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Das Zimmer der Wunder

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am12.08.2019
Eine berührende französische Tragikomödie - tiefgründig, ergreifend, inspirierend
Nur ein Moment, doch er kann alles verändern. Das erfährt Karrierefrau Thelma am eigenen Leib, als ihr Sohn Louis durch einen LKW von seinem Skateboard gerissen wird. Louis überlebt schwer verletzt, liegt im Koma. Vier Wochen - wenn sich sein Zustand bis dahin nicht verbessert, sehen die Ärzte wenig Hoffnung. In ihrer Verzweiflung findet Thelma in Louis' Zimmer eine Liste mit Dingen, die er sich fürs Leben vorgenommen hat: Karaoke singen, einen Marathon laufen, ein Duett mit einem bekannten Rapper ... Thelma beginnt seine Wünsche für ihn zu erfüllen. Wird es ihr gelingen, dadurch seinen Überlebenswillen zu wecken?
Julien Sandrel schreibt lebensbejahend, gefühlvoll und voller humorvoller Momente.

Julien Sandrel, geboren 1980 in Südfrankreich, lebt heute mit seiner Frau und den beiden Kindern in Paris. Die Idee zu seinem Debütroman »Das Zimmer der Wunder« kam ihm, als er sich eines Tages in einer brenzligen Situation Gedanken darüber machte, was wäre, wenn seinen Kindern im Straßenverkehr etwas passieren würde. Der Roman wurde in Frankreich von der Presse gefeiert, noch vor Erscheinen in 26 Länder verkauft und wird derzeit verfilmt.
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Produkt

KlappentextEine berührende französische Tragikomödie - tiefgründig, ergreifend, inspirierend
Nur ein Moment, doch er kann alles verändern. Das erfährt Karrierefrau Thelma am eigenen Leib, als ihr Sohn Louis durch einen LKW von seinem Skateboard gerissen wird. Louis überlebt schwer verletzt, liegt im Koma. Vier Wochen - wenn sich sein Zustand bis dahin nicht verbessert, sehen die Ärzte wenig Hoffnung. In ihrer Verzweiflung findet Thelma in Louis' Zimmer eine Liste mit Dingen, die er sich fürs Leben vorgenommen hat: Karaoke singen, einen Marathon laufen, ein Duett mit einem bekannten Rapper ... Thelma beginnt seine Wünsche für ihn zu erfüllen. Wird es ihr gelingen, dadurch seinen Überlebenswillen zu wecken?
Julien Sandrel schreibt lebensbejahend, gefühlvoll und voller humorvoller Momente.

Julien Sandrel, geboren 1980 in Südfrankreich, lebt heute mit seiner Frau und den beiden Kindern in Paris. Die Idee zu seinem Debütroman »Das Zimmer der Wunder« kam ihm, als er sich eines Tages in einer brenzligen Situation Gedanken darüber machte, was wäre, wenn seinen Kindern im Straßenverkehr etwas passieren würde. Der Roman wurde in Frankreich von der Presse gefeiert, noch vor Erscheinen in 26 Länder verkauft und wird derzeit verfilmt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641235611
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum12.08.2019
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1686 Kbytes
Artikel-Nr.4024489
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1.
10 Uhr 32
»Louis, es ist höchste Zeit! Los jetzt, steh auf und zieh dich an, ich wiederhole es nicht noch einmal, wir sind spät dran, es ist schon zwanzig nach neun.«

So ungefähr fing dieser Tag an, es sollte der schlimmste meines Lebens werden. Noch wusste ich es nicht, aber um 10 Uhr 32 würde dieser Samstag, 7. Januar 2017, mein Dasein in ein Davor und ein Danach einteilen. Das Davor würde für immer weiterexistieren, genauso wie mein sehnlicher Wunsch, die Minute, die dem Schicksalsschlag voranging, zur Ewigkeit erstarren zu lassen - Momente flüchtigen Glücks, Bilder, die sich mir unauslöschlich eingebrannt haben. Und für immer würde ich mit dem Danach leben müssen, mit dem »Warum?«, mit dem »Wenn doch nur«, mit all den Tränen, den heulenden Sirenen, den abscheulich mitleidvollen Blicken, den unkontrollierten Krämpfen in meinem Unterleib, der sich weigerte, die Realität zu akzeptieren. Nichts davon ahnte ich an jenem Morgen, nur die Götter - wenn es sie denn gibt, woran ich stark zweifele - wussten, was sie da ausheckten. Worüber sie sich wohl um 9 Uhr 20 unterhielten? Einer mehr, einer weniger - was soll´s, das wird die Welt nicht groß verändern? Ich war weit weg von alldem, weit weg von den Göttern und weit weg von meinem Herzen. Ich war nur darauf konzentriert zu funktionieren, in jenem Augenblick so kurz vor dem Punkt, an dem die Dinge ins Wanken gerieten, auseinanderbrachen, an dem es kein Zurück mehr gab. Und ich verfluchte Louis, weil er keine Anstalten machte, sich aus dem Bett zu bewegen.

