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Tiefe Narben

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
576 Seiten
Deutsch
Unionsverlagerschienen am01.01.2017
Bauarbeiten fördern die Leiche einer Frau zutage. Die Rippen wurden mit einer Gartenschere durchtrennt, der Schädel mit einem spitzen Gegenstand aufgebrochen - dasselbe Muster wie beim »Metzger«. Aber der sitzt im Gefängnis. Ein Nachahmungstäter? Doch woher weiß dieser, wie der »Metzger« mit seinem Opfer verfahren ist? Die Einzelheiten waren nur den Ermittlern bekannt. Da verschwindet eine weitere Frau. Mit ihr hatte Kriminalpolizist Bruno Cavalli ein Verhältnis. Verzweifelt hofft er, sie rechtzeitig zu finden. Vertrauen kann er nur noch Staatsanwältin Regina Flint, denn der Täter scheint über Insiderwissen zu verfügen.

Petra Ivanov verbrachte ihre Kindheit in New York. Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz absolvierte sie die Dolmetscherschule und arbeitete als Übersetzerin, Sprachlehrerin und Journalistin. Heute ist sie als Autorin tätig und gibt Schreibkurse an Schulen und anderen Institutionen. Ihr Debütroman Fremde Hände erschien 2005. Ihr Werk umfasst Kriminalromane, Thriller, Liebesromane, Jugendbücher, Kurzgeschichten und Kolumnen. Petra Ivanov hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, u. a. zweimal den Zürcher Krimipreis (2010 und 2022).
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,95
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextBauarbeiten fördern die Leiche einer Frau zutage. Die Rippen wurden mit einer Gartenschere durchtrennt, der Schädel mit einem spitzen Gegenstand aufgebrochen - dasselbe Muster wie beim »Metzger«. Aber der sitzt im Gefängnis. Ein Nachahmungstäter? Doch woher weiß dieser, wie der »Metzger« mit seinem Opfer verfahren ist? Die Einzelheiten waren nur den Ermittlern bekannt. Da verschwindet eine weitere Frau. Mit ihr hatte Kriminalpolizist Bruno Cavalli ein Verhältnis. Verzweifelt hofft er, sie rechtzeitig zu finden. Vertrauen kann er nur noch Staatsanwältin Regina Flint, denn der Täter scheint über Insiderwissen zu verfügen.

Petra Ivanov verbrachte ihre Kindheit in New York. Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz absolvierte sie die Dolmetscherschule und arbeitete als Übersetzerin, Sprachlehrerin und Journalistin. Heute ist sie als Autorin tätig und gibt Schreibkurse an Schulen und anderen Institutionen. Ihr Debütroman Fremde Hände erschien 2005. Ihr Werk umfasst Kriminalromane, Thriller, Liebesromane, Jugendbücher, Kurzgeschichten und Kolumnen. Petra Ivanov hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, u. a. zweimal den Zürcher Krimipreis (2010 und 2022).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783293306387
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum01.01.2017
Seiten576 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3109 Kbytes
Artikel-Nr.3421515
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Juli 2001


Ein letztes Mal kontrollierte er die schwere Eisentür. Rüttelte daran. Stieß mit der Schulter dagegen. Sie bewegte sich keinen Millimeter. Genau wie geplant. Zufrieden strich er mit der Hand über den roten Lack. Nirwana hatte jemand mit eckigen Buchstaben ins Metall geritzt. Erleuchtung. Wörtlich übersetzt: Erlöschen. Sie würde es nicht als Weg zum Glück betrachten, zumindest nicht zu Beginn. Doch wenn sie ihr bisheriges Leben auslöschte, wenn sie in einen Zustand der Zustandslosigkeit kam, würde er die Leere füllen. Dann sähe sie ein, warum es sein musste. Einsicht, dachte er. Nirwana ist Einsicht.

Seine Kopfhaut kribbelte, als er den Vorrat an Kabelbindern überprüfte. Diese Aufgabe mochte er am wenigsten, doch es war unumgänglich. Manche Frauen mussten zur Einsicht gezwungen werden. Auch vom Klebeband machte er nur ungern Gebrauch. Die Erstickungsgefahr war ihm zu groß. Lange hatte er deshalb nach einem abgelegenen Versteck gesucht, wo niemand ihre Schreie würde hören können. Schließlich hatte er aufgegeben. Die Schweiz war zu dicht besiedelt. Nirgends war man allein. Außer unter Menschen.

Im Winter könnte es hier kühl werden. Er hoffte, dass sie bis dahin so weit sein würde. Sonst müsste er eine Heizung installieren. Das würde zwar teuer, stellte ihn aber nicht vor zu große technische Probleme. Die Sommerhitze war unbedenklich, die dicken Mauern sorgten dafür, dass die Luft angenehm kühl blieb. Etwas feucht vielleicht, doch deshalb hatte er den Teppich verlegt. Die Rottöne des Blumenmusters sollten Geborgenheit vermitteln. Er hatte an alles gedacht. Nichts konnte schieflaufen. Heute Nacht würde sie einziehen. Genau wie geplant.

