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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
228 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am29.06.20181. Auflage
Gerhard Ritter, einer der großen deutschen Historiker des 20. Jahrhunderts, hat sich sein halbes Leben lang mit Gestalt und Wirkung Martin Luthers auseinandergesetzt. Seine Biographie hat maßgebend zu einem vertieften Verständnis des wahren Charakters der lutherischen Reformation beigetragen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Gerhard Ritter, 1888-1967, zählt zu den großen Gestalten der deutschen Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Er war Schüler Hermann Onckens, erhielt 1924 eine Professur in Hamburg und lehrte von 1925 bis 1956 an der Universität Freiburg im Breisgau. Nach 1933 schloß er sich der Bekennenden Kirche an. Wegen seiner Beteiligung an der deutschen Widerstandsbewegung 1944/45 in Haft, wurde er zum legitimen Historiker des Widerstands gegen den Nationalsozialismus mit seinem weitverbreiteten Werk ?Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung? (1954).
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Produkt

KlappentextGerhard Ritter, einer der großen deutschen Historiker des 20. Jahrhunderts, hat sich sein halbes Leben lang mit Gestalt und Wirkung Martin Luthers auseinandergesetzt. Seine Biographie hat maßgebend zu einem vertieften Verständnis des wahren Charakters der lutherischen Reformation beigetragen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Gerhard Ritter, 1888-1967, zählt zu den großen Gestalten der deutschen Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Er war Schüler Hermann Onckens, erhielt 1924 eine Professur in Hamburg und lehrte von 1925 bis 1956 an der Universität Freiburg im Breisgau. Nach 1933 schloß er sich der Bekennenden Kirche an. Wegen seiner Beteiligung an der deutschen Widerstandsbewegung 1944/45 in Haft, wurde er zum legitimen Historiker des Widerstands gegen den Nationalsozialismus mit seinem weitverbreiteten Werk ?Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung? (1954).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105621486
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum29.06.2018
Auflage1. Auflage
Seiten228 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1028 Kbytes
Artikel-Nr.3451003
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Zur Einführung

Ratlos steht die abendländische Menschheit vor den Trümmern ihrer tausendjährigen Kultur. Nicht ein Winkel des Erdteils ist verschont geblieben, kein Stück ihres materiellen Besitzes unbeschädigt, keines ihrer geistigen Fundamente unerschüttert. Schlechthin alles hat das große dreißigjährige Erdbeben durcheinander geworfen. Alles scheint sinnlos geworden, alles ins Schwanken geraten, was ehemals festen Grund bot, und immer wieder verwirren sich unsere unsicher tastenden Schritte. Bange Furcht starrt aus dem tiefen Dunkel, das unsere Zukunft verhüllt: wird das Rad eines scheinbar unaufhaltsamen Schicksals über uns hinwegrollen, und was wird es übriglassen von alledem, was uns bis heute das Leben schön und liebenswert erscheinen ließ? Oder gibt es doch noch Quellen geistiger Kraft, wirklich lebendige, aus letzter Tiefe sprudelnde, echt und stark genug, um uns wieder Mut zu geben: Mut nicht nur zum Weitertragen eines für so Zahllose unsicher und arm gewordenen Lebens, sondern wohl gar zum trotzigen Kampf wider das drohende Schicksal?

Man kann sich dem Leben eines großen Mannes wie Luther von den verschiedensten Seiten her nähern. In den trüben, aber doch nicht hoffnungslosen Jahren nach dem ersten Weltkrieg suchten wir uns innerlich aufzurichten an der klaren Festigkeit seines Mannestums und fragten uns, nicht ohne Sorge, was von den seelischen Kräften, die ihn zu seinem Lebenskampf befähigt hatten, für uns wohl heute, in einer so tief verwandelten geistigen Atmosphäre, noch erreichbar sei. Nicht jeder vermochte dem großen Theologen zu folgen, dem Prediger der radikalen Glaubensparadoxie: der Lehre vom verborgenen Gott, von der totalen Unzulänglichkeit menschlicher Vernunft, von der völligen Verderbnis des menschlichen Willens und unserer Unfähigkeit zur Selbsterlösung, die allem humanistischen Denken so hart ins Gesicht schlägt. Aber jeder spürte etwas von der Kraft des Charakters, die sich aus solchen Quellen nährte, von der Tiefe der Selbstbesinnung, vor die der Mensch hier gestellt wird. Spürte oder ahnte wohl auch etwas davon, daß im lutherischen Erbe ein Schatz verborgen liegt, ohne den deutsche Geistesart, gerade in ihren edelsten Erscheinungen, nicht mehr zu denken ist, ohne den sie niemals ihre Weltbedeutung erlangt hätte. So konnte uns Luther als der «ewige Deutsche» erscheinen, auch in seiner Menschlichkeit, mit ihrer Größe wie mit ihren Gefahren und Schwächen. Das alles half uns, über mutlose Resignation hinwegzukommen, unser nationales Wesen in seiner Stärke und in seinen Gefahren besser zu verstehen und so den Sinn unseres Schicksals neu zu deuten, uns selbst auch im Unglück innerlich gegen die Umwelt zu behaupten.

