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Im Freien - Abenteuer vor der Tür

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
224 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am27.02.20191. Auflage
Von der revolutionären Kraft, draußen zu sein. »Ich beschließe, die Nacht genau hier, am Waldrand, zu verbringen. Mir ist nicht mehr kalt, ich habe die Augen geöffnet, sehe aber nirgendwohin. Ich sehne mich nicht mehr nach dem nächsten Tag, bereue nicht, dass ich den zurückliegenden am Rechner verbracht habe. Ich bin hier. Alle Anspannung ist abgefallen. Es ist der Moment, der süchtig macht.« Björn Kern ist nicht am Amazonas und nicht in eisigen Höhen unterwegs, sondern auf wenigen Metern über Normal Null, gleich vor der eigenen Haustür. Aber auch hier lauern existentielle Erfahrungen, wie sich zeigt, auch hier begegnen ihm Angst und Rausch und Begeisterung. Sinnlich und literarisch brillant offenbart er einen Ausweg für alle, die rauswollen, ohne aussteigen zu können. Für sie, die Sehnsüchtigen, ist diese magische Freiheitsfibel geschrieben. Doch beim Draußensein geht es nicht nur um das Freilegen weggeklickter Sinne. Das Draußensein hilft auch dabei, die Maßstäbe wieder zurechtzurücken. Neues iPhone? Flug auf die Antillen? Autofahrt zur Plastikfolie? Wirklich? Im Freien zeigt sich, dass das richtige Leben im falschen, mit etwas Glück, zu finden ist.

Björn Kern, 1978 geboren im Südschwarzwald, lebte über zehn Jahre in Berlin und ist nun mit seiner Familie ins Oderbruch gezogen. »Das Beste, was wir tun können, ist nichts« wurde zum Bestseller. Für seine Romane erhielt er u.a. den Brüder-Grimm-Preis und das Casa-Baldi-Stipendium der Villa Massimo sowie, für einen Auszug aus »Solikante Solo«, das Brandenburgische Literaturstipendium.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR13,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextVon der revolutionären Kraft, draußen zu sein. »Ich beschließe, die Nacht genau hier, am Waldrand, zu verbringen. Mir ist nicht mehr kalt, ich habe die Augen geöffnet, sehe aber nirgendwohin. Ich sehne mich nicht mehr nach dem nächsten Tag, bereue nicht, dass ich den zurückliegenden am Rechner verbracht habe. Ich bin hier. Alle Anspannung ist abgefallen. Es ist der Moment, der süchtig macht.« Björn Kern ist nicht am Amazonas und nicht in eisigen Höhen unterwegs, sondern auf wenigen Metern über Normal Null, gleich vor der eigenen Haustür. Aber auch hier lauern existentielle Erfahrungen, wie sich zeigt, auch hier begegnen ihm Angst und Rausch und Begeisterung. Sinnlich und literarisch brillant offenbart er einen Ausweg für alle, die rauswollen, ohne aussteigen zu können. Für sie, die Sehnsüchtigen, ist diese magische Freiheitsfibel geschrieben. Doch beim Draußensein geht es nicht nur um das Freilegen weggeklickter Sinne. Das Draußensein hilft auch dabei, die Maßstäbe wieder zurechtzurücken. Neues iPhone? Flug auf die Antillen? Autofahrt zur Plastikfolie? Wirklich? Im Freien zeigt sich, dass das richtige Leben im falschen, mit etwas Glück, zu finden ist.

Björn Kern, 1978 geboren im Südschwarzwald, lebte über zehn Jahre in Berlin und ist nun mit seiner Familie ins Oderbruch gezogen. »Das Beste, was wir tun können, ist nichts« wurde zum Bestseller. Für seine Romane erhielt er u.a. den Brüder-Grimm-Preis und das Casa-Baldi-Stipendium der Villa Massimo sowie, für einen Auszug aus »Solikante Solo«, das Brandenburgische Literaturstipendium.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783104906430
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum27.02.2019
Auflage1. Auflage
Seiten224 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1281 Kbytes
Artikel-Nr.4168922
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1. Kapitel
Nachts, im Wald

Ich erwache von einem scheußlichen Bellen. Gefolgt von Hufgetrappel, das von den Baumstämmen widerhallt. Der Waldboden erzittert. Ich hebe den Kopf, traue mich nicht aufzustehen. Mein Puls rast. Das Feuer ist ausgebrannt, die Lichtung liegt schwarz in der Nacht. Mir ist kalt in dem dünnen Schlafsack, er riecht nach Rauch. Ich bin allein, mitten im Wald. Umgeben von einem Rudel Wildtiere.

