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Die Lichtsammlerin

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Hanser, Carl GmbH + Co.erschienen am13.05.20191. Auflage
Liebe, Verlust und ein dunkles Familiengeheimnis - Beatrix Kramlovsky erzählt die Geschichte dreier starker Frauen in den Wirren des 20. Jahrhunderts.
Großmutter, Mutter und Tochter. Dazwischen zwei Kontinente, ein Jahrhundert und ein Geheimnis, das die Familie zerreißt: Marys Großmutter Rosa wird wie eine Heilige verehrt. Wenn Mary nach dem Grund fragt, bleibt ihre strenge Mutter Erika stumm. Wollte sie doch mit der Flucht nach Australien in den 1940er Jahren alles hinter sich lassen. Als alte Frau kehrt Erika in ihre Heimat zurück, und die Erinnerung kommt mit aller Macht wieder. Sie erzählt, und ihre Tochter Mary begreift, warum für die Frauen ihrer Familie Liebe immer nur Verlust bedeutet hat.
Beatrix Kramlovsky erzählt mitreißend die Geschichte dreier starker Frauen, die sich in den Zerwürfnissen des 20. Jahrhunderts behaupten.

Beatrix Kramlovsky, geboren 1954, lebt als Künstlerin und Autorin in Niederösterreich. Von 1987 bis 1991 lebte sie in Ostberlin, wie Joni in Frau in den Wellen. Bei hanserblau erschienen bisher ihre Romane Die Lichtsammlerin und Fanny oder Das weiße Land.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR11,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,99

Produkt

KlappentextLiebe, Verlust und ein dunkles Familiengeheimnis - Beatrix Kramlovsky erzählt die Geschichte dreier starker Frauen in den Wirren des 20. Jahrhunderts.
Großmutter, Mutter und Tochter. Dazwischen zwei Kontinente, ein Jahrhundert und ein Geheimnis, das die Familie zerreißt: Marys Großmutter Rosa wird wie eine Heilige verehrt. Wenn Mary nach dem Grund fragt, bleibt ihre strenge Mutter Erika stumm. Wollte sie doch mit der Flucht nach Australien in den 1940er Jahren alles hinter sich lassen. Als alte Frau kehrt Erika in ihre Heimat zurück, und die Erinnerung kommt mit aller Macht wieder. Sie erzählt, und ihre Tochter Mary begreift, warum für die Frauen ihrer Familie Liebe immer nur Verlust bedeutet hat.
Beatrix Kramlovsky erzählt mitreißend die Geschichte dreier starker Frauen, die sich in den Zerwürfnissen des 20. Jahrhunderts behaupten.

Beatrix Kramlovsky, geboren 1954, lebt als Künstlerin und Autorin in Niederösterreich. Von 1987 bis 1991 lebte sie in Ostberlin, wie Joni in Frau in den Wellen. Bei hanserblau erschienen bisher ihre Romane Die Lichtsammlerin und Fanny oder Das weiße Land.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783446263154
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum13.05.2019
Auflage1. Auflage
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.4053586
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Ein Dilemma


Es hatte 2011 mit Anrufen zu seltsamen Tageszeiten begonnen, mit einer verzagten Stimme, die irritiert klang, manchmal voller Angst, und mir oft fremd erschien. Es endete ein Jahr später mit Anrufen der besten Freundin meiner Mutter, die mir klarmachte, dass ich in Europa gebraucht wurde, auf einem Kontinent, der mir nichts bedeutete.

Zu diesem Zeitpunkt arbeitete ich als Journalistin bei einem privaten Radiosender, wo ich Skripts schrieb, aber auch als Sprecherin für Features, die ich mir selbst aussuchen konnte. Es war ein großartiger Job. Ich lebte mit Jerry, den ich seit vielen Jahren liebte. Wir waren erst zusammengezogen und hatten geheiratet, nachdem ich diese Stelle 2009 angenommen hatte. Meine Mutter hatte ich lange nicht mehr gesehen. Ich weiß, wie das klingt, aber es gab Gründe dafür.

Und jetzt das: ein Hilfeschrei, als wäre plötzlich ich die Mutter und sie das bedürftige Kind.

»So läuft es«, sagte Angie ungerührt, als ich sie um Rat bat. »Da müssen wir alle durch.«

»Du meinst uns Töchter«, warf ich ein und erschrak kurz über die Säure in mir.

