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Kampuchea

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Unionsverlagerschienen am19.02.2018
Der französische Forscher Henri Mouhot stößt sich bei einer Schmetterlingsjagd den Kopf, blickt auf und steht erstaunt vor den vergessenen Tempelanlagen von Angkor Wat. Rund hundertfünfzig Jahre später tobt in Thailand die Revolution der Rothemden, und in Kambodscha wird »Duch«, dem Leiter des Foltergefängnisses der Roten Khmer, der Prozess gemacht. Auf einer packenden Spurensuche durch das letzte Jahrhundert entfaltet sich zwischen Königen und Bauern, Generälen und Kommunisten das Drama der kambodschanischen Geschichte. Kampuchea wurde vom Magazin Lire zum besten französischen Roman 2011 gewählt.

Patrick Deville, geboren 1957, studierte Vergleichende Literaturwissenschaften und Philosophie in Nantes und arbeitete dort anfänglich als Dozent. Er lebte in den 1980er Jahren im Nahen Osten, in Nigeria und Algerien. In den 1990er Jahren besuchte er Kuba, Uruguay, Mittelamerikanische Staaten und Staaten des ehemaligen Ostblocks. Er gründete und leitet die »Maison des écrivains étrangers et des traducteurs« und deren Zeitschrift Meet. Seine Werke wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem als »bester Roman des Jahres« der Zeitschrift Lire, mit dem Fnac-Preis und dem Prix Femina.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,95
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR11,99

Produkt

KlappentextDer französische Forscher Henri Mouhot stößt sich bei einer Schmetterlingsjagd den Kopf, blickt auf und steht erstaunt vor den vergessenen Tempelanlagen von Angkor Wat. Rund hundertfünfzig Jahre später tobt in Thailand die Revolution der Rothemden, und in Kambodscha wird »Duch«, dem Leiter des Foltergefängnisses der Roten Khmer, der Prozess gemacht. Auf einer packenden Spurensuche durch das letzte Jahrhundert entfaltet sich zwischen Königen und Bauern, Generälen und Kommunisten das Drama der kambodschanischen Geschichte. Kampuchea wurde vom Magazin Lire zum besten französischen Roman 2011 gewählt.

Patrick Deville, geboren 1957, studierte Vergleichende Literaturwissenschaften und Philosophie in Nantes und arbeitete dort anfänglich als Dozent. Er lebte in den 1980er Jahren im Nahen Osten, in Nigeria und Algerien. In den 1990er Jahren besuchte er Kuba, Uruguay, Mittelamerikanische Staaten und Staaten des ehemaligen Ostblocks. Er gründete und leitet die »Maison des écrivains étrangers et des traducteurs« und deren Zeitschrift Meet. Seine Werke wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem als »bester Roman des Jahres« der Zeitschrift Lire, mit dem Fnac-Preis und dem Prix Femina.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783293309913
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum19.02.2018
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3339 Kbytes
Artikel-Nr.3421575
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Ein Schmetterlingsjäger


Er heißt Mouhot. Henri Mouhot. Henri die Wissenschaft. Fangen wir von vorne an. Mit seinem Lepidopterologen-Kram. Betrachten wir ihn, wie er mit seinem Schmetterlingsnetz auf den Wald zugeht, in der Finsternis des Waldes verschwindet, aus der er nie wieder hervorkommt. In der Mouhot starb.

Mouhot, das ist Kleopatras Nase und Leibniz´ Theodizee, die Geschichte vom Flügelschlag eines Schmetterlings, der viele tausend Kilometer entfernt oder Dezennien später eine Katastrophe auslöst. Ohne Mouhot hätten vielleicht weder Ieng Sary und Ieng Thirith noch Pol Pot jemals die Rue Saint-André-des-Arts gesehen.

Dieser friedfertige Forscher lässt hier den Orient und den Okzident aufeinanderprallen, in seinem Kielwasser folgen Ausbeutung, Eroberung, Kolonisation, Krieg. Dabei ist Mouhot nicht der erste Europäer, der die Tempel von Angkor entdeckt. Verirrte portugiesische Reisende hatten schon im 16. Jahrhundert die großen steinernen Gespenster in der feuchten Dunkelheit des Waldes erwähnt. Aber dieser Mouhot schreibt und zeichnet eben ziemlich gut. Und er hat einen Sextanten und einen Kompass dabei. Monate nach seinem Tod in der Gegend von Luang Prabang werden seine Habseligkeiten, seine Insektengläser, seine ausgestopften Tiere, seine Herbarien und vor allem sein Tagebuch wiedergefunden. Darin ist die Position der Tempel von Angkor festgehalten. Während des Second Empire sind solche Reisen in unbekannte Gegenden Mode geworden, die ein einsamer Tod mit dem Nimbus christlicher Größe umstrahlt. Man reißt sich um die Zeitschriften der Geographischen Gesellschaften und um Le Tour du monde, die Mouhots Tagebuch als Fortsetzungsbericht veröffentlicht, doch Mouhot wird es nie erfahren. Mouhot ist berühmt. Ruhm zu Lebzeiten hat sein Gutes.

Wer war dieser Mann, den die Götter auserwählten, damit er die Geschichte so umkrempelt, dass man 1860 als Mouhot-Jahr, als das Jahr null ansetzen und jedes Ereignis auf das Jahr x vor HM oder nach HM datieren könnte? Man weiß, dass er kein Sitzfleisch hatte. Was hat schon ein armer Junge aus Montbéliard, der zur Restaurationszeit geboren wurde, in Russland verloren? Zehn Jahre ist er dort geblieben, bis nach Woronesch gekommen, hat sich als Lehrer anstellen lassen, während er auf bessere Zeiten und Abenteuer wartete. Er hätte weiter nach Osten vordringen können, ins unerforschte Sibirien, wohin schon die Dekabristen deportiert wurden. Doch er lässt sich auf Jersey nieder, um Schmetterlinge zu studieren und die Großnichte Mungo Parks zu verführen. Sie ist es, die ihn beflügelt und ihm den Zutritt zur London Geographical Society verschafft. Mungo Park hatte zwei Expeditionen auf dem Niger geleitet, war von den Arabern monatelang als Sklave gehalten worden, war allein durch die Wüste geflohen. Nach einem Angriff der Hausa war er in dem großen Fluss ertrunken, den er kartographieren wollte. Auch Mouhot gehört zu diesen enzyklopädischen Gelehrten, den Erben der Aufklärung, er ist zugleich Entomologe, Botaniker, Hydrograph, Archäologe. Mit einem Dienstauftrag und englischem Kapital versehen schifft er sich nach Asien ein. Der Planet ist noch kein Senfkorn. Man kann ihn noch nicht an einem Tag durcheilen. Hundertdreißig Tage dauert die Reise auf dem Segelschiff von London nach Singapur. Etwa hundert Kilometer schafft man an einem Tag. Von Bangkok aus erreicht er Kambodscha. »Pnom-Penh befindet sich am Zusammenfluss von zwei großen Wasserläufen, wenn man die pendelnde Bevölkerung außer Acht lässt, die ungefähr die Hälfte der Bewohner ausmacht, leben dort etwa zehntausend Einwohner, fast alles Chinesen.« Auf dem Rücken von Elefanten dringt er weiter nach Norden vor, verbringt die ersten Monate des Jahres 1860 in Angkor, das er Ongkor schreibt und wo er sich eine Bambushütte baut, aber was ihn interessiert, sind Insekten. »Meine Wanderungen haben mich mehr als einmal zu den großen Ruinen geführt, die sich mitten im Wald befinden, und ich habe dort eine Reihe schöner Schmetterlinge und mehrere neue Insekten gesammelt.« Er unternimmt es dennoch, »die unzweifelhaften Überreste eines versunkenen Reichs und einer verschwundenen Kultur« zu begehen und aufzulisten. Bei seinen Wanderungen durch den Wald, und es sind beträchtliche Strecken, die er zurücklegt, erschüttern ihn nach und nach all diese verlassenen, von Lianen und Wurzeln verschlungenen, von Affen bevölkerten Tempel, und ihm wird bewusst, dass er ein weit verstreutes Werk entdeckt hat, »das vielleicht niemals seinesgleichen auf der Erdkugel hatte. Und dass diese Steine viel zu erzählen haben! Dass sie lautstark vom Genie, der Kraft und der Geduld, dem Talent, dem Reichtum und der einstigen Macht der Khmerdom oder Kambodschaner künden!«

Mouhot fährt über den großen See Tonlé Sap, den er Touli-Sap schreibt. »Ich kaufte ein kleines, leichtes Boot, in das alle meine Kisten hineinpassten, mit einem schmalen, überdachten Platz für meine Person und einem weiteren für die Zwei- und Vierfüßler, die meine adoptierte Familie bildeten: zwei Ruderer, ein Affe, ein Papagei und ein Hund. Einer meiner Diener war Kambodschaner, der andere Annamite, beide waren sie Christen und kannten einige Worte Latein und Englisch, was mir zusammen mit dem wenigen Siamesisch, das ich bereits lernen konnte, genügen musste, um mich grob verständlich zu machen.« Auf dem See wird er mangels Schmetterlingen zum Ornithologen.

Er ist erstaunt, dass die Strömung von Süden nach Norden zieht, statt hinunter zu dem Fluss, in den der See abzufließen scheint. Man belehrt ihn über den jährlichen Wechsel der Fließrichtung des großen Sees, das Herz des Landes, das im Jahr zweimal schlägt, erst dem Mekong zufließend, dann von ihm abfließend. »Das periodisch über die Ufer tretende Wasser tränkt die Ebene und macht die Erde außerordentlich fruchtbar. Hier muss der Mensch nur säen und pflanzen, alles andere überlässt er der Sonne, weder kennt er all die Luxusgegenstände, die zum Leben eines Europäers gehören, noch hat er das Bedürfnis nach ihnen.« Das hätten achtzig Jahre zuvor auch der Botaniker Jean-Jacques Rousseau oder ein Jahrhundert später Pol Pot schreiben können. Die Liebe zur Natur und der Hass auf die Moderne, die Freude am einfachen und genügsamen Leben. Der Hunger nach Abenteuer, der die Brust schwellt. Er greift zum emphatischen Plural: »Wir gestehen aufrichtig, dass wir niemals glücklicher waren als in dieser schönen und grandiosen tropischen Natur, in diesen Wäldern, in denen nur die Stimmen der wilden Tiere und der Vogelgesang die feierliche Stille trüben. Ah! Müsste ich mein Leben in diesen einsamen Gefilden lassen, sie wären mir lieber als alle Freuden, als alle lärmenden Vergnügungen in den Salons der kultivierten Welt, wo der denkende und fühlende Mensch so oft allein ist.« Das sagt sich so leicht. Er sollte seine Meinung noch ändern. Die Misanthropie des einsamen Spaziergängers ist köstlich, solange man bei Gesundheit ist. Die seine scheint in den ersten beiden Jahren eisern zu sein. Allein und krank spuckt man weniger große Töne.

Er fährt den Mekong hinauf Richtung Laos. Die Dorfbewohner, auf die er trifft, sind friedfertig und sehen in ihm einen sanften, harmlosen Bekloppten, beobachten ihn lächelnd beim Präparieren von Tieren: »Das zieht jede Menge neugieriger Siamesen und Chinesen an, die den Farang sehen und seine Merkwürdigkeiten bestaunen wollen.« Noch ist er, Mouhot, bester Laune, glücklich in der Natur, zu Fuß auf Entdeckungsreise, mit der körperlichen Robustheit eines jungen und gesunden Mannes, noch bekommt er einen hoch: Die Einsamkeit des weißen Mannes ist stets bevölkert mit Eingeborenenfrauen. Doch dieses Tagebuch, das weiß er, könnte Mungo Parks Großnichte auf Jersey in die Hände fallen. Wenn es um Süßwassermolusken geht, ist er viel beredter. Mit der Souveränität eines systematisch klassifizierenden Gottes tauft er und ordnet ein: Ihm verdanken wir die Bulimus Cambogiensis und die Helix Cambogiensis, und schließlich, vielleicht weil ihm nichts Besseres eingefallen war, oder aus bescheidener Selbstgefälligkeit, Helix Mouhoti.

Doch dann wird der Schritt schwerer, langsamer, bleibt stecken. Immer weniger hat der erschöpfte Körper den Amöben, der Ruhr, den Parasiten, diesen ganzen Gemeinheiten entgegenzusetzen, von denen es in dieser grandiosen tropischen Natur wimmelt, die man zuletzt verabscheut und auskotzt. Fern von allem außer von Luang Prabang am anderen Ufer des Mekong und ohne Arzneimittel ist er völlig auf sich allein gestellt. Er ist zum Mineralogen oder zum Goldwäscher geworden, vielleicht auch verrückt vom Goldfieber. Im Flussbett des Nam Ou hat er kleine Klumpen oder Pailletten gefunden. Trotzdem, man muss es einfach sagen, kotzt es ihn an. Der Ton des Tagebuchs wird düsterer. Es kommt so weit, dass er sich nach der Dummheit und Kleingeistigkeit der Salons in Montbéliard sehnt: »Ich fühle mich traurig, bin nachdenklich und unglücklich. Ich sehne mich nach der Heimat. Ich hätte gern etwas Leben um mich. Die Einsamkeit drückt weiter auf meine Stimmung.« Etwas oberhalb des Flusses liegt er im warmen Regen in seinem Unterstand, krümmt sich auf seinem Lager, auf dem es von Insekten wimmelt, die er zerdrückt, ohne nach ihrem Namen zu forschen, er, Mouhot, nässt sich ein, trinkt schlammiges Wasser, schreibt immer weniger. Ein einziger Satz am 19. Oktober 1861: »Ich habe Fieber.« Dann zehn Tage nichts. Und schließlich die letzten Worte, mit einer flehenden Hand geschrieben am 29.: »Oh mein Gott, erbarme Dich meiner.« Er stirbt mit fünfunddreißig Jahren.
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Autor

Patrick Deville, geboren 1957, studierte Vergleichende Literaturwissenschaften und Philosophie in Nantes und arbeitete dort anfänglich als Dozent. Er lebte in den 1980er Jahren im Nahen Osten, in Nigeria und Algerien. In den 1990er Jahren besuchte er Kuba, Uruguay, Mittelamerikanische Staaten und Staaten des ehemaligen Ostblocks. Er gründete und leitet die »Maison des écrivains étrangers et des traducteurs« und deren Zeitschrift Meet. Seine Werke wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem als »bester Roman des Jahres« der Zeitschrift Lire, mit dem Fnac-Preis und dem Prix Femina.

Bei diesen Artikeln hat der Autor auch mitgewirkt