Wildschweine?

Wölfe?

Dann wieder das Bellen, hart und aggressiv, keine zwanzig Meter neben mir im Dunkeln. Panik kommt auf. Ich suche das Messer, das Handy, will nur noch eines: raus aus dem Wald.

Doch zu spät.

 

Zwölf Stunden zuvor.

Ich sitze am Computer. Seit einer Ewigkeit schon. Meine Arbeit und ich finden nicht recht zueinander. Sie gibt sich kapriziös, meine Arbeit, entwindet sich immer aufs Neue. Ich schreibe Sätze und lösche sie wieder. Und wenn ich sie gelöscht habe, tippe ich sie wieder hin. Und so nimmt das Unheil seinen Lauf. Ich öffne Mozilla Firefox. Sehe ein Video an, auf dem ein Zweijähriger Skateboard fährt. Er trägt noch Windeln. Ich schiele auf die Nachrichtenportale: Trump. Roter Knopf. Weltfrieden. Taylor Swift gewinnt gegen ihren Stalker. Amerikanische Forscher züchten ein Ohr auf einem Unterarm. Ein Gorilla lernt kiffen. Währenddessen vollführe ich Verrenkungen, bei denen ich lieber nicht beobachtet werden möchte. Schulterrollen. Nackenkreisen. Hartnäckig öffne ich wieder und wieder den Artikel, an dem ich gerade arbeite, nur um ihn mit zunehmender Verzweiflung wieder zu schließen.

Am späten Nachmittag, nach einem Arbeitstag ohne körperliche Bewegung, stehe ich auf und trete ans Fenster. Draußen spiegelt sich die Sonne in der Dachluke des Schuppens. Drinnen surrt die Lüftung des Computers. Draußen verfärben sich die Wolken violett. Drinnen schimmert die Welt im Windows-Grau. Wildgänse ziehen über den Hof, verschwinden hinter einem Wolkenband. Ich öffne das Fenster. Die Luft, die hereinströmt, ist schon etwas warm.

Und da ist es wieder, das Nahweh. Es fühlt sich windstill an, riecht ein wenig nach Holzrauch. Es klingt nach den Zugachsen, die am Dorfende über die Gleise rattern.

Es bringt mich sofort um den Verstand.

Ich drücke auf Escape.

Schalte den Computer aus, schnüre mir die Stiefel. Ich muss da raus. Nichts zu machen. Dass es März ist und nachts noch frieren kann, scheint ein wenig hinderlich, aber das Nahweh ist einfach zu stark. Der Drang, draußen zu sein. Für ein paar Stunden alles hinter mir zu lassen. Luft zu atmen. Frei zu sein. Und so verlasse ich erst den Hof, dann das Dorf und folge der Bahnlinie, in Richtung der Alten Oder, in der das letzte Eis endlich geschmolzen ist, nehme von dort die Eichenallee und dann den Feldweg zum Wald. Auf meinen Schultern: ein Rucksack mit Taschenlampe, Handy, Gaskocher, Kaffeepulver, Blechgeschirr, Taschenmesser, etwas Wodka, einem Paar Thüringer, Brot, einer Isomatte und einem Schlafsack.

Ich werde die Nacht im Wald verbringen. Allein. So lautet der Plan. Meine erste Nacht im Wald überhaupt. Es ist ein Plan, von dem ich bis vor kurzem selbst noch nichts wusste. Ich kenne das schon. Erst die Stunden am Rechner. Dann ein Nahwehanfall. Und schließlich der totale Übersprung. Ziel ist der morsche Unterstand auf der Lichtung, die eine halbe Stunde im Waldinneren liegt.