Dieses Kind treibt mich in den Wahnsinn, dachte ich. Seit einer halben Stunde versuchte ich, meinen Sohn zum Aufstehen zu motivieren, und nichts regte sich. Wir waren mit meiner Mutter zum Brunch verabredet - mein monatliches Martyrium -, und ich wollte vorher unbedingt noch zum Boulevard Haussmann, um mir die blutroten Pumps zu kaufen, die mich seit Beginn des Schlussverkaufs bis in meine Träume verfolgten. Ich war fest entschlossen, damit am Montag bei dem Meeting mit dem Big Boss von Hégémonie ein bisschen aufzuschneiden - Hégémonie war der Kosmetikkonzern, für den ich seit fünfzehn Jahren Tag und Nacht arbeitete. Ich leitete ein Team von zwanzig Mitarbeitern, die ihre kostbare Lebenszeit damit verbrachten, die Marke und das Marketing eines Antischuppenshampoos weiterzuentwickeln, das bis zu hundert Prozent Wirkung versprach - das »bis zu« besagte, dass eine von zweihundert Testpersonen nach der Anwendung vollständig von Schuppen befreit war. Zu meinen beruflichen Sternstunden zählte, dass ich nach erbitterten Kämpfen mit der Rechtsabteilung von Hégémonie schließlich die Erlaubnis bekam, mit dieser Behauptung zu werben. Was ausschlaggebend für den Verkaufserfolg war und damit für meine jährliche Gehaltsverhandlung, meinen Sommerurlaub mit Louis und meine neuen Pumps.

Widerstrebend stand Louis endlich auf, streifte sich eine viel zu enge Jeans mit viel zu tief sitzendem Bund über, spritzte sich kurz Wasser ins Gesicht und zerstrubbelte ungefähr fünf Minuten lang seine Frisur. Trotz der eisigen Temperaturen an diesem Morgen weigerte er sich hartnäckig, eine Mütze aufzusetzen, brummte unverständliche Wortfetzen vor sich hin, deren Informationsgehalt ich jedoch erraten konnte (»Warum muss ich überhaupt mitkommen ...«), setzte seine Sonnenbrille auf, nahm sein Skateboard - ein dreckiges, komplett vollgespraytes Holzbrett, für das ich zweimal pro Woche neue, härtere Rollen kaufen musste -, zog seine ultradünne rote Daunenjacke an, griff nach einem Paket mit Schokoladenkeksen, nuckelte wie ein Fünfjähriger im Stehen an einem Smoothie und war dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, startklar. Während wir auf den Fahrstuhl warteten, sah ich auf die Uhr. 10 Uhr 21. Perfekt, wir lagen gut in der Zeit. Ich hatte großzügig geplant, ich kannte ja meinen Sonnenkönig, man konnte nie wissen, wie lange sein Morgenritual dauern würde.

Es war herrliches Wetter, über uns ein blauer, wolkenloser Winterhimmel. Strahlende kalte Tage habe ich schon immer geliebt. Moskau war für mich die Königin des Winterhimmels, nie wieder ist mir ein so blauer und so klarer Himmel begegnet wie damals, als ich auf Geschäftsreise dort war. Paris gab sich an diesem Morgen allerdings Mühe, Moskau Konkurrenz zu machen. Wir ließen unsere Wohnung im 10. Arrondissement hinter uns, hielten uns am Canal Saint-Martin Richtung Gare de l´Est, drängten uns im Zickzack vorbei an Familien und Touristen, die staunend das Schleusenmanöver eines Frachtkahns am Pont Eugène-Varlin verfolgten. Ich beobachtete, wie Louis sich mit ordentlichem Tempo auf seinem Skateboard durch die Menge schlängelte. Ich war stolz auf diesen kleinen Mann, der im Begriff war, zu einem großen heranzuwachsen. Ich hätte es ihm sagen sollen - solche Gedanken sind dazu da, ausgesprochen zu werden, sonst helfen sie keinem weiter -, aber das habe ich nicht getan. Louis hatte sich in letzter Zeit sehr verändert. Ein völlig altersgemäßer Wachstumsschub hatte dafür gesorgt, dass mein kleiner zierlicher Junge sich in einen beachtlich großen Halbstarken verwandelt hatte, in seinem noch kindlichen glatten Gesicht deutete sich ein erster weicher Bartwuchs an. Es ging alles viel zu schnell. Für einen Moment sah ich mich wieder am Quai de Valmy spazieren, mit der rechten Hand schob ich den petrolblauen Kinderwagen vor mir her, in der linken hielt ich mein Telefon. Bei dieser Vorstellung musste ich unwillkürlich lächeln. Oder bilde ich mir das im Nachhinein nur ein? Vielleicht spielt mein Gedächtnis mir einen Streich, so ganz genau kann ich mich nicht mehr erinnern, was mir in jenem Augenblick durch den Kopf ging. Wenn ich die Zeit doch nur zurückdrehen könnte, ich wäre so viel aufmerksamer. So vieles würde ich anders machen.

