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Der Attentäter

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
Verlag Neuer Wegerschienen am15.10.2018
aris, Anfang November 1938: Der siebzehnjährige Herschel Grynszpan erfährt, dass seine Familie aus Hannover an die polnische Grenze abgeschoben wurde. Er selbst ist zu Besuch bei seinem Onkel Abraham in Paris. Verzweifelt plant er, den deutschen Botschafter aufzusuchen, um - notfalls mit Gewalt - seiner Familie zu helfen. In der Botschaft kommt es zu einer dramatischen Auseinandersetzung mit dem Legationsrat Ernst vom Rath, bei der der Beamte von Herschel schwer verletzt wird und wenig später seinen Verwundungen erliegt. Hitler mißbraucht diese Verzweiflungstat dazu, zur 'Rache für die Mordtat von Paris' aufzurufen: In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 kommt es beinah überall in Deutschland zu einem Pogrom: Juden werden geschlagen, verhaftet und auch ermordet, jüdische Geschäfte geplündert und Synagogen in Brand gesteckt. Sie wird zum Auftakt des Mordes an Millionen unschuldiger Menschen, die nicht mehr rechtzeitig aus Nazi-Deutschland fliehen können. Mangelnde Hilfe für Flüchtlinge, Aufhetzung von Menschen zu 'Vergeltungsaktionen' und 'Deutschland den Deutschen' - was haben wir von damals wirklich gelernt? Stehen dieses Mal genug von uns rechtzeitig auf? Mit einem Nachwort von Ruth Weiss (1924), die als Kind gerade noch rechtzeitig aus Deutschland entkommen konnte.

Lutz van Dijk, Jg. 1955, Dr.phil., deutsch-niederländischer Schriftsteller, Historiker und Pädagoge, zuerst Lehrer in Hamburg. später Mitarbeiter des Anne Frank Hauses in Amsterdam. Seit 2002 als Mitgründer der Stiftung HOKISA in Kapstadt / Südafrika, die sich für Kinder und Jugendliche in einem Township engagiert.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

Klappentextaris, Anfang November 1938: Der siebzehnjährige Herschel Grynszpan erfährt, dass seine Familie aus Hannover an die polnische Grenze abgeschoben wurde. Er selbst ist zu Besuch bei seinem Onkel Abraham in Paris. Verzweifelt plant er, den deutschen Botschafter aufzusuchen, um - notfalls mit Gewalt - seiner Familie zu helfen. In der Botschaft kommt es zu einer dramatischen Auseinandersetzung mit dem Legationsrat Ernst vom Rath, bei der der Beamte von Herschel schwer verletzt wird und wenig später seinen Verwundungen erliegt. Hitler mißbraucht diese Verzweiflungstat dazu, zur 'Rache für die Mordtat von Paris' aufzurufen: In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 kommt es beinah überall in Deutschland zu einem Pogrom: Juden werden geschlagen, verhaftet und auch ermordet, jüdische Geschäfte geplündert und Synagogen in Brand gesteckt. Sie wird zum Auftakt des Mordes an Millionen unschuldiger Menschen, die nicht mehr rechtzeitig aus Nazi-Deutschland fliehen können. Mangelnde Hilfe für Flüchtlinge, Aufhetzung von Menschen zu 'Vergeltungsaktionen' und 'Deutschland den Deutschen' - was haben wir von damals wirklich gelernt? Stehen dieses Mal genug von uns rechtzeitig auf? Mit einem Nachwort von Ruth Weiss (1924), die als Kind gerade noch rechtzeitig aus Deutschland entkommen konnte.

Lutz van Dijk, Jg. 1955, Dr.phil., deutsch-niederländischer Schriftsteller, Historiker und Pädagoge, zuerst Lehrer in Hamburg. später Mitarbeiter des Anne Frank Hauses in Amsterdam. Seit 2002 als Mitgründer der Stiftung HOKISA in Kapstadt / Südafrika, die sich für Kinder und Jugendliche in einem Township engagiert.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783880215283
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum15.10.2018
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse13193 Kbytes
Artikel-Nr.4013958
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Paris 1945

Paris im November ist lausig. Kalt, grau, feucht. Wie jede andere nordeuropäische Großstadt um diese Jahreszeit. Die wenigen Tischchen und Stühle, die noch vor einigen Lokalen stehen, sind schmuddelig, regennass. Im Café am Boulevard St. Denis sitzen am frühen Nachmittag nur wenige Gäste.

Zwei Gruppen von Franzosen lassen sich in diesen ersten Wochen nach der Befreiung unterscheiden: die Geschäftigen, die die neue Situation bereits wieder für Aktivitäten aller Art nutzen, die organisieren, sich Aufgaben ausdenken und jetzt keine Zeit für einen Kaffee haben.

Und diejenigen, die warten: auf Arbeit, auf noch immer vermisste Freunde und Verwandte oder nicht selten - auf nichts. Viele dieser Pariser haben kein Geld für einen Kaffee am Boulevard St. Denis.

Der Kellner ist ein hagerer, unfreundlicher, älterer Mann. Er mag keine Gäste, die sich über eine Stunde an einem Café au Lait festhalten. Und er mag keine Leute, die nach anderen Leuten fragen. Beides habe ich getan. Wir mögen uns nicht.

Zuletzt habe ich Herschel im KZ Sachsenhausen gesehen. Gehört - oder besser gesagt: gelesen - hatte ich seinen Namen schon vorher. Vor dem Krieg waren eine Weile die Zeitungen voll von Berichten über seine Tat: den Mord in der deutschen Botschaft in Paris. Auch mit Fotos: Herschel im Polizeiauto. Unterschrift: »Der feige Judenlümmel«. Oder von seinen Pariser Verwandten. Unterschrift: »So sehen sie aus, die den Weltfrieden gefährden!«

Es muss im Juli 1942 gewesen sein, als ich ihn zuerst traf und sofort erkannte. Im Waschraum des Zellenbaus Sachsenhausen standen wir plötzlich nebeneinander. Ich war mit Reinigungsdiensten beauftragt, hatte Schrubber und Eimer in der Hand und wollte gerade Wasser holen. Er, der Einzelhäftling Nr. 35181, war zum Waschen geführt worden, stand dort mit bloßem, braun gebranntem Oberkörper, barfuß, mit einer zivilen, etwas zu großen schwarzen Hose bekleidet, und schien gesundheitlich einigermaßen in Form zu sein. Mager war er, aber sein Körper zeigte keine Spuren von Schlägen oder die sonst so häufig aufgerissene Haut an Schultern und Händen vom hier üblichen Schleppen der Zementsäcke.

Er schien mich beim Eintreten nicht bemerkt zu haben. Auch ich beachtete ihn zunächst nicht weiter. Plötzlich spürte ich, wie er mich beobachtete.

»Und?«, fragte ich ihn schließlich. Man war gewöhnt, nur wenige Worte zu machen.

»Du kennst mich?«

»Du bist Grünspan, stimmt s? Haben sie dich doch bekommen?«

Er wirkte sehr jung. Vielleicht auch nur, weil er eher klein war. Auch er antwortete wieder mit einer Gegenfrage:

»Und wieso bist du hier?«

»Politisch. Der rote Winkel ist korrekt.«* Seine Situation interessierte mich: »Was haben sie mit dir vor?«

»Sie wollen Hintermänner erfahren. Gibt aber keine. Hab keine Ahnung, wie lange das noch so gehen soll.«

»Und wieso bist du noch nicht über den Bock gegangen?«*

»Keine Ahnung«, wiederholte er.

In dem Moment hörten wir die Stiefel des Wachmannes. Ich drehte langsam den Wasserhahn zu und kippte etwas Wasser aus dem Eimer ab, der längst übergelaufen war. Herschel nahm scheinbar teilnahmslos sein Hemd und verließ den Waschraum vor mir.

Wir sind uns auf diese Weise noch einige Male in den nächsten Wochen begegnet. Ein kluger Kopf war er, sehr interessiert an allem, was draußen vor sich ging. So kam es, dass wir allmählich Vertrauen zu ihm fassten und eigentlich schon vorhatten, ihn ein Stück weit in unsere illegale Gruppe im KZ einzuweihen. Dazu kam es jedoch nicht mehr.

Es war etwa drei Wochen nach unserer ersten Begegnung, als er sich frühmorgens von mir und einem Mithäftling mit einem festen Händedruck verabschiedete:

»Die Verhöre sind zu Ende. Ich komme in Kürze nach Berlin zurück, und dann ⦫ Er machte eine eindeutige Handbewegung an seiner Kehle entlang.

Äußerlich schien Herschel gefasst und ließ sich kaum etwas anmerken. Aber ich kannte ihn inzwischen gut genug, dass ich spürte, wie viel Kraft ihn dieser Abschied kostete.

»Denk an Paris, Herschel - Boulevard St. Denis. Hinterher!«

Das war alles, was mir zum Abschied einfiel. Die Erinnerung an eine Abmachung, die wir einmal eher im Scherz miteinander getroffen hatten: Wenn es uns gelingen würde, dieses ganze Elend irgendwie zu überstehen, dann sollte er sich nach der Befreiung in Paris bei meinem Vater melden. Der war ein konservativer, unpolitischer und damit unverdächtiger Arzt im Ruhestand. Trotz aller Streitigkeiten, die ich mit ihm wegen meiner journalistischen Arbeit hatte - über meinen Beitritt zur Résistance, dem französischen Widerstand, hatte ich ihn nie informiert -, war er doch mein Vater geblieben. Er hätte mich nie verraten.

Bei ihm wollten wir gegenseitig eine Nachricht hinterlassen und uns in einem bekannten Lokal am Boulevard St. Denis treffen. Hinterher. Zu warmem und duftendem Café au Lait, so viel wir wollten.

Vor wenigen Tagen hatte mich mein Vater in meiner neuen Redaktion angerufen: »Hier hat jemand eine Karte für dich abgegeben. Hör mal: Boulevard St. Denis. Samedi prochain avec café au lait. Entre trois et quatre heures de l après-midi. * Sagt dir das was?«

Ich brauchte einen Moment.

»Hallo?« Seine Stimme klang schon ungeduldig.

Da war es aber bereits klar. Das konnte nur einer sein. War er tatsächlich durchgekommen?

Ich spüre zuerst seine Hand auf meiner Schulter. Gedankenverloren aus dem Fenster schauend, habe ich nicht bemerkt, wie er das Lokal betrat.

»Salut, Julien«, sagt er mit der mir vertraut schlechten französischen Aussprache, jedoch ungewohnt tiefer Stimme.

Als ich aufspringe und ihn umarmen will, hält er mich auf Abstand, drückt mich zurück auf den Stuhl und setzt sich selbst gegenüber. Im nächsten Augenblick steht der mürrische Kellner neben uns.

»Deux cafés au lait«, bestellt er, fast nebenbei, gar nicht mit der Feierlichkeit, die ich in diesem Moment empfinde.

Es ist Herschel. Daran kann kein Zweifel sein. Als wir uns zuletzt sahen, war er einundzwanzig Jahre alt. Jetzt müsste er vierundzwanzig sein, wirkt aber um einiges älter. Oder vielleicht sollte ich eher sagen: härter. Ja, das ist es, was mir zuerst auffällt und ihn mir fremd erscheinen lässt. Er ist noch immer mager, trägt die Haare ganz kurz, hat dafür aber einen dunklen Schnurrbart und wirkt unrasiert.

»Julien, arbeitest du wieder als Journalist?«, beginnt er nach einer Pause das Gespräch. Ich nicke nur, fühle mich beklommen.

»Herschel ist tot«, fährt er fort. »Es gibt zu viele Leute, die meinen Tod wollen, auch jetzt noch, nachdem alles vorbei ist. Zu viele, als dass ich leben könnte. Übrigens auch von meinen eigenen Leuten, weißt du, das ist am schlimmsten. Da gibt es einige Chawerim*, die mir noch heute anlasten, ich wäre schuld an den Pogromen in Deutschland gewesen.«

»Woher weißt du das?«, frage ich ungläubig.

»Ich hab s gehört. Zuverlässig. Von Soldaten der Roten Armee, die mich aus Berlin haben abziehen lassen. Dann von einem Verwandten in Brüssel, der schon angesprochen wurde: Wenn die schwule Sau hier auftaucht, machen wir ihn fertig! «

Seine Augen blicken nervös im Lokal umher, einen Moment nur, fast unmerklich. »Nein, Julien, Herschel ist tot. Ich werde bald neue Papiere haben und einen neuen Namen und woanders leben. Vielleicht ändert sich auch einmal etwas. Jetzt sieht es nicht so aus ⦫

»Und was kann ich für dich tun?«

»Du, Julien? Du sagst, du bist Journalist. Und du bist in meinem Alter. Wir beide haben uns damals im Waschraum geschworen, zwei verdammte alte Knacker zu werden. Weißt du noch?«

»Und?« Ich verstehe nicht, worauf er hinauswill.

Herschel holt eine zerbeulte braune Ledertasche unter dem Tisch hervor, öffnet sie umständlich und zieht ein größeres, in Packpapier eingeschlagenes und mit einer Schnur verbundenes Paket heraus.

»Das musst du für mich aufbewahren!« Er schiebt mir das Paket über den Tisch. »Ich war die letzten Wochen hier in der Nähe von Paris versteckt. Da habe ich gewartet auf meine neuen Papiere. Während des Wartens habe ich alle Zettel und leeren Hefte, die ich bekommen konnte, voll geschrieben. Mit meiner Geschichte. Meinem Leben. Hört sich irgendwie komisch an, nicht?«

Ich schüttele den Kopf. »Und wieso gibst du das nicht einem Anwalt? Du solltest jetzt einen Prozess deinerseits anstrengen!«

»Kann nicht mehr«, antwortet er leise. Dann, nach einer Pause, noch einmal: »Kann nicht mehr ⦫

Er starrt eine Weile vor sich hin. Mit der Hand fährt er sich durch die kurzen, dunklen Haare, als wollte er etwas wegwischen.

»Du, hör mal, Julien. Ich kann jetzt hier nicht lange mit dir sprechen. Ich muss bald zu einem Treffpunkt, von wo aus ich Paris noch in dieser Nacht verlassen werde. Du nimmst jetzt die Hefte und packst sie gut weg. Sobald ich kann, melde ich mich wieder über die Anschrift deines Vaters. Du gibst sie niemand anderem. Dir vertraue ich!«

»Und? Wann kommst du wieder? Wann?«

»Bald. Vielleicht.«

»Und wenn nicht?«

»Du hebst alles auf....
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Autor

Lutz van Dijk, Jg. 1955, Dr.phil., deutsch-niederländischer Schriftsteller, Historiker und Pädagoge, zuerst Lehrer in Hamburg. später Mitarbeiter des Anne Frank Hauses in Amsterdam. Seit 2002 als Mitgründer der Stiftung HOKISA in Kapstadt / Südafrika, die sich für Kinder und Jugendliche in einem Township engagiert.