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Die Ufer unserer Träume

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
380 Seiten
Deutsch
Unsichtbar Verlagerschienen am01.11.20181. Auflage
Liam ist auf der Suche nach einem Neuanfang, doch das Auslandsjahr in Shanghai scheint dafür nicht ausgereicht zu haben. Schnell kehren die alten Probleme wieder in sein Leben zurück. Die Enge seiner kleinen Heimatstadt bei Leipzig, die verzwickte Beziehung zu seinem Vater, das Chaos mit Zoe, die Drogenkarriere seiner besten Freundin und auch die Gefahr, selbst wieder auf die schiefe Bahn zu geraten. Es gibt nur einen Ausweg: Er muss sich seinen Ängsten und seiner Vergangenheit stellen, um endlich ein geordnetes Leben beginnen zu können. Mit den zusätzlichen Schwierigkeiten, die dabei auf ihn zukommen, hat er allerdings nicht gerechnet. Ein Roman über die Wirren des Lebens.

Sebastian Caspar wurde 1977 in Weißenfels an der Saale geboren. Zur Jahrtausendwende Umzug nach Leipzig. Aktive Teilnahme an der damaligen Poetry Slam Szene. Erste prosaische Versuche. Seit 1994 auch musikalisch tätig. Aktuell Drummer von Weiland. Mehrjährige Aufenthalte in Australien, China und Südostasien. Abgeschlossenes Studium an der HTWK zu Leipzig. Seit 2014 engagiert in der Drogenpräventionsarbeit.
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Produkt

KlappentextLiam ist auf der Suche nach einem Neuanfang, doch das Auslandsjahr in Shanghai scheint dafür nicht ausgereicht zu haben. Schnell kehren die alten Probleme wieder in sein Leben zurück. Die Enge seiner kleinen Heimatstadt bei Leipzig, die verzwickte Beziehung zu seinem Vater, das Chaos mit Zoe, die Drogenkarriere seiner besten Freundin und auch die Gefahr, selbst wieder auf die schiefe Bahn zu geraten. Es gibt nur einen Ausweg: Er muss sich seinen Ängsten und seiner Vergangenheit stellen, um endlich ein geordnetes Leben beginnen zu können. Mit den zusätzlichen Schwierigkeiten, die dabei auf ihn zukommen, hat er allerdings nicht gerechnet. Ein Roman über die Wirren des Lebens.

Sebastian Caspar wurde 1977 in Weißenfels an der Saale geboren. Zur Jahrtausendwende Umzug nach Leipzig. Aktive Teilnahme an der damaligen Poetry Slam Szene. Erste prosaische Versuche. Seit 1994 auch musikalisch tätig. Aktuell Drummer von Weiland. Mehrjährige Aufenthalte in Australien, China und Südostasien. Abgeschlossenes Studium an der HTWK zu Leipzig. Seit 2014 engagiert in der Drogenpräventionsarbeit.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783957910882
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum01.11.2018
Auflage1. Auflage
Seiten380 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse779 Kbytes
Artikel-Nr.4025036
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Aokigahara

Die Lebensspanne ist dieselbe, egal, ob man sie lachend oder weinend verbringt.

(Japanisches Sprichwort)

Es ist bereits dunkel geworden, als wir das Auto ausladen und mein Vater und ich schweigend, aber gemeinsam über den Hof ins Haus gehen. Als wir vor der Garderobe stehen, drücke ich ihn nochmal kurz und verschwinde dann unter dem Vorwand, ziemlich müde zu sein, in meinem Zimmer. Auf diese Weise umgehe ich unter anderem auch die Peinlichkeit, Anette über den Weg zu laufen. Ich habe sie noch nicht einmal gesehen, doch ich spüre bereits ihre negative Energie. Anette ist die Frau meines Vaters. Sie gleicht einer Heuschrecke, die alles Leben von meinem Vater abfrisst, und darum nenne ich sie auch so.

Wenn ich also an Heuschrecke denke, dann zieht sich mein Inneres wie ein großer Krampf zusammen. Wenn ich Heuschrecke sehe, schaltet alles in mir auf Angriff. Ihr habe ich vor einem Jahr auf dem Flughafen den Handschlag zum Abschied verweigert und fast auf den Boden gespuckt. Ich erinnere mich auch noch daran, dass mein Vater neben ihr stand und leise sagte, dass ihn das alles traurig mache. Heuschrecke sei auch Teil unserer Familie und wir könnten uns doch alle vertragen. Aber für meinen Vater empfinde ich kein Mitleid, nur Unverständnis. Ich komme einfach nicht darüber hinweg, dass er aus Abermillionen weiblicher Geschöpfe gerade Heuschrecke als neue Frau auswählen musste. Es ging mir auch alles viel zu schnell nach dem Tod meiner Mutter. Mein Vater hatte Heuschrecke bereits ein halbes Jahr nach der Beerdigung bei uns zu Hause angeschleppt. Das habe ich nie verstanden. Ich habe sie vom ersten Tag an abgelehnt. Daher ist mein Protest gegen Heuschrecke eine logische Konsequenz: Er ist das gelebte Andenken an meine Mutter. Es kann nichts anderes geben. Ach, ich hoffe einfach, ich bekomme sie nicht allzu oft zu Gesicht. Heuschrecke hängt eh nur im Wohnzimmer ab, säuft Cointreau und glotzt Telenovelas. Daran wird sich auch im Jahr meiner Abwesenheit nichts geändert haben.

