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Ich kann dich hören

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
168 Seiten
Deutsch
Verlag Klaus Wagenbacherschienen am31.01.2019
Ein schalldichter Raum. Draußen die Großstadt. Osman Engels übt Cello. Er spielt an gegen unsichtbare Hindernisse, die irgendwo in seiner Vergangenheit liegen und denen er auf dem Fußballfeld besser ausweichen kann. In seiner Welt ersetzt Musik schon lange die Worte. Er kann selbst nicht gut zuhören, nichts festhalten, ohne Kontaktlinsen auch schlecht sehen. Als er ein zufällig gefundenes Aufnahmegerät abhört, wird er zum Ohrenzeugen einer Beziehung, die auf ganz andere Art laut ist. Seine Mitbewohnerin Luise lernt derweil im Nebenzimmer für ihre Prüfung, manchmal rauchen sie gemeinsam am offenen Fenster, kochen Knoblauchnudeln, bringen Altglas zum Container. Sie verstehen sich, ohne sich richtig anzufassen, denn auch mit der Liebe fangen sie gerade erst an. Als sein türkischer Vater, ebenfalls Musiker, sich das Handgelenk bricht und Tante Elide, seine Ziehmutter, nach fast zwanzig Jahren in Deutschland plötzlich nach Paris gehen will, ist Osman gezwungen, ein paar Dinge aufzuräumen, ein paar Fragen zu stellen. Der Roman erzählt von einem jungen Mann, dem Augen und Ohren geöffnet werden, und von einer Frau, die in der Stille lebt. Es geht um Vater-, Mutter- und Gebärdensprache und um die berührende Kraft von Musik. Ungewöhnliche Themen, eindringliche Bilder. Ein großes Talent.

Katharina Mevissen ist 1991 geboren und bei Aachen aufgewachsen. An der Universität Bremen hat sie Kulturwissenschaft und transnationale Literaturwissenschaft studiert und in Berlin eine Drehbuch-Ausbildung absolviert. Bis 2017 war sie Heinrich-Böll-Studienstipendiatin. Für ihr Romanmanuskript erhielt sie das Bremer Autorenstipendium 2016. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Berlin, zudem leitet sie die von ihr mitgegründete gebärdensprachliche Literaturinitiative 'handverlesen'.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR11,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextEin schalldichter Raum. Draußen die Großstadt. Osman Engels übt Cello. Er spielt an gegen unsichtbare Hindernisse, die irgendwo in seiner Vergangenheit liegen und denen er auf dem Fußballfeld besser ausweichen kann. In seiner Welt ersetzt Musik schon lange die Worte. Er kann selbst nicht gut zuhören, nichts festhalten, ohne Kontaktlinsen auch schlecht sehen. Als er ein zufällig gefundenes Aufnahmegerät abhört, wird er zum Ohrenzeugen einer Beziehung, die auf ganz andere Art laut ist. Seine Mitbewohnerin Luise lernt derweil im Nebenzimmer für ihre Prüfung, manchmal rauchen sie gemeinsam am offenen Fenster, kochen Knoblauchnudeln, bringen Altglas zum Container. Sie verstehen sich, ohne sich richtig anzufassen, denn auch mit der Liebe fangen sie gerade erst an. Als sein türkischer Vater, ebenfalls Musiker, sich das Handgelenk bricht und Tante Elide, seine Ziehmutter, nach fast zwanzig Jahren in Deutschland plötzlich nach Paris gehen will, ist Osman gezwungen, ein paar Dinge aufzuräumen, ein paar Fragen zu stellen. Der Roman erzählt von einem jungen Mann, dem Augen und Ohren geöffnet werden, und von einer Frau, die in der Stille lebt. Es geht um Vater-, Mutter- und Gebärdensprache und um die berührende Kraft von Musik. Ungewöhnliche Themen, eindringliche Bilder. Ein großes Talent.