Aufgeregt schob er eine CD in die Anlage und drehte die Lautstärke aufs Maximum, wie jeden Dienstag-, Donnerstag- und Samstagabend in den letzten fünf Monaten. Er legte sich aufs schmale Bett und schloss die Augen. Ausnahmsweise ließ er die Bilder zu, die ihn immer begleiteten, einer chronischen Krankheit gleich. Wie sie vor ihm stand, die Brüste vom langen, dunklen Haar verdeckt, das sie tagsüber in einem engen Knoten gefangen hielt. Wenn er brav war, teilte sie die Strähnen, damit ihre Brustwarzen zum Vorschein kamen. Dann musste er ganz still liegen, die Hände an die Seiten gepresst. Die kleinste Bewegung genügte, und sie schnalzte missbilligend mit der Zunge. Wenn sie aber zufrieden mit ihm war, zog sie ihn aus. Langsam, die Finger leicht wie Schmetterlingsflügel. Die großen, braunen Augen auf ihn gerichtet. Ihre Haarspitzen kitzelten seine nackte Haut, ihre Brüste schaukelten hin und her.

Er hatte nicht gemerkt, dass er die Hose aufgeknöpft hatte. Sich tadelnd zog er die Hand zurück. Er durfte die Kontrolle nicht verlieren. Alles war genau durchdacht, aber sein Plan verlangte, dass er jeden Schritt so ausführte wie vorgesehen. Schon wieder machte sie ihm einen Strich durch die Rechnung. Er hörte sie in Gedanken lachen, dieses kehlige, abschätzige Lachen, das ihm die Tränen in die Augen getrieben hatte, und er ballte die Hände zu Fäusten. Nicht jetzt, schrie es in ihm. Nicht jetzt. In zehn Minuten musste er los. Genau wie geplant.

JAM BA TASH GATI ME DAL PREJ SHPIS

KUNDËR ARMIKUT ME LUFTU JAM NIS

Dash murmelte die Worte, die er notiert hatte, und ließ seinen Bleistift fallen. Mit Schwung stieß er sich vom Schreibtisch ab, der Drehstuhl wirbelte um die eigene Achse. Als er sich nicht mehr bewegte, legte Dash die Hand auf die Computertastatur. Er stellte den Beat ein, wiederholte den Reim.

NANEN BABEN MOTREN GRUN EDHE FMIN

I SHOF ME LOT NË SY, SEPSE M´ERDH KOHA ME SHKU, E DIN

Wie weiter?

Er fuhr sich mit der Hand durchs stachelige Haar, vergaß, dass er sich bereits zum Ausgehen frisiert hatte. Seine Handfläche glänzte vom noch feuchten Gel. Er fluchte.

»Dash!«, mahnte Bajram Selmani.

Sein Vater hörte alles. Obwohl er meist nur dasaß, den Blick auf eine Zeitung gerichtet, die er nicht las.

Dash klappte mit der sauberen Hand den Laptop zu und ging in die Küche. Dort schnippte er mit den Fingern.

SYT ME LOT KREJT, JUVE JU THAM LAMTUMIR

NANA DHE BABA M´THOJN DO T´PRESUM O BIR

Laut rappte er die neuen Strophen.

Sein Vater sah auf, drehte das kantige Gesicht in seine Richtung, ohne ihn wahrzunehmen. Leise bat er ihn aufzuhören.

»Was?« Dashs Fuß gab immer noch den Rhythmus vor.

»Über den Krieg zu singen, steht dir nicht zu«, sagte sein Vater.

Dash wollte widersprechen, doch Baba widersprach man nicht. Schon gar nicht, wenn er in dieser Stimmung war. Obwohl Bajram Selmani noch nie die Hand gegen seinen Sohn erhoben hatte, fürchtete sich Dash vor ihm. Vor der Leere in seinen Augen. Vor seiner gebückten Haltung, dem Hinken. Auch jetzt, wo er nur dasaß, vor sich ein halbes Kilogramm Lammfleisch in verschweißter Folie.

Verstohlen blickte Dash auf die Uhr. Es war schon halb zehn. Um zehn hatte er sich in der Stadt verabredet. Wenn er nicht rechtzeitig erschien, würden seine Kollegen ohne ihn losfahren. Seit Wochen freute er sich aufs Konzert; es kam nicht oft vor, dass Etno Engjujt in der Schweiz auftrat.

Bajram Selmani stand auf. Wortlos holte er eine CD des Pianisten Desar Sulejmani, die er Dash reichte.

»Das ist richtige Musik«, sagte er.

Dash wippte ungeduldig mit dem Fuß.

»Geh, hör sie dir an«, befahl sein Vater.

