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Als das Leben vor uns lag

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
380 Seiten
Deutsch
Bastei Lübbeerschienen am30.11.20181. Aufl. 2018
Fünf Frauen, drei Jahrzehnte und eine Nacht, die keine von ihnen vergessen kann

Im Sommer 1950 verbringen fünf Freundinnen einen letzten gemeinsamen Abend in der Klosterschule. Keine von ihnen ahnt, dass diese Nacht ihr Leben für immer verändern wird.

Dreißig Jahre vergehen, bis die ehemaligen Klassenkameradinnen sich wiedersehen. Bei einem Abendessen bringen sie sich gegenseitig auf den neusten Stand. Ihre Lebensentwürfe könnten kaum unterschiedlicher sein, und doch scheint jede Einzelne ihr Glück gefunden zu haben. Aber je später der Abend, desto mehr Schattenseiten kommen ans Licht ...

Ein bewegender Roman über fünf Frauen, die stellvertretend für eine ganze Generation stehen

Ausgezeichnet mit dem Premio Nadal 2017


Care Santos wurde 1970 in Mataró bei Barcelona geboren. Mit acht hat sie angefangen zu schreiben und mit vierzehn den ersten Schreibwettbewerb gewonnen. Inzwischen hat sie zahlreiche Romane für Kinder und Erwachsene veröffentlicht, die in über zwanzig Sprachen übersetzt und mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurden. Außerdem unterrichtet die dreifache Mutter Kreatives Schreiben und arbeitet als Literaturkritikerin.
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Produkt

KlappentextFünf Frauen, drei Jahrzehnte und eine Nacht, die keine von ihnen vergessen kann

Im Sommer 1950 verbringen fünf Freundinnen einen letzten gemeinsamen Abend in der Klosterschule. Keine von ihnen ahnt, dass diese Nacht ihr Leben für immer verändern wird.

Dreißig Jahre vergehen, bis die ehemaligen Klassenkameradinnen sich wiedersehen. Bei einem Abendessen bringen sie sich gegenseitig auf den neusten Stand. Ihre Lebensentwürfe könnten kaum unterschiedlicher sein, und doch scheint jede Einzelne ihr Glück gefunden zu haben. Aber je später der Abend, desto mehr Schattenseiten kommen ans Licht ...

Ein bewegender Roman über fünf Frauen, die stellvertretend für eine ganze Generation stehen

Ausgezeichnet mit dem Premio Nadal 2017


Care Santos wurde 1970 in Mataró bei Barcelona geboren. Mit acht hat sie angefangen zu schreiben und mit vierzehn den ersten Schreibwettbewerb gewonnen. Inzwischen hat sie zahlreiche Romane für Kinder und Erwachsene veröffentlicht, die in über zwanzig Sprachen übersetzt und mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurden. Außerdem unterrichtet die dreifache Mutter Kreatives Schreiben und arbeitet als Literaturkritikerin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783732560929
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum30.11.2018
Auflage1. Aufl. 2018
Seiten380 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.3425945
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


»Komm endlich rein, sonst fangen wir ohne dich an!«

Julia kroch in das Zelt aus Bettlaken, das ihre vier Schulkameradinnen im Schlafraum zwischen den Stockbetten errichtet hatten. In der Mitte flackerte wie zur Begrüßung die Flamme einer Kerze. Julia hielt nach einem freien Plätzchen Ausschau, und Lolita, die stets sehr aufmerksam war, rückte zur Seite. Julia strich ihr Nachthemd glatt, das eigentlich nur ein verschlissener wollweißer Perkalunterrock war. Unauffällig deckte sie mit der Hand das Loch zu, das sie knapp über dem Saum entdeckt hatte. Sie schämte sich, denn es war ihr einziges Nachtgewand. Ihre Schulkameradinnen hingegen trugen hübsche Nachthemden aus feinen Stoffen, mit Mustern oder in bunten Farben, die mit Spitzeneinsätzen oder Bändern verziert waren. Die Kleidung reicher Mädchen eben. Doch Julia war nicht reich. Sie versuchte, ruhig zu atmen, und die anderen sahen sie erwartungsvoll an.

»Es ist doch immer das Gleiche mit dir, du Tranfunzel!«, zischte Olga verärgert. »Das war wirklich das letzte Mal, dass wir auf dich gewartet haben!«

Immer wenn Olga jemanden zurechtwies, zitterte ihr Doppelkinn wie Wackelpudding, selbst wenn sie flüsterte. Die anderen Mädchen mussten ein Lachen unterdrücken. Sie waren von dieser theatralischen Feierlichkeit durchdrungen, die das Spiel erforderte. Julia betrachtete sie aus den Augenwinkeln. Auch sie hätte gern gelacht.

Olgas Doppelkinn begann wieder zu beben.

»Und, Julia? Willst du uns nicht begrüßen? Oder ist da etwa ein Hündchen zu uns gekommen?«

Diesen Satz hatte Olga von den Nonnen übernommen, die in mancher Hinsicht sehr inspirierend sein konnten.

