Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Die Unscheinbaren

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
352 Seiten
Deutsch
Kiepenheuer & Witsch GmbHerschienen am14.02.20191. Auflage
Jede Familiengeschichte hat ihre dunklen Geheimnisse, doch nicht in jeder werden die Eltern als Spione enttarnt - Dirk Brauns' hochspannender, aufwühlender Roman über einen Spionagefall und seine Folgen, angeregt durch die Familiengeschichte des Autors. Es ist der Schockmoment seines Lebens: An einem kalten Wintertag im Jahre 1965 muss der achtzehnjährige Martin Schmidt in Gegenwart seiner Großmutter miterleben, wie die Stasi seine Eltern verhaftet: Seit vielen Jahren hatten diese - vor allem auf Betreiben seiner manipulativen Mutter - für den BND spioniert. Das Leben im sozialistischen Deutschland wird für Martin daraufhin zum Spießrutenlauf: Von seinen Mitschülern wird er geschnitten und verprügelt, beim Einkauf verhöhnt, die Nachbarn wechseln vor dem »Verräterkind« die Straßenseite. Die Großmutter verkraftet die Schande nicht und stirbt bald darauf. Als seine Mutter Jahre später freikommt, folgt er ihr in den Westen - zurücklassen muss er dafür Angelika, die große Liebe seines Lebens ...Jahrzehnte später holen ihn diese traumatischen Ereignisse wieder ein: Er ist inzwischen gestandener Tierarzt in Bayern, frisch verwitwet. Historiker bitten ihn, seine Geschichte zu erzählen - er stimmt zu, auch um damit einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen. Als er dies bei einem Besuch im Altenheim seiner Mutter eröffnet, erzählt sie im Gegenzug, dass Angelika bei ihr angerufen und sich nach ihm erkundigt habe - allerdings schon vor Jahren; als seine Frau noch lebte, wollte sie es ihm nicht mitteilen. Für Martin beginnt eine Reise zurück zu den Wurzeln. Er kontaktiert Angelika, stößt in Akten auf Widersprüche und Ungereimtheiten, taucht ein in die Welt der Geheimdienste und toten Briefkästen. Und er findet dabei nicht nur zur Geliebten seiner Jugendjahre zurück - er stößt auch auf schockierende Informationen darüber, wer damals die Eltern verraten hatte und wer davon alles profitierte.

Dirk Brauns, geboren 1968 in Berlin, lebte als Zeitungskorrespondent lange in Warschau, Peking und Minsk, bevor er in die Gegend von München zog. 2013 erschien sein Debütroman Im Inneren des Landes, dessen Hörspielversion 'Hörspiel des Monats' wurde und der derzeit verfilmt wird. Sein zweiter Roman Wir müssen dann fort sein folgte 2016, Die Unscheinbaren erschien 2019.
mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR20,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99

Produkt

KlappentextJede Familiengeschichte hat ihre dunklen Geheimnisse, doch nicht in jeder werden die Eltern als Spione enttarnt - Dirk Brauns' hochspannender, aufwühlender Roman über einen Spionagefall und seine Folgen, angeregt durch die Familiengeschichte des Autors. Es ist der Schockmoment seines Lebens: An einem kalten Wintertag im Jahre 1965 muss der achtzehnjährige Martin Schmidt in Gegenwart seiner Großmutter miterleben, wie die Stasi seine Eltern verhaftet: Seit vielen Jahren hatten diese - vor allem auf Betreiben seiner manipulativen Mutter - für den BND spioniert. Das Leben im sozialistischen Deutschland wird für Martin daraufhin zum Spießrutenlauf: Von seinen Mitschülern wird er geschnitten und verprügelt, beim Einkauf verhöhnt, die Nachbarn wechseln vor dem »Verräterkind« die Straßenseite. Die Großmutter verkraftet die Schande nicht und stirbt bald darauf. Als seine Mutter Jahre später freikommt, folgt er ihr in den Westen - zurücklassen muss er dafür Angelika, die große Liebe seines Lebens ...Jahrzehnte später holen ihn diese traumatischen Ereignisse wieder ein: Er ist inzwischen gestandener Tierarzt in Bayern, frisch verwitwet. Historiker bitten ihn, seine Geschichte zu erzählen - er stimmt zu, auch um damit einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen. Als er dies bei einem Besuch im Altenheim seiner Mutter eröffnet, erzählt sie im Gegenzug, dass Angelika bei ihr angerufen und sich nach ihm erkundigt habe - allerdings schon vor Jahren; als seine Frau noch lebte, wollte sie es ihm nicht mitteilen. Für Martin beginnt eine Reise zurück zu den Wurzeln. Er kontaktiert Angelika, stößt in Akten auf Widersprüche und Ungereimtheiten, taucht ein in die Welt der Geheimdienste und toten Briefkästen. Und er findet dabei nicht nur zur Geliebten seiner Jugendjahre zurück - er stößt auch auf schockierende Informationen darüber, wer damals die Eltern verraten hatte und wer davon alles profitierte.