Plötzlich hörte ich Klänge eines Liedes von The Weeknd - Louis hatte es mir als Klingelton auf meinem Smartphone installiert. Ich sah auf das Display, es war JP. Mist. Offenbar brannte mal wieder die Hütte. Warum sonst rief mich mein Vorgesetzter an einem Samstagmorgen an? Ich seufzte. Aber wenn man für ein Unternehmen wie Hégémonie arbeitete, musste man im Notfall auch am Wochenende einspringen. Inzwischen hat das Wort »Notfall« eine völlig andere Bedeutung für mich. Nie wieder käme es mir in den Sinn, im Zusammenhang mit einer Präsentation, die fertiggestellt werden muss, einem Verbrauchertest für ein Produkt, das kurz vor der Markteinführung steht, oder dem Design eines Flakons, über das noch Uneinigkeit herrscht, von einem »Notfall« zu sprechen. Worin sollte in solchen Fällen die Not und Dringlichkeit bestehen? Schwebt irgendwer in Lebensgefahr? Doch damals stellte ich mir solche Fragen nicht. Ich fragte mich lediglich, welche Nuss JP mir wohl diesmal zu knacken gab. Vage ahnte ich, dass sein Anruf mit dem Meeting am Montag zu tun hatte. Ein absolut dringender Notfall also. Existenziell. Ohne zu zögern, nahm ich den Anruf entgegen und registrierte nur am Rande, dass Louis langsamer geworden war, auf mich wartete, mir ganz offensichtlich etwas sagen wollte. Er rief mir etwas zu, ich bedeutete ihm, dass ich telefonierte - sah er das denn nicht? Beleidigt nuschelte er etwas in seinen Bartflaum und gestikulierte herum, um mich von der Wichtigkeit seines Anliegens zu überzeugen. Ich sollte nie mehr erfahren, was er mir mitteilen wollte. Ich bin mir fast sicher, dass meine letzten Gedanken vor dem Unglück in Bezug auf meinen Sohn negativer Natur waren. Ich war genervt von seinem ständigen Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und seinem jugendlichen Egoismus, davon, dass ich keine Minute für mich hatte, ich musste schließlich auch mal durchatmen, verdammte Scheiße. Ich glaube, das war das Letzte, was ich im Geiste zu Louis sagte. Wie konnte ich nur! Mein Kind, das ich Tausende Stunden in meinen Armen gewiegt, dem ich Tausende Lieder vorgesungen hatte, dieses kleine Wesen, das so viel Freude in mein Leben gebracht hat - und das Letzte, was ich ihm mitgebe, ist das verfluchte S-Wort. Es ist beschämend. Ein erbärmliches Andenken.

Louis schnaufte geräuschvoll, setzte den roten Kopfhörer auf, den er zuvor um den Hals getragen hatte, stieß wütend hervor, dass es immer das Gleiche mit mir sei, dass nichts anderes zähle als meine Arbeit, dann nahm er mit dem rechten Bein kräftig Schwung und raste auf seinem Board die Straße hinunter. Wenn ich nicht mit JP im Gespräch gewesen wäre - der Notfall bestand darin, dass ein paar PowerPoint-Folien korrigiert werden mussten -, hätte ich meinem Sohn in einem Reflex, den wahrscheinlich jede Mutter hat, hinterhergebrüllt: »Nicht so schnell, pass auf!« Jedes Kind, das den Kindergarten hinter sich gelassen hat, hasst diese Art Mutterreflex, der theoretisch zu nichts führt, aber praktisch wenigstens ein minimales Bewusstsein für Gefahren schafft.

Bei Hégémonie stehen Kinder nicht gerade hoch im Kurs, auch wenn die offizielle Firmenpolitik lautet: Hégémonie setzt sich für die Gleichstellung von Männern und Frauen ein, Hégémonie unterstützt die berufliche Karriere von Müttern. Leider klafft zwischen einer behaupteten Unternehmensphilosophie und ihrer Anwendung im Alltag oft eine große Lücke, noch immer gibt es zu viele Missstände, über die keiner redet und die dazu führen, dass die Frauenquote in den Führungsetagen großer Konzerne lächerlich gering ist. Ich habe hart kämpfen müssen, um eine Führungsposition zu erreichen - ausgeschlossen, dass ich ein geschäftliches Telefonat wegen mütterlicher Befindlichkeiten unterbrach. Selbst an einem Samstag Vormittag um 10 Uhr 31.

Während JP mir sanft beibrachte, was ich am Sonntag zu tun hätte, sah ich Louis zerstreut hinterher. Hoffentlich...

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Autor

Julien Sandrel, geboren 1980 in Südfrankreich, lebt heute mit seiner Frau und den beiden Kindern in Paris. Die Idee zu seinem Debütroman »Das Zimmer der Wunder« kam ihm, als er sich eines Tages in einer brenzligen Situation Gedanken darüber machte, was wäre, wenn seinen Kindern im Straßenverkehr etwas passieren würde. Der Roman wurde in Frankreich von der Presse gefeiert, noch vor Erscheinen in 26 Länder verkauft und wird derzeit verfilmt.