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Eine Liebe ohne Grenzen

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
320 Seiten
Deutsch
Bastei Lübbeerschienen am28.02.20191. Aufl. 2019
Ein Jahr lang bereiten die Autoren ihre Flucht aus der DDR vor. Sie trainieren in einem See, joggen sich die Lunge aus dem Leib und fasten, um so lange wie möglich ohne Nahrung auszukommen. Nach und nach machen sie alles zu Geld, was sie besitzen und starten ihre abenteuerliche Reise in die Freiheit.

Diese führt sie quer durch den Ostblock, doch alle Versuche in den Westen zu gelangen, misslingen. Jetzt hilft nur noch eins: Das Paar muss sich trennen. Katrin gelingt die Flucht unter einer VW-Polo-Rückbank. Karsten schwimmt von Ungarn nach Jugoslawien durch die Donau .

Ob die zwei Liebenden sich wiedersehen, bleibt bis zu diesem Zeitpunkt völlig offen.


Katrin Linke ist Biologin und arbeitet als Wissenschaftsjournalistin für ARD, ZDF und Arte. Karsten Brensing ist promovierter Verhaltensforscher und Autor der Bestsellers DAS MYSTERIUM DER TIERE (Aufbau). Das Paar lebt mit seinen Kindern in Erfurt.
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Produkt

KlappentextEin Jahr lang bereiten die Autoren ihre Flucht aus der DDR vor. Sie trainieren in einem See, joggen sich die Lunge aus dem Leib und fasten, um so lange wie möglich ohne Nahrung auszukommen. Nach und nach machen sie alles zu Geld, was sie besitzen und starten ihre abenteuerliche Reise in die Freiheit.

Diese führt sie quer durch den Ostblock, doch alle Versuche in den Westen zu gelangen, misslingen. Jetzt hilft nur noch eins: Das Paar muss sich trennen. Katrin gelingt die Flucht unter einer VW-Polo-Rückbank. Karsten schwimmt von Ungarn nach Jugoslawien durch die Donau .

Ob die zwei Liebenden sich wiedersehen, bleibt bis zu diesem Zeitpunkt völlig offen.


Katrin Linke ist Biologin und arbeitet als Wissenschaftsjournalistin für ARD, ZDF und Arte. Karsten Brensing ist promovierter Verhaltensforscher und Autor der Bestsellers DAS MYSTERIUM DER TIERE (Aufbau). Das Paar lebt mit seinen Kindern in Erfurt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783732572137
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum28.02.2019
Auflage1. Aufl. 2019
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.4025977
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

26. Juli 1989, Szombathely, Ungarn
»Rein, da!« Der Blick seiner tiefbraunen Augen, aus denen ich nichts lesen kann, wechselt nur für eine Zehntelsekunde von meinem Gesicht auf die Pistole im Halfter an seinem Gürtel, und ich verstehe: Widerstand ist zwecklos. Seine leichte Kopfbewegung in Richtung der offenen Tür, aus der mir grelles Licht entgegenschlägt, ist gar nicht mehr nötig, meine Beine setzen sich wie von selbst in Bewegung, und ich stolpere vorwärts. Im Türrahmen angekommen, kneife ich instinktiv die Augen zusammen. Als seine Hand mit festem Griff auf meiner rechten Schulter landet, reiße ich sie wieder auf. Die Hand auf meiner Schulter schiebt mich mit Nachdruck weiter. Dann löst sich der Griff. Ohne ein weiteres Wort fällt die eiserne Tür hinter mir ins Schloss, und ich bin allein. Mein Herz rast, treibt das Blut in meinen Adern zu einem reißenden Strom an, der Puls dröhnt in meinen Ohren.

Bleib ruhig!, befehle ich mir. Mein Körper gehorcht, wenn auch widerwillig. Langsam dringt das Knistern einer Leuchtröhre von der Decke zu mir durch, und meine Augen gewöhnen sich an die Helligkeit. Der Raum um mich herum ist klein, schätzungsweise neun Quadratmeter. Kahle Wände in vergilbtem Weiß, außer einem Stuhl und einem Tisch mit weißer Sprelacartbeschichtung1 ist er leer. Ich setze mich, starre auf den Tisch. Wie von selbst tasten meine Finger das graue Gummi der Schutzkante ab, das sich wie ein Ring um die Tischplatte schlingt. Ich kenne diese Art von Tisch, hatte zwölf Jahre Schule an ihnen verbracht.