»Guten Abend«, sagte Julia.

Olga erwiderte eisig: »Bist du bereit, oder sollen wir auf den nächsten Vollmond warten?«

»Nein, nein. Ich bin bereit.«

»Ob du für deine Verspätung bestraft wirst oder nicht, überleg ich mir noch«, brummte Olga.

Wie immer kam Lolita Julia zu Hilfe. Sie war die große Menschenfreundin, die Seelentrösterin, die Vertraute, die mit sanften Worten Trost spendete und an die sich alle wandten, wenn sie traurig waren oder Probleme hatten. Obwohl Lolita aus Angst, entdeckt zu werden, nur flüsterte, sagte sie bestimmt:

»Es ist nicht ihre Schuld, Gordi. Bestimmt hat Sor Antonina sie nicht gehen lassen.«

»Sag nicht Gordi zu mir«, beschwerte sich Olga. Die Zornesfalte auf ihrer Stirn war nicht zu übersehen.

»Entschuldige«, stammelte Lolita.

»Stimmt, Sor Antonina ist schuld«, rechtfertigte sich Julia schüchtern, denn sie hatte weder den Mut noch Lust, zu erzählen, was sie alles erledigt hatte, nachdem die zahlenden Klosterschülerinnen ihr Abendessen beendet und den Speisesaal verlassen hatten. Es war Samstag, und da stand immer die gründliche Reinigung von Tischen und Stühlen auf dem Programm. Zuerst musste sie das Geschirr abräumen und den Abwasch machen. Dann waren die Stühle an der Reihe, auf denen sie Tag für Tag saßen. Jeden Samstag hatte Julia die Sitzflächen und Rückenlehnen mit Wasser und reichlich Seife zu schrubben und mit einem trockenen Tuch zu polieren, bis sie glänzten. Sie musste auf Knien den Fußboden wischen und dabei notgedrungen den Anblick der widerlichen Zehennägel von Sor Antonina ertragen, die unter dem Habit hervorlugten. Die ganze Zeit wartete sie nur darauf, dass die Nonne endlich verkündete, sie habe alles gut gemacht und könne nun gehen.

Tagaus, tagein, immer dasselbe. Während des Schuljahrs bediente sie die zahlenden Schülerinnen, im Sommer die Nonnen. Sie putzte mechanisch, befolgte die Anweisungen und stellte keine Fragen. Sie wusste, was von ihr erwartet wurde, und war den Nonnen dankbar dafür, dass sie am Unterricht teilnehmen durfte, denn Lernen war für Julia das Größte.

»Das ist aber gar nicht nett, immer den Nonnen die Schuld zu geben«, schimpfte Olga, »und das ausgerechnet von dir, Julia.«

Julia senkte beschämt den Kopf, obwohl es ihr nicht leidtat.

»Lass sie in Ruhe, Gor⦠Ich meine, Olga«, mischte sich Lolita wieder ein. »Los, lasst uns anfangen.«

Marta und Nina wurden allmählich ungeduldig. In dem improvisierten Zelt saßen Nina Borrás, Lolita Puncel und Julia Salas den Viñó-Zwillingen Olga und Marta gegenüber. Die Zwillinge glichen sich wie ein Ei dem anderen - braune Augen, lockiges Haar, mittelgroße Statur -, nur dass Olga dreimal so dick war wie ihre Schwester. Alle fünf waren barfuß, weil sie die angenehm kühlen Bodenfliesen unter den nackten Fußsohlen spüren wollten. Es war Ende Juli, und an der Mittelmeerküste herrschte eine drückende Hitze.

Lolita hatte ihr dunkelblondes Haar gelöst. Lang und glatt fiel es über ihr gelbes Blümchennachthemd bis zur Hüfte. Ninas Haar war zu zwei Zöpfen geflochten. Die anderen fanden diese Frisur etwas kindlich für eine Dreizehneinhalbjährige, aber Nina gab sich keine Mühe, älter zu wirken, vielleicht hatte sie sich einfach in ihr Schicksal gefügt, die Jüngste in der Clique zu sein. Sie hatte im Dezember Geburtstag und war die Einzige, die noch nicht vierzehn war, und die Einzige, die ihre Regel noch nicht bekommen hatte. Lolita hingegen war im Februar geboren und hatte ihre erste Menstruation schon mit elf Jahren gehabt. Sie war den anderen Mädchen in der Entwicklung deutlich voraus, und natürlich wurde sie von allen beneidet. Wenn man schon seine Menstruation hatte, war man wer, es war ein Zeichen von Erfahrung und Erwachsensein. Das war natürlich allen bestens bekannt.