»Natürlich die Töchter. Kannst du dir vorstellen, unsere Brüder würden ihre Freizeit beschneiden, ihre Karrieren unterbrechen?«

»Joey ist im Norden und beglückt vermutlich Touristinnen. Außerdem hast du leicht reden, deine Mutter wohnt nur eine halbe Stunde entfernt. Meine wohnt auf der anderen Seite der Erdkugel.«

»Du wirst dich trotzdem entscheiden müssen: Entweder du holst Ricky her oder du fliegst zu ihr hin.«

»Sie hasst Australien. Immer noch.«

»Dann bleibt dir nichts anderes übrig. Sie ist deine Mutter.«

»Ich habe ein eigenes Leben.«

»Sie verliert ihres gerade.«

Ähnlich verlief das Gespräch mit meinem Boss. Er sah die Notwendigkeit, die Pflicht des Kindes, es stand für ihn außer Frage, dass ich mich um eine Langzeitversorgung vor Ort kümmern musste. Es würde doch ähnlich wie bei uns funktionieren, sagte er, Europa sei fortschrittlich. Gehörte Österreich nicht zu den reichen Ländern? Es hatte vorbildlich im Balkankrieg den Flüchtlingsstrom versorgt. Oder nicht? Außerdem gab es dort jede Menge Kunst, Kultur, Musik, Schlösser. Was für eine Chance für mich, das alles zu sehen. Wurzelpflege, sagte er. Ganz wichtig für Immigranten. Ob ich nicht den Aufenthalt für eine neue Reihe nutzen könnte. Natürlich halte er mir den Platz frei, eine so ausgezeichnete Journalistin, Rechercheurin, Stimme einer ganzen Generation hier im Südosten. Blablabla.

Es geht um Demenz, nicht um eine Wiederentdeckung, dachte ich. Wieso verstand niemand meinen Schock? Mein wunderbarer Job, mein glückliches Leben mit Jerry. Körper auf Distanz. Mir graute.

Das Verhältnis zu meiner Mutter war von Anfang an schwierig, auch wenn Daddy das selten zugab. Aber Daddy war fünfzehn Jahre tot. Mama hatte sein Grab seit der Beerdigung nie wieder besucht. Manchmal redete sie am Telefon über ihn in ihrem Österreichisch, das breiter geworden war, sich anders anhörte als in meiner Erinnerung. Wenn sie schnell sprach, verstand ich nur Bruchstücke.

Früher wollte meine Mutter immer wissen, wo ich mich gerade aufhielt. Herumtreiben in den Terrarien anderer, nannte sie das. Manchmal reiste sie in Europa, im Gepäck die Bücher, die ihr helfen sollten, das Unbekannte heranzuholen. Meine Mutter hielt wenig von mir, aber sie hielt prinzipiell vom Leben wenig, erwartete sich lieber ein opulentes Feuerwerk danach und einen Himmel voll immerwährender Sicherheit. Überraschungen traute sie nicht. Als die Krankheit sich eingenistet hatte, kam zu ihren vielen Ängsten die Furcht vor dem Vergessen dazu.

Ich war 1955 in Melbourne zur Welt gekommen. Zu diesem Zeitpunkt hatten meine Eltern bereits zwei Jahre an der Grenze zwischen New South Wales und Victoria hinter sich. Mein Vater hatte beim Bau der Wasserkraftwerke am Murray-Fluss mitgeholfen, denn das war sein Passierschein gewesen. Mama arbeitete als Hilfslehrerin für die Kinder der deutschsprachigen Immigranten, die in Massen ins Land geholt wurden. Die australische Regierung bezahlte die Überfahrt, im Gegenzug verpflichteten sich die Neuankömmlinge, mehrere Jahre beim Aufbau öffentlicher Infrastruktur mitzuarbeiten. Es muss hart für sie gewesen sein. Wie hart, erfasste ich erst mit den Jahren. Das, was ich jedoch bald merkte: Daddy liebte seine neue Heimat uneingeschränkt, Mama weinte ihrer aufgegebenen nach.

Als ich mich endlich ankündigte, hatte mein Vater bereits einen neuen Job gefunden: In Heidelberg West in Melbourne wurden die aus Österreich importierten Fertighäuser für das olympische Dorf errichtet, Daddy hatte mit der Buchhaltung zu tun. Mama legte eine Prüfung ab, um an eine englischsprachige Volksschule zu wechseln. 1956, während der Olympischen Spiele, fühlte sie sich das erste Mal, getragen von der Begeisterung ihrer Umgebung, nicht als Fremde. Und doch wurde sie nie heimisch. Als Daddy 1996 starb, erklärte sie mir noch während des Begräbnisses, es hätte ein Ende mit der Fremde, sie würde nach Linz zurückkehren, zu den alten Freundinnen, zu den Plätzen ihrer Jugend, zu den Wurzeln, die sie nie losgelassen hätten. Seitdem hatte sie mich nie und ich sie nur einmal besucht, jede eine Ausländerin in der Heimat der anderen.

Und nun? Mamas Freundin Hanni rief wieder an. Es ginge doch nur um Wochen, so lange, bis Mamas Weigerung, in ein Heim zu gehen, keine Bedeutung mehr hätte. Vielleicht zwei, drei Monate, bis sie, vermutlich gegen ihren Willen, in einer Einrichtung untergebracht werden durfte. Ein Glück, dass Österreichs Sozialnetz das abdecken würde. Aber mir erschien diese Zeit als bleiernes Meer, mein eigentliches Leben würde sich wie eine Küste immer weiter von mir entfernen, je länger ich dortbliebe. In diesen Wochen des Zweifelns wurde ich zur Gefangenen meiner Mutter. So sehr ich ihr Leben in Zukunft vielleicht kontrollieren würde, so sehr dirigierte sie nun das meine.

Jerry explodierte. Er war dagegen, dass ich nach Europa flog.

»Deine Mutter hat sich für ein eigenes Leben entschieden, ohne uns, ohne ihre Enkelkinder. Sie war hier eine Fremde und wollte endlich nach Hause. Das konnte sie erst, als dein Vater tot war. Klar wusste sie, dass sie im Alter alleine sein würde. Trotz der Freundinnen. Sie hat es ignoriert. Dafür kannst du doch nichts.«

Aber meine Söhne bedrückte die Vorstellung, dass ihre Großmutter in einer grauen Welt herumirrte und niemand auf sie achtete. Alle rund um mich schienen derselben Meinung zu sein; Mütter hatten es verdient, nicht alleine gelassen zu werden, vor allem Kriegsmütter, die mitgeholfen hatten, dass ihre Kinder im Frieden groß werden durften. Also beugte ich mich den Erwartungen der Mehrheit. Jerry lenkte knurrend ein. Er würde die Kosten für unser winziges Haus einstweilen alleine tragen. Wir hatten alles vernünftig geplant. Und alles kam anders. Ich hätte es wissen müssen.

Ich landete im Frühsommer 2012, sollte Wochen, vielleicht Monate bleiben, um ihr zu helfen, eine neue Art von Leben für sie vorzubereiten. Ich blieb fast ein Jahr, notgedrungen. Ein ungeplantes Jahr mit einer Mutter, die ich viel zu wenig kannte, die ihrem lückenhaften Erinnern endlich Geheimnisse entrang, in einer Stadt, die mir nicht vertraut war, in einem unbekannten Land, umgeben von einer Sprache, die nicht meine Muttersprache war, mit der mich jedoch Bilder einholten, die ich längst vergessen geglaubt hatte.

An manchen Tagen saßen wir am Ufer der Donau mit Aussicht auf die Linzer Fabrikschlote und den Hafen, sahen Schiffen nach, blieben mit den Blicken an den Alpengipfeln im südlichen Dunst hängen. Mama erzählte aus ihrem Leben, von meinen Großeltern Rosa und Josef, von Nächten, deren Schrecken aufloderten, von Menschen, deren Namen ich zum ersten Mal hörte, von Episoden, die echolos verklingen mussten, weil ich nicht die richtigen Fragen stellte. Wir verbrachten Stunden auf Bänken vor dem Lentium und sahen zu, wie der Fluss gegen seine Ufer schwappte, fühlten uns, als würden wir Gemälde betrachten. Ein stetes Zermahlen von Zeit, die für sie eine Schatulle voll fixierter Bilder war.

Sie redete. Ihre Stimme war noch ein sanfter Sopran, ohne das Zittern, ohne gebrochenes Timbre wie später. Sie erzählte, wie sie mir als junge Mutter Sagen erzählt hatte, weit ausholend im Nirgendwo und das Nichts füllend mit Märchengestalten und Fabelgetier. An guten Tagen war ihre Muttersprache ein verlässliches Geländer, voller Möglichkeiten, die sie freudig nutzte für die neuerdings schrägen Einsichten. An den lichten Tagen war sie verwegen, voll...
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