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Die Irrfahrten der Anne Bonnie

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
Deutsch
Querverlagerschienen am04.09.2018
Irland, 1704: Nach einem Skandalprozess um seine Affäre mit einer Dienstmagd und sein uneheliches Kind kehrt der Anwalt William Cormac seiner Heimat den Rücken und wird Baumwollfarmer in der Neuen Welt. Seine Tochter Anne wächst auf den Plantagen Carolinas in großer Freiheit, jedoch ohne viel menschliche Gesellschaft auf. Ihr Leben bleibt gezeichnet von Aufbrüchen: Mit siebzehn heiratet sie den Säufer James Bonnie und zieht mit ihm in die Karibik. In den Hafenschänken, die sie als Mann verkleidet aufsucht, trifft sie den Seeräuber Calico Jack und geht als Pirat zur See. Inmitten der Piratenmeute macht Anne zum ersten Mal die Erfahrung eines fest gefügten Gemeinschaftslebens. Davon berauscht, wird sie ein tüchtiger Räuber und Mörder. Nach einem Überfall auf ein Kaufmannsschiff kommt Mary Reed an Bord, eine zweite verkleidete Frau, und Anne verliebt sich in sie. Die beiden beginnen eine heimliche Beziehung. Anne glaubt, endlich ihren Platz in der Welt gefunden zu haben. Doch ihre abenteuerliche Suche nach einem 'neuen Ort, wo die Dinge sich noch einmal anders verhalten', lässt sie nicht zur Ruhe kommen.

Koschka Linkerhand, geboren 1985, lebt nach Zwischenstationen in Dänemark und Hamburg wieder in Leipzig. Sie versucht, ihre Arbeitskraft zwischen pädagogischer Lohnarbeit, feministischer Politik und schöner Literatur dreizuteilen, und glaubt an die Möglichkeit, den gesellschaftlichen Zuständen ästhetisch beizukommen.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextIrland, 1704: Nach einem Skandalprozess um seine Affäre mit einer Dienstmagd und sein uneheliches Kind kehrt der Anwalt William Cormac seiner Heimat den Rücken und wird Baumwollfarmer in der Neuen Welt. Seine Tochter Anne wächst auf den Plantagen Carolinas in großer Freiheit, jedoch ohne viel menschliche Gesellschaft auf. Ihr Leben bleibt gezeichnet von Aufbrüchen: Mit siebzehn heiratet sie den Säufer James Bonnie und zieht mit ihm in die Karibik. In den Hafenschänken, die sie als Mann verkleidet aufsucht, trifft sie den Seeräuber Calico Jack und geht als Pirat zur See. Inmitten der Piratenmeute macht Anne zum ersten Mal die Erfahrung eines fest gefügten Gemeinschaftslebens. Davon berauscht, wird sie ein tüchtiger Räuber und Mörder. Nach einem Überfall auf ein Kaufmannsschiff kommt Mary Reed an Bord, eine zweite verkleidete Frau, und Anne verliebt sich in sie. Die beiden beginnen eine heimliche Beziehung. Anne glaubt, endlich ihren Platz in der Welt gefunden zu haben. Doch ihre abenteuerliche Suche nach einem 'neuen Ort, wo die Dinge sich noch einmal anders verhalten', lässt sie nicht zur Ruhe kommen.

Koschka Linkerhand, geboren 1985, lebt nach Zwischenstationen in Dänemark und Hamburg wieder in Leipzig. Sie versucht, ihre Arbeitskraft zwischen pädagogischer Lohnarbeit, feministischer Politik und schöner Literatur dreizuteilen, und glaubt an die Möglichkeit, den gesellschaftlichen Zuständen ästhetisch beizukommen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783896566522
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum04.09.2018
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.3964268
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Überfahrt
1.
Das Erste, woran ich mich deutlich erinnere, ist: Wir fahren übers Meer, Vater, Mutter und ich; Vater hebt mich über die Reling des transatlantischen Segelschiffs, in den scharfen Wind hinaus, ich sehe unendliche Flächen Blau, die sich kräuseln, und feine Wassertröpfchen springen mir ins Gesicht; während Mutter unten in der Kabine liegt und kotzt. Der Wind bauscht die Segel, kraftvoll gleitet das Schiff durchs Wasser, der große Ozean schäumt und zischt, und groß und feierlich sind auch Vaters Worte, er sagt: Wir fahren in die Freiheit, Anne.

Ich freue mich, ich bin noch keine vier Jahre alt, und mir gefällt dieses Wort: Freiheit, es steckt zwei Mal ei darin, wie die Spiegeleier, die es zu Hause, das jetzt Alte Welt heißt, manchmal gegeben hat. Dorthin werden wir nie wieder gehen, sagt Vater, und wieder zittert sein Schnauzbart in heiligem Ernst.

Dann kommt Mutter herauf, um frische Luft zu schnappen, bleich und ein wenig grün im Gesicht; und Vater stellt mich auf meine zwei Füße zurück und nimmt sie beim Arm.