Heute geht es gar nicht mehr bloß um deutsches Wesen und deutsche Zukunft. Es geht auch nicht mehr bloß um die abendländische Kultur. Heute geht es um unsere geistige Existenz schlechthin - um jene Grundfragen, von deren Lösung der Aufbau menschlicher Kultur überhaupt abhängt. Die Frage unserer Zeit schlechthin ist die Frage nach der Wirklichkeit Gottes. Wenn Gott wirklich tot ist, wie man uns bald verzweifelt, bald triumphierend versichert, dann stehen wir vor dem baren Nichts: dann kann auch von irgendwelchem Wiederaufbau echter Kultur keine Rede mehr sein. Denn echte Kultur lebt immer aus der Tiefe des Seins und muß verdorren, wenn ihre seelischen Wurzeln nicht mehr bis zu den wahren Quellgründen des Lebens hinabreichen. Wenn Gott tot ist, dann gibt es nur noch Zeit, aber keine Ewigkeit mehr; dann gibt es nur noch Vordergrund ohne Tiefe; dann wird unser ganzes Dasein im Grunde sinnlos, weil ohne Zukunft, ohne einen festen Richtpunkt, der in unendlicher Höhe sich über der Niederung unserer animalischen Existenz erhebt. Wir treiben dann hilflos auf den ewig schwankenden Wogen der Zeit; denn der ganze Sternenhimmel ist dann jäh erloschen. Wie unheimlich kalt und finster es dann auf der Erde wird, davon haben wir schon einen ersten Vorgeschmack bekommen. Wir haben sie schon entfesselt gesehen, die Bestie im Menschen, die nur auf ihre Stunde lauert, und kennen den lähmenden Schrecken, der in einer gottlos (und damit herzlos) gewordenen Welt an Stelle gläubigen Vertrauens über die Menschen regiert. Was zusammengebrochen ist in diesen letzten Jahren, endgültig und unwiderruflich, ist der Versuch der europäischen Menschheit, auch ohne echten Gottesglauben ein Reich der Humanität, der staatlichen Ordnung, der nationalen Kulturen, der überstaatlichen Völkergemeinschaft zu bauen und aufrechtzuerhalten. Heute sehen wir, daß ein solches Reich der lebendig nährenden Kräfte entbehrt und darum verloren ist, sobald der Abgrund sich auftut und der Kampf der Dämonen beginnt.

Was hat Luther von der Wirklichkeit Gottes erfahren? Das ist die Frage, die uns heute vor allen anderen den Zugang zu ihm eröffnet. Und eben sie führt sogleich in das Zentrum seines Lebens hinein. Erst von hier aus wird uns dann auch alles weitere wichtig: die Gestaltung seines Gotterlebens zur Botschaft, die Stiftung einer neuen Gemeinschaft rings um ihre Verkündung, der Aufbau seiner Kirche, die Durchleuchtung aller Lebensfragen von der zentralen Botschaft her, ihre Auswirkung im praktischen Leben, in Wirtschaft und Kultur, in Volkstum und Staat. Was in dem allen sichtbar wird, ist nun freilich auch ein großer Mensch, eine Mannesgestalt von unvergeßlicher Eigenart, die sich dem deutschen Wesen so tief eingeprägt hat wie kaum eine zweite, und schließlich ein Stück deutscher Umwelt, deutscher Geschichte, ohne die sein Werden und Wirken unverständlich bliebe.

Ob das alles nur Geschichte ist, nur ferne Vergangenheit, oder ob es am Ende auch für uns, für unsere Nöte und Fragen eine Antwort birgt (oder doch eine Wegweisung zu weiterem Suchen), das wird sich am Ende unserer Mitwanderung auf diesem Lebensweg zeigen müssen.

 

Ehe wir näher herantreten an das Leben Luthers, werfen wir zunächst einen raschen Blick auf die geistige Welt, die er vorfand, in die er hineingeboren wurde: auf die Welt des christlichen Mittelalters. Die Frage, ob es eine Vorgeschichte seiner Predigt gibt, ist ziemlich gleichbedeutend mit der, ob irgend etwas erkennbar ist von der Besonderheit deutscher Frömmigkeit innerhalb des geistigen Universalismus des römisch-katholischen Abendlandes.

