Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
288 Seiten
Deutsch
oekom verlagerschienen am01.10.2018
Bioäpfel aus Argentinien, Brotteiglinge aus Litauen, Erdbeeren aus China. Essen hat meist eine weite Reise hinter sich, ehe es auf unseren Tellern landet. Längst ist es das Produkt einer global agierenden Agrar- und Lebensmittelindustrie. Das ist ökologischer Irrsinn und es macht arm: Menschen im globalen Süden im Wortsinn; die im globalen Norden an Wahlfreiheit und Mitbestimmungschancen. Die Zeit ist reif ist für eine Ernährungswende. Doch die Politik zeigt wenig Engagement und so machen zivilgesellschaftliche Initiativen den Wandel zu ihrer Sache. Food Policy Councils liefern das Vorbild für die vielen hierzulande gegründeten 'Ernährungsräte'. Landwirte und Gärtnerinnen aus der Region setzen sich an einen Tisch mit Foodaktivisten aus der Stadt und Bürgerinnen und Bürgern, die wissen wollen, woher ihr Essen kommt. Ihre gemeinsame Forderung an die Politik heißt: Ernährungsdemokratie! 'Alle Macht den Räten!' lautet daher das Motto dieses Buches, das sich für eine möglichst weitgehende regionalisierte Lebensmittelversorgung einsetzt. Es versteht sich als 'Werkzeugkasten' für eine neue soziale Bewegung, die regionale Netzwerke zwischen Produzenten und Konsumenten knüpft und ihre Ziele im produktiven Dialog mit der Politik verfolgt - und zeigt, wie das geht!

Valentin Thurn ist freier Filmemacher, Autor (u. a. Harte Kost, zusammen mit Stefan Kreutzberger), Mitgründer der Onlineplattform foodsharing und Vorsitzender des Kölner Ernährungsrats. Für seinen Dokumentarfilm 'Taste the Waste' erhielt er den UmweltMedienpreis der Deutschen Umwelthilfe.
mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR20,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR15,99
E-BookPDF0 - No protectionE-Book
EUR15,99

Produkt

KlappentextBioäpfel aus Argentinien, Brotteiglinge aus Litauen, Erdbeeren aus China. Essen hat meist eine weite Reise hinter sich, ehe es auf unseren Tellern landet. Längst ist es das Produkt einer global agierenden Agrar- und Lebensmittelindustrie. Das ist ökologischer Irrsinn und es macht arm: Menschen im globalen Süden im Wortsinn; die im globalen Norden an Wahlfreiheit und Mitbestimmungschancen. Die Zeit ist reif ist für eine Ernährungswende. Doch die Politik zeigt wenig Engagement und so machen zivilgesellschaftliche Initiativen den Wandel zu ihrer Sache. Food Policy Councils liefern das Vorbild für die vielen hierzulande gegründeten 'Ernährungsräte'. Landwirte und Gärtnerinnen aus der Region setzen sich an einen Tisch mit Foodaktivisten aus der Stadt und Bürgerinnen und Bürgern, die wissen wollen, woher ihr Essen kommt. Ihre gemeinsame Forderung an die Politik heißt: Ernährungsdemokratie! 'Alle Macht den Räten!' lautet daher das Motto dieses Buches, das sich für eine möglichst weitgehende regionalisierte Lebensmittelversorgung einsetzt. Es versteht sich als 'Werkzeugkasten' für eine neue soziale Bewegung, die regionale Netzwerke zwischen Produzenten und Konsumenten knüpft und ihre Ziele im produktiven Dialog mit der Politik verfolgt - und zeigt, wie das geht!

Valentin Thurn ist freier Filmemacher, Autor (u. a. Harte Kost, zusammen mit Stefan Kreutzberger), Mitgründer der Onlineplattform foodsharing und Vorsitzender des Kölner Ernährungsrats. Für seinen Dokumentarfilm 'Taste the Waste' erhielt er den UmweltMedienpreis der Deutschen Umwelthilfe.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783962385149
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum01.10.2018
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.3989736
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Kapitel 1

Was macht die Stadt satt?

