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Das brennende Mädchen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Hoffmann und Campe Verlagerschienen am14.08.2018
Claire Messud erzählt davon, was uns Menschen aneinander bindet und warum der Verlust der ersten großen Freundschaft so schmerzt. Julia kann sich an keine Zeit erinnern, in der sie Cassie nicht gekannt hat. Sie sind schon so lange befreundet, dass es Julia schwerfällt zu begreifen, wie sie sich verloren haben. Kein einschneidendes Ereignis, das ihr helfen würde zu verstehen, und so spürt sie den kleinen Veränderungen nach. Julia wächst in einem fürsorglichen Elternhaus auf, während die Familie von Cassie immer schon unvollständig gewesen ist. Sie hat ihren Vater nie kennengelernt, und der sich plötzlich in ihr Leben drängende neue Freund der Mutter macht diese Lücke nur noch schmerzhafter bewusst. Sie beginnt eine aufreibende Suche, bei der sie sich selbst zu verlieren droht. 'Claire Messud ist eine absolut meisterhafte Geschichtenerzählerin und eine verblüffend gute Autorin. Es ist diese Mischung aus Phantasie und Können, die 'Das brennende Mädchen' so außergewöhnlich machen.' Los Angeles Times

Claire Messud, geboren 1966, stammt aus einer kanadisch-französischen Familie und wuchs in den Vereinigten Staaten, Kanada und Australien auf. Sie studierte an der Yale University sowie an der Cambridge University. Ihr Großstadtroman Des Kaisers Kinder war ein weltweiter Erfolg. 2018 erschien ihr Roman Das brennende Mädchen. Sie unterrichtet Kreatives Schreiben an verschiedenen Colleges und ist mit dem britischen Literaturkritiker James Wood verheiratet; das Paar hat zwei Kinder und lebt in Washington, D.C. und in Somerville, Massachusetts.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextClaire Messud erzählt davon, was uns Menschen aneinander bindet und warum der Verlust der ersten großen Freundschaft so schmerzt. Julia kann sich an keine Zeit erinnern, in der sie Cassie nicht gekannt hat. Sie sind schon so lange befreundet, dass es Julia schwerfällt zu begreifen, wie sie sich verloren haben. Kein einschneidendes Ereignis, das ihr helfen würde zu verstehen, und so spürt sie den kleinen Veränderungen nach. Julia wächst in einem fürsorglichen Elternhaus auf, während die Familie von Cassie immer schon unvollständig gewesen ist. Sie hat ihren Vater nie kennengelernt, und der sich plötzlich in ihr Leben drängende neue Freund der Mutter macht diese Lücke nur noch schmerzhafter bewusst. Sie beginnt eine aufreibende Suche, bei der sie sich selbst zu verlieren droht. 'Claire Messud ist eine absolut meisterhafte Geschichtenerzählerin und eine verblüffend gute Autorin. Es ist diese Mischung aus Phantasie und Können, die 'Das brennende Mädchen' so außergewöhnlich machen.' Los Angeles Times

Claire Messud, geboren 1966, stammt aus einer kanadisch-französischen Familie und wuchs in den Vereinigten Staaten, Kanada und Australien auf. Sie studierte an der Yale University sowie an der Cambridge University. Ihr Großstadtroman Des Kaisers Kinder war ein weltweiter Erfolg. 2018 erschien ihr Roman Das brennende Mädchen. Sie unterrichtet Kreatives Schreiben an verschiedenen Colleges und ist mit dem britischen Literaturkritiker James Wood verheiratet; das Paar hat zwei Kinder und lebt in Washington, D.C. und in Somerville, Massachusetts.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783455003949
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum14.08.2018
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse609 Kbytes
Artikel-Nr.3425576
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
CoverTitelseiteWidmungMottoErster TeilZweiter TeilDritter TeilDanksagungÜber die Autorin und die ÜbersetzerinImpressummehr
Leseprobe
Erster Teil

