Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Slumberland

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am10.06.2019
Ein Berlin-Roman, wie es noch keinen gibt: DJ Darky kommt aus New York in die deutsche Hauptstadt, um einen abgetauchten Jazzer aufzuspüren. Es ist die Zeit des Mauerfalls, in der plötzlich alles möglich scheint. In der Bar 'Slumberland', wo DJ Darky sich als 'Jukebox-Sommelier' verdingt, entdeckt er seine sexuelle Macht, den Musikgeschmack von Neonazis und das Leben der Ostdeutschen, das ihn zusehends an das Leben der Afroamerikaner im amerikanischen Bürgerkrieg erinnert... Virtuos spielt Paul Beatty mit den Verhältnissen zwischen den Geschlechtern, zwischen Schwarz und Weiß, Ost und West, Jazz und Techno und mischt daraus einen aufregenden neuen Sound.

PAUL BEATTY, 1962 geboren, zählt zu den bedeutendsten amerikanischen Autoren der Gegenwart. Begonnen hat er als Lyriker, schnell avancierte er zum Star der New Yorker Slam-Poetry-Szene. Seine Romane haben in den USA Kultstatus. Für »Der Verräter« wurde Beatty mit dem National Book Critics Circle Award sowie - als erster Amerikaner - mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet. Paul Beatty lebt in New York.
mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextEin Berlin-Roman, wie es noch keinen gibt: DJ Darky kommt aus New York in die deutsche Hauptstadt, um einen abgetauchten Jazzer aufzuspüren. Es ist die Zeit des Mauerfalls, in der plötzlich alles möglich scheint. In der Bar 'Slumberland', wo DJ Darky sich als 'Jukebox-Sommelier' verdingt, entdeckt er seine sexuelle Macht, den Musikgeschmack von Neonazis und das Leben der Ostdeutschen, das ihn zusehends an das Leben der Afroamerikaner im amerikanischen Bürgerkrieg erinnert... Virtuos spielt Paul Beatty mit den Verhältnissen zwischen den Geschlechtern, zwischen Schwarz und Weiß, Ost und West, Jazz und Techno und mischt daraus einen aufregenden neuen Sound.

PAUL BEATTY, 1962 geboren, zählt zu den bedeutendsten amerikanischen Autoren der Gegenwart. Begonnen hat er als Lyriker, schnell avancierte er zum Star der New Yorker Slam-Poetry-Szene. Seine Romane haben in den USA Kultstatus. Für »Der Verräter« wurde Beatty mit dem National Book Critics Circle Award sowie - als erster Amerikaner - mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet. Paul Beatty lebt in New York.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641222512
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum10.06.2019
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2632 Kbytes
Artikel-Nr.4024858
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
KAPITEL 1

Man sollte doch glauben, sie hätten sich allmählich an einen gewöhnt. Ich meine, wissen sie denn nicht, dass es nach eintausendvierhundert Jahren aus ist mit der Scharade des Schwarzseins? Dass wir Schwarzen, die einstmals ewig Hippen, die Typen, die so hier und jetzt waren wie die Zeitansage, ab heute genauso von gestern sind wie der Faustkeil, das Veloziped und der Strohhalm aus Papier? Der Neger ist jetzt offiziell Mensch. Alle sagen das, sogar die Briten. Ob es wirklich einer glaubt, ist einerlei; wir sind so mittelmäßig und gewöhnlich wie der Rest der Gattung. Den ruhelosen Seelen unserer Toten steht es endlich frei zu sein, was sie unter ihrer modern-primitiven Patina immer schon waren. Josephine Baker darf sich den Knochen aus der Nase ziehen, dann hat sie wieder die original 206 Stück davon im x-beinigen Klappergestell. Der liebeskranke Geist von Langston Hughes darf seinen (geschenkten) Montblanc-Füller beiseitelegen und weit den Mund aufreißen. Nicht, um seine ranschmeißerischen Reime zu rezitieren, sondern um irgendeinem Harlemer Halunken das sagenhafte Gemächt zu lecken und zu blasen, worin sich die eigentliche mündliche Überlieferung schließlich vollendet. Die Revoluzzer unter uns dürfen die Waffen niederlegen. Der Krieg ist vorbei. Es kommt nicht darauf an, wer ihn gewonnen hat, nehmt euren Schießprügel, die Taschenflak, die Wumme, die Knarren, die ihr einst »ein-Weißer-weniger-trunken« vor euren Kindern schwenktet, nehmt diese Knarren und bahrt sie auf hinter Glas, auf dass sie müßig neben der Donnerbüchse und der portugiesischen Arkebuse und der Muskete der Milizen Neuenglands auf dem roten Samt ruhen mögen. Der Schlachtruf noch der Tapfersten unter uns lautet längst nicht mehr »Wir sehen uns in der Hölle!«, sondern »Wir sehen uns vor Gericht«. Wenn du der Geschichte also noch immer böse bist, dann ruf einen Anwalt an und versuch, dir für die Sklaverei Entschädigung einzuklagen. Schwarzsein ist passé, und ich für meinen Teil könnte darüber nicht glücklicher sein, denn jetzt kann ich ins Bräunungsstudio gehen, wenn ich will, und ich will.