Dirk Brauns, geboren 1968 in Berlin, lebte als Zeitungskorrespondent lange in Warschau, Peking und Minsk, bevor er in die Gegend von München zog. 2013 erschien sein Debütroman Im Inneren des Landes, dessen Hörspielversion 'Hörspiel des Monats' wurde und der derzeit verfilmt wird. Sein zweiter Roman Wir müssen dann fort sein folgte 2016, Die Unscheinbaren erschien 2019.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783462319811
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum14.02.2019
Auflage1. Auflage
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2990 Kbytes
Artikel-Nr.4033101
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


zurück

1 Fünfzig Jahre später


Es klingelt lange. Er hört erst das Telefon oben im Haus und dann neben sich im Behandlungszimmer. Seine Mutter ist dran.

»Wann wolltest du hier sein?«

»In zwei Stunden, wie vereinbart.«

»Könntest du auch etwas später kommen? Mona möchte mich anrufen.«

»Kein Problem.«

»Es ist nur wegen der Zeitverschiebung. Wenn meine Enkelin in Amerika mit mir reden will, muss ich ready sein. Du bist nicht böse?«

»Ach was. Soll ich Kuchen mitbringen?«

»Um Gottes willen. Ich habe Kekse.«

Sie legt auf. Das Knacken im Hörer passt zur Nüchternheit des ihn umgebenden Raumes. Die Wand entlang erstreckt sich ein Glasschrank voller Arzneimittel und Instrumente. Auf einem Sockel erhebt sich ein Metalltisch für die Kleintier-Untersuchungen. Der geflieste Boden ist braun wie geronnenes Blut, das dort nach Eingriffen mitunter tatsächlich zu finden ist.

Sein Blick geht durch das Fenster in den Wintergarten. Wenn er die Korbstühle mit den selbstgenähten Kissen sieht, die sich wie Farbkleckse um den runden Tisch gruppieren, muss er an Sommerabende denken, an laue Luft, klingende Gläser und von Insekten umschwirrte Kerzen.

Er wendet sich ab, trägt eine Kühlbox mit der Aufschrift »Labor« nach draußen und stellt sie vor die Eingangstür, direkt neben die Schalen mit dem Katzenfutter.

Freitag, 15 Uhr. Nicht ohne Andacht steht er vor dem alten, eigenhändig aufgestockten Gutshaus und zählt die Glockenschläge. Von der nahen Kirche, so bildet er sich ein, wehen sie zu ihm herüber. Herüberwehen, er mag das Wort. Flüsternd spricht er es aus, auch wenn es zur Beschreibung von Klängen nicht ganz passend scheint.

Er ist achtundsechzig Jahre alt, ein zugezogener Tierarzt in einer oberbayrischen Gemeinde. Er berlinert nicht mehr, grüßt seine Klienten mit einem zuvorkommenden Lächeln und trägt bei der Arbeit am liebsten Sandalen. An bloßen Füßen.

Vor einem Jahr ist seine Frau Emma gestorben.

Vorne, beim Lagerplatz für das Brennholz, eilt der jüngere Kollege, mit dem er sich die Praxis teilt, über die Straße.