Was »regional« bedeuten soll, »wie viel Region« die Stadtversorgung braucht und warum mehr Agrobiodiversität nottut

Woher werden in einem zukunftsfähigen Ernährungssystem die Lebensmittel stammen, die täglich in unseren Städten und Gemeinden verzehrt werden? Aus der Perspektive moderner urbaner Ernährungspolitik gibt es auf diese Frage nur eine, buchstäblich naheliegende Antwort: aus der Region natürlich! Und auf den ersten Blick scheint auch klar, was damit gemeint ist.

Die nähere Betrachtung zieht jedoch Anschlussfragen nach sich: Wo soll man zum Beispiel im konkreten Einzelfall die räumlichen Grenzen ziehen, die den Begriff der Region, wie er hier verstanden wird, zweckmäßig und sinnvoll definieren? Reden wir von 50 oder doch eher von 100 Kilometern und mehr im Umkreis einer Stadt? Und ab welchem Prozentsatz an Produktzutaten, die aus einer per Definition festgelegten Entfernung stammen, soll ein Produkt überhaupt als regional gelten dürfen?

Die Frage nach den räumlichen Grenzen dessen, was in Bezug auf die Nahrungsversorgung einer Stadt oder Kommune als urbane Umgebung oder Region definiert werden kann, stellt sich aber noch auch aus anderer Perspektive. Wer den Systemwandel anstrebt, muss im Voraus wissen, wie groß der Flächenbedarf für die Nahversorgung einer bestimmten Einwohnerzahl (jetzt und in der näheren Zukunft) sein wird und ob die ermittelte Größenordnung überhaupt zur Verfügung steht oder zumindest verfügbar gemacht werden könnte.

Dies führt schließlich zu Überlegungen, die unseren aktuellen Konsumstil genauso betreffen wie den der Zukunft - oder genauer: den wünschenswert zukunftsfähigen. Vermutlich wird die Mehrheit der Konsumentinnen und Konsumenten ihren Lebensmittelbedarf auch in Zukunft nicht ganz radikal auf lokal umstellen. Jedenfalls nicht so, dass der völlige Verzicht auf alles damit verbunden wäre, was in unseren Breiten nicht angebaut werden kann. Für Verfechter einer wirklich radikal interpretierten »Regionaldiät« zählen dazu nicht nur Kaffee, Tee, Kakao, Kokosnuss, Ananas und anderes mehr, sondern auch Zitrusfrüchte oder Olivenöl.

Gerechte Verteilung vorausgesetzt, werden in Zukunft jedem Erdbewohner maximal 2000 Quadratmeter Fläche für den gesamten Bedarf an landwirtschaftlich erzeugten Rohstoffen (zu Nahrungs- und weiteren Zwecken) zur Verfügung stehen. Wovon dann allerdings nur ein Teil als wohnortnah verfügbar in Betracht käme. Zu fragen wäre hier jedoch auch, wovon es jetzt und in Zukunft abhängt, wie groß dieser Anteil ist. Welchen Effekt zum Beispiel das prognostizierte Bevölkerungswachstum in den Städten haben wird, wie sich individuelle Konsum- und Ernährungsmuster auswirken und wie das Anbausystem den Flächenbedarf verändert, je nachdem, ob es vorwiegend auf ökologische Nachhaltigkeit setzt oder der konventionell agrarindustriellen Landwirtschaft verhaftet bleibt. Interessant ist in diesem Zusammenhang natürlich auch der Einfluss, den Stellgrößen wie individueller Fleischkonsum oder das Ausmaß der Lebensmittelverschwendung auf den ernährungsbedingten Flächenbedarf in einer bestimmten Region haben.

»Relokalisierte Nahrungsversorgung« - ein zentrales Ziel für den Systemwandel

Aus gutem Grund sehen Ernährungsrats-Initiativen eine wichtige, wenn nicht sogar die wichtigste treibende Kraft für den zukunftsfähigen Wandel in der »Relokalisierung« unserer urbanen Ernährungssysteme. Doch die Entwicklung geht noch immer in die entgegengesetzte Richtung, Produktion und Konsum werden räumlich und zeitlich immer weiter voneinander getrennt. Vor den Folgen dieser Trennung warnen immer mehr Wissenschaftler. Sie weisen darauf hin, dass dadurch Risiken wie der Klimawandel immer größer werden, wie auch die Abhängigkeit von globalen Märkten, die beide absehbar die Nahrungssicherheit auch in den Industrieländern bedrohen.

In der Theorie liegt der Ausweg aus dieser Sackgasse in einer konsequent lokal gegründeten Lebensmittelwirtschaft, die in erster Linie Menschen in ihrer Nähe versorgt. Unser jetzt noch weit überwiegend industriell geprägtes Anbausystem, das unter ständigem Wachstums- und Preisdruck steht und zu immer mehr Export in ferne Märkte zwingt, könnte so endlich der Vergangenheit angehören.

Doch die große Frage ist, ob und wo die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten eine systematisch geplante Relokalisierung der Nahrungsproduktion und -versorgung tatsächlich zulassen. Und welche Konsumstiländerungen dazukommen müssen, damit ein wirklich grundlegender Systemwandel davon ausgehen kann. Aktuell suchen verschiedene Forscherteams Antworten auf solche Fragen. Ihre Daten und wissenschaftlichen Schlussfolgerungen können der Zivilgesellschaft, etwa in Gestalt von Ernährungsräten und verwandten Initiativen, ebenso wie der lokal, national und für Europa verantwortlichen Politik wichtige Grundlagen für die weitergehende ernährungspolitische Diskussion und zukunftsfähige Strategien liefern.

Chancen zur regionalen Versorgung von Rotterdam, Mailand, London und Berlin

Anfang 2018 veröffentlichte der Stadtplaner und Agrarwissenschaftler Ingo Zasada vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) im brandenburgischen Müncheberg gemeinsam mit Forscherinnen und Forschern aus Großbritannien, den Niederlanden und Italien Ergebnisse einer groß angelegten Untersuchung. Im Fokus stand dabei die regionale Selbstversorgungskapazität von vier europäischen Metropolregionen: London, Rotterdam, Mailand und Berlin. Zasada und seine Kollegen wollten wissen, was genau die Voraussetzungen sind, unter denen die Einwohner der genannten Großstädte sich stärker mit regional erzeugten Lebensmitteln ernähren könnten. Wie viel Agrarfläche wäre heute nötig, um Berlin, Mailand, Rotterdam oder London ausreichend mit Nahrungsmitteln zu versorgen? Und wie viel im Jahr 2050, wenn voraussichtlich noch deutlich mehr Menschen in diesen Metropolen leben werden?

Die Ausgangslage für dieses Studiendesign erwies sich als in allen vier Regionen gut vergleichbar. Überall hat das globalisierte Nahrungssystem dafür gesorgt, dass nur ein Bruchteil der Lebensmittel, die in der Stadt konsumiert werden, vom nahen Land stammt. In allen Befragungen geben die Verbraucherinnen und Verbraucher der regionalen Herkunft ihrer Nahrungsmittel den Vorzug. Aber in der Realität werden ihnen die meist weit gereisten Produkte in ihrem Einkaufskorb einfach ungefragt aufgezwungen. Dabei wäre es allein schon deshalb vernünftiger, Nahrungsmittel dort zu produzieren, wo sie auch verbraucht werden, weil nicht zuletzt ihr Transport über weite Strecken den Klimawandel beschleunigt.

In einem ersten Schritt sichtete die Forschungsgruppe nationale Statistiken, die Auskunft über verbreitete urbane Ernährungsgewohnheiten sowie aktuelle Verbrauchsdaten zu Obst und Gemüse, Milchprodukten, Fleisch, Getreide und mehr geben. Daraus ermittelte sie für jede der vier Regionen die Anbaufläche, die pro Person zu Ernährungszwecken beansprucht wird. Daten über die jeweilige Agrarproduktion, deren Ertrag von Klima, Boden und anderen lokalen Faktoren abhängt, flossen ebenso in die Berechnungen ein wie Flächenanteile für Lebensmittel, die nicht mit Rohstoffen aus europäischen Anbauregionen erzeugt werden können - zum Beispiel Kaffee, Tee oder Schokolade.

Auch der mengenmäßige Lebensmittelverbrauch pro Kopf und Jahr unterschied sich in den untersuchten Städten kaum: Er liegt aktuell im Schnitt bei rund 1000 Kilogramm. Dennoch werden dafür an die vier verschiedenen Regionen ganz unterschiedliche Flächenansprüche gestellt. In Berlin sind es unter gegenwärtigen Bedingungen 2052 Quadratmeter Ackerfläche, die beansprucht werden, in London 1862, in Mailand 2093 und in Rotterdam 1718. Die Differenzen erklären die Forscher mit der Verschiedenheit der vorherrschenden Ernährungsstile in den vier Metropolen.

Aus diesen Zahlen ergibt sich die Gesamtfläche, die zur Deckung des Nahrungsbedarfs der jeweiligen Stadtbevölkerung als Anbaufläche genutzt werden müsste. Und schon hier zeigt sich, welchen Einfluss allein die natürlichen Gegebenheiten auf die Chancen zur Selbstversorgung einer Stadt haben. Rotterdam (über 600.000 Einwohner), Mailand (über 1,2 Millionen Einwohner) und London (über acht Millionen Innenstadtbewohner und bald 23 Millionen Bewohner der Metropolregion) könnten ihre Nahrungsversorgung nicht auf eine ausreichend große Umlandfläche stützen. Weder jetzt noch 30 Jahre später, wenn die Bevölkerung weiter angewachsen sein wird. Dafür sind die Ränder dieser Städte zu dicht besiedelt, die Böden nicht fruchtbar genug, oder das verfügbare Ackerland wird durch Gebirge oder Meer begrenzt.

Abb. 1: Die Abbildung vergleicht einerseits den Flächenbedarf für den herkömmlichen Landbau mit flächendeckendem Bioanbau bei sonst gleichbleibenden Rahmenbedingungen. Und andererseits den theoretischen Selbstversorgungsgrad in Berlin und Umland, den Ingo Zasada und Kollegen als Verhältnis von vorhandener zu benötigter Agrarfläche auf Gemeindeebene berechnet haben. Quelle: Zasada et al. (2017), © Grafik: Berliner Zeitung, Sabine Hecher

Berlin ist hier die Ausnahme mit sehr guten Zukunftschancen für die Relokalisierung des städtischen Ernährungssystems. Was den Flächenbedarf angeht, zeigen Zasadas Zahlen, dass die Berlinerinnen und Berliner ihren Nahrungsbedarf künftig problemlos mit regionalen Produkten decken könnten. Das Berliner Umland ist stark landwirtschaftlich geprägt und dünn besiedelt. Von den 14.600 Quadratkilometer Acker und Grünland, die in einem Radius von etwa 110 Kilometern um die Stadt zu finden sind, würde sogar...

mehr

Autor

Valentin Thurn ist freier Filmemacher, Autor (u. a. Harte Kost, zusammen mit Stefan Kreutzberger), Mitgründer der Onlineplattform foodsharing und Vorsitzender des Kölner Ernährungsrats. Für seinen Dokumentarfilm 'Taste the Waste' erhielt er den UmweltMedienpreis der Deutschen Umwelthilfe.