Als ich die Tür meines Zimmers hinter mir geschlossen habe, lehne ich mich gegen ihr kaltes Holz, atme tief ein und wieder aus, taste nach dem Lichtschalter. Trotz des einfallenden Scheins der Straßenlaterne vor dem Fenster ist es ziemlich dunkel, und ich muss blinzeln, als das Licht plötzlich den Raum erhellt. Ich stelle fest, dass sich in meinem Zimmer nichts verändert hat. Die Wände sind immer noch mit der gelben Farbe gestrichen, die CDs und mein alter Computer stehen an ihrem angestammten Platz, genau wie der Fernseher und das blaue Sofa. Alles ist so, wie ich es zurückgelassen habe. Ich nehme meinen Rucksack ab und werfe ihn aufs Bett, rolle den Koffer in die Ecke, in der auch der große Spiegel an der Wand hängt.

Ich komme nicht umhin, mich in ihm anzublicken. Habe ich mich verändert? Ich sehe gesund aus. Kein Vergleich zu der Erscheinung, die ich vor einem Jahr abgegeben habe. Der übermäßige Konsum von Crystal hatte zu dem Zeitpunkt seine Spuren hinterlassen. Heute sehe ich fast jünger aus, ich habe zugenommen, das sieht man jetzt - und es gefällt mir nicht. Ich berühre mein Gesicht und fahre mit den Fingern über meine Stirn und meine Lippen. Meine Haare stehen zerzaust vom Kopf ab. Die Augen sind müde und gerötet.

Und während ich vor dem Spiegel stehe und mein Blick sich in ihm verliert, kommen mir wieder die Bilder meiner kleinen Wohnung in der French Concession in Shanghai in den Sinn. Meine Wohnung, die Oase in der Ferne, die ich vor gut vierundzwanzig Stunden verlassen habe und die jetzt nur noch einer Fata Morgana gleicht. Das Gefühl, nein, die Gewissheit, wieder hier zu sein, an diesem Ort, in einem komplett anderen Leben, gepaart mit den Erinnerungen, die in diesem Zimmer auf mich einströmen, ziehen mir auf einmal den Boden unter den Füßen weg und Tränen brechen aus mir heraus. Ich schlage die Hände vors Gesicht und sinke vor dem Spiegel zu Boden. Nun sehe ich auch wieder das Gesicht meiner Mutter vor mir. Jugendlich und hübsch wie ein magisches Gemälde. Ein Gesicht, das ich nur von dem Foto kenne, welches ich immer bei mir trage.

Ich rappele mich auf und setze mich aufs Bett. Öffne meinen Rucksack, nehme mein Notizbuch in die Hand und ziehe das Foto meiner Mutter zwischen den Seiten hervor. Mit den Fingerkuppen streiche ich über das matte Papier, betrachte es, versinke darin. Das Foto ist sepiafarben und zeigt meine Mutter als junge Frau. Sie sitzt in einem Fotostudio auf einem Stuhl und blickt schräg über die Kamera hinweg in die Ferne. Sie lächelt, ehrlich und befreit. Wunderschön. Meine Mutter ist auf diesem Foto jünger als ich. Sie wird um die sechzehn gewesen sein, trägt ein figurbetontes, schulterfreies Kleid, ganz im Stil von Jackie Onassis. Eine dezente Perlenkette schmückt ihren Hals. Unschuldig und hoffnungsvoll ist ihr Blick, weit vor der Zeit mit meinem Vater, und ihre lebensfrohe Ausstrahlung passt überhaupt nicht zu der Frau, die ich vor drei Jahren das letzte Mal gesehen habe. Doch ich klammere mich an diese Erinnerung, an dieses Foto. Es ist doch das einzige, das ich von ihr besitze. Das einzige, das mir von ihr geblieben ist. Traurig schiebe ich das Foto wieder zwischen die Seiten und versuche, nicht erneut zu weinen. Ich möchte, dass meine Mutter stolz auf mich ist. Erschöpft sitze ich auf dem Bett und da ich seit zwei Tagen in denselben Klamotten herumlaufe und meine Haut, ganz besonders das Gesicht, von einem Film aus Klimaanlagenluft, Schweiß und dem Rauch der vielen Kippen in der Smoking Lounge überzogen ist, muss ich duschen. Hoffentlich wird mich das auf andere Gedanken bringen.