Meine Hände zittern. Mit hektischen Blicken scanne ich die Oberfläche des Tisches. Nichts. Keine Kratzspuren, keine Ritzereien, kein Hinweis auf meine Vorgänger. Vermutlich haben sie nicht sehr viel Zeit hier verbracht, reime ich mir zusammen und resümiere: Könnte gut sein, aber auch schlecht. Meine Finger finden eine Stelle, an der das Gummi der Schutzkante durchtrennt ist, ich beginne fahrig daran herumzupuhlen. Schließlich gibt das Gummi nach, löst sich aus der Rille, in der es steckt. Ich fahre sie mit meinen Fingernägeln entlang, beuge mich hinab, um hineinzuspähen. Auch hier Leere. Erst jetzt spüre ich, dass meine Zunge förmlich an meinem Gaumen klebt. Ich ziehe die Halsmuskeln zusammen, versuche meinen Speicheldrüsen etwas Flüssigkeit abzuringen, löse damit die Zunge, verteile die Spucke in meinem ausgetrockneten Mund, lasse das Rinnsal schließlich den Rachen hinunterlaufen. Meine Augen brennen, ich bin erschöpft.

Einen Augenblick ausruhen, denke ich, schiebe meine Fußrücken hinter die Stuhlbeine und ziehe mich an den Tisch heran. Ich nehme die Brille ab und lege sie vor mich auf die weiße Tischplatte. Das grelle Licht wird sofort diffus, entspannt meine Augen, entrückt mich auf angenehme Weise meiner Umgebung. Ohne die fokussierende Schärfe meiner »sechseinhalb Dioptrien beidseits« bin ich blind wie ein Maulwurf, wie ein schielender noch dazu. Ich reibe mir die kleinen Dellen, die die schweren Gläser rechts und links auf meinem Nasenrücken hinterlassen haben, fokussiere das Gestell vor mir auf dem Tisch, muss es aber sofort wieder einem undeutlichen Glitzern überlassen, weil meine Augen die Schärfe nicht länger halten können und wieder abdriften. Ich gönne meinen Gedanken selbiges.

Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen: die kleinen runden Fassungen für die Gläser, die winzigen Pünktchen, die sich auf den Bügeln so kunstvoll aneinanderreihten, die Mini-Schrauben, mit denen man die Bügel verlängern konnte. Im Vergleich zu dem, was ich bisher auf meiner Nase sitzen hatte, war diese Brille das Paradies.

Ich schloss die Augen, beschwor die Bilder des Schaufensters des kleinen Antikladens herauf. Neben Ohrringen und Silberketten, aus denen rote, grüne oder blaue Steine aus verschnörkelten Amuletten blitzten, lagen auf rotem Samt Operngläser, Brillenkneifer und -gestelle, die meisten davon in schwarz angelaufenem Silber. Nur das eine in Gold. Du gehörst zu mir, hatte ich gedacht, als sich das Gestell in dem muffigen Trödelladen an meine Nase schmiegte, quasi mit ihr verschmolz. Der Preis war horrend gewesen, und bis ich das Geld zusammen hatte, brauchte es ein paar Wochen, in denen ich meiner neuen Freundin täglich einen Besuch abstattete, immer in der Angst, dass sie nicht mehr da sein könnte. Doch tagtäglich lag sie da, schien sich wohlig auf dem roten Samt zu räkeln und zu sagen: »Keine Sorge, wir gehören zusammen!« Schließlich waren wir beide glücklich in meinen Händen vereint gewesen. Mein Optiker hatte zwar ein wenig die Nase gerümpft, dann aber doch Gläser in das Gestell eingebaut, dessen handwerkliche Qualität bewundert.

»Wir gehören zusammen!«, meine Lippen formen gerade den Gedanken, da katapultiert mich das Geräusch von scharrendem Metall aus meinen Träumereien in die Gegenwart zurück. Schnell greife ich nach der Brille, setze sie an ihren Platz zurück. Hoffentlich erkennt niemand deinen Wert, denn ohne dich bin ich verloren, werde ich verrückt!, schießt es mir durch den Kopf. Ohne meine Sehhilfe würde ich innerhalb kürzester Zeit durchdrehen, da bin ich mir sicher. Ich blicke in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, und schaue in ein Augenpaar, das mich anstarrt. Es sind andere Augen als die des Mannes, der mich in die Zelle gesperrt hatte, sie halten mich irgendwie gefangen, ich kann mich ihnen nicht entziehen. Mein Herz beginnt erneut zu rasen, und ein Foto blitzt in meinem Kopf auf. Es ist nur ein Passfoto, aber es hat sich in mein Hirn eingebrannt: leere Augen, ihr Blick auf unendlich gerichtet, Haare kurz rasiert, die Haut übersät mit schorfigen Flecken. Würde ich genauso aussehen, wenn sie mit mir fertig waren? Oder schlimmer? Panik kriecht in mir empor.
Petroleumlampen für Japan Juli 1988, Erfurt, DDR - Reichartstr. 22
Mein Klingeln hatte er nicht gehört, seine Mutter hatte mir schließlich die mit Holzimitattapete beklebte Haustür geöffnet. Ich wusste nicht genau warum, aber ich hatte auf der Treppe bis zum ersten Stock, wo seine Mutter mich im Hausflur mit den Worten: »Sag ihm, er soll die Musik leiser machen«, begrüßte, immer zwei Stufen auf einmal genommen.