Updates werden konfiguriert? Schalten Sie den Computer nicht aus?

73 % Fortschritt?

Soll Word die zuletzt gespeicherte Version wiederherstellen?

Tut mir leid. Ich mach nicht mehr mit.

 

Die Märzsonne steht tief über dem Acker, mein Schatten wandert neben mir über die Furchen und Schollen. Der Feldweg zum Wald ist verharscht, unter meinen Sohlen knirscht Reif. Ich drehe mich noch einmal um. Vom Dorf ist nichts mehr zu sehen. Erleichtert gehe ich weiter. In der Ferne brummt ein Mofa, vom Acker stieben Saatkrähen auf. Endlich erreiche ich den Waldrand, ein Band aus hochaufgeschossenen märkischen Kiefern. Sie stehen im Abendlicht wie auf der Bühne.

Ich betrete den Wald, und mit dem Wald eine andere Welt. Der Weg wird sandiger, weicher. Angenehmer zu gehen. Mein Blick, eben noch die Weite des Ackers gewöhnt, stellt sich auf Nähe ein. Die Kiefernstämme. Die gleichmäßigen Abstände dazwischen. Die Brombeerranken am Wegrand, blattlos und kahl. Das Licht schwindet mit jedem Meter, den ich in den Wald hineingehe. Nur einige überfrorene Farne leuchten weiß auf.

Es riecht nach nassem Sand und Kiefernharz, die Luft ist feucht, es wird Nebel geben. Beim nächsten Schritt knackt es, ein Kiefernzapfen schnellt unter meinem Schuh hervor, stößt gegen ein Büschel Farne. Reif rieselt herab. Ich ziehe den Handschuh aus und nehme eines der breitgefiederten Blätter zwischen die Finger. Der Reif schmilzt in meiner Hand, rinnt mir kalt von den Fingern. Ich muss lächeln. Geschafft. Endlich draußen.

Ich gehe. Ich atme.

Und strecke mich durch.

Mein Nacken ist noch immer verspannt, doch der Schmerz ist bereits gedämpft. Meine Schritte federn auf dem Waldboden. Vor mir liegt ein herabgesprengtes Stück Eichenrinde, ich hebe es auf. Es erinnert mich an das gegerbte Gesicht meines Großvaters. Je tiefer ich vordringe, umso dichter wird das Dornengestrüpp entlang des Weges. Der Wald rückt näher, legt sich um mich wie eine zweite Haut. Von oben fällt letztes Licht durch die Kronen der Kiefern, doch hier unten, auf dem Reisigboden, hüllt sich der Wald immer mehr in die Dämmerung ein. Die Brombeerranken werden zu drahtigen Gestalten, die Kiefern zu nunmehr grauen Säulen, ohne Rinde, ohne Struktur.

 

Es ist März, hatte meine Freundin gesagt, als ich eilig den Rucksack packte, nachts überfriere es noch. Aber im Grunde wusste sie, dass es keinen Sinn hatte zu protestieren. Akutes Nahweh ist stärker als ihre Bedenken. Und überaus hartnäckig. Es überfällt einen vor der Arbeit. Nach der Arbeit. Am Wochenende. In der Mittagspause. Nachts. Das Nahweh bahnt sich immer einen Weg. Zu stark ist der Drang, unverzüglich im Freien zu sein. Es zu unterdrücken macht alles nur schlimmer. Führt zu Ersatzhandlungen. Zu Ersatzbefriedigungen, die weit gefährlicher sind. Zu Alkohol und Popcorn, zu Nikotin und Chips.

Da es ohnehin stärker ist, das Nahweh, gibt es nur eine Möglichkeit, ihm zu begegnen: es zulassen, feiern, willkommen heißen. Als Gruß aus einer Zeit, zu der die Kerls noch auf den Bäumen lebten, wie es bei Erich Kästner heißt. Als kleine Mahnung gar, wer wir sind. Um dem Nahweh zu begegnen, muss man nicht ins Reisebüro und ins Internet. Man muss kein Auto in Bewegung setzen und keine Grenze queren. Man muss nur vom Schreibtisch aufstehen, die Haustür aufstoßen und nach draußen gehen.

