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Löwenchor

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am11.02.2019Aus dem Ungarischen von Timea Tanko
Nach der Beerdigung seiner Mutter kehrt Ferenczi nicht in die leere Wohnung zurück, sondern fliegt nach Madrid. Auf dem Hotelbalkon an der Puerta del Sol, während von unten »Tanzmusik, Freudenmusik und Trauermusik« heraufdringt, geht ihm durch den Kopf, wie anders das Leben verlaufen wäre, hätten die kommunistischen Behörden seinen Eltern nicht die Hochzeitsreise nach Spanien verweigert - das Hotel an der Puerta del Sol war schon gebucht. Sein Vater wäre nicht in den Bergen verunglückt, und seine Mutter hätte ihre Gesangskarriere gemacht, statt putzen zu gehen. Wie Stimmen einer Partitur verflechten sich die langen, dichten Sätze und lassen Sequenzen der Vergangenheit und Gegenwart einander durchdringen.

»Dass der Schmerz irgendwann nachließ, davon handelte die Musik«, sagt eine Sängerin, die ihr Leben lang mit Ella Fitzgeralds Cry me a river auftritt und Glück und Qual einer Musikerexistenz bis zum Ende durchstehen muss. Musik als Leidenschaft, Wunschtraum und Fluch, als Katalysator des Übersinnlichen und als Auslöserin von Katastrophen - all diese Motive wandern durch die zwanzig Novellen, aus denen György Dragomán seinen mächtigen Löwenchor zusammengestellt hat.



György Dragomán, 1973 in Marosvásárhely (Târgu-Mure?) / Siebenbürgen geboren, übersiedelte 1988 mit seiner Familie nach Ungarn. 2002 erschien sein preisgekrönter erster Roman, A pusztítas könyve (Das Buch der Zerstörung). Er hat über Beckett promoviert, übersetzt aus dem Englischen und arbeitet als Webdesigner. Der weiße König (2005; dt. 2008) ist in dreißig Ländern erschienen. Dragomán lebt in Budapest.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR20,99

Produkt

KlappentextNach der Beerdigung seiner Mutter kehrt Ferenczi nicht in die leere Wohnung zurück, sondern fliegt nach Madrid. Auf dem Hotelbalkon an der Puerta del Sol, während von unten »Tanzmusik, Freudenmusik und Trauermusik« heraufdringt, geht ihm durch den Kopf, wie anders das Leben verlaufen wäre, hätten die kommunistischen Behörden seinen Eltern nicht die Hochzeitsreise nach Spanien verweigert - das Hotel an der Puerta del Sol war schon gebucht. Sein Vater wäre nicht in den Bergen verunglückt, und seine Mutter hätte ihre Gesangskarriere gemacht, statt putzen zu gehen. Wie Stimmen einer Partitur verflechten sich die langen, dichten Sätze und lassen Sequenzen der Vergangenheit und Gegenwart einander durchdringen.

»Dass der Schmerz irgendwann nachließ, davon handelte die Musik«, sagt eine Sängerin, die ihr Leben lang mit Ella Fitzgeralds Cry me a river auftritt und Glück und Qual einer Musikerexistenz bis zum Ende durchstehen muss. Musik als Leidenschaft, Wunschtraum und Fluch, als Katalysator des Übersinnlichen und als Auslöserin von Katastrophen - all diese Motive wandern durch die zwanzig Novellen, aus denen György Dragomán seinen mächtigen Löwenchor zusammengestellt hat.



György Dragomán, 1973 in Marosvásárhely (Târgu-Mure?) / Siebenbürgen geboren, übersiedelte 1988 mit seiner Familie nach Ungarn. 2002 erschien sein preisgekrönter erster Roman, A pusztítas könyve (Das Buch der Zerstörung). Er hat über Beckett promoviert, übersetzt aus dem Englischen und arbeitet als Webdesigner. Der weiße König (2005; dt. 2008) ist in dreißig Ländern erschienen. Dragomán lebt in Budapest.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518761120
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum11.02.2019
AuflageAus dem Ungarischen von Timea Tanko
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2408 Kbytes
Artikel-Nr.4016744
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Der eiserne Bogen


Morgens, wenn er mich wachrüttelt, sagt mein Vater, er weiß, dass ich müde bin, er weiß auch, dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten kann, aber ich habe keine Wahl, ich muss üben, jede Minute, jeden Augenblick muss ich nutzen, denn ich habe nicht mehr viel Zeit, nur noch einen Monat, dann ist mein dreizehnter Geburtstag, der schwarze Geiger kommt, um mich zu prüfen, bis dahin muss ich pausenlos üben; wenn wir nicht gerade schlafen, üben wir, das ist absolut notwendig, denn er will nicht, dass es mir so ergeht wie ihm.