»Servus, Jürgen, ich dachte, mit der Nachmittagsrunde wärst du durch?«

»War ich auch, aber bei den Bichlers gibt´s ein Problem.«

»Welches?«

»Der Senior meint, eins seiner Rinder hätte einen Nagel verschluckt.«

»Viel Erfolg. Das neue Ortungsgerät müsste in der Anmeldung unter der Theke stehen.«

»Hab´s schon eingesackt.«

Sie winken sich zu, knapp aus dem Handgelenk. Dann braust der andere los und lässt ihn zurück. Er starrt auf die Stelle, wo eben noch das Auto parkte, und kann alles abrufen, alles verfolgen wie in einem sich endlos wiederholenden Film. Gummistiefel werden abgeklopft und in den Kofferraum gestellt. Gummistiefel werden auf einem Hof, vor Stallgebäuden wieder angezogen, wobei man mit dem Rücken am Auto lehnt und dann möglichst entschlossen losmarschiert. Fremdkörper-Untersuchung, Klauenbehandlung, Geburtshilfe, Kaiserschnitt, Magendrehung-OP, Besamungstechnik ... Den Klienten hat man dabei knapp hinter sich. Einen Bauer, der einem reinredet und alles besser weiß. Oder einen vor Anspannung und Angst verstummten Bauer, was noch schlimmer ist und besondere Ruhe verlangt.

Mit einer Müdigkeit, die er erst seit einem Jahr von sich kennt und die ihn ärgert, schlurft er ins Haus zurück.

Emma würde jetzt zu ihm in die Küche kommen und über seine Mutter lästern. Wie anmaßend und launisch diese Frau sei. Dass sie nur an sich denke. Welchen Spaß sie daran hätte, ihren Sohn zu triezen.

»Um Gottes willen. Doch kein Kuchen! Ich habe Kekse! Und bitte, besuche mich unbedingt etwas später«, würde Emma mit verstellter Stimme sagen, bis sie sich beide vor Lachen nicht mehr halten könnten.

Auch der schöne Satz: »Heute zeigst du es ihr!«, würde fallen.

Dazu gäbe es Tee. Getrocknete Pfefferminze und Birkenblätter aus dem Garten, Ingwer oder Earl Grey. Emma würde seine nackten Füße in den Sandalen bemerken, die Raumtemperatur ins Feld führen und den Kopf schütteln. Das konnte sie nie lassen, obwohl sie seine »Kneipp´schen Verirrungen« auch bewunderte. Im Unterschied zu ihr war er in all den Jahren genau ein Mal im Krankenhaus. Zur Geburt von Mona.

Emma würde. Emma täte. Emma hätte. Es macht keinen Sinn, sich zu martern. Er hält sich für einen rationalen Menschen, für jemanden, der in der Lage ist, mit einer gewissen Kühle und Distanz auf sich selbst zu blicken. Was er seit einem Jahr erlebt, was ihn herumschubst und von einem Tief ins nächste stößt, lässt sich mit den üblichen Methoden nicht fassen.

Emmas plötzlicher Tod, morgens im Badezimmer, während sie sich die Zähne putzte, war zu absurd. Was geschehen ist, entzieht sich der Einordnung. Er hatte sie aufgehoben und alles versucht, bis die Sanitäter kamen. Er presste auf ihren Brustkorb und beatmete sie in zahllosen Anläufen, wobei er die ganze Zeit den Pfefferminzgeschmack der Zahnpasta schmeckte. Umsonst, sie war nicht zurückgekommen.

Er hat noch eine Stunde - wie langsam die Zeit vergeht! - und geht ins Untergeschoss, wo er Sachen sortiert. Es sind vor allem Emmas Sachen, die er überall aus den Schränken räumt und langsam, sehr langsam, in Kartons verpackt. Er füllt die Kartons bis obenhin, verschließt und nummeriert sie und stapelt alles übereinander, säuberlich auf Kante ausgerichtet. Er tut dies nicht, weil er Platz in den Schränken benötigen würde oder mit den Röcken, Blusen und Kleidern etwas Besonderes vorhätte. Die Hinterlassenschaften einzupacken, darüber Listen anzulegen, ihnen einen neuen Ort zuzuweisen, erscheint ihm angemessen. Wenn er dort herumfuhrwerkt, kommt es ihm so vor, als könnte er Emma für ihre Reise rüsten. Als folgte das Ganze einem Plan, in dem auch für ihn eine Rolle abfiele. Er sehnt sich nach ihr. Wäre er nur aufmerksamer gewesen, als sie noch lebte! Hätte er den Abschied nur kommen sehen! Dass ist es, woran er denkt, während er ihre Kleidungsstücke zusammenlegt und nicht selten unwillkürlich streichelt. Das Gefühl, seine wichtigste Stütze und einzig wahre Freundin verloren zu haben, höhlt ihn aus. Aber er will funktionieren! Was nutzen Tränen, wenn er ein von ihr genähtes Kissen anschaut, wenn er sich aus ihrer noch immer halb vollen Teebüchse bedient oder das Telefon in der Anmeldung klingelt und sie nicht abhebt?