Ich reiche der Dame am Empfang den Gutschein. Vorne drauf ist eine Hochglanzluftaufnahme karibischer Gestade. Sie dreht das Kärtchen um und senkt misstrauisch den Blick von meinem Gesicht auf seine Rückseite. Dort steht: BRÄUNUNGSSTUDIO ELECTRIC BEACH: BUCHEN SIE 10 SONNENBÄDER, UND SIE BEKOMMEN EINS UMSONST. Unter dem Angebot sieht man zwei Reihen Zehn-Pfennig-Stückgroßer Kreise und in jedem Kreis den roten Stempelabdruck einer heiß brennenden Sonne mit Sonnenbrille, breitem Lachen und gebleckten Zähnen. Heute ist der große Tag, an dem ich mein Gratissonnenbad bekomme. Aber irgendwie zögert diese Frau, die mindestens sieben der zehn lachenden Sonnen aufgestempelt hat, mir einen Bräunungsraum zuzuweisen. Normalerweise stempelt sie meine Karte ab, murmelt kaum hörbar Malibu, Waikiki oder Ibiza, und ich trotte los.

Ein verwirrt-vertraulicher Ausdruck schleicht sich in ihr Gesicht. Ein Blick, der sagt: Habe ich Sie nicht schon mal gesehen? Haben Sie mich nicht letzten Dienstag vergewaltigt? Sind Sie nicht der Stepptanzlehrer von meinem Sohn?

»Acapulco.«

Endlich. Sie trägt meinen Namen ins Merkbuch ein. Ich deute auf die Sonnencreme in der Vitrine hinter ihr.

»Avon Bronze«, sage ich.

Wie ein Minitorpedo kommt die Tube über den Schalter geschossen. Lichtschutzfaktor zwei. Nicht stark genug. Wenn das Vanillelipgloss der Empfangsdame LSF 3 hat, brauche ich bei meinem Hauttyp mindestens eine sechs. Ich feuere zurück und schieße die Lotion wieder in ihre Richtung ab. »Tzu schwack. Ick braucke ehtuas Stäkkerres«, sage ich.

Vielleicht sollte man Säugetiere nach ihrem Lichtschutzfaktor klassifizieren. Frau, LSF 3, 35, verheiratet, sucht Nichtraucher, diskret spontan LSF 4 oder heller, für Affäre. LSF-7-Nashorn von Ausrottung bedroht. Ich bin hier der verantwortliche LSF-50-Leiter. Der Wal war LSF 2 - und das entsetzte mich mehr als alles andere. Doch wie kann ich hoffen, mich hier zu erklären? Erklären aber muss ich mich, sei es auch nur dunkel und ungefähr, sonst wäre alles vergebens, was ich in diesen Kapiteln schreibe und geschrieben habe. Der fensterlose Raum »Acapulco« hat die makabere Anmutung einer Krebsstation in Tijuana. Ganz wie drüben in der Alten Heimat die Schnapsläden, Bolzplätze und Ladenkirchen sind in Berlin die Bräunungsstudios allgegenwärtige Stätten der Zuflucht. Letzte Ausfahrt für die unheilbar Kranken, die unheilbar Armen und Sündigen, die unheilbar Blassen. Dein Ort, wenn der Arzt dir sagt, dass er nichts mehr für dich tun kann. Wenn die Welt dir sagt, dass du nicht genug tust.

Eifrig verwirbelt ein Deckenventilator die dumpfige Luft. An einer schäbigen, meerblau gestrichenen Wand hängen zwei gerahmte, offiziöse Blatt Pergament, das eine die Kontrollbescheinigung des Berliner Gesundheitsamtes, das andere, in Schnörkelschrift, das Abschlusszeugnis einer Hochschule namens »Goldener Herbst« in einem Fach namens Solarologie. In der Mitte des Raums steht die Sonnenbank, eine mit Glas und Chrom verkleidete Wunderkiste aus dem Himmel oder, genauer, Taiwan. Ich ziehe mich aus und creme mich ein, wobei ich die Tür einen winzigen Spalt offen lasse.

Nach langen Jahren des Bräunens hat meine Haut das meiste an Elastizität eingebüßt. Ich kneife mir in den Unterarm, und der kleine Fleischberg hält sich ein paar Sekunden lang, bevor er langsam wieder versinkt. Mein Teint ist etwas nachgedunkelt; noch immer ein nettes, unbedrohliches Bill-Cosby-Braun, jetzt allerdings mit einem granatroten Unterton, der mir in einem gewissen Licht einen leicht schurkischen Schimmer verleiht. Die Hälfte dessen, was ich über das Neueste aus der afroamerikanischen Popkultur weiß, erfahre ich von Berlinern, die mich auf der Straße anhalten und sagen: Tu sssiehst auss fie ..., und dann gehe ich nach Hause und suche im Internet nach Urkel, Homey the Clown und Dave Chappelle. Seit Neuestem erinnere ich die Leute eher an anrüchige schwärzliche Gestalten aus den B-Movie-Verfilmungen der Schundromane von Elmore Leonhard.

Ich leihe mir diese Filme aus - Jackie Brown, Out of sight, Schnappt Shorty -, sehe sie mir an und laufe dabei zwischen Bildschirm und Badezimmerspiegel hin und her. Ich finde überhaupt nicht, dass ich wie diese Männer aussehe, diese grundschlechten, eindimensionalen Charakterdarsteller, deren Ausstrahlung einzig im Bass ihrer Stimmen zu liegen scheint und im Tonfall, mit dem sie motherfucker sagen. Sam Jackson, Don Cheadle, das fette Arschloch aus Be Cool, immer sind sie schlau und finster, aber nie schlau genug, um den weißen Heini auszutricksen, und nie finster genug für wirklich böse Taten.

Oft denke ich, dass es einfacher gewesen wäre, in den Tagen meines Vaters aufzuwachsen. Als er groß wurde, gab es nur vier Nigger, denen er ähnlich sehen konnte: Jackie Robinson, Bill »Bojangles« Robinson, Louis Armstrong und Uncle Ben, den dicklippigen Mann mit der Kochmütze auf der Instantreispackung. Heute sieht jeder männliche Schwarze nach irgendwem aus. Irgendeinem Sportler, Sänger oder Leinwanddeppen. Wenn man zu Papas Zeit jemandem einen schwarzen Mann beschreiben wollte, den dieser Jemand nicht kannte, sagte man: Der sieht aus wie die Art Nigger, die dir tierisch den Arsch versohlt. Heute sagt man: Der sieht aus wie Magic Johnson oder Chris Rock, die Art Nigger, die dir ratzfatz in den Arsch kriecht.

Die meisten Einreibemittel sind kühl und wohltuend, nicht aber Sunblocker. Das Zeug stinkt nach Pökellauge und ist so zäh wie ranzige Butter. Meine schmuddelige Haut stößt es offenbar ab. Egal, wie feste ich reibe, ich bekomme die Creme nicht einmassiert, und Feuchtigkeit spendet sie schon gar nicht. Die schmierigen Wirbel kleben mir einfach auf der Haut wie Autopolitur. Mit einem kräftigen Zug an der Kordel will ich den Deckenventilator zum Schweigen bringen. Unmöglich zu sagen, ob er langsamer oder schneller geworden ist. Ich reiße noch einmal daran. Dasselbe Ergebnis. Unbeholfen klettere ich auf die Sonnenbank und hebe die Hand, bis die Ventilatorflügel über meine Finger hüpfen und langsam zum Halt kommen. Ein fettiger, fusseliger Rückstand bleibt an meiner Hand zurück, und ich wische ihn an der Wand ab.

Ich setze die Schutzbrille auf. Die Sonnenbank ist kalt, wird aber schnell warm. Wie ein Fieber, das man als Kind bekommt, heizt das Solarium dich von innen auf. Meine aschfahlen Knochen verwandeln sich in Kalziumkohlen, Briketts der Seele. Schon liege ich wieder unten in meiner Etagenbettkoje, und die ultravioletten Strahlen sind ein Ersatz für meine überängstliche Mutter, die eine Decke nach der anderen auf ihren lieben Kleinen stapelt. Die Wärme aus den Bräunungsröhren lässt sich nicht mehr von der Wärme der trockenen, schwieligen Hände meiner Mutter unterscheiden. Meine Haut scheint mir zu verglasen, und solange ich die Arme noch bewegen kann, schiebe ich eine CD in die eingebaute Anlage und drücke auf Play.

Musik. Meine Musik. Nicht meine in dem Sinn wie Rücksitzfummler »ihr Lied« haben oder der Rock´n´Roll der Fünfziger des Teufels ist, sondern meine in dem Sinn, dass sie mir gehört. Ich habe sie geschrieben. Mir gehört der Vertrieb. Alle Rechte vorbehalten. Der Song trägt den Titel »Southbound Traffic Jam«. Er beginnt mit einer rumpelnden Melodie, zehn Fahrspuren morgendlicher Berufsverkehr Stoßstange an Stoßstange über einem gesampelten Kokomo-Arnold-Gitarrensolo. Im Hintergrund, zwei Ausfahrten weiter und dem Gitarrenriff immer hinterher, das Intermezzo, ein riesiger Peterbilt-Truck, der sich mit jaulendem Getriebe und doppeltem...
mehr

Autor

PAUL BEATTY, 1962 geboren, zählt zu den bedeutendsten amerikanischen Autoren der Gegenwart. Begonnen hat er als Lyriker, schnell avancierte er zum Star der New Yorker Slam-Poetry-Szene. Seine Romane haben in den USA Kultstatus. Für »Der Verräter« wurde Beatty mit dem National Book Critics Circle Award sowie - als erster Amerikaner - mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet. Paul Beatty lebt in New York.