Zelt ihrer Eltern geraubt worden. Der Mann hatte sie schon lange begehrt, war aber von seiner Mutter, mit der er zusammenwohnte, zurückgehalten worden. Eines Tages aber wurde seine Lust übermächtig. Er befahl seiner Mutter, das Frauenboot mit vielen Rudern auszurüsten, von denen zwei in die Gurte sollten, und dann raubte er Kongujuk aus dem Familienzelt, an einem Tag, als alle Männer auf Fang waren. Er ließ seine Mutter und das entführte Mädchen das Frauenboot nach Norden rudern, und in den Siedlungen, an denen sie vorbeikamen, raubte er weitere Mädchen, bis alle Ruder des Frauenbootes besetzt waren.

Fünf Jahre lang lebte er hoch im Norden, dorthin kamen nur selten Menschen. Er war ein großer Fänger, und er erwarb sich dort oben die Gunst so kräftiger helfender Geister, dass er unverwundbar gegen den Zorn der Menschen wurde. Erst als ihn die Ruderinnen fast bis aufs Blut bedrängt hatten, aus Angst, zu alt zu werden, um einen Mann zu finden, ließ er sich überreden und kehrte zurück in bewohnte Gegenden. Er lieferte die ausgeliehenen Mädchen dort ab, wo er sie geholt hatte, und weil man in den Siedlungen von seiner Unverwundbarkeit hörte und seine Reichtümer bemerkte, verzichtete man darauf, Rache für die Entführungen zu nehmen.

In Agpa, wo Ninioq und Attungak damals wohnten, ließ er sich nieder. Er musste bei seiner Rückkehr einen der Brüder Kongujuks töten, doch danach konnte er in Frieden leben.

Wechselhaft war Kongujuks Leben gewesen, und sie hatte viel Leid getragen, denn sie konnte nie ein lebendes Kind gebären. Die beiden hatten einen fremden Jungen angenommen, der gut geraten war, aber nie die tiefe Liebe erfuhr, die Kindern zuteil werden sollte.

Jetzt wurde Kongujuk von Schmerzen verzehrt. Ihre Hände waren verkrümmt wie die Klauen eines Falken und nahezu kraftlos. Am schlimmsten ging es ihren Hüften; die Knochen waren verschlissen, und nun peinigten sie ständig Schmerzen, auch wenn sie ruhig auf der Schlafpritsche lag und sich ausruhte.

Aber Kongujuk wollte nicht sterben, das wusste Ninioq. Sie hielt die fürchterlichsten Schmerzen aus, um zu verhindern, auf dem Hundefell draußen im Eis sitzen zu müssen, was sie als große Schande für sich und ihre Familie empfunden hätte. Sie wurde von ihrem Adoptivsohn versorgt, der ein freundlicher, sanftmütiger Mann war. Er war ein tüchtiger Fänger, der ohne weiteres für sie aufkommen konnte, und er hatte zu keiner Zeit auch nur andeutungsweise zu erkennen gegeben, dass sie ihm eine Last war.

Ninioq ruderte und blickte auf Kongujuks gebeugten Rücken. Jede Bewegung mit dem Ruder musste wie Messer in ihren Körper schneiden. Kongujuk hatte Mühe, im Takt zu bleiben, ihre Ruderschläge waren zu schnell und kurz, und das Wasser spritzte jedes Mal vom Ruderblatt, wenn sie es eintauchte. Sie war nicht mehr von großem Nutzen, Kongujuk. Wenn man nur noch zur Last fiel, war es nicht angenehm, alt zu werden.

Ninioq stemmte die Füße gegen die Spanten und zog das Ruder durch, dabei hob sie ihr Hinterteil ein wenig von der Ruderbank. Sie besaß noch Kräfte, obwohl diese natürlich mit den Jahren weniger geworden waren. Aber noch konnte sie die Arbeiten, die ihr oblagen, bewältigen, und sie verspürte großes Mitleid mit Kongujuk, die keine Aufgabe mehr hatte.

Als Manik die Hälfte der Narwalhaut verspeist hatte, steckte er den Beutel zurück unter die Ruderbank und kroch nach hinten, wo Akutak, der älteste Fänger der Stammes, am Ruder saß. Akutak ließ den Jungen die Hände so um das Ruder legen, dass er ein Gefühl dafür bekam, wie das Boot sich verhielt. Sobald sie hinaus auf das erste offene Wasser in Küstennähe gekommen waren, überließ er Manik das Steuern, wobei er jedoch ab und zu unmerklich den Kurs korrigierte.

Akutak war einäugig und drehte immer das Gesicht ein wenig zu einer Seite, wenn er nach vorne sah, genau wie ein Vogel. Er war vor vielen Jahren allein über Nugssuaq gewandert gekommen und hatte dort Attungak, Ninioqs Mann, getroffen. Zu dieser Zeit war Akutak ein Mensch voller Kraft gewesen, auch wenn er damals schon einäugig gewesen war. Er stammte aus dem Norden und war drei Jahre ohne Gesellschaft gereist. Lange Zeit war er ohne Frau gewesen, ein Mangel, den er zu verbergen suchte, der aber leicht an seiner Bekleidung und auch am Ausdruck seines gesunden Auges abzulesen war.

Eine Zeit lang hatte er Kongujuk beigelegen, deren Mann in der Hoffnung einwilligte, dass sie schwanger würde. Alle in Agpa mochten den Fremden, und die meisten fanden es natürlich, als er nach einem halben Winter zwei Schwestern raubte und sie zu seinen Frauen machte. Nur zwei jungen Kerlen bereiteten diese Ehen Missvergnügen, weil Frauenmangel herrschte; man hatte vor Jahren während einer Hungersnot die meisten neugeborenen Mädchen auf dem Eis ausgesetzt. So schlimm es auch für Akutak, einen im Grunde friedlichen Mann, war - er musste die beiden jungen Hitzköpfe töten, erst dann waren seine Ehen voll akzeptiert.

Es war merkwürdig bei Akutak, dass er ebenso wie Kongujuk und ihr Mann nicht die Fähigkeit besaß, Kinder zu zeugen. Nicht weil er anders als andere Männer funktionierte, und schon gar nicht, weil sein Liebesspiel weniger wirkungsvoll war oder das wichtigste Körperteil unvollkommen. Dennoch hatte er nie im Schoß seiner Frau ein Kind gezeugt. Die Kinder, die er hatte, waren die anderer Männer, naher Freunde im Stamm, die er gebeten hatte, ihm diesen Dienst zu erweisen.

Eines der Kinder war von Attungak, das wusste Ninioq. Denn Akutak und ihr Mann waren wie Brüder. Sie teilten alles, gingen zusammen auf Fang, wohnten im selben Haus, nur mit einer niedrigen Trennwand zwischen ihren Familien. Sie...



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Autor

Jørn Riel (1931-2023) kam im Alter von achtzehn Jahren als Mitglied einer Expedition in den Osten Grönlands und blieb dort. Von 1962 bis 1965 unternahm er Reisen nach Westindien, Nordafrika und Südostasien. Zu Fuß durchquerte er Sumatra in elf Monaten. Später arbeitete er im Dienst der UNO im Vorderen Orient, in Syrien und Jordanien. Nachdem er in Thailand, Indonesien und Papua-Neuguinea seinen Wohnsitz hatte, pendelte er zwischen +40 Grad Malaysia und -40 Grad Skandinavien.

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