Mein Vater zeigt mir seine Hände, die Finger sind krumm und knotig wie die Wurzeln der Eibe, er sagt, das wird gar keine Prüfung, sondern ein Wettstreit, ich muss gegen den schwarzen Geiger antreten, der sich mitten ins Zimmer stellen und etwas spielen wird, eines der siebenundsiebzig Lieder, das muss ich nachspielen, und wenn ich besser spiele als er, wird er mir seine Geige schenken, die Geige samt Bogen, dann wird er hinausgehen, blitzschnell den verdorrten Birnbaum hochkraxeln, bis in die Spitze, seinen Mantel ausbreiten, wegfliegen und nie wieder zurückkehren, doch wenn ich schlechter spiele, wird er mir mit seinem eisernen Bogen alle Finger brechen, und nicht nur die Finger, sondern alle kleinen Handknochen, so dass ich nie wieder einen Bogen halten kann und auch keine Geige, also tue ich gut daran, mich anzustrengen, mich nicht vor der Arbeit zu drücken, nicht zu schummeln, sonst kann ich mich gleich von meinen geliebten Fingerchen verabschieden.

Mein Vater sitzt im Schaukelstuhl, fuchtelt mit dem alten Bogen, dirigiert mich, sagt, ich soll aufhören und von vorne anfangen, oder er sagt, noch mal oder schneller oder langsamer, vor allem aber sagt er, ich spiele falsch, ganz falsch, ob ich denn nicht merke, dass es falsch ist, ich soll endlich richtig hinhören, schließlich bin ich sein Sohn, ich kann doch nicht taub sein.

Wie ein großes Metronom wippt der Schaukelstuhl auf dem zerschlissenen Perserteppich hin und her, die Dielen unter dem Teppich knarren im Takt, mein Vater sagt, er weiß, dass es sehr schwer ist, aber ich soll mich nicht fürchten, denn er bereitet mich seit meiner Geburt darauf vor, den schwarzen Geiger zu besiegen, der Bogen liegt ja auch deshalb so gut in meiner Hand, weil er ihn mir bereits in die Hand gedrückt hat, als ich noch gar nicht laufen konnte, ich war ein dummer Knirps und wollte ihn nicht anfassen, doch dann hat er ihn mir an die Hand gebunden, mit harzdurchtränkter Gaze, damit ich ihn nicht loslassen kann, sondern mich an sein Gewicht und den Griff gewöhne, denn er hat bereits damals gewusst, jede Minute ist kostbar, jeden Augenblick muss man nutzen.

Wenn ich die schnelleren Lieder übe, wippt auch Vaters Schaukelstuhl schneller vor und zurück, er schreit mich an, ich soll den Takt halten, ich soll an den schwarzen Geiger denken, und falls ich glaubte, dass das richtiges Üben ist, sollte ich wissen, dass der schwarze Geiger jede Nacht draußen am Kreuzweg übt, mit dem Rücken zum Mond, um den Schatten seines Bogens im Straßenstaub sehen zu können; wenn er schnell genug spielt, kommt der Schatten nicht mehr hinterher, reißt vom Bogen ab und bleibt im Staub liegen, er sieht dann aus wie eine schmale schwarze Lache, ich soll mir vorstellen, dass auch ich so schnell bin. Wenn mein Vater davon erzählt, steht er manchmal aus dem Schaukelstuhl auf, stellt sich hinter mich, schaltet seine von zehn Batterien betriebene Xenon-Sturmlampe an und beleuchtet mich so, dass mein Schatten schwarz auf die Wand fällt, dann sagt er, ich soll mir vorstellen, ich bin der schwarze Geiger, soll die Hand so bewegen, als wäre es gar nicht meine Hand, dabei sehe ich immer zur Wand, zu meinem Schatten an der Wand und warte darauf, dass er plötzlich stehen bleibt, doch er bewegt sich immer weiter.

Mein Vater sagt, ich darf mich beim Spielen von nichts stören lassen, manchmal leuchtet er mir mit der Sturmlampe in die Augen, ein andermal bläst er mir mit der Fahrradpumpe ins Ohr oder springt mit der Ratsche in der Hand um mich herum, manchmal bringt er auch die Hundekette, legt sie in den Waschtopf und schüttelt ihn aus voller Kraft, er sagt, ich muss mich daran gewöhnen, denn der schwarze Geiger wird den Wind um mich herumwirbeln lassen, mir wird es vorkommen, als flatterten Krähen und Fledermäuse an mir vorbei, als schlügen sie mir mit ihren Flügeln ins Gesicht, doch selbst dann darf ich keinen Fehler machen.

Mein Vater springt mit dem Waschtopf um mich herum, die Kette rasselt sehr laut, doch mein Vater übertönt sie, er erzählt vom schwarzen Geiger, davon, dass der immer um Mitternacht auf den Friedhof geht und dort den Geistern aufspielt, die Geister erwachen und tosen um ihn wie der heftigste Sturmwind; wenn er auch nur einen schiefen Ton spielt, werden sie ihn sofort unter die Erde mitnehmen, doch der schwarze Geiger erschrickt nie, oder selbst wenn er erschrickt, sieht man es ihm nicht an, sondern er bringt die Geister zum Tanzen, und wenn er die Nase voll hat, fängt er an, in umgekehrter Richtung zu spielen, und dann können die Geister gar nicht anders, sie müssen unter die Erde zurück, ja, wirklich, wenn er rückwärts spielt, kann der schwarze Geiger selbst den größten Sturm sich legen und die Wolken fortziehen lassen, und wenn er will, kann er sogar Kranke heilen, so kräftig ist sein Strich.

Mein Vater sagt, ich muss alle siebenundsiebzig Lieder so können, dass ich jedes einzelne mit geschlossenen Augen von Anfang bis Ende und zurück spielen kann, selbst wenn er mich aus dem tiefsten Schlaf reißt, und oft reißt er mich tatsächlich aus dem Schlaf, wischt mir mit einem feuchten Tuch übers Gesicht, wartet nicht einmal ab, dass ich mich hinsetze, schon drückt er mir Geige und Bogen in die Hand, sagt den Titel des Liedes an, manchmal steige ich nicht einmal aus dem Bett, sondern spiele so, im Liegen, mein Vater sagt, ich mache das gut, aber ich muss wissen, dass der schwarze Geiger auch mit dem Kopf nach unten spielen kann, manchmal kraxelt er bis in die Spitze der höchsten Kiefer, hakt seine Stiefel in die dünnsten Zweige, legt sich auf die weichen Äste und spielt dort oben, und zwar so, dass alle Zapfen sich öffnen und die Kerne ihm direkt in den Mund rieseln.

Mein Vater sagt, ich muss nun auch während des Essens spielen; wenn der schwarze Geiger gleichzeitig essen und spielen kann, muss auch ich es können, er formt mir kleine Kugeln aus Grießnudeln, wirft sie in die Luft, manche fange ich mit dem Mund, manche mit dem Bogen oder ich schieße sie vom Ellbogen in den Mund, mein Vater lobt mich selbst dann nicht, wenn ich keine einzige fallen lasse, er sagt nicht, wie geschickt ich bin, nickt nur, und dass er doch zufrieden mit mir ist, weiß ich, weil er mir gesalzene Kürbiskerne in den Mund wirft oder Himbeerbonbons in die Luft.

Mich ausruhen darf ich nur, wenn ich einen Krampf bekomme, dann muss ich mich auf den Boden legen, und mein Vater massiert mich so lange mit Walnussöl, bis sich der Krampf löst, doch auch während er mich massiert, erzählt er vom schwarzen Geiger, davon, dass er angeblich hinter dem Berg, auf dem Dachboden der alten Glasfabrik lebt; als Vaters Hand nach langer Zeit endlich geheilt war, sind sie zur Glasfabrik gegangen, er und sein bester Freund, um die Geige des schwarzen Geigers zu stehlen, sie sind am Samstag gegangen, denn samstags spielt der schwarze Geiger nicht, sondern schläft den ganzen Tag und die ganze Nacht, vom ersten Hahnenschrei am Samstagmorgen bis zum ersten Hahnenschrei des nächsten Tages, sie haben die Glasfabrik sogar gefunden und das Schnarchen des schwarzen Geigers gehört, nur fanden sie in der Ziegelmauer der Fabrik kein Tor, sie sind rundherum gelaufen, immer nur rundherum, mal in die eine, mal in die andere Richtung, bis sie den Hahn krähen hörten.

Ich darf auch nicht aufhören, wenn mir eine Saite reißt, es sind sehr gute Saiten, sie halten einiges aus, mein Vater hat sie aus dem Darm eines schwarzen Bocks und dem Netz einer Kreuzspinne gedreht, doch ab und zu reißen sie, mein Vater sagt, sein Verhängnis ist gewesen, dass er die Geige abgesetzt hat, als ihm zwei Saiten auf einmal gerissen sind, das darf ich nicht tun, ganz gleich, was geschieht, ich muss, ohne mit der Wimper zu zucken, weiterspielen, auch wenn nur noch eine Saite übrig ist, ja, sogar dann noch, ich muss spielen, bis das Lied zu Ende ist. Manchmal schneidet er mit der großen Schneiderschere eine Saite...

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Autor

György Dragomán, 1973 in Marosvásárhely (Târgu-Mures) / Siebenbürgen geboren, übersiedelte 1988 mit seiner Familie nach Ungarn. 2002 erschien sein preisgekrönter erster Roman, A pusztítas könyve (Das Buch der Zerstörung). Er hat über Beckett promoviert, übersetzt aus dem Englischen und arbeitet als Webdesigner. Der weiße König (2005; dt. 2008) ist in dreißig Ländern erschienen. Dragomán lebt in Budapest.