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Als mein Bruder ein Wal wurde

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
304 Seiten
Deutsch
Verlag Friedrich Oetingererschienen am17.01.2019
'Manchmal, wenn ich abends im Bett lag, stellte ich mir vor, dass Julius wie ein riesiger Wal durch die Tiefen des Ozeans glitt.' Darf man über das Leben eines anderen bestimmen? Und woher soll man wissen, was richtig oder falsch ist, wenn man ihn nicht fragen kann? Belas großer Bruder Julius liegt im Wachkoma, die Familie soll eine Entscheidung treffen und steht kurz davor, auseinanderzubrechen. Und jetzt? Belas Freundin Martha würde zum Papst fahren. Der muss schließlich wissen, was in so einem Fall zu tun ist ... Heimlich schlachten sie ihre Sparschweine, klauen eine Kreditkarte und begeben sich auf eine abenteuerliche Reise nach Rom, um eine Antwort zu finden und Belas Familie zu retten. Einfühlsam und einzigartig - ein wunderbares Buch über das Leben.

Nina Weger, 1970 geboren, war nach dem Abitur zunächst eine Saison lang als Seiltänzerin beim Circus Belly beschäftigt, bevor sie eine Journalistenschule besuchte und als Redakteurin und Regieassistentin arbeitete. Heute lebt sie mit ihrem Mann und zwei Kindern als freie Autorin in Hannover und schreibt unter anderem Drehbücher für bekannte Fernsehserien. Nebenbei leitet sie mit einer Freundin ehrenamtlich den 'Kinderzirkus Giovanni', der mit dem 'Deutschen Kinderpreis' ausgezeichnet wurde. Eva Schöffmann-Davidov, geboren 1973, studierte an der Fachhochschule Augsburg Gestaltung und Kommunikationsdesign. Seit ihrem Diplom 1998 arbeitet sie als freie Illustratorin für Kinder- und Jugendbuchverlage.
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Produkt

Klappentext'Manchmal, wenn ich abends im Bett lag, stellte ich mir vor, dass Julius wie ein riesiger Wal durch die Tiefen des Ozeans glitt.' Darf man über das Leben eines anderen bestimmen? Und woher soll man wissen, was richtig oder falsch ist, wenn man ihn nicht fragen kann? Belas großer Bruder Julius liegt im Wachkoma, die Familie soll eine Entscheidung treffen und steht kurz davor, auseinanderzubrechen. Und jetzt? Belas Freundin Martha würde zum Papst fahren. Der muss schließlich wissen, was in so einem Fall zu tun ist ... Heimlich schlachten sie ihre Sparschweine, klauen eine Kreditkarte und begeben sich auf eine abenteuerliche Reise nach Rom, um eine Antwort zu finden und Belas Familie zu retten. Einfühlsam und einzigartig - ein wunderbares Buch über das Leben.

Nina Weger, 1970 geboren, war nach dem Abitur zunächst eine Saison lang als Seiltänzerin beim Circus Belly beschäftigt, bevor sie eine Journalistenschule besuchte und als Redakteurin und Regieassistentin arbeitete. Heute lebt sie mit ihrem Mann und zwei Kindern als freie Autorin in Hannover und schreibt unter anderem Drehbücher für bekannte Fernsehserien. Nebenbei leitet sie mit einer Freundin ehrenamtlich den 'Kinderzirkus Giovanni', der mit dem 'Deutschen Kinderpreis' ausgezeichnet wurde. Eva Schöffmann-Davidov, geboren 1973, studierte an der Fachhochschule Augsburg Gestaltung und Kommunikationsdesign. Seit ihrem Diplom 1998 arbeitet sie als freie Illustratorin für Kinder- und Jugendbuchverlage.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783960520986
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum17.01.2019
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.4100641
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
2

Wir hörten als Erstes den Rettungshubschrauber. Aber wer achtet schon beim Frühstück auf das Rotorenknattern eines Hubschraubers? Als Mama und ich aus der Haustür kamen, fuhr ein Polizeiwagen langsam die Straße herunter. Auch da fühlten wir uns noch nicht angesprochen. Erst als der silber-blaue Wagen direkt vor unserer Einfahrt hielt und ein Polizist ausstieg, spürte ich, wie Mama zusammenzuckte.

Von da an lief einfach alles an uns vorbei. Wie in einem Film. Und genauso wenig, wie wir durch den Plasmabildschirm unseres Fernsehers greifen und irgendetwas an der Handlung ändern konnten, genauso wenig konnten wir das hier, in der Wirklichkeit. Die Rettungssanitäter hatten komplett das Kommando übernommen. Als wir an der Unfallstelle ankamen, lag Julius schon in dem Krankenwagen, der ihn zum Hubschrauber bringen sollte. Mama klopfte an die Tür und wollte rein. Von drinnen brüllte jemand: »Nimm doch mal einer diese Leute weg!« Eine Polizistin nahm uns am Arm und schob uns beiseite - als wenn wir nicht dazugehörten!

Dann sahen wir den großen Blutfleck. Mama flippte aus, sie wollte wissen, was hier los war! Papa schrie die Polizistin an, woher sie wüsste, dass das Julius, sein Sohn, da drin in dem Wagen wäre?! Die Polizistin reichte Papa Julius Schülerkarte. Wir sagten nichts mehr. Uns fragte auch niemand oder informierte uns, was weiter passieren sollte. Irgendwann ging das Blaulicht an, und der Rettungswagen fuhr weg. Wir standen stumm auf der Hauptstraße, neben dem riesigen Blutfleck am Rinnstein, und sahen hinterher.

»Ich fahr euch ins Krankenhaus«, sagte ein Nachbar und führte uns zu seinem Auto.

 

Als wir in der Notaufnahme ankamen, winkte uns ein Arzt in einen kleinen Untersuchungsraum. Das Zimmer sah aus wie die Krankenstation in der Schule und war mit dem Schrank und der Plastikliege eigentlich voll. Wir standen dicht gedrängt, wie Menschen in einer Bushaltestelle bei Regen.

»Ihr Sohn hat ein schweres Schädel-Hirn-Trauma«, erklärte der Arzt. »Wir werden ihn jetzt operieren. Aber es sieht nicht gut aus. Stellen Sie sich auf das Schlimmste ein.«

Obwohl wir so nah beieinanderstanden, dauerte es ziemlich lange, bis seine Worte in unseren Köpfen landeten. Jedenfalls vergingen einige Sekunden, bis Papa nickte und Mama fragte, ob sie Julius sehen dürfe.

Aber das ging schon wieder nicht. Wir sollten uns in den Wartebereich setzen, und sobald man Genaueres sagen könne, würden wir informiert werden. Dann eilte der Arzt davon, und wir ließen uns auf die harten Schalenstühle im Gang fallen und warteten.

Papa rief einen unserer Sargträger an und bat ihn, sich um alles zu kümmern. »Julius hatte einen Unfall, wir sind im Krankenhaus und wissen noch nicht, wie lange es dauert«, sagte er. Es klang, als müsste Julius nur noch einen kleinen Gips bekommen. Mama begann zu weinen, und Papa legte den Arm um sie. »Alles wird gut«, tröstete er. »Julius ist jung und stark. Er hat einen durchtrainierten Körper. Er schafft das.«

Stunde um Stunde verging. Wir tranken Automatentee aus braunen Plastikbechern. Menschen in OP-Kleidung eilten vorüber. Türen öffneten und schlossen sich, aber niemand sagte uns etwas. Irgendwann zog ich mein Handy aus der Tasche und gab »Schädel-Hirn-Trauma« ein. Als Erstes stand da: Das Schädel-Hirn-Trauma (SHT) ist die häufigste Todesursache vor dem 40. Lebensjahr in Deutschland. Ich steckte das Handy wieder weg.

Um drei Uhr nachmittags wurden wir noch einmal in das Zimmer mit der Liege geholt. Vor uns stand nun ein anderer, ziemlich erschöpft aussehender Arzt. Er hielt ein Klemmbrett mit einem vollgekritzelten Blatt in der Hand. »Wir mussten bei Ihrem Sohn Teile der Schädeldecke entfernen, damit der Hirndruck nicht noch mehr steigt und weiteres Gewebe beschädigt. Wir wissen nicht, ob er die nächsten Stunden überlebt. Er kommt jetzt auf die Intensivstation. Sie dürfen in einer halben Stunde zu ihm.« Er sagte das in einem Tonfall, als würde er uns den Weg zur Kantine beschreiben. Dann flatterten noch irgendwelche Fachwörter, die ich noch nie gehört hatte, um unsere Köpfe. Aber sie drangen nicht zu uns durch, so wie alle anderen Geräusche, die uns kurz danach auf den Fluren des Krankenhauses entgegenschlugen.

Die Intensivstation wurde durch eine dicke Tür gesichert. Papa klingelte, und ein Pfleger in blauer Kleidung öffnete. Er führte uns einen langen, neonbeleuchteten Gang hinunter. Die Zimmertüren links und rechts standen weit offen. Überall fiepte und piepte es, und es war sehr warm.

Vor einem Raum mit drei wuchtigen Betten, in denen halb aufgerichtete, leblose Körper lagen, blieb der Pfleger stehen. Im ersten Moment erkannte ich Julius nicht. Er trug einen riesigen Verband um den Kopf. Ein Schlauch führte in seinen Mund, ein anderer in die Nase. Eine Maschine hatte für ihn das Atmen übernommen und pustete gleichmäßig Luft in seinen Brustkorb. Überall waren Monitore mit bunten Linien und Kurven, wie in der Schaltzentrale eines Raumschiffs.

Einen Moment standen wir wie angewurzelt. Dann machte Mama ein paar wackelige Schritte vor, beugte sich über Julius und küsste ihn auf die Wange. Dabei flüsterte sie ununterbrochen: »Es tut mir so leid, so wahnsinnig leid.«

Papa blieb stocksteif stehen und rührte sich nicht.

»Jede Berührung bedeutet Stress für Ihren Sohn«, sagte der Pfleger und zog Mamas Hand sanft zurück. Mama nickte. Sie zitterte am ganzen Körper, und der Pfleger schob ihr schnell einen Stuhl unter den Hintern. Dann begannen Tränen ihr Gesicht herunterzulaufen. Es hörte gar nicht mehr auf. Ich hatte noch nie so viele Tränen gesehen. Hilflos drehte ich mich zu Papa. Der stand immer noch genauso da wie vorher. Seit Minuten schien er sich nicht bewegt zu haben. Ich dachte: Irgendetwas läuft hier falsch, irgendjemand hat hier was ganz falsch programmiert. So als hätten wir den Flieger nach Mallorca gebucht, aber wären plötzlich am Polarkreis gelandet! Das Ganze musste eine Verwechslung sein. Oder so etwas wie »Versteckte Kamera«! Gleich kam jemand um die Ecke und sagte: Danke schön, Szene beendet! Und dann würde Julius aufstehen und rufen: Los, Bela, mach hin, wir müssen doch in die Schule! Papa würde sich schleunigst auf den Weg ins Krematorium machen, und Mama kümmerte sich um den Grabstein. Doch es kam keiner, der Schluss, aus, Ende rief.

Der Einzige, der kurz darauf wirklich um die Ecke kam, war der Stationsarzt. Er stellte sich kurz vor und sagte: »Ich würde gern mit Ihnen über eine eventuelle Organspende sprechen.« Nun sah Papa das erste Mal auf. Er drehte den Kopf, starrte den Arzt einen Moment lang an und brüllte dann los. »Raus!«, schrie er. »Raus hier!« Ich hatte Angst, dass er dem Mann gleich eine runterhaute. Mama sprang auf und versuchte, Papas Arme festzuhalten. Aus dem Gang stürmten mehrere Pfleger heran und wollten Papa zurückhalten. Doch das war gar nicht mehr nötig. Papa rutschte Mama einfach aus den Armen und plumpste auf den Boden. Da hockte er dann in seinem schwarzen Beerdigungsanzug und schluchzte. So hatte ich Papa noch nie gesehen.

Der Arzt hob beschwichtigend die Hände und schob die Pfleger aus dem Raum. »Alles in Ordnung«, sagte er. »Alles gut.« Und zu Mama: »Wenn nur einer in der Familie gegen eine Organentnahme ist, passiert nichts. Keine Sorge, Sie entscheiden das. Ganz allein und in Ruhe.«

Dann ging er auf den Gang. Ich sah, wie er mit einem Pfleger sprach und dabei zu Julius sah. Plötzlich fiel mir ein, dass wir schon häufiger Leute beerdigt hatten, die nach ihrem Tod Organe gespendet hatten. Ich erinnerte mich, dass Julius das gut fand. In seinem Jahrgang war ein Mädchen, das dringend auf eine Niere wartete. »Wenn jemand sowieso tot ist, warum soll sie dann nicht seine Niere haben? Tausende warten auf ein Herz oder eine Leber, und bevor die Organe in der Erde verrotten oder verbrannt werden, sollen sie doch besser jemandem nutzen«, hatte Julius gesagt und hinzugefügt, dass er alles, nur seine Augen nicht spenden würde.

Ich sah zu Mama. Sie nickte stumm. Ich glaube, sie dachte dasselbe wie ich. Aber wir trauten uns nicht, etwas zu sagen.

Irgendwann saßen wir alle drei auf Stühlen. Keine Ahnung, wie wir da hingekommen waren. Keine Ahnung, wo die Stühle hergekommen waren. Wir saßen da und schauten auf Julius, meinen großen, supersportlichen Bruder mit der Megakondition, der normal locker und ohne einen roten Kopf zu bekommen, sechs Kilometer lief, aber jetzt nicht mal einen einzigen Atemzug allein schaffte.

Ich versuchte, mir Julius Kopf unter dem Verband vorzustellen. Wenn da Knochenstücke fehlten, dann war da bestimmt eine riesige Delle. Ich dachte an meinen Sturz mit dem Crossrad vor zwei Wochen. Die Prellungen hatten fies wehgetan, ohne dass meine Schienbeine auch nur einen Millimeter eingedetscht waren. Was für unerträgliche Schmerzen musste dann Julius haben?

Die Pfleger, die regelmäßig die Werte auf den Bildschirmen kontrollierten, behaupteten, er habe überhaupt keine Schmerzen, weil durch die Schläuche ein Cocktail von Medikamenten lief, der Julius in ein künstliches Koma versetzte. In eine totale, tiefe Bewusstlosigkeit.

Als der Abend zu dämmern begann, schöpften wir Hoffnung. Mehrere Stunden waren vergangen, und Julius lebte. »Dann hat er es doch geschafft, oder?«, fragte Mama flehend den Arzt. Der wiegte den Kopf und antwortete: »Die kommende Nacht wird entscheiden.«

Mama sah ihn fassungslos an. »Ich dachte, die letzten Stunden?! Wann hört das denn auf?«

Der Arzt zuckte mit den Schultern. Wir rutschten alle ganz eng zusammen. Wir klammerten uns aneinander. Ich glaube,...
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Nina Weger, 1970 geboren, war nach dem Abitur zunächst eine Saison lang als Seiltänzerin beim Circus Belly beschäftigt, bevor sie eine Journalistenschule besuchte und als Redakteurin und Regieassistentin arbeitete. Heute lebt sie mit ihrem Mann und zwei Kindern als freie Autorin in Hannover und schreibt unter anderem Drehbücher für bekannte Fernsehserien. Nebenbei leitet sie mit einer Freundin ehrenamtlich den "Kinderzirkus Giovanni", der mit dem "Deutschen Kinderpreis" ausgezeichnet wurde.

Eva Schöffmann-Davidov, geboren 1973, studierte an der Fachhochschule Augsburg Gestaltung und Kommunikationsdesign. Seit ihrem Diplom 1998 arbeitet sie als freie Illustratorin für Kinder- und Jugendbuchverlage.