Man sollte meinen, es würde mich nicht mehr beschäftigen. Die Burnes sind vor langem weggezogen. Zwei Jahre sind seitdem vergangen. Aber ich kann immer noch nicht auf den Felsen am Rand des Steinbruchs in der Sonne liegen oder die Zehen ins kalte, klare Wasser baumeln lassen oder die anderen Mädchen dort singen hören, ohne mir die ganze Zeit über bewusst zu sein, dass Cassie nicht mehr da ist. Und dann will ich was sagen - aber es geht nicht, wisst ihr. Es ist, als hätte sie nie existiert.

Also fahre ich entweder gar nicht erst raus, oder ich komme direkt nach Hause, lasse mein Fahrrad im Garten auf den Rasen fallen und mit durchdrehenden Reifen liegen, schmeiße die Fliegengittertür hinter mir so laut zu, dass meine Mutter jedes Mal erschrickt und durch die Küche eilt und mich ansieht, die Augen voller Gefühle, die ich nacheinander wahrnehme - Liebe, Angst, Frustration, Enttäuschung, aber hauptsächlich Liebe. Meist sagt sie nur ein Wort - »Durst?« - mit Fragezeichen, und das Wort ist die Brücke von dort nach hier, und ich sage entweder ja oder nein, und sie schenkt mir Wasser aus dem Krug im Kühlschrank ein oder eben nicht. Und von da aus sehen wir weiter, machen wir weiter.

So vergehen die Tage und werden weiterhin vergehen - war es nicht Cassie selbst, die sagte: »Es ist alles nur eine Frage der Zeit«? -, und wir werden diesen Sommer überstehen, genau wie wir den letzten Sommer überstanden haben, genau wie wir alles, was vor mehr als zwei Jahren passiert ist, überstanden haben. Jeder Tag schafft etwas mehr Abstand zwischen heute und damals, also kann ich glauben - muss ich glauben -, dass ich eines Tages zurückblicken werde und das »Damals« nur noch ein Fleck am Horizont sein wird.

Je nachdem, wo man anfängt, ist es eine andere Geschichte: wer gut ist, wer böse ist, was das alles zu bedeuten hat. Wir alle legen uns unsere Geschichten zurecht, damit sie irgendwie unserem Selbstbild entsprechen. Ich kann da anfangen, als Cassie und ich beste Freundinnen waren; oder ich kann da anfangen, als wir es nicht mehr waren; oder ich kann mit dem düsteren Ende anfangen und das Ganze von hinten aufrollen.

Ein »Davor« gibt es aber nicht: Cassie und ich haben uns im Kindergarten kennengelernt, und ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der ich sie nicht gekannt habe, in der ich nicht ihren glatten weißen Kopf in einer Menge entdeckt oder genau gewusst hätte, wo im Raum sie sich befindet, und sie auf gewisse Art als mein betrachtet hätte. Cassie war winzig, zart wie ein Vogel. Sie war immer die Kleinste in der Klasse, und ihr Fußgelenk war so schmal wie mein Handgelenk. Sie hatte glänzende weißblonde Haare, fast so hell wie die eines Albinos, und durchscheinende, leicht rosa schimmernde Haut. Aber es wäre falsch gewesen, sie wegen ihrer Größe und Blässe für zerbrechlich zu halten. Man brauchte ihr bloß in die Augen zu schauen - stille blaue Augen, die bei dunklem Wetter grau wurden wie das Wasser im Steinbruch -, um zu sehen, dass sie hartgesotten war. Oder stark - das ist wohl das bessere Wort. Wobei sie natürlich am Ende nicht stark genug war. Aber selbst damals, als wir noch klein waren, hatte sie so eine Art an sich, eine Mir-doch-egal-Haltung; sie hatte einfach vor nichts Schiss.