Katharina Mevissen ist 1991 geboren und bei Aachen aufgewachsen. An der Universität Bremen hat sie Kulturwissenschaft und transnationale Literaturwissenschaft studiert und in Berlin eine Drehbuch-Ausbildung absolviert. Bis 2017 war sie Heinrich-Böll-Studienstipendiatin. Für ihr Romanmanuskript erhielt sie das Bremer Autorenstipendium 2016. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Berlin, zudem leitet sie die von ihr mitgegründete gebärdensprachliche Literaturinitiative 'handverlesen'.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783803142450
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum31.01.2019
Seiten168 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse910 Kbytes
Artikel-Nr.4128772
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
2

Ich lehne im Rahmen der geschlossenen Flügeltür, und über die Hinterköpfe der Leute hinweg beobachte ich Yokos Gesicht, während sie eine Sonate von Chopin spielt. Ihr Gesicht ist still wie ein See, fast regungslos. Yoko sieht am Cello so aus, wie viele Menschen sich das wohl vorstellen. Romantisch, konzentriert. Geschlossene Augen, zwischendurch ein Seufzer. Im Gesicht Anmut, in den Fingern Präzision. Die Leute könnten glauben, das sei alles Leichtigkeit, oder doch wenigstens eine große Leidenschaft, ein leiser, schöner Schmerz. Sie würden nicht glauben, dass Musik ein Biest sein kann, das dich von innen drangsaliert und keinen Ton in dir übrig lässt.

Aber nicht alle sehen so mustergültig aus wie Yoko. Es gibt viele Musiker, die sich bewegen. Die mitgehen, die Stirn runzeln, die Lippen spitzen, mit den Füßen wippen, mit dem Kopf schütteln oder nicken. Und dann gibt es die mit den stark bewegten Gesichtern, stürmisch, fast wild, als kämpften, als tanzten sie mit der Musik, die prusten, wiegen, summen, schmelzen, treiben, träumen, alles. Igor spielt so, und ich könnte ihm stundenlang dabei zusehen. Es ist ein Unwetter. Aber sobald er den Bogen weglegt, wird er wieder der höfliche, etwas umständliche Typ.

Jetzt rauscht Applaus durch den Saal, und die Tür in meinem Rücken geht auf.

»Os, wir sind dran!«, mahnt Igor über meine Schulter, die Violine schon unter der Achsel.

Ich nehme mein Cello und folge den anderen auf die Bühne, nun sehe ich das Publikum des Benefizkonzertes von vorne. Mein Blick überfliegt die Gesichter, die da sind, um zuzuhören, und sich kein bisschen vor Musik fürchten, und bleibt hängen. Das kann doch nicht. Was wollen die Jungs denn hier?

Susanne baut sich mit geradem Rücken hinter ihrem Kontrabass auf, Igor hebt die Violine. Philipp rückt ans Klavier und schüttelt die Finger aus. Manu sitzt neben ihm, um die Noten umzublättern. Ich fixiere das Cello am Boden und richte mich auf. Ich bemerke, dass mein Hemd fies unter den Achseln zwickt.

Wir tauschen Blicke. Wir stimmen nach. Ein paar grunzende Geräusche aus den mittleren Reihen. Dann wird es still, alles spannt sich. Wie in den letzten Sekunden vorm Sprint, wenn man in die Hocke geht, das Körpergewicht leicht nach vorne verlagert. Philipp nickt kurz, und wir rennen los, fünfzig Meter Mendelssohn Bartholdy, flink und federnd. Der Bodenkontakt ist flüchtig, der Puls hämmert. Es kommt mir vor, als hinge ich hinterher, nur ein paar Millimeter, als bekäme ich die Töne mit minimaler Verspätung zu fassen. Wir fliegen durch das Stück bis zur ersten weißen Linie, dann werden wir langsamer, leichter, trippelnd, weiter auf Zehen- und Fingerspitzen, pizzicato. Hier kann man atmen. Erster Satz.

Ich habs gewusst. Die Jungs klatschen direkt nach dem ersten Satz los, die Einzigen im Saal. Sie machen sich nichts aus der wortlosen Missbilligung, die ihnen ihre wohltätigen Sitznachbarn zukommen lassen. Sie dämpfen ihr Gelächter kaum.

Wir machen weiter, zweiter Satz, dritter. Finale. Applaus. Wir verbeugen uns, und Maik, Streifke, Dino und Wilma halten die Daumen hoch und gestikulieren, als ständen wir aufm Platz und nicht im Tschaikowsky-Saal. Die älteren Damen neben ihnen, denen klassische Musik ein ebenso inniges Anliegen ist wie die Förderung humanistischer Bildung und die daher großzügig für dieses Benefizkonzert gespendet haben, sind verstört. Ich beeile mich, von der Bühne zu kommen.