»Ich muss los.« Dash bewegte sich rückwärts zur Tür.

»Hör sie dir an«, wiederholte sein Vater.

»Später.«

»Jetzt.«

Dash kam sich vor wie ein Insekt in einem Spinnennetz. Hilflos starrte er in die leeren Augen seines Vaters. Er schluckte mühsam. Wandte seinen Blick vom dünnen Mann ab, der vor ihm saß. Von dem sie sagten, er sei sein Vater.

Der Vater, den Dash in Erinnerung hatte, war stark gewesen. Mit geradem Rücken hatte er am Kopfende des Tisches gesessen, den Erzählungen seiner Kinder aufmerksam zuhörend. Ab und zu hatte er Fragen gestellt, um zu prüfen, ob sie im Schulunterricht tatsächlich aufgepasst hatten. Sie sollten es besser haben als er, studieren, etwas aus ihrem Leben machen. Seine feurigen Reden hallten Dash immer noch in den Ohren. Als die Repressionen der serbischen Behörden zunahmen, unterrichtete Bajram Selmani seine Söhne und die Kinder seiner Brüder selbst. Dash war damals erst sieben gewesen, das lange Zuhören war ihm schwergefallen. Manchmal holte ihn seine Mutter, und er durfte in der Küche helfen. Seinem Vater erklärte sie, sie brauche Dash, damit er Holz hole und anfeuere. Dass er in Wirklichkeit Äpfel schälte, verschwieg Nana. Das war Frauenarbeit.

In seinem Zimmer schob Dash die CD ins Laufwerk und klickte auf Play. Als Klaviertöne aus dem Laptop perlten, holte er seinen MP3-Player hervor. Er steckte die Stöpsel in die Ohren und wählte seinen Lieblingsrap. Mit geschlossenen Augen ließ er sich aufs Bett fallen, die Frisur war ihm egal.

MOTRA: VLLA ALLAHU DOT NDIHMOJ

GRUJA ME LOT NE SY: KURR SDO TË HARROJ

Er schrieb den Reim auf.

Große, braune Augen blickten ihn über den Rand des Weinglases hinweg an. Rehaugen, dachte er. Wie ihre. Er hatte gut gewählt.

Musik rieselte aus verborgenen Lautsprechern, ein Paar tanzte eng umschlungen. Nackte Arme und Beine ineinander verkeilt. Ein Mann gesellte sich dazu, stellte sich hinter die Frau und sah ihren Partner fragend an. Als dieser kaum merklich den Kopf schüttelte, versuchte er es bei einem anderen Paar.

»Ich glaube, das hintere Zimmer ist frei«, flüsterte sie ihm zu, mit der Zunge über sein Ohrläppchen fahrend.

In einem Zug leerte er sein Glas, setzte eine einstudierte, bekümmerte Miene auf.

»Du bekommst nicht etwa kalte Füße?«, scherzte sie. Als er nicht antwortete, verschwand das Lächeln auf ihrem Gesicht. »Im Ernst? Ist es dein erstes Mal?«

Er senkte den Blick. »Wird jemand zusehen?«

»Schon möglich. Ist dir das unangenehm?«

Er wand sich auf dem Barhocker.

»Warum bist du hier?«, fragte sie.

»Ich dachte ... die Vorstellung ... aber jetzt ...«

Sie strich ihm über den Arm. Fast nachsichtig, als tröste sie ein Kind, das sich zu weit von seiner Mutter entfernt hatte. »Zu mir nach Hause können wir nicht.«

Er ließ sich nicht anmerken, dass er über ihre Ehe Bescheid wusste. Scheu bemerkte er, dass er in der Nähe wohne.

Genau wie geplant.

Zusammen traten sie in die Nacht hinaus. Die Personen, denen sie begegneten, starrten zu Boden. Niemand wollte erkannt werden.

Die Fahrt dauerte nur zehn Minuten. Im eigenen Revier zu jagen, war gefährlich, doch wie erwartet hatte gerade die geringe Distanz sie überzeugt. Erst als sie die Metalltür sah, wurde sie misstrauisch. Er beobachtete, wie sich eine Ahnung in ihren Blick schlich. Damit hatte er gerechnet. Zuerst würde sie ihr Unbehagen verdrängen, sich einreden, dass ihre...


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Autor

Petra Ivanov verbrachte ihre Kindheit in New York. Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz absolvierte sie die Dolmetscherschule und arbeitete als Übersetzerin, Sprachlehrerin und Journalistin. Heute ist sie als Autorin tätig und gibt Schreibkurse an Schulen und anderen Institutionen. Ihr Debütroman Fremde Hände erschien 2005. Ihr Werk umfasst Kriminalromane, Thriller, Liebesromane, Jugendbücher, Kurzgeschichten und Kolumnen. Petra Ivanov hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, u. a. zweimal den Zürcher Krimipreis (2010 und 2022).

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