Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Ein Jahr mit Loki

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
224 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am19.02.20191. Auflage
Botanikerin, Naturschützerin, Lehrerin: Loki Schmidt war immer mehr als die Frau an Helmuts Seite. Hier erzählt Lothar Frenz, der eng mit ihr zusammenarbeitete, von ihrem wechselvollen Leben: Lokis Kindheit und Jugend, dem Krieg und der Bonner Republik, davon, wie sie sich immer wieder neu erfand und dabei doch sie selbst blieb. Mit großem Selbstbewusstsein ausgestattet, wusste sie genau, wer sie war und was sie wollte. Als 'armer Leute Kind' hatte sie feste Standpunkte und hegte durchaus Unverständnis gegenüber Leuten, die ihre Chancen nicht sahen - und dennoch begegnete sie den Menschen immer auf Augenhöhe. 'Ein Jahr mit Loki' ist nicht nur das persönliche Porträt einer beeindruckenden Frau - es ist auch ein Buch über das Leben.

Lothar Frenz, geboren 1964, ist als Biologe und Journalist für GEO und Naturdokumentationen häufig auf den Spuren der Artenvielfalt. So führten ihn Expeditionen nach Amazonien und Neuguinea, nach Tasmanien, Uganda oder in die Mongolei. Er veröffentlichte u.a. «Riesenkraken und Tigerwölfe. Auf den Spuren der Kryptozoologie» (2000), «Das Naturbuch für Neugierige» (2010, gemeinsam mit Loki Schmidt) und «Lonesome George oder das Verschwinden der Arten» (2012), das von der Deutschen Umweltstiftung als «Umweltbuch des Jahres» ausgezeichnet wurde. Seit 2019 ist Frenz Botschafter der Loki-Schmidt-Stiftung.
mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR20,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextBotanikerin, Naturschützerin, Lehrerin: Loki Schmidt war immer mehr als die Frau an Helmuts Seite. Hier erzählt Lothar Frenz, der eng mit ihr zusammenarbeitete, von ihrem wechselvollen Leben: Lokis Kindheit und Jugend, dem Krieg und der Bonner Republik, davon, wie sie sich immer wieder neu erfand und dabei doch sie selbst blieb. Mit großem Selbstbewusstsein ausgestattet, wusste sie genau, wer sie war und was sie wollte. Als 'armer Leute Kind' hatte sie feste Standpunkte und hegte durchaus Unverständnis gegenüber Leuten, die ihre Chancen nicht sahen - und dennoch begegnete sie den Menschen immer auf Augenhöhe. 'Ein Jahr mit Loki' ist nicht nur das persönliche Porträt einer beeindruckenden Frau - es ist auch ein Buch über das Leben.

Lothar Frenz, geboren 1964, ist als Biologe und Journalist für GEO und Naturdokumentationen häufig auf den Spuren der Artenvielfalt. So führten ihn Expeditionen nach Amazonien und Neuguinea, nach Tasmanien, Uganda oder in die Mongolei. Er veröffentlichte u.a. «Riesenkraken und Tigerwölfe. Auf den Spuren der Kryptozoologie» (2000), «Das Naturbuch für Neugierige» (2010, gemeinsam mit Loki Schmidt) und «Lonesome George oder das Verschwinden der Arten» (2012), das von der Deutschen Umweltstiftung als «Umweltbuch des Jahres» ausgezeichnet wurde. Seit 2019 ist Frenz Botschafter der Loki-Schmidt-Stiftung.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644100893
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum19.02.2019
Auflage1. Auflage
Seiten224 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse4570 Kbytes
Artikel-Nr.4057238
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Herkunft: Armer Leute Kind

Bei unserem zweiten Treffen kamen wir ganz schön herum: auf die Twin Towers in New York, wo ein Schwarm Wildgänse über Manhattans Skyline flog, in den Garten des Bonner Kanzleramts und die private Bonsaisammlung des japanischen Kaisers Hirohito, an den Hamburger Hafen natürlich und in das Ferienhaus der Schmidts am Brahmsee. Innerhalb von drei Stunden legten wir mit dem Hurtigruten-Postschiff im norwegischen Tromsø an, betrachteten im Katharinenkloster auf dem Sinai den brennenden Dornbusch Mose, staunten über die gewaltigen Huftierherden der Serengeti und diskutierten, ob die Urwälder Amazoniens eine verwilderte Kulturlandschaft seien. Wir ließen uns durch die Welt treiben, kreuz und quer, durch Länder und Jahre, ausgehend von persönlichen Erlebnissen, Erfahrungen und Expeditionen. Denn bei dieser ersten Sitzung zu zweit wollten wir uns kennenlernen, wollten vielleicht schon eine Grundidee für unser Buch finden.

Am Ende des intensiven und kurzweiligen Gesprächs voller Gedanken und Abenteuer sagte Loki, zwischendurch habe sie durchaus «mal sehr kleine Augen» bekommen und sei ein wenig müde geworden. Daher wollte ich beim nächsten Mal wissen, wie es ihr nach unserem letzten Treffen ergangen war. War es nicht zu anstrengend gewesen? Zu viel für eine Neunzigjährige? Neunzigeinhalb, verbesserte sie mich. Das war ihr wichtig.

«Wissen Sie, was ich getan habe, als Sie weg waren? Da bin ich in die Küche gegangen und habe Wurzeln geschält und klein geschnitten. Fürs Abendbrot, da gab es Erbsen und Wurzeln.»

Was hatte ich erwartet? Vielleicht, dass sie sich müde und etwas erschöpft hingelegt hätte. Dass sie sagen würde, wir sollten es mal nicht übertreiben und in Zukunft öfter auf die Uhr schauen. Aber nein: «Das habe ich auch früher gemacht, diesen Wechsel zwischen Hand- und - wenn Sie so wollen - Kopfarbeit. Ich habe mein Leben lang gearbeitet. Mit fünfzehn musste ich den Haushalt führen, weil meine Mutter von morgens bis abends zum Nähen ging.»

In dieser Antwort schwang ihre Einstellung zum Leben mit. Arbeit, in welcher Form auch immer, war stets ein Teil davon. Große Mühen, Last und Verantwortung waren ihr nie fremd. Ihre Herkunft war ihr sehr präsent, in unseren Gesprächen erwähnte sie sie oft: «Wer aus einem Elternhaus wie meinem stammt, denkt doch nicht daran, einmal solche Reisen zu machen.»

Sehr selbstbewusst sagte sie: «Ich bin armer Leute Kind.»

 

Loki entstammte einer Arbeiterwelt, wie sie heute in Deutschland nicht mehr existiert. Als Helmut Schmidt seine Klassenkameradin Loki Glaser erstmals zu Hause besuchte, um ihr die Baskenmütze vorbeizubringen, die sie bei seinem Kindergeburtstag vergessen hatte, war er entsetzt: Dass Menschen so ärmlich, so dunkel wohnen mussten, empörte den Zehnjährigen, der aus einer kleinbürgerlichen Familie kam. Helmut Schmidts Vater Gustav hatte durch Bildung den sozialen Aufstieg aus der Arbeiterklasse bereits geschafft und war Lehrer geworden. Die bedrückende Armut der Glasers - «wirkliches Elend», schrieb Helmut Schmidt noch in seinem letzten Buch - rief sein Gefühl für Gerechtigkeit wach.

Lokis Familie lebte da in einem «Terrassenhaus», was heutzutage ausgesprochen hübsch klingt, damals aber einen düsteren Wohnblock im Hinterhof beschrieb: ein «billiges Loch» von achtundzwanzig Quadratmetern, das siebenundzwanzig Mark im Monat kostete. «Das war genau das, was mein Vater wöchentlich bekam. Ein Wochenverdienst ging als Miete weg.»

Loki fand die Wohnung «herrlich - weil sie uns allein gehörte». Die Enge habe sie nicht wahrgenommen, sie kannte ja nichts anderes. Für sie war die «Terrasse» ein Fortschritt. Zuvor hatte die junge Familie in der Wohnung der Großeltern in der Schleusenstraße am Hafen in Hammerbrook gelebt, zusammen mit den Schwestern der Mutter und später deren Ehemännern. Dort war Hannelore, wie ihr wirklicher Name lautet, als erstes Kind im März 1919 zur Welt gekommen. Den Namen «Loki» schnappte sie daheim auf, als es um den wenig beliebten Gott aus der nordischen Sagenwelt ging, einen Blutsbruder Odins, eine vielseitige, aber durchtriebene und listige Figur. Weil «Hannelore» für das kleine Mädchen schwer auszusprechen war, übernahm sie das einfachere Wort für sich: «Loki» blieb sie ihr Leben lang. Dass sie damit einen eher negativ konnotierten Namen in etwas Grundsympathisches umdeutete, passt zu ihrem ungewöhnlichen Lebensweg.

Mit der Geburt des dritten Kindes, der Schwester Linde, wurde die großelterliche Wohnung endgültig zu klein. Drei Jahre war Loki alt, als die Glasers in die Baustraße im Hamburger Stadtteil Borgfelde, die heutige Hinrichsenstraße, zogen: Nach der Arbeit transportierte der Vater mit Freunden die wenigen Habseligkeiten im Handkarren durch die Stadt. Da es schon dunkel war, hing eine Papierlaterne am Wagen. «Meine Mutter schob den Kinderwagen mit dem Baby, mein Bruder Christoph saß am Fußende, und ich marschierte nebenher.»

Die Terrassenwohnung war düster und bescheiden: Auch in die beiden Vorderzimmer schien nur selten die Sonne hinein, eines war das Kinderzimmer, das andere das kleine Wohnzimmer mit dem einzigen Ofen, in dem sich das Familienleben abspielte. Nach hinten zeigten das vier Quadratmeter große Schlafzimmer der Eltern mit einem selbstgezimmerten Bett und die Küche mit dem einzigen Wasserhahn der Wohnung. Beide Räume waren noch dunkler, denn die nächste Häuserreihe war nur wenige Meter entfernt. Ein Badezimmer gab es nicht, die Toilette im Treppenhaus teilten sich die Glasers mit den Nachbarn. Immerhin, das war beinahe Luxus, denn bei anderen Terrassenhäusern lag die Toilette im Hof.

Auch zwischen die Häuser gelangte wenig Licht, links und rechts graue Wände. Solange die Kinder noch nicht zur Schule gingen, durften sie nicht auf der Straße spielen, sondern nur im Hof. Doch was erblickte Loki dort? In den Ritzen des Kopfsteinpflasters, wo sich ein bisschen Erde angesammelt hatte, schoben sich zwei Pflanzen «mühsam zwischen den Steinen empor»: das Einjährige Rispengras und der Löwenzahn. «Die zwei Pflanzen aus meiner Kindheit sehe ich heute noch vor mir. Früher habe ich manches Mal gedacht, nicht ich habe die Pflanzen entdeckt, die Pflanzen haben mich ausgesucht.»

Das war eine prägende Entdeckung an diesem tristen Ort in einer schwierigen Zeit. In Lokis Beschreibungen klingt die Armut immer an, aber nicht nur sie. Hineingeboren in das gerade zusammengebrochene Kaiserreich und in die Wirren der Weimarer Republik, der ersten parlamentarischen Demokratie in Deutschland, fiel ihre Kindheit in eine Zeit des Aufbruchs: Die Arbeiterklasse war bildungshungrig, und auch Lokis Eltern Hermann und Gertrud Glaser wollten die ärmlichen Verhältnisse hinter sich lassen und teilhaben an den gesellschaftlichen Neuerungen.



Im Hinterhof der großelterlichen Terrassenwohnung in der Bürgerweide überragte Loki 1928 die Nachbarskinder und ihre jüngeren Geschwister Christoph und Linde, die direkt links neben ihr stehen.



Uneingeschränkter Zugang zu Bildung war nicht selbstverständlich. Gymnasien oder «höhere Schulen» kosteten Schulgeld, das für Arbeiterfamilien schwer aufzubringen war. Beide Elternteile hatten zunächst acht Jahre lang die Volksschule besucht, die schulgeldfrei war. Als gute Schüler wurden sie danach für die «Selekta» ausgewählt: In Hamburg gab es diese zusätzliche neunte, weiterführende Klasse, die für begabte Volksschüler aus armen Familien kostenlos war und zu einem Abschluss vergleichbar der mittleren Reife führte.

Nach der Schulzeit lernten Lokis Mutter Gertrud und ihre drei Schwestern einen Beruf, was damals für Frauen ungewöhnlich war: Die Mutter wurde Schneiderin, die Schwestern Kontoristinnen. Vater Hermann machte eine Lehre als Elektriker und arbeitete danach mal beim Arbeitsamt, mal auf einer Werft. «Wenn eine Uhr mit Batterie stehenbleibt, hält mein Mann sie mir heute noch hin und sagt: Dein Vater war Elektriker, mach mal», erzählte Loki.

Die Eltern bildeten sich auch nach der Schulzeit und Ausbildung weiter - getreu dem vom Sozialdemokraten Wilhelm Liebknecht propagierten Wort «Wissen ist Macht». Seit Mitte des 19. Jahrhunderts waren in Deutschland die ersten Arbeiterbildungsvereine entstanden, in denen viele Volkshochschulen ihre Wurzeln haben. Zwei, drei Mal in der Woche besuchten Lokis Eltern die dortigen Kurse: Es ging um die neusten Erkenntnisse aus Biologie, Vorgeschichte und Geologie, um Kunst, Architektur, das Bauhaus und die Hamburger Backsteinbauten des Stadtplaners Fritz Schumacher, der die Menschen mit seinen Klinkerbauten aus ihren katastrophalen Wohnverhältnissen befreien wollte und dessen Gebäude bis heute das Bild Hamburgs prägen. So erwarben die Glasers eine breitgefächerte und oft anwendungsorientierte Bildung.

Lokis Mutter hatte etwa Vorträge über die Ernährungslehre von Max Bircher-Benner gehört, einem Pionier der Vollwertkost. «Wir haben aus heutiger Sicht schon sehr vernünftig gegessen. Meine Mutter kochte für die damaligen Verhältnisse modern, nicht so viel Künstliches kam dazu. Es gab rohe Haferflocken und Früchte mit Honig und Milch. Das Originalrezept war meiner Mutter zu teuer, denn da durfte man nicht Milch, sondern musste Sahne nehmen. Also hat sie das variiert. Dem Geldbeutel meiner Eltern kam diese Kost entgegen, dass man nicht so viel Fleisch isst.»

Der leere Geldbeutel spielte wohl auch eine Rolle, als ihr Vater sie ein einziges Mal in seinem Leben schlug. Die Eltern durften im Schrebergarten von Freunden zwei Beete bepflanzen, um etwas...
mehr

Autor

Lothar Frenz, geboren 1964, ist als Biologe und Journalist für GEO und Naturdokumentationen häufig auf den Spuren der Artenvielfalt. So führten ihn Expeditionen nach Amazonien und Neuguinea, nach Tasmanien, Uganda oder in die Mongolei. Er veröffentlichte u.a. «Riesenkraken und Tigerwölfe. Auf den Spuren der Kryptozoologie» (2000), «Das Naturbuch für Neugierige» (2010, gemeinsam mit Loki Schmidt) und «Lonesome George oder das Verschwinden der Arten» (2012), das von der Deutschen Umweltstiftung als «Umweltbuch des Jahres» ausgezeichnet wurde. Seit 2019 ist Frenz Botschafter der Loki-Schmidt-Stiftung.