Laut meiner Mutter und Cassies Mutter Bev freundeten Cassie und ich uns in der zweiten Woche im Kindergarten an, als Vierjährige. Das war immer die Story, wobei ich heute nicht mehr sagen kann, ob ich mich wirklich daran erinnere oder mir die Geschichte nur so oft habe erzählen lassen, dass ich die Erinnerung dazu erfunden habe. Ich spielte mit ein paar anderen Kindern im Sandkasten, und Cassie stand mitten auf dem Spielplatz, die Hände an den Seiten herabhängend wie ein Zombie, und starrte alles an, nicht nervös, nur völlig unbeteiligt. Ich verließ meine Spielkameraden, ging zu ihr hin, berührte sie am Ellenbogen und sagte, so wurde es mir jedenfalls erzählt: »Na, willst du mit mir eine Sandburg bauen?« Und plötzlich erschien das seltene breite Lächeln auf ihrem Gesicht, ein berühmtes Lächeln, das später noch besser wurde wegen der Georgia-Jagger-Zahnlücke zwischen ihren Schneidezähnen. Sie kam mit mir zum Sandkasten. »Und das«, sagte meine Mutter immer, »war das.«

Wenn man im Kindergarten ist, macht man sich darüber keine allzu großen Gedanken. Wir waren beide Einzelkinder und sagten uns immer, die andere sei die Schwester, die wir nie hatten. Niemand hätte uns für blutsverwandt gehalten - ich war groß für mein Alter und kräftig, das Gegenteil von Cassie, und ich habe dunkle Locken. Aber blaue Augen hatten wir beide. »Guck dir unsere Augen an«, sagten wir immer. »Im Geheimen sind wir Schwestern.«

Ich kannte ihr Zuhause und ihr Kinderzimmer so gut wie mein eigenes. Cassie lebte mit ihrer Mutter am Ortseingang in einer Sackgasse abseits der Route 29 in einer relativ neuen Wohnsiedlung aus den Neunzigern, als die Wirtschaft boomte. Von außen war es das perfekte Häuschen und sah aus, als wäre es irgendwo aufgehoben und auf dieses bescheidene Grundstück gepflanzt worden; ein weißes Holzhaus mit roten Fensterläden, Dachfenstern, langem, dunklem Schrägdach und einem sorgfältig bemessenen Vorgarten, der ein bisschen mager war und Jahr für Jahr mehr Unkraut hervorbrachte, bis er fast nur noch aus Fingerhirse und Klee bestand, und mit einem komischen weißen Lattenzaun mit Eingangstörchen, der bloß ein U formte, also nicht das ganze Haus umgab - ein Dekozaun, würde man wohl sagen. Jenseits des Zauns und hinter dem Haus begann die unberührte Natur, Wilde Möhre und junger Ahorn, eifrige Akazien und Holundersträucher bis in den Himmel, und jenseits dieser ersten Wildnis kam der dunkle nordöstliche Wald, keine zehn Meter hinterm Haus, ein beständiger Hinweis darauf, dass die Bäume und Falken und Rehe und Bären - einmal sahen wir in der Sackgasse mitten auf der Straße eine Bärenmutter und ihre drei Jungen auf dem Weg zu den Mülltonnen - schon da waren, lange bevor die Menschen auftauchten, und bestimmt auch lange nach ihnen noch da sein würden.

Das Wort, das mir noch heute dazu einfällt, ist »übergriffig«: Es fühlte sich an, als würde der Wald auf das Haus der Burnes übergreifen, obwohl es in Wirklichkeit natürlich genau andersrum war: Die Bauunternehmer hatten den Menschen auf die Natur übergreifen lassen. Rechts und links vom Haus der Burnes standen wieder Häuser, keine kleinen weißen, sondern größere Modelle aus schlichten Zedernschindeln inmitten von aufgeblähten, hungrigen Büschen. Die Familie auf der einen Seite, die Aucoins, hatte zwei Schäferhunde, die oft draußen waren und uns schreckliche Angst machten, als wir klein waren. Cassie hatte immer behauptet, Lottie, die Hündin, hätte mal einem Gast der Aucoins ein Loch in den Hintern gebissen, aber das konnte so nicht stimmen, wie ich heute weiß, denn in dem Fall hätte Lottie ja eingeschläfert werden müssen. Cassie mochte gute Storys, die nicht unbedingt wahr sein mussten.

Cassies Mutter, Bev, war Krankenschwester, aber keine normale Krankenschwester in einem Krankenhaus. Sie arbeitete in einem Hospiz und fuhr jeden Tag mit ihrem zerbeulten, weinroten Honda Civic voller Unterlagen und Gerätschaften zu den Sterbenden nach Hause, um dafür zu sorgen, dass es ihnen gutging oder zumindest so gut wie möglich. Mein Vater, der nicht religiös ist, der nicht mal mit mir und meiner Mutter an Weihnachten in die Kirche geht, sagte, Bev tue »Gottes Werk«.

Bev war immer gut gelaunt - oder fast immer, außer wenn sie es nicht war - und sehr sachlich, wenn es um ihren Job ging. Als gläubige Christin trug sie den Tod - sie sagte immer »das Ableben« - ihrer Patienten mit Fassung und sie redete, als würde sie ihnen helfen, sich auf eine mysteriöse, aber womöglich spannende Reise vorzubereiten statt auf ein Loch in der Erde.

Bev hatte große weiche Brüste und einen breiten Hintern. Sie trug gemusterte lange Röcke aus fließenden Stoffen, die beim Gehen ihre Beine umspielten. Nur ihre zarten Hände und Füße erinnerten mich an Cassie. Bevs größte Eitelkeit waren ihre Hände: Ihre Nägel waren immer perfekt manikürt, oval und zurechtgefeilt und in hübschen Bonbonfarben lackiert. Das und die Haare, eine süß duftende, honigblonde Wolke. Wenn man Bev umarmte, roch man ihre Haare.

Meine Mutter war in keinster Weise wie Bev, so wie es bei mir zu Hause in keinster Weise so ist wie bei Cassie. Und ich habe einen Vater, und in dieser Hinsicht waren wir immer verschieden. Lange Zeit war Cassie gern bei uns zu Hause, weil sie dann so tun konnte, als wären wir wirklich insgeheim Schwestern, als wäre meine Familie auch ihre Familie.

Meine Eltern ließen sich in Royston nieder, kurz nachdem mein Vater sein Studium abgeschlossen hatte, noch vor meiner Geburt. Als sie in unser Haus einzogen, muss es gewirkt haben wie ein Schloss: ein marodes, 150 Jahre altes viktorianisches Haus mit fünf Schlafzimmern, umlaufender Veranda und einem Gebäude dahinter, in dem früher die Ställe waren. Nicht vornehm, nur alt. Die Küche ist älter als meine Mutter - aus den fünfziger Jahren, mit weißen Schränken, die nicht richtig zugehen, und schachbrettgemustertem Linoleumboden -, und wenn der Backofen angeht, klingt er wie ein Kreuzfahrtschiff.

Mein Vater ist Zahnarzt, und er hat seine Praxis in den Ställen. Auf dem großen Rasen verkündet eine wappenschildförmige Schindel in großen schwarzen Lettern: DR. RICHARD ROBINSON,...
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Autor

Claire Messud, geboren 1966, stammt aus einer kanadisch-französischen Familie und wuchs in den Vereinigten Staaten, Kanada und Australien auf. Sie studierte an der Yale University sowie an der Cambridge University. Ihr Großstadtroman Des Kaisers Kinder war ein weltweiter Erfolg. 2018 erschien ihr Roman Das brennende Mädchen. Sie unterrichtet Kreatives Schreiben an verschiedenen Colleges und ist mit dem britischen Literaturkritiker James Wood verheiratet; das Paar hat zwei Kinder und lebt in Washington, D.C. und in Somerville, Massachusetts.