So kamen wir in Amerika an, und hier beginnt meine Geschichte.

Jetzt, im Herbst des Jahres 1721, sitze ich wieder auf gepackten Truhen; und eines der Dinge, die ich verwahren muss für eine lange Reise, ist meine Geschichte.

Wahrscheinlich ist es nicht die Zeit, Geschichten zu erzählen, jetzt, da alles westwärts drängt; auch bin ich kein Geschichtenerzähler wie John Reckham oder mein Freund Snaterbek. Und doch will ich erzählen. Ich will sie stückchenweise verpacken, meine Geschichte, sie in Papier und Stofflappen hüllen, dass sie mir nicht kaputt und verloren geht unterwegs.

Denn meine Eltern sind tot, desgleichen mein Kapitän und meine Geliebte; mein Ehemann, steht zu hoffen, auch. Ich habe kein Land, in das ich gehören würde: weder die südlichen Kolonien noch Irland, und schon gar nicht die Bahama-Inseln. Einen Gott, der Anspruch auf meine unsterbliche Seele erhebt, habe ich nur in brenzligen Augenblicken. Also muss ich selbst mir meine Geschichte erzählen. Ich muss mir die Wörter gefügig machen, wie Calico es konnte, wenn er großartige Panoramen von Wasserschlachten entwarf und jeder Zuhörer glaubte, die blutgefärbte See mit eigenen Augen zu sehen.

Meine Vergangenheit ist tot: Anne Bonnie gibt es nur noch in Teilen, ebenso wie Anne Brennan, Anne Cormac und den Seemann Bonnie, der ich einmal war. Ich habe mir ein Kleid mit engem Kragen und feste Schuhe angezogen, um Anne Burleigh zu werden, eine ehrbare Pioniersfrau, die auszieht, den Westen des nordamerikanischen Kontinents urbar zu machen.

Aber noch bin ich nicht diese Anne Burleigh; noch laufe ich durch Pfarrer Burleighs Haus und sortiere seine Haushaltswaren und seine Bücher, sein bisschen weißes Zeug und alles andere, was mit muss ins große Abenteuer. Selber habe ich keine Sachen zu sortieren. Ich besitze nichts, was sich zu transportieren lohnte; ich bin frei - gottlos und vogelfrei. Ich reise besitzlos gen Westen, nackt wie der erste Mensch, und das Einzige, was ich einzupacken habe, ist diese Geschichte.

Sie beginnt in Charles Town in der königlich-britischen Kolonie Carolina, wo mein Vater, William Cormac, nach unserer Ankunft etwas Land kaufte - eine kleine Stadt, eher ein großes Dorf, das sich von den Dörfern zu Hause am auffälligsten dadurch unterschied, dass es trotz der frühen Jahreszeit außerordentlich heiß war. Das Klima, in das wir geraten waren, war mild und seenah wie das irische, es ging eine salzige Brise, aber die schwarze Erde, über die die Kutsche mit all unseren Gepäckstücken rollte, dampfte vor Feuchtigkeit und Wärme. Ansonsten gab es wenig Aufregendes in Charles Town, das von Engländern, Iren, Deutschen und einem Häuflein Hugenotten besiedelt war: Häuser, Hunde, Pferdewagen, barfüßige Kinder, die sich in den Gassen herumdrückten, einen Hafen; und als höchsten Punkt das weiße Holzkreuz überm Dorfplatz, das nach unten hin in eine kleine Kirche mündete. Ich war, meinem geringen Alter zum Trotz, enttäuscht nach all der glitzernden Verheißung, die Vater allabendlich über mich ausgestreut hatte, wenn von der Neuen Welt die Rede gewesen war.

Im Laden, wohin man mich mitnahm, steckten, sobald wir den Mund aufgetan hatten, zwei Damen die Köpfe zusammen und sagten: Mein Gott, schon wieder Iren. Sie sagten es weniger über meine Mutter, die zart und aschblond war und Dolores hieß wie eine Engländerin oder Spanierin; sondern über meinen Vater, der vierschrötig und schwarzhaarig und mit einer Donnerstimme gesegnet war wie ich.

Cormac, der die Iren nie geliebt hatte, verkündete, seinen Sohn und Erben Charles zu nennen - zu Ehren dieses englischen Königs, des Stadtvaters von Charles Town, der seine besten Männer ausgesandt hatte, der übervölkerten Alten Welt die fruchtbare amerikanische Wildnis zum Geschenk zu machen. Die Iren von Charles Town schüttelten die Köpfe über Cormac, den Quertreiber; die englischen Familien ignorierten den verrückten Iren und blieben wie seit jeher unter sich. Und so kam es, dass niemand meine Familie besonders mochte, weder die Iren noch die Engländer; von den paar Deutschen, die abseits auf ihren Rübenfeldern wühlten, ganz abgesehen.

Leider gebar Dolores meinem Vater keinen Charles; er hatte nur mich, ein Mädchen. Und so gern er mich damals hatte und obwohl ich kein Bastard mehr war, sondern eine legitime Tochter und Erbin: Es wurmte ihn. Noch viel später hörte ich ihn regelmäßig fluchen, dass seine Zeugungskraft, die ihn in Irland Kopf und Kragen gekostet hatte, ihn in Amerika so schmählich im Stich ließ.

Und ich blieb allein, wie ich es gewohnt war.

Vorerst aber hatte Cormac wenig, was er einem Sohn hätte vererben können. Den Großteil seiner Besitztümer hatte er in Irland verloren. Er, der in Kinsale in der beschaulichen Grafschaft Cork ein geachteter Rechtsgelehrter gewesen war und daneben vor allem Schafe besessen hatte, sah keine Wahl, womit er in Amerika unser täglich Brot verdienen müsste. Er widmete sich der gängigen Anbaupflanze der südlichen Kolonien - oder, wie Mutter, die stets sehr einfache Worte fand, sagte: Er machte in Baumwolle.
2.
Baumwolle - ich musste lachen, als Vater zum ersten Mal davon sprach: Ich stellte mir Wollknäuel vor, die von hohen Ästen hingen. Im Grunde war ich nicht sehr verwundert, dass Vaters neues Geschäft mit solch sonderbaren Dingen zu tun haben sollte, befanden wir uns doch in der Neuen Welt, wo die Dinge anders waren als zuvor, wo manches eben auf dem Kopf stand.

Unser neues Haus war anfangs nur eine große Holzhütte, die Vater zusammengezimmert hatte; später verwandelte sie sich in ein richtiges Haus, ein schmuckes zweistöckiges, in dem Mutter eifrig kochte, nähte, putzte; es war sogar ein bisschen zu groß für uns drei.

Hinter dem Haus lag ein Garten, wo Mutter Gemüse zog, ich fand ihn bald eng und langweilig; und dahinter kamen Plantagen, die gingen weit, weit. Auf diesen Feldern wuchs die Baumwolle, die uns Wohlstand bescheren sollte. Das Land um Charles Town herum war nicht sonderlich geeignet für Baumwolle, doch Cormac, der bereits beschlossen hatte, dass die Baumwolle uns reich machen würde und nichts anderes, verbrachte einen guten Teil der nächsten Jahre damit herauszufinden, wie sich die verdammte Schwarzerde am besten austrocknen ließe.

Wie alle Baumwollfarmer in Carolina besaßen wir eine Handvoll Arbeiter, halb unsichtbare, dunkle Leute, die die hüfthohen Pflanzen beschnitten und, wenn es an der Zeit war, die weißen Bällchen pflückten. Fünf oder sechs waren es, jedenfalls so wenige, dass sie sich in der Weite der Plantagen verloren und man dort für gewöhnlich keinen Menschen antraf, sondern meilenweit nichts als das Gestrüpp der Baumwollpflanzen und schwarze Erde. Und wenn Vaters Felder zu Ende waren, fingen die der Nachbarn an, die ebenfalls Baumwolle züchteten, Plantage folgte auf Plantage, bis zum Horizont und darüber hinaus.

Manchmal lief ich zwischen den Pflanzungen auf und ab, weil ich nicht begreifen konnte, dass sie kein Ende hatten, dass kein Zaun kam, kein Wald, nur irgendwann ein kleiner Fluss. Ich lief und lief, bis ich ganz außer Atem war und die Sonne mir in den Hinterkopf stach, ohne dass je ein Ende gekommen wäre.

Drüben in der Alten Welt hatten wir auf einem Hof gewohnt, der rechts und links von anderen Höfen begrenzt wurde. Rechts war eine hohe Mauer, eine etwas unheimliche, an der dunkler Efeu rankte; links befand sich ein Tor zum Nachbarhof, ein Durchgangstor, das nicht mehr benutzt wurde; ich habe seine Flügel nie geöffnet gesehen. Aber es musste dort Menschen geben - eine Familie wie meine, stellte ich mir vor, mit einem Knecht und Mägden, einem Vater-Herrn und seiner Frau. Manchmal hörte ich Stimmen, die sich unterhielten, auch Kinderstimmen, oder es schnüffelte im Spalt zwischen Pflaster und Hoftor eine schwarze Hundeschnauze hin und her. Aber nie sah ich die Menschen, die dort drüben wohnten, ich glaubte wohl, sie lebten in einer anderen Welt.

Dabei war das Tor, das mich von dieser Welt trennte, alt und löchrig, nachmittags fiel zwischen die einzelnen Bretter hindurch Licht und zeichnete schmale Streifen quer über unseren schattigen Hof. Drückte ich mein Gesicht gegen das trockene Holz, war verschwommen Grünes zu sehen, Apfelbäume, glaube ich, und auch der Abstand zwischen Hoftor und Pflaster war so breit, dass ich bequem hätte drunter gucken können, wenn ich mich hingehockt hätte, aber das traute ich mich nicht, auch wegen der Hundeschnauze. Ich sah ein, dass am Hoftor die Welt zu Ende wäre und mich die Dinge drüben nichts angingen....

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