Nahweh ist dabei äußerst unkompliziert. Es schert sich nicht um die Werbebilder der Outdoor-Industrie. Nahweh kommt ohne Patagonien aus und ohne Rocky Mountains. Es führt nicht zu Schöffel und nicht zu Globetrotter. Es lässt einen keine Zweitausend-Euro-Ausrüstung erstehen, die nach dem Erlebnisurlaub in Schweden im Keller verstaubt. Nahweh ist bescheiden und geht doch aufs Ganze. Es löst die Erstarrung. Es erlöst uns vom Dasein als Hampelmann. Es ist die Sehnsucht, mit der Welt da draußen wieder verbunden zu sein. Wer nicht mehr vierzehn ist und diese Sehnsucht noch immer kennt, wird gern belächelt. Erst von den Eltern, dann vom Partner, irgendwann von den eigenen Kindern: Werd erwachsen. Zahl deine Miete. Geh wählen. Komm endlich an.

Nicht ganz für voll genommen zu werden, das ist indes eine gute Startvoraussetzung. Um draußen zu sein, braucht man ein solides Grundmaß an Unreife. Pubertäre Anwandlungen haben sich durchaus bewährt. Zarte Ansätze von Verantwortungslosigkeit. Man benötigt keine Geistesschärfe, um draußen zu sein, keine politische Haltung und keine Religion. Man darf dieses Glück ohne Recherche erfahren und ohne Rücktrittsversicherung, ohne Ausbildung und hart erworbene Kompetenzen. Im Gegenteil: Von Vorkenntnissen aller Art ist möglichst abzusehen. Sie bergen nur die Gefahr, draußen weniger überrascht zu sein, weniger zu erleben.

 

Im Wald biege ich auf den Trittpfad ab, der zur Lichtung führt. Hoffentlich steht der Unterstand noch, ich war lange nicht dort. Inzwischen sehe ich nur noch wenige Meter vor mir ins Halbdunkel, Laub und Reisig liegen schwarz im Unterholz, die knorrigen Strünke aus dem Boden gerissener Wurzelballen sind unnahbare Schatten. Ich hätte früher aufbrechen sollen. Von einem Tümpel, starr unter einer Haut aus alten Blättern, steigt Nebel auf.

Der Trittpfad nähert sich dem Tümpel, wird schmaler, im letzten Moment ducke ich mich unter einem schiefen Birkenreißer hindurch.

Auf einmal spüre ich etwas vor mir.

Ich nehme die Kapuze vom Parka, um meine Sinne nicht abzuschneiden. Ich lausche. Ich starre. Nichts. Außer dem Zwielicht. Außer den Schemen der Kiefern. Dann glaube ich, ein Scharren zu hören. Wenn ich stehen bleibe, verstummt es. Wenn ich weitergehe, setzt es wieder ein.

Was ist das?

Und da ist er wieder, der Moment. Der Moment, den ich nur vom Draußensein kenne. Ich spüre das Adrenalin, die totale Wachheit, eine ungekannte Energie. Ich fühle mich aufgeputscht, in einem Zustand rigider Klarheit. Es ist die absolute Präsenz.

Wieder das Scharren.

Ich atme den klaren Nebel, den Geruch nach Harz und nach Nadeln, doch mein Atem geht zu gepresst, um die Luft bis tief in die Lungen zu saugen.

Sobald ich weitergehe, verwandelt sich das Scharren in ein Schnaufen. Als grabe jemand, als strenge das Graben jemanden ganz schön an.

Ich gehe vorsichtig...
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Björn Kern, 1978 geboren im Südschwarzwald, lebte über zehn Jahre in Berlin und ist nun mit seiner Familie ins Oderbruch gezogen. »Das Beste, was wir tun können, ist nichts« wurde zum Bestseller. Für seine Romane erhielt er u.a. den Brüder-Grimm-Preis und das Casa-Baldi-Stipendium der Villa Massimo sowie, für einen Auszug aus »Solikante Solo«, das Brandenburgische Literaturstipendium.