Sie ist eindeutig kaum zu beantworten. Denn wie soll man überhaupt den geistigen Charakter des Deutschtums vor dem Auftreten Luthers genauer bestimmen? Man ahnt ihn wohl: in tausend Einzelzügen blitzt etwas davon auf - aber wer kann es fassen, wer sein Wesen mit klaren Worten umschreiben? Was ist das eigentliche Geheimnis deutscher Art? Faßbar ist doch nur das historische Schicksal unserer Nation, wie es im hellen Licht der geschichtlichen Überlieferung vor uns sich entrollt: als Volk der europäischen Mitte stärker als andere dem Andringen fremder Kultureinflüsse ausgesetzt zu sein. Ein Schicksal, das jederzeit mit ungeheurer Gewalt, am gewaltsamsten aber gleich zu Beginn unserer nationalen Geschichte an der Gestaltung des deutschen Wesens gehämmert hat. Denn es war doch eine sehr merkwürdige und folgenreiche Tatsache, daß gleich die Anfänge einer höheren Kultur den germanischen Stämmen, die das deutsche Land bewohnten, in den fertigen Formen spätantiker Zivilisation nahegebracht, später aber von derselben Kirche aufgenötigt wurden, die um ihrer Sendung willen das volkstümlich-heidnische Wesen auszurotten suchen mußte. So kam es, daß uns nur ganz dürftige Trümmerstücke vorchristlicher altdeutscher Überlieferungen unter einem gewaltigen Schutt kirchlicher Traditionen erhalten geblieben sind. Und doch glauben wir in den frühesten Jahrhunderten deutschen Christentums immer noch mehr von der bodenständigen, trotzigen Eigenart deutschen Volkstums auch innerhalb der Kirche wahrzunehmen, als in den nächstfolgenden, in denen sich die gleichförmige Decke römischabendländischer Zivilisation immer dichter darüber legt. Der Vorsprung, den wir Deutschen vermöge der uns früher gelungenen politischen Ordnung im 10. Jahrhundert vor den süd- und westeuropäischen Nationen besaßen (zumal auf dem altrömischen Kulturboden des deutschen Südwestens), war bereits überholt, als die großen Kämpfe des Kaiserstums mit Papstkurie und Vasallen begannen. Wir verehren die Laienpoesie des staufischen Rittertums als erste Blüte unserer nationalen Literatur; wir suchen ahnend nach Äußerungen deutschen Geistes in den Erzeugnissen romanischer und frühgotischer Baukunst und Bildnerei. Gewiß nicht vergeblich. Aber jeder weiß, daß niemals die Übermacht französischer Kultur über das Abendland stärker befestigt gewesen ist als in der staufischen Epoche. Die Eleganz ihrer Formen, der Phantasiereichtum ihrer poetischen Erfindungen hat auch auf Sinne und Herzen der Deutschen mit einer Eindringlichkeit gewirkt, daß deren geistige Erzeugnisse (auch die höchsten) den eigenen deutschen Gehalt tief verborgen unter fremder Formenfülle tragen - oft kaum noch erkennbar für das Auge des späten Betrachters. Bis in das Innerste des geistigen Lebens schien dieses fremde Wesen vorzudringen: auch die deutsche Frömmigkeit, vor allem in den Klöstern, nahm mehr und mehr von den ekstatisch-düsteren Zügen romanischer Gottesverehrung und Weltverachtung an. Seit dem Sieg der römischen Päpste über das Kaisertum sieht man auch die scholastische Gelehrsamkeit mit Hilfe der Bettelorden in Deutschland langsam eindringen: der Sieg des römisch-universalen Geistes drückt sich darin symbolisch vielleicht am deutlichsten aus.

Merkwürdig - und doch wohl kein Zufall -, daß eben in den deutschen Bettelklöstern, diesen Stätten äußerst gesteigerter Devotion und gelehrter Kontemplation, zuerst die Opposition des...
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Autor

Gerhard Ritter, 1888-1967, zählt zu den großen Gestalten der deutschen Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Er war Schüler Hermann Onckens, erhielt 1924 eine Professur in Hamburg und lehrte von 1925 bis 1956 an der Universität Freiburg im Breisgau. Nach 1933 schloß er sich der Bekennenden Kirche an. Wegen seiner Beteiligung an der deutschen Widerstandsbewegung 1944/45 in Haft, wurde er zum legitimen Historiker des Widerstands gegen den Nationalsozialismus mit seinem weitverbreiteten Werk >Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung