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Düsternbrook

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Piper Verlag GmbHerschienen am02.05.20191
Das Kieler Villenviertel Düsternbrook ist die ganze Welt. Hier wächst Axel behütet auf und fühlt sich doch oft fremd. Wie er versucht, sich zurechtzufinden und die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen, erzählt Axel Milberg mit Empathie, Humor und einem verträumten Ton. Als die populäre Theorie vom Wirken Außerirdischer die Stadt erreicht, scheint sie für Axel viele Merkwürdigkeiten zu erklären. Mit dem rätselhaften Verschwinden einiger Jungen wird die Heimat vollends unheimlich und der Wunsch auszubrechen übermächtig. Ein spannender Familien-, Adoleