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Eine Messe für all die Toten

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Unionsverlagerschienen am16.07.2018
Seit Ewigkeiten ist in der verschlafenen Gemeinde St. Frideswide's nichts Aufregendes mehr passiert. Jeden Sonntag pilgern die Schäfchen brav in die Kirche, werfen ein paar Pence in die Kollekte, beichten die üblichen Vergehen und lassen sich von ihren Sünden freisprechen. Bis eines Tages der Kirchenvorsteher ermordet wird - während des Gottesdienstes. Das kommt Chief Inspector Morse ganz gelegen, der sich in seinem Urlaub fürchterlich langweilt. Als kurz darauf der Pfarrer höchstselbst vom Kirchturm in den Tod springt, stehen Morse und sein treuer Sergeant Lewis vor einem kriminalistischen Rätsel.

Colin Dexter (1930-2017) studierte Klassische Altertumswissenschaft und war erst als Oberstufenlehrer und anschließend als Prüfer an der Oxford-Universität tätig. 1973 schrieb er Der letzte Bus nach Woodstock. Es folgten dreizehn weitere Fälle für Inspector Morse, die als Fernsehserie verfilmt wurden. Seine Werke wurden mehrfach ausgezeichnet, u. a. mehrmals mit dem CWA Gold Dagger. Für sein Lebenswerk wurde Dexter mit dem CWA Diamond Dagger und dem Order of the British Empire für Verdienste um die Literatur ausgezeichnet.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextSeit Ewigkeiten ist in der verschlafenen Gemeinde St. Frideswide's nichts Aufregendes mehr passiert. Jeden Sonntag pilgern die Schäfchen brav in die Kirche, werfen ein paar Pence in die Kollekte, beichten die üblichen Vergehen und lassen sich von ihren Sünden freisprechen. Bis eines Tages der Kirchenvorsteher ermordet wird - während des Gottesdienstes. Das kommt Chief Inspector Morse ganz gelegen, der sich in seinem Urlaub fürchterlich langweilt. Als kurz darauf der Pfarrer höchstselbst vom Kirchturm in den Tod springt, stehen Morse und sein treuer Sergeant Lewis vor einem kriminalistischen Rätsel.

Colin Dexter (1930-2017) studierte Klassische Altertumswissenschaft und war erst als Oberstufenlehrer und anschließend als Prüfer an der Oxford-Universität tätig. 1973 schrieb er Der letzte Bus nach Woodstock. Es folgten dreizehn weitere Fälle für Inspector Morse, die als Fernsehserie verfilmt wurden. Seine Werke wurden mehrfach ausgezeichnet, u. a. mehrmals mit dem CWA Gold Dagger. Für sein Lebenswerk wurde Dexter mit dem CWA Diamond Dagger und dem Order of the British Empire für Verdienste um die Literatur ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783293310278
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum16.07.2018
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2865 Kbytes
Artikel-Nr.3543394
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe




1


Matt schüttelte Pfarrer Lionel Lawson die letzte behandschuhte Rechte, die schmal und schlank war und Mrs Emily Walsh-Atkins gehörte. Jetzt, wusste er, war das Gestühl der alten Kirche hinter ihm leer. Es war immer dasselbe Lied. Während die anderen aufgeputzten Damen die Köpfe zusammensteckten, um über Gartenfeste und Sommerhüte zu plaudern, während der Organist sein Nachspiel auf der Orgel anstimmte und die Chorknaben, ihrer Soutanen ledig, die T-Shirts in die Jeans steckten, verharrte Mrs Walsh-Atkins unweigerlich noch einige Minuten auf den Knien - eine leicht übertriebene Demutsgeste gegenüber dem Allmächtigen, wie Lawson zuweilen dachte. Doch da war eine Menge, wofür sie dankbar sein konnte. Sie war einundachtzig, doch geistig und körperlich noch beneidenswert rege. Nur ihr Sehvermögen hatte sich in letzter Zeit verschlechtert. Sie wohnte in Nord-Oxford in einem Heim für alte Damen, das ein hoher Zaun und eine Fichtenpflanzung vor neugierigen Blicken abschirmten. Hier sah sie vom Fenster ihres Wohnzimmers, in dem es nach welkem Lavendel und Silberputzmittel duftete, auf die gepflegten Wege und Rasenflächen, von denen allmorgendlich der Hausmeister unauffällig Coca-Cola-Dosen, Milchflaschen oder leere Kartoffelchipstüten auflas. Hinterlassenschaft jener seltsamen, unbegreiflich sittenlosen jungen Leute, die in Mrs Walsh-Atkins´ Augen eigentlich kein Recht hatten, frei herumzulaufen - und schon gar nicht in ihrem geliebten Nord-Oxford. Das Heim war entsetzlich teuer, aber Mrs Walsh-Atkins war eine reiche Frau, und jeden Sonntag enthielt ihr sorgsam zugeklebter brauner Umschlag, den sie behutsam auf den Kollektenteller legte, eine gefaltete Fünf-Pfund-Note.

»Haben Sie Dank für Ihre Botschaft, Herr Pfarrer.«

»Gott segne Sie.«

Dieser kurze Dialog, der sich in den zehn Jahren, seit Lawson die Pfarrstelle in der Gemeinde von St. Frideswide´s übernommen hatte, stets wortwörtlich wiederholte, war die letzte Stufe der Nichtkommunikation zwischen Pfarrer und Gemeindemitglied. In den ersten Wochen seiner Amtszeit hatte Lawson die Sache mit der »Botschaft« einiges Unbehagen bereitet, wusste er doch nur zu gut, dass seine Predigt an keiner Stelle von besonderem evangelistischen Feuer durchglüht war. Im Übrigen musste sich ein Geistlicher wie Lawson, ein gemäßigter Anhänger der anglikanischen Hochkirche, in der Rolle eines vom lieben Gott eingesetzten Telegrafenboten fehl am Platz, ja, ausgesprochen unwohl fühlen. Doch anscheinend vernahm Mrs Walsh-Atkins das Summen der himmlischen Drähte, wie immer sein Predigttext auch lauten mochte, und brachte jeden Sonntag von Neuem dem ahnungslosen Überbringer froher Kunde ihre Dankbarkeit zum Ausdruck. Es war purer Zufall, dass Lawson nach dem ersten Gottesdienst auf diese viersilbig-schlichte Antwort verfallen war, drei magische Worte, die Mrs Walsh-Atkins zusammen mit ihrem Gebetbuch auch an diesem Sonntag wieder glücklich an den Busen drückte, während sie in gewohnt flotter Gangart der St. Giles Street zustrebte, wo ihr gewohnter Taxifahrer in der Parkbucht am Martyrs´ Memorial schon auf sie wartete.

Der Pfarrer von St. Frideswide´s sah nach rechts und nach links die heiße Straße hinunter. Hier hielt ihn nichts mehr, aber er zögerte sichtlich, den verschatteten Kirchenraum wieder zu betreten. Eine kleine Gruppe japanischer Touristen kam auf der anderen Straßenseite vorbei. Ihr kleiner, bebrillter Führer zählte mit abgehackter Stimme die Sehenswürdigkeiten der alten Stadt auf. Sein Singsang war noch vernehmbar, während die kleine Gruppe sich an dem Kino vorbei entfernte, das dem verehrten Publikum stolz die Chance offerierte, die Intimitäten eines Partnertauschs à la française mitzuerleben. Doch in Lawson regte sich kein Hauch von Sinnlichkeit, seine Gedanken waren anderweitig in Anspruch genommen. Sorgsam nahm er den Talarüberwurf mit dem weißen Seidenfutter (M.âA. Cantab.) von den Schultern und sah zur Carfax hinüber, wo die Tür zum Ox schon offen stand. Doch Gasthäuser übten seit jeher wenig Reiz auf ihn aus. Gewiss, bei der einen oder anderen Gemeindeveranstaltung trank auch er sein Glas süßen Sherry, doch falls Lawsons Seele sich irgendeiner Sünde wegen zu verantworten hatte, wenn der Engel des Jüngsten Gerichts in seine Posaune stieß, dann gewiss nicht wegen der Sünde der Trunksucht. Ohne das sauber gescheitelte Haar durcheinanderzubringen, zog er das lange weiße Chorhemd über den Kopf und betrat wieder die Kirche.

Außer Paul Morris, dem Organisten, der jetzt bei den letzten Takten seines Stückes angelangt war - Mozart, konstatierte Lawson -, war nur noch Brenda Josephs zu sehen. Sie saß in einem ärmellosen grünen Sommerkleid ganz hinten, eine Frau von Mitte oder Ende dreißig. Ihr nackter, gebräunter Arm lag auf der Lehne der Kirchenbank, die Fingerspitzen streichelten über das glatte Holz. Sie lächelte pflichtschuldig, als Lawson vorbeikam, und Lawson seinerseits neigte in einer beiläufig segnenden Gebärde den schlanken Kopf. Sie hatten sich vor dem Gottesdienst offiziell begrüßt; beiden schien nicht viel daran zu liegen, das unverbindliche Gespräch von vorhin wieder aufzunehmen. Auf dem Weg zur Sakristei blieb Lawson kurz stehen, um ein heruntergefallenes Kniekissen an der Kirchenbank einzuhaken. Dabei hörte er, wie die Tür neben der Orgel zuschlug. Vielleicht ein wenig zu laut? Ein wenig zu hastig?

Der Vorhang teilte sich, als er zur Sakristei kam, und ein Junge mit rötlichem Haar und Sommersprossen lief Lawson direkt in die Arme. »Nicht so hastig, Junge. Wohin so schnell?«

»Entschuldigung, Sir, ich hatte nur vergessen ...« Die atemlose Stimme hielt inne. Die rechte Hand, die eine halb leere Tüte mit Fruchtgummis umklammerte, verschwand rasch hinter dem Rücken.