»Mach ich«, hatte ich mit einem höflichen Kopfnicken erwidert, kurz mein Tempo etwas gedrosselt und noch ein »Guten Tag« hinten drangehängt, bevor ich an ihr vorbei ins Obergeschoss flitzte. Warum kribbelte mein Körper jedes Mal wie Brausepulver und ließ meine Beine regelrecht hüpfen, wenn ich zu ihm ging? Oben vor seiner Wohnungstür angekommen, erkannte ich schnell, dass das, was die Ruhe seiner Mutter störte, von Bronski Beat, seiner Lieblingsband, kam, und ich erkannte auch sofort den Titel: »I feel love, love ⦫. Mir wurde heiß. Dachte er vielleicht gerade an mich? Meine Hüften verselbstständigten sich, fingen den Rhythmus ein. Ich drehte den Schlüssel, der immer im kupferfarbenen Schloss der vergilbten Wohnungstür mit dem milchigen Glaseinsatz und ihren altrosa Gardinen steckte, nach links und trat leicht mit dem rechten Fuß gegen das Holz. Die Tür schwang langsam auf, gab den dunklen Korridor etwa einen halben Meter frei, dann wurde ihr verzogener Rahmen von braungestrichenen Dielen gestoppt. Ich hastete über die malträtierten Holzbretter der lauter werdenden Musik entgegen. Die Dielen knarrten, doch als ich nach zwei weiteren Schritten auf den ausgebleichten Teppichläufer trat, klang das Geräusch gedämpfter. Die Hand schon an der schwarzen Türklinke zu seinem Zimmer, hielt ich kurz inne. »Komm runter!«, ermahnte ich mich, ließ das kühle Metall auf meine Handfläche wirken. Er sollte auf gar keinen Fall merken, wie aufgeregt ich war. Ich atmete tief ein, musterte im schummerigen Licht den Korridor, den großen alten Holzschrank an der Wand hinter der Eingangstür, die Tür zum Badezimmer, in dessen Badewanne er die schwarzhaarige Manuela vernascht hatte, daneben eine schmale Tür, wo sich die separate Toilette befand. Bis auf den Gedanken an meine Nebenbuhlerin mochte ich alles an dieser Wohnung: die Küchenmöbel aus den zwanziger Jahren mit ihren weißen Porzellanschubfächern für Gewürze und den gläsernen für Zucker und Mehl, den Holztisch mit den zwei verzogenen Schubladen, die immer halb offen standen, weil sie nicht mehr zugingen, der Mischmasch aus verziertem Silber- und nüchternem Alu-Besteck darin, das schräge, schmutzige Dachfenster darüber. Die Tür zur winzigen Kleiderkammer daneben stand offen. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und reckte den Hals, damit ich einen Blick hinein erhaschen konnte, ohne mich von der Stelle zu bewegen. Falls er mich trotz der lauten Musik bereits gehört hatte, sollte er nicht denken, dass ich bei ihm herumschnüffelte. Mein Blick streifte über seine ausgetretenen Puma-Turnschuhe, mehrere Jeans, Hemden, Shirts, Jacken. Keines der Kleidungsstücke musste sich einsam fühlen, denn egal ob benutzt oder nicht, alles lag in einem Knäuel vereint. Der Cocktail aus staubig, alt und schmuddelig, der in seiner Wohnung und dem gesamten Haus schwebte, faszinierte mich irgendwie. Er war so ganz anders als bei mir zu Hause, wo täglich gestaubsaugt wurde, wo die Fransen am Teppich gekämmt nebeneinanderlagen.

»I feel love« drang es lauter an meine Ohren, dann das Lachen einer unbekannten Stimme. Ich zuckte zusammen, überlegte kurz, ob ich wieder gehen sollte. Doch die Neugier siegte, und ich drückte die Klinke, noch bevor ich den Entschluss zu bleiben endgültig gefasst hatte. Zögernd setzte ich meinen Fuß über die Türschwelle, jemand Unsichtbares schien den Rest von mir hinterherzuschieben. Meine Augen brauchten sich nicht umzugewöhnen, die Vorhänge seines Zimmers waren zugezogen. Sie waren, genau wie Sofa, Hochbett und...

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Katrin Linke ist Biologin und arbeitet als Wissenschaftsjournalistin für ARD, ZDF und Arte. Karsten Brensing ist promovierter Verhaltensforscher und Autor der Bestsellers DAS MYSTERIUM DER TIERE (Aufbau). Das Paar lebt mit seinen Kindern in Erfurt.