Er verharrt vor dem Souterrainfenster, starrt auf die Schräge mit den efeubewachsenen Feldsteinen und registriert zunächst gar nicht, dass Frau Lohmaier ihn bemerkt hat. Die Nachbarin steht in ihrer Einfahrt und winkt. Überrascht hebt er den Arm und weicht einen Schritt zurück.

Die alte Dame ist ihm wohlgesinnt. Seit vierzig Jahren plaudern sie am Zaun, gratulieren sich zu Geburtstagen, schenken sich Walnüsse oder Äpfel und leeren, falls nötig, füreinander die Briefkästen. Als er das Haus und die angrenzenden Stallgebäude nach dem Einzug umbauen musste, Wände einriss und hochzog, Fenster versetzte, die Fassade verputzte und strich, war sie es, die als eingefleischte Urbayerin über ihren Schatten sprang und den Neuankömmlingen die Hand reichte. Das erste Gespräch wird er nie vergessen. »Sie sind aber fleißig!«, rief sie, als er gerade mit einer Karre voller Ziegel an ihrem Tor vorbeirollte. »Tja, Sie haben jetzt einen Preußen zum Nachbarn«, erwiderte er und legte eine Verschnaufpause ein. »Sagen Sie so etwas nie wieder!«, fuhr sie ihm über den Mund. Dabei setzte sie eine Miene auf, die Entschlossenheit ausdrückte und zugleich schelmisch wirkte. »I mog die Preußen net. Sie wohnen jetzt in Bayern. Also sind Sie auch Bayer!« Bei dieser schnoddrigen Offenheit waren sie bis zum heutigen Tag geblieben.

Auch als praktizierender Tierarzt gelang es ihm zu seiner Verwunderung ohne Probleme, hineinzuwachsen ins Ländliche und die Einheimischen für sich einzunehmen.

Gleich in den ersten Tagen wurde er auf einem der Höfe des Dorfes zu einer Kuh gerufen, die nicht kalben konnte. Der Besitzer hatte keinen anderen Doktor erreicht und sich aus purer Not an ihn, den »jungspundigen Saupreiß«, gewandt. Skeptisch war jede seiner Bewegungen verfolgt worden: wie er die Geburtsschürze anzog und die Handschuhe überstreifte. Wie er das Muttertier anschließend untersuchte. Das Kalb steckte fest. Vermutlich war es einfach zu groß und passte nicht durch den Geburtskanal. Aber es lebte noch. »Ich werde jetzt einen Kaiserschnitt vornehmen«, teilte er dem Landwirt mit. Der Mann zögerte, brachte aber, nachdem er ihm den drohenden Exitus des Kalbes geschildert hatte, den verlangten Eimer mit warmem Wasser, Seife, Handtuch und einen Tisch für die Instrumente. Während er der Kuh die linke Flanke wusch, sie dort rasierte und desinfizierte, war bereits das halbe Dorf um ihn herum versammelt. Er wusste, dass es um mehr ging als diese Kuh und ihr ungeborenes Kalb. Der noch recht ungewöhnliche Eingriff, den er zwar während des Studiums gelernt, aber noch nie selbst durchgeführt hatte, musste im Stehen bewerkstelligt werden. Er durchtrennte die schräge Bauchmuskulatur und das Bauchfell. Durch die Gebärmutterwand konnte er die beiden Hinterfüße des Kalbes fühlen. Er zog sie an den Bauchschnitt heran und öffnete mit dem Skalpell die Gebärmutter, was zum Glück klappte. Dann bat er den Besitzer, die Füße des Kalbes festzuhalten und vorsichtig daran zu ziehen. Währenddessen erweiterte er den Schnitt in der Gebärmutter. Das Kalb glitschte hervor. Es lebte und auch die Mutter war wohlauf. Rasch nähte er Gebärmutter und Bauchdecke wieder zu. Als er sich die Hände...
mehr

Autor

Dirk Brauns, geboren 1968 in Berlin, lebte als Zeitungskorrespondent lange in Warschau, Peking und Minsk, bevor er in die Gegend von München zog. 2013 erschien sein Debütroman Im Inneren des Landes, dessen Hörspielversion "Hörspiel des Monats" wurde und der derzeit verfilmt wird. Sein zweiter Roman Wir müssen dann fort sein folgte 2016, Die Unscheinbaren erschien 2019.