»Ich will doch nicht hoffen, dass du während der Predigt genascht hast?«

»Nein, Sir.«

»Na ja, übel zu nehmen wärs dir nicht. Ich bin manchmal ganz schön langweilig, was?« Lawson legte dem Jungen die Hand auf den Kopf und verstrubbelte ihm das Haar ein bisschen.

Peter Morris, einziger Sohn des Organisten, sah vorsichtig lächelnd zu Lawson auf. Für Untertöne hatte er kein Ohr, aber dass der Pfarrer nicht böse war, so viel war wohl klar. Rasch lief er zum Ausgang.

»Peter!« Der Junge blieb wie angewurzelt stehen und sah sich um. »Wie oft soll ich dir das noch sagen! Man rennt nicht in der Kirche!«

»Ja, Sir. Äh - ich meine, nein, Sir.«

»Und vergiss den Ausflug am nächsten Sonntag nicht.«

»Bestimmt nicht, Sir.«

Lawson hatte natürlich gesehen, dass Peters Vater und Brenda Josephs sich am Nordportal in angeregtem Flüsterton unterhielten. Inzwischen aber war Paul Morris leise seinem Sohn nach draußen gefolgt, und Brenda besah sich mit ernster Miene das Taufbecken. Es stammte von 1345 und war, wenn man dem »Kurzgefassten Führer durch St. Frideswide´s« glauben durfte, die größte Sehenswürdigkeit der Kirche. Lawson drehte sich um und betrat die Sakristei.

Harry Josephs, der Kirchenvorsteher, war fast fertig. Nach jedem Gottesdienst trug er unter dem entsprechenden Datum zwei Zahlen in das Kirchenregister ein, erstens die Besucherzahl, auf fünf auf- oder abgerundet, zweitens den Betrag der Kollekte, auf den letzten halben Penny genau. St. Frideswide´s war alles in allem eine florierende Gemeinde. Ihre Mitglieder gehörten zur gehobenen Mittelschicht, und selbst in den Universitätsferien war häufig die Hälfte der Plätze besetzt. Die Beträge, die vom Kirchenvorsteher gezählt, vom Pfarrer überprüft und danach zur Filiale von Barclays Bank in der High Street gebracht wurden, waren daher nicht unbeträchtlich. Die Einnahmen dieses Morgens, nach Nennwerten sortiert, lagen auf Lawsons Schreibtisch in der Sakristei. Eine Fünf-Pfund-Note, etwa fünfzehn Ein-Pfund-Noten, zwanzig Fünfzig-Pence-Stücke und kleinere Münzen, ordentlich zu überschaubaren Beträgen gestapelt.

»Wieder eine treffliche Beteiligung, Harry.« Trefflich war eins von Lawsons Lieblingswörtern. Obgleich es in Theologenkreisen von jeher umstritten ist, ob der Allmächtige Wert auf die bloße Anzahl der Gottesdienstteilnehmer legt, war es aus weltlicher Sicht erfreulich, Hüter einer zumindest zahlenmäßig einigermaßen starken Herde zu sein. Und das Wort »trefflich« hielt auf unverbindliche Art und Weise die Mitte zwischen einer rein rechnerischen und einer geistlich-seelsorgerischen Beurteilung.

Harry nickte und trug eine Zahl ein. »Wenn Sie mal eben nachsehen würden, Sir. Nach meiner Rechnung sind es 135 Besucher und 57 Pfund 12 Pence in der Kollekte.«

»Heute keine halben Pence, Harry? Da hat sich wohl der eine oder der andere der Chorknaben meine kleine Standpauke zu Herzen genommen.« Mit der Geschicklichkeit eines gelernten Kassierers ließ er die Pfundnoten durch die Finger gleiten und strich dann über die aufgetürmten Münzen wie der Bischof bei der Einsegnung über die Häupter seiner Konfirmanden.

»Irgendwann müssen Sie sich doch auch mal verrechnen, Josephs, oder nicht? Bin gespannt, wann Sie mich damit überraschen.«

Josephs warf dem Pfarrer einen raschen Blick zu, aber der setzte gerade seine Unterschrift an den rechten Rand des Kirchenbuchs und machte ein harmlos freundliches Gesicht.

Zusammen packten sie das Geld in eine abgegriffene Keksdose von Huntley...



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Autor

Colin Dexter (1930-2017) studierte Klassische Altertumswissenschaft und war erst als Oberstufenlehrer und anschließend als Prüfer an der Oxford-Universität tätig. 1973 schrieb er Der letzte Bus nach Woodstock. Es folgten dreizehn weitere Fälle für Inspector Morse, die als Fernsehserie verfilmt wurden. Seine Werke wurden mehrfach ausgezeichnet, u. a. mehrmals mit dem CWA Gold Dagger. Für sein Lebenswerk wurde Dexter mit dem CWA Diamond Dagger und dem Order of the British Empire für Verdienste um die Literatur ausgezeichnet.

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