Sor Presentación, eine neue Nonne mit aufbrausendem Charakter, nötigte Lolita, die Brust mit einer Bandage zu umwickeln und im Nachthemd zu duschen. Sie hatte auch schon Marta im Blick, deren Körper immer mehr Rundungen bekam. Sor Presentación selbst war flach wie ein Brett, sie war die Nichte eines Priesters und ziemlich verbittert. Sie war bei ihrem Onkel aufgewachsen, bis ihre Anwesenheit im Pfarrhaushalt unschicklich wurde und er sie ins Kloster gesteckt hatte. Damit war ihr Schicksal besiegelt, und daran, wie sie andere für ihren Gram und ihre Enttäuschung büßen ließ, konnte man ablesen, wie sehr sie damit haderte. Hätten die Mädchen sie nicht so sehr gehasst, hätten sie wohl Mitleid mit ihr gehabt. Selbstverständlich duschten sie nackt, sobald Sor Presentación ihnen den Rücken kehrte. Bis auf Olga.

Olga gestattete niemandem einen Blick auf ihren unförmigen Körper. Wenn einer fragte, warum sie sich nicht auszog, antwortete sie: »Ich bin nicht so wie ihr, ich halte mich an die Regeln.« Die anderen ließen sie gewähren, solange Olga sie nicht verpetzte - auch wenn man sich bei ihr nie ganz sicher sein konnte.

In den heißen Sommermonaten blieben nur wenige Schülerinnen im Kloster, die meisten fuhren am Ende des Schuljahres nach Hause zu ihren Familien. Nicht so die fünf. Sie waren die Ausnahme von der Regel. Mädchen, die keine Eltern hatten oder deren Eltern zu beschäftigt waren und ihre Töchter lieber ins Internat schickten, auch wenn sie dafür ein kleines Vermögen hinblättern mussten. Nur bei Julia war das anders. Julia hatte niemanden, nur die Nonnen.

Dieser Abend war für die Viñó-Zwillinge von besonderer Bedeutung. Es war nicht nur ihr Geburtstag, der 29. Juli, sondern auch ihr letzter Abend im Internat. Am Morgen hatte ihnen ihre Mutter am Telefon verkündet, sie würde sie am nächsten Tag, gemeinsam mit dem neuen Stiefvater, »nach Hause« holen. Vor ihnen lag eine spannende Zukunft voller Veränderungen, weit weg. Ihr Stiefvater war ein hässlicher Mann mit Glatze, den sie nur vom Foto kannten. Und ihr neues Zuhause, von dem sie keinerlei Vorstellung hatten, war nicht mehr die dunkle Wohnung im dritten Stock in der Calle Pérez Galdós, in der sie aufgewachsen waren, sondern lag in der ersten Etage in der Calle Laforja, Ecke Vía Augusta. Olga frohlockte, denn sie liebte Veränderungen und setzte große Hoffnungen auf das neue Leben. Marta hingegen sprach kein Wort. Dafür schrieb sie täglich Seite um Seite in ihr Tagebuch, nur für sich.

»Beginnen wir mit dem Schwur«, sagte Olga bestimmt.

Julia verzog resigniert das Gesicht. Es war immer das Gleiche. Olga gab die Zeremonienmeisterin. Theoretisch wäre jede mal an der Reihe gewesen, doch die Mädchen wählten stets Olga für die Aufgabe aus, weil sie eine überbordende und perverse Fantasie hatte. Keiner anderen fielen schwierigere Mutproben und grausamere Strafen ein. Mit Olga als Zeremonienmeisterin war der Nervenkitzel garantiert. Zudem war sie so dick, dass sie im Nachthemd wie eine Wahrsagerin aus dem Comic aussah, ein Eindruck, den der schwarze Samtturban voller Glitzersternchen, den sie aus der Kommode ihrer Mutter entliehen hatte, noch verstärkte.

Hinter ihrem Rücken war Olga für die anderen »la Gorda«, die Dicke, aber das hätte keine laut ausgesprochen. Wenn sie gut gelaunt war, ließ Olga ihnen gerade noch den liebevollen Spitznamen »Gordi« durchgehen, auch wenn bei der ein oder anderen bei dem Spitznamen schon eine gewisse Boshaftigkeit mitschwang. Sonst ließ Olga keine Anspielungen auf ihre Körperfülle zu. Sie tat so, als wäre das kein Problem für sie oder ihr noch gar nicht aufgefallen. Aber von Marta wussten die anderen, dass Olga in Wahrheit große Komplexe deswegen hatte - »und zwar immer mehr«, wie Marta versicherte - und dass sie nachts über ihr Unglück weinte und die schlanken Mädchen verfluchte.

»Kein Wunder, dass ihr zum Heulen zumute ist«, sagte Julia einmal. »Sie sieht aus wie ein Kloß.«

»Komm ja nicht auf die Idee, ihr das zu sagen«, warnten sie die anderen.

Aber Julia schlug die Warnung in den Wind. Nach einer von Olgas Grausamkeiten...

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Autor

Care Santos wurde 1970 in Mataró bei Barcelona geboren. Mit acht hat sie angefangen zu schreiben und mit vierzehn den ersten Schreibwettbewerb gewonnen. Inzwischen hat sie zahlreiche Romane für Kinder und Erwachsene veröffentlicht, die in über zwanzig Sprachen übersetzt und mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurden. Außerdem unterrichtet die dreifache Mutter Kreatives Schreiben und arbeitet als Literaturkritikerin.