Susanne drückt die Flügeltür hinter uns zu. Und trennt uns von dem Applaus, der jetzt das Duo begrüßt, das nach uns dran ist.

»Was waren das denn für Deppen!«, schnaubt sie.

»Sorry, Leute. Die gehören zu mir«, gestehe ich und beginne, die obersten Knöpfe des kneifenden Hemds zu öffnen.

»Du hast die eingeladen?!«

»Ne! Sie sind ganz von allein gekommen.«

»Deine Freunde?«

»Meine Fußballjungs.«

Jetzt grinst Susanne. »Dann haben wir ja Glück gehabt.«

»Ja?«

»Na, dass nicht die ganze Mannschaft gekommen ist.«

»Die anderen sind eigentlich ganz nett. Aber die hier haben wirklich schlechte Manieren.«

Ich kann nicht aufhören, an meinem Hemd herumzuziehen.

»Das ist dir zu klein«, kommentiert Susanne.

»Ich weiß. Ist von meinem Mitbewohner. Meins war so fleckig, das ging gar nicht.«

»Hast du nur ein Hemd?!«

»Ne, ich hab schon mehrere. Theoretisch. Aber auf die Schnelle ⦫

Susanne gluckst.

»Benehmt euch!«, zischt Manu. »Da drinnen geht s weiter.«

Als Susanne und ich nach dem Konzert ins Foyer kommen, hat Manu schon Sekt organisiert. Sie schiebt sich vorbei an Grüppchen aus wohlhabenden älteren Herrschaften und hält uns das Tablett hin. »Wo sind Igor und Philipp?«

»Wurden schon festgequatscht ⦫

Wir stoßen an. »Auf die Wohltätigkeit!«, rufe ich, wir kichern.

Jetzt kommt ein Ehepaar auf uns zu, sie bei ihm untergehakt. Sie strahlt mich an. »Wunderbare Musik! Und was für ein wunderbares Instrument, ich liebe Celli ⦫, schwärmt sie.

Ich lächle. »Ja, ich auch«, sage ich sanft, und Manu verkneift sich ein Lachen.

Die Dame linst ins Programmheft. »Sind Sie ⦠Osman ⦠Engels?«

»Der bin ich«, erwidere ich höflich und weiß genau, was als Nächstes kommt. Unsere Eltern haben mir und meinem Bruder den Gefallen getan, uns die Vornamen unserer beiden Großväter zu geben: Osman und Wilhelm. Bei älterem Publikum kommen sie meistens hervorragend an.

»Das ist aber ein interessanter Name. Darf ich fragen, woher â¦?« Ihr Blick wandert die Knopfleiste meines Hemds abwärts und kehrt wieder zurück.

»Aus dem Osmanischen Reich«, brummt ihr Gatte, der einen vollen weißen Oberlippenbart trägt.

»Genau. Aus dem Osmanischen Reich«, nicke ich ernst.

»Aber der Nachname â¦?«

»Stammt aus dem Ruhrgebiet und kann bis in die Zeit des deutschen Kaiserreiches zurückverfolgt werden.«

»Oh.« Sie nippt an ihrem Sekt. »Dann kommt Ihre Familie aus dem Osmanischen -«

»Aus der Türkei, Annette. Das Osmanische Reich bestand nur bis zum Jahre 1918. Übrigens genauso lange wie das Preußische Kaiserreich unter Kaiser Wilhelm II.«

»Ich komme aus dem Ruhrgebiet.«

»Ah, aber Ihre Vorfahren ⦫

Manu platzt dazwischen und fragt: »Woher kommen Ihre Vorfahren denn eigentlich?«

Die Dame guckt erschrocken. »Wie ⦠äh, meine â¦?«

»Oooosman Engels!«, grölt in diesem Moment eine Stimme, und ich entdecke Dino, der sich durch das Gedränge auf uns zuarbeitet.

»Entschuldigen Sie mich«, lächle ich und gehe zu Dino, der mir tüchtig den Rücken abklopft und mich umgehend zu den Jungs bugsiert. Auf dem Weg zum anderen Ende des Foyers fängt er noch einen Kellner ab, der eine große Platte voller winziger Schnittchen befördert.

»Momentchen, darf man da mal kurz ⦠was ist das denn Gutes?«, fragt Dino und beginnt sofort, die Platte abzuräumen. Bevor der Kellner detailliert Auskunft gegeben hat, hat Dino bereits an die zehn Häppchen auf seinem Handteller gestapelt.

»Dino!«, stöhne ich und ziehe an seinem Oberarm.

»Hört sich gut an. Probier ich mal.« Er nickt grinsend und hebt seine Schnittchenhand wie ein Tablett über seinen Kopf, als wir uns weiter vorwärts schieben.

Maik studiert die Broschüre des Reiche-Leute-Vereins, der sich der Bildungsförderung für benachteiligte Kinder in Hamburgs sozialen Brennpunkten verschrieben hat. Wilma und Streifke sitzen mit ihren Sektgläsern auf den Treppenstufen und drehen Zigaretten. Dino fängt an, sich ein Schnittchen nach dem anderen in den Mund zu werfen.

»Was wollt ihr denn hier?!«, zische ich, obwohl es mich insgeheim freut, dass die vier hier aufgekreuzt sind. Ein Grüppchen von Wohltätigen, die gerade mit ihren wenigen gewählten Häppchen auf Servietten an uns vorbeischweben, werfen Dino und mir enttäuschte Blicke zu.

»Wir interessieren uns für Musik und Bildung«, beginnt Wilma.

»Wir sind stolz auf dich, Engels!«, fährt Dino dazwischen und kommentiert mit vollem Mund: »Und schickes Hemd übrigens! Aber falsch geknöpft!«

Ich gucke an mir runter und stöhne auf.

»Dino, was snackst du da eigentlich, zeig mal her.« Wilma winkt Dino zu sich heran.

»Keine Ahnung, irgendwas Teures in ganz kleinen Stücken. Musste dir selber welche holen, die kann man nicht teilen. Weiß nicht, wie die hier satt werden wollen.« Dino vertilgt die letzten drei Schnittchen auf einmal.

»Willst du nicht mal ne ganze Platte für uns organisieren?«, schlägt Wilma vor.

Streifke hält mir sein Sektglas entgegen. »Schlimmes Zeug. Auf dich.«

Ich nehme mir die Kippe, die er auf seinem Knie abgelegt hat. »Gehn wir rauchen?!«

»Da kommt deine Kollegin, Engels.«

Susanne eilt auf hohen Absätzen zu uns herüber und baut sich vor uns auf. Wilma und Streifke mustern sie skeptisch, Dino nickt und wischt sich den Mund ab.

»Also ihr seid die unangenehmsten Gäste, die je zu einem Konzert der Hochschule ⦫

»Wo war ich stehengeblieben? Bildung und interkultureller Dialog sind uns sehr wichtig«, fährt Wilma fort. »Wir bemühen uns, die reichen Leute hier mit unseren milieuspezifischen Umgangsformen vertraut zu machen. Wir sorgen für Allgemeinbildung, könnte man sagen.«

Susanne gibt sich unbeeindruckt. Ihr Blick bleibt an meinen Hemdknöpfen hängen. »Os, dein Hemd ist falsch geknöpft«, bemerkt sie.

»Hab ich ihm auch schon gesagt.« Dino zwinkert ihr zu. »Cooles Instrument. Sehr groß.«

Susanne hebt eine Augenbraue und sieht ihn streng an, während sie ihr Glas leert. »Du hast da noch was«, sagt sie...
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Autor

Katharina Mevissen ist 1991 geboren und bei Aachen aufgewachsen. An der Universität Bremen hat sie Kulturwissenschaft und transnationale Literaturwissenschaft studiert und in Berlin eine Drehbuch-Ausbildung absolviert. Bis 2017 war sie Heinrich-Böll-Studienstipendiatin. Für ihr Romanmanuskript erhielt sie das Bremer Autorenstipendium 2016. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Berlin, zudem leitet sie die von ihr mitgegründete gebärdensprachliche Literaturinitiative "handverlesen".

Bei diesen Artikeln hat der Autor auch mitgewirkt