An mein Zimmer angeschlossen ist ein kleines Bad, sodass ich nicht raus auf den Flur muss, um möglicherweise meinem Vater oder Heuschrecke zu begegnen. Ich stehe auf, ziehe meinen Kapuzenpullover über den Kopf und werfe einen letzten Blick in den Spiegel. Mein Gesicht ist durch das Heulen ganz aufgedunsen. Die Augen sehen jetzt aus, als hätte ich eine Tüte feinstes Gras geraucht. Ich entkleide mich ganz und gehe ins Bad. In der Duschkabine lasse ich gefühlt eine halbe Stunde heißes Wasser auf mich herunterprasseln. Später, nachdem ich mich abgetrocknet habe, ziehe ich mir in meinem Zimmer neue Shorts und ein frisches T-Shirt aus dem Koffer über. Ich lösche das Licht und lege mich in mein Bett, das mein Vater anscheinend frisch bezogen hat. Heuschrecke käme nie auf diese Idee. Ich switche die Taschenlampenfunkton meines Handys an und blicke in meinen Rucksack. Dort liegt obenauf das TimeOut Magazin, das ich im Duty-Free-Bereich des Shanghai Pudong International Airports eingesteckt habe. Ich nehme es heraus, setzte mich auf und blättere etwas darin, bleibe bei dem Artikel über diesen mystischen Wald am Fuße des Fujiyamas hängen. Interessiert lese ich im Schein des LED-Lichts noch einmal die Zeilen über den Aokigahara.

In Japan, in der Präfektur Yamanashi, liegt der Aokigahara. Er befindet sich am Fuße des Fujis, südöstlich des Shoji-Sees, und wird von den Einheimischen Aokigahara - Meer aus Bäumen - genannt. Das Gehölz ist so dicht, dass man bereits auf kurzer Distanz komplett die Orientierung verlieren kann. Jeden Monat verschwinden auf unerklärliche Weise Menschen in dem Wald, weshalb sich zahlreiche Spukgeschichten um ihn ranken. Angeblich soll sich dort ein mysteriöses Magnetfeld befinden, das Kompasse und Elektronik unbrauchbar macht. Aus ganz Japan besuchen Scharen von Lebensmüden den Aokigahara, einfach um sich dort umzubringen. Seitdem in den sechziger Jahren irgendein japanischer Autor die Protagonistin seines Romans in diesem Wald am Fuße des Fujis aus Liebeskummer Selbstmord begehen ließ, steht dieser Ort im globalen Ranking auf Platz zwei der am stärksten frequentierten Suizidschauplätze der Welt.

Es müssen hunderte Japaner sein, die jedes Jahr in den Wald drängen, um ihrem Dasein ein Ende zu bereiten, und es werden mit jedem Jahr mehr. Einige Wissenschaftler sehen darin bereits ein Phänomen unserer immer einsamer werdenden Gesellschaft, ebenso anonym sterben zu wollen, wie man gelebt hat. Halbverwest hängen die armen Irren an den Bäumen, manche von ihnen sind bis auf die Knochen verrottet. Durch die Bäume schlängelt sich auch ein Gewirr aus farbigen Bändern, letzte Spuren der gejagten Seelen. Sie werden von den Verzweifelten hinter sich hergezogen und als Orientierung an Abbiegungen verknotet. Das passiert häufig, wenn die potentiellen Selbstmörder in das Labyrinth aus Bäumen treten und sich in diesem Moment noch nicht ganz im Klaren über ihren finalen Schritt sind. Doch meistens findet man am Ende dieser Bänder, tief im Herzen der Landschaft, einen grotesk verdrehten Körper mit einer Schlinge um den Hals. Selten gibt der Wald jemanden wieder lebend aus seinen Fängen frei.

Ich schlage das Magazin zu, lege es zurück in den Rucksack und drücke das Licht am Handy aus. Eine Weile starre ich noch in das Dunkel, dann lasse ich mich nach hinten sinken und ziehe die Bettdecke über mich. Mit dem Zeige- und Mittelfinger befühle ich den Pulsschlag an meinem Hals. Ruhig und gleichmäßig pumpt das Herz das Blut durch meinen Körper und ich schaue vorsichtig auf...
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Autor

Sebastian Caspar wurde 1977 in Weißenfels an der Saale geboren. Zur Jahrtausendwende Umzug nach Leipzig. Aktive Teilnahme an der damaligen Poetry Slam Szene. Erste prosaische Versuche. Seit 1994 auch musikalisch tätig. Aktuell Drummer von Weiland. Mehrjährige Aufenthalte in Australien, China und Südostasien. Abgeschlossenes Studium an der HTWK zu Leipzig. Seit 2014 engagiert in der Drogenpräventionsarbeit.
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Caspar, Sebastian