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In Liebe, Dein Vaterland I

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
456 Seiten
Deutsch
Septime Verlagerschienen am24.09.2018
Japan befindet sich in einer dystopischen Gegenwart. Amerika lässt seinen einstigen Verbündeten im Stich und Hunderttausende von Obdachlosen ziehen durch das von einer gigantischen Wirtschaftskrise gebeutelte Land. Nordkorea, das seine Beziehungen zu den USA inzwischen verbessert hat, beschließt, die Schwäche des verhassten Nachbarn auszunutzen, und plant eine heimtückische Invasion. Getarnt als aus Nordkorea geflüchtete Dissidenten besetzt eine Einheit aus neun Elite-Soldaten das Baseball-Stadion der japanischen Hafenstadt Fukuoka und nimmt die 30.000 Zuschauer als Geiseln. Während die ohnmächtige japanische Regierung hysterisch sinnlose Maßnahmen ergreift, nimmt in Fukuoka ein absurder Albtraum seinen Lauf. Im Zuge der Geheimoperation 'In Liebe, Dein Vaterland' sollen weitere 120.000 Soldaten folgen und den Süden Japans in eine Provinz Nordkoreas verwandeln. Ryu Murakami zeichnet in seiner zweiteiligen Dystopie über einen möglichen Einmarsch nordkoreanischer Truppen im friedliebenden Japan eine bitterböse Satire über eine Nation, in der die Schere zwischen Arm und Reich zwar immer größer zu werden scheint, aber Tradition vor Effizienz gestellt wird; und die nordkoreanische Diktatur, die ohne Zweifel Jahrzehnte hinter der westlichen Welt zurückliegt. Unparteiisch, furios, zynisch und raffiniert durchdacht. Ein epischer Politthriller von beklemmender Aktualität, wie nur Altmeister Ryu Murakami ihn schreiben kann. Band II: Der Untergang erscheint im Frühjahr 2019

Ryu Murakami, Jahrgang 1952, ist neben seiner Tätigkeit als Filmemacher einer der interessantesten japanischen Schriftsteller der Gegenwart. Mit dem Akutagawa-Preis ist er Inhaber des wichtigsten Japanischen Literaturpreis.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR26,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextJapan befindet sich in einer dystopischen Gegenwart. Amerika lässt seinen einstigen Verbündeten im Stich und Hunderttausende von Obdachlosen ziehen durch das von einer gigantischen Wirtschaftskrise gebeutelte Land. Nordkorea, das seine Beziehungen zu den USA inzwischen verbessert hat, beschließt, die Schwäche des verhassten Nachbarn auszunutzen, und plant eine heimtückische Invasion. Getarnt als aus Nordkorea geflüchtete Dissidenten besetzt eine Einheit aus neun Elite-Soldaten das Baseball-Stadion der japanischen Hafenstadt Fukuoka und nimmt die 30.000 Zuschauer als Geiseln. Während die ohnmächtige japanische Regierung hysterisch sinnlose Maßnahmen ergreift, nimmt in Fukuoka ein absurder Albtraum seinen Lauf. Im Zuge der Geheimoperation 'In Liebe, Dein Vaterland' sollen weitere 120.000 Soldaten folgen und den Süden Japans in eine Provinz Nordkoreas verwandeln. Ryu Murakami zeichnet in seiner zweiteiligen Dystopie über einen möglichen Einmarsch nordkoreanischer Truppen im friedliebenden Japan eine bitterböse Satire über eine Nation, in der die Schere zwischen Arm und Reich zwar immer größer zu werden scheint, aber Tradition vor Effizienz gestellt wird; und die nordkoreanische Diktatur, die ohne Zweifel Jahrzehnte hinter der westlichen Welt zurückliegt. Unparteiisch, furios, zynisch und raffiniert durchdacht. Ein epischer Politthriller von beklemmender Aktualität, wie nur Altmeister Ryu Murakami ihn schreiben kann. Band II: Der Untergang erscheint im Frühjahr 2019

Ryu Murakami, Jahrgang 1952, ist neben seiner Tätigkeit als Filmemacher einer der interessantesten japanischen Schriftsteller der Gegenwart. Mit dem Akutagawa-Preis ist er Inhaber des wichtigsten Japanischen Literaturpreis.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783903061637
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum24.09.2018
Seiten456 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse880 Kbytes
Artikel-Nr.3982689
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Prologue 1

Kawasaki, Japan

14. Dezember 2010

 

Der Junge mit dem Bumerang

 

 

Nobue schlummerte auf einem Feldbett aus amerikanischen Armeebeständen in seinem Zelt, als er vom Gackern eines Huhns geweckt wurde, das auf dem Boden nach Krümeln suchte. Er zögerte, die Augen zu öffnen. Das linke Handgelenk schützend vors Gesicht gelegt, schaute er blinzelnd auf seine Armbanduhr. Der kleine Zeiger stand auf elf, was nicht hieß, dass es auch elf war. Er hatte die Uhr vor über zwanzig Jahren von Ishihara bekommen, und schon damals hatte sie verrückt gespielt. Hundertmal wollte er sie schon wegwerfen, aber er war zu faul, sich eine neue zu kaufen. Außerdem betrachtete er sie seit der Trennung von Ishihara als eine Art Andenken und brachte es nicht über sich, sie so mir nichts dir nichts zu entsorgen. Seine Erinnerung an die Zeit mit Ishihara war intensiv und ungreifbar zugleich, fast als wäre alles nur ein Traum gewesen. Sie lagerte irgendwo in der Tiefe seines Gehirns verborgen, wie eine im Moor versunkene Leiche. Es hatte noch andere Gefährten gegeben. Sugioka, Yano, KatÅ und noch so einer. Er hatte sich ihre Namen nie richtig merken können, aber Ishihara würde er nie vergessen. Die Uhr war vor ungefähr einem halben Jahrhundert in der Schweiz hergestellt worden. Silberfarbene Zeiger auf weißem Zifferblatt. Immer wenn Nobue auf diese Uhr sah, wurde er sentimental.

Licht schimmerte durch die blaue Plastikplane, die ihm als Zelt diente. Zelt war allerdings definitiv zu viel gesagt. Die Plane wurde in der Mitte von einem Stock gehalten und war außen an drei Punkten am Boden befestigt. Es gab kein Fenster, also wusste er nicht, wie das Wetter war. Von draußen ertönten Stimmen, aber hier war es immer laut, sodass Krach kein Hinweis auf die Tageszeit war. Aber was machte ein Huhn in seinem Zelt? Nobue stöhnte bei dem Versuch, sich aufzusetzen. Seine rechte Schulter schmerzte derart, dass er den rechten Arm nicht zu heben vermochte. Sein linker Ellbogen fühlte sich taub an, das Gelenk knackte. Beim Aufrichten stützte er sich vorsichtig mit der rechten Hand auf. Das Huhn pickte wahllos an einem Stück Süßkartoffelschale und an den in einer zerbeulten Kasserolle klebenden Essensresten herum. In dem Ölfass, das ihm als Ofen diente, schwelte es noch. Wahrscheinlich brannte es ihm deshalb in den Augen und im Hals. Neuerdings waren mehrere Obdachlose an Kohlenmonoxidvergiftung gestorben, und die gemeinnützige Organisation, die sich um sie kümmerte, warnte davor, das Feuer in den Ölfässern über Nacht brennen zu lassen. Dennoch hatte er es vor dem Einschlafen nicht gelöscht. Es war immerhin Anfang Dezember und eiskalt. Ohne ein wärmendes Feuer wären die Schmerzen in Nobues Gelenken und in seinem Rücken unerträglich gewesen und hätten ihn bereits im Morgengrauen geweckt.

»Entschuldigen Sie, Herr Nobue! Hat unser Ken Sie gestört?«

Ein Mann, der nur noch vier Vorderzähne hatte, schob die Plane beiseite und steckte den Kopf ins Zelt. Alle nannten ihn Kuri. In Wirklichkeit hieß er vermutlich Kuriyama oder Kurita. Er war früher Bankangestellter oder Sachbearbeiter oder so etwas gewesen.

»Ken? Wer soll das sein? Etwa das Hinkel hier?«, fuhr Nobue ihn an.

»Ja, das ist er. Ich sage ihm ständig, dass er nicht zu anderen Leuten ins Haus laufen soll. Komm, Ken, du störst Herrn Nobue. Komm raus da!«

Kuri bückte sich durch den Spalt, um nach seinem Huhn zu greifen.

»Glaubst du, das Vieh versteht dich? Außerdem ist das hier ein Zelt und kein Haus. Das Zelt eines Obdachlosen.« Nobue hustete und Kuri erstarrte, sichtlich erschrocken. Nobue war gefürchtet, nicht nur bei den Obdachlosen, sondern auch bei den Helfern. Er war so etwas wie eine Legende. Es kursierten Geschichten, denen zufolge er mehrere Menschen mit einer selbst gebauten Waffe getötet und aus reinem Vergnügen einen größeren Teil der Stadt FuchÅ« mit einer - ebenfalls selbst gebauten - thermobarischen Bombe in die Luft gejagt hatte. Doch all das war vor langer Zeit geschehen und Nobue selbst scherte es nicht, eine Legende zu sein oder auch nicht. Doch seine markanten Züge und sein furchteinflößendes Gelächter hatten etwas, angesichts dessen auch gewichtige Dinge wie Leben, Glück oder Frieden bedeutungslos wurden und das Bewohner sowie Helfer stark beeindruckte.

»Ken-chan, komm jetzt! Du darfst Herrn Nobue nicht stören!« Kuri schob eine Hand unter das Huhn, hob es auf und trug es hinaus. »Es tut mir wirklich leid, Herr Nobue. Ich sage es ihm immer wieder«, entschuldigte er sich erneut, während er sich mit ängstlicher Miene zurückzog.

»Mach das nur.« Nobue grinste. »Einem Huhn muss man immer kräftig Bescheid geben.« Plötzlich erschien ihm Kuris Gerede so ungeheuer komisch, dass er einen Lachanfall bekam. Zuerst klang es wie das Gurren einer Taube, doch bald hielt er sich den Bauch, und Tränen traten ihm in die Augen. Er lachte wie ein Verrückter. Früher hatten Ishihara und er oft so gelacht, dass er die Schmerzen in seiner Schulter und seinem Ellbogen vergaß.

Beim Aufstehen stieß er mit dem Kopf gegen die Plastikplane. Als sein Lachen verebbt war, wischte Nobue sich die Tränen ab, hob einen ovalen Spiegel mit weißem Holzrahmen, wie ihn nicht mehr ganz junge Frauen benutzten, vom Boden auf, um sich darin zu betrachten. Eine zehn Zentimeter lange Narbe verlief von seinem rechten Wangenknochen bis hinunter zum Kinn. Er hatte gehofft, im Alter würde sie in den Falten verschwinden, aber vor einigen Jahren hatte sich an ihren Rändern Narbengewebe gebildet, wodurch sie nun noch auffälliger hervortrat. Der Spiegel zeigte die schlaffe Gesichtshaut eines Mannes jenseits der Fünfzig. Der größte Teil seiner Haare war ausgefallen. Da Nobue seit über zehn Jahren nicht beim Friseur gewesen war, hingen ihm die wenigen noch verbliebenen Strähnen wie alte Wollfäden ins Gesicht. Oder wie Spinnweben. In seinem Mund war ungefähr nur noch jeder zweite Zahn vorhanden. Sein lückenhaftes Gebiss war von Zahnstein und Belag völlig verfärbt und das Zahnfleisch beinahe schwarz. Nobue erschrak jedes Mal aufs Neue, obwohl er sich täglich im Spiegel betrachtete. Kein Wunder, dass alle die Hosen voll haben vor mir, dachte er. Hätte ich auch, bei so einer Fresse. Er legte sich die Daunenjacke um, die ihm auch als Zudecke diente, und trat, seine Narbe massierend, vor das Zelt.

Die schwachen Strahlen der winterlichen Sonne, die durch die kahlen Äste fielen, zeichneten abstrakte Muster auf Nobues Gesicht. Anscheinend war es noch nicht Mittag. Auf der Westseite war der Park durch einen hohen Lattenzaun von der Straße abgegrenzt, sodass Nobues Zelt nachmittags vollständig im Schatten lag. Der Stadtverwaltung zufolge sollte der Zaun verhindern, dass betrunkene Obdachlose Verkehrsunfälle verursachten, obwohl dazu statt eines sechs Meter hohen Zaunes vermutlich auch eine Leitplanke genügt hätte. Der Park lag inmitten einer ausgedehnten Wohnsiedlung, die einem Konsortium mehrerer privater Eisenbahngesellschaften gehörte. Bestimmt hatten die Anwohner verlangt, vom Anblick der unzähligen Obdachlosen, die im Park hausten, verschont zu werden.

»Morgen, Nobue!«, rief jemand hinter ihm. Ohne sich umzudrehen, grunzte er eine passende Antwort.

Nobue wohnte jetzt seit anderthalb Jahren im Ryokichi-Park, der Unmengen von Obdachlosen aus dem ganzen Land als Heimstatt diente und von allen »RyokkÅ« genannt wurde. Der RyokkÅ erstreckte sich von Yokohama bis Kawasaki und zog sich mehrere Kilometer an der Autobahn zwischen Kawasaki und FuchÅ« entlang. Der Zaun im Westen war drei Kilometer lang. Im Park gab es eine ausgedehnte Rasenfläche, die die Größe von etwa drei Fußballfeldern hatte. Hinter den Waldstücken an seinen nördlichen und südlichen Rändern lagen Wohngebiete. Östlich der Rasenfläche hatten sich, bevor die Obdachlosen Einzug gehalten hatten, Sportanlagen befunden, von denen aber kaum noch etwas übrig war, da die neuen Bewohner sämtliche Torpfosten, Netze und Seile für den Bau ihrer Behausungen entwendet hatten. An einem Hang hatten früher Bänke gestanden, auf denen Spaziergänger die Aussicht genießen konnten. Mittlerweile waren dort die Zelte der sogenannten Hilfsorganisation, die die Obdachlosen betreute.

Nobue beschloss, zuerst auf die Toilette zu gehen und anschließend etwas zu trinken. Dazu musste er um ein paar »Klötze« herumgehen, die auf ihrer Pappe den Weg blockierten. So nannte man die Neuankömmlinge, die weder Schlafsack, Zelt oder Hütte hatten und auf Pappe oder Zeitungspapier lagen. Um sie herum stank es nach Abfall und Schmutz. Im RyokkÅ gab es ein paar Stände, die Material zum Hüttenbau wie zum Beispiel Plastikplanen verkauften, aber ohne Geld war nichts zu machen. Die öffentlichen Toiletten kosteten und auch die mobilen, die die Hilfsorganisation im Park aufgestellt hatte, waren nicht umsonst. Dennoch riss der Zustrom in den RyokkÅ niemals ab. Gegenwärtig lebten dort über viertausend Obdachlose, und es wurden ständig mehr.

Eine von in- und ausländischen Gangsterbanden kontrollierte Hilfsorganisation hatte sich breit gemacht und unterhielt einen sogenannten »Markt«, auf dem für Geld alles zu haben war, ohne dass sich jemand von außen einmischen konnte. Obdachlose, die in anderen Parks oder auf der Straße campierten, wurden häufig von Jugendlichen attackiert, und es gab jeden Tag mehrere Todesfälle.

Als Nobue einem Kothaufen ausweichen wollte, verlor er das Gleichgewicht und trat einem Klotz aufs Haar. Die Person - es war nicht einmal zu erkennen, ob es ein Mann oder eine Frau war - rührte sich nicht. Vor Erschöpfung und sicher auch Erleichterung verfielen die meisten in eine Art Schockstarre, sobald sie im RyokkÅ angekommen waren, sodass sie auf nichts mehr...
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Autor

Ryu Murakami, Jahrgang 1952, ist neben seiner Tätigkeit als Filmemacher einer der interessantesten japanischen Schriftsteller der Gegenwart. Mit dem Akutagawa-Preis ist er Inhaber des wichtigsten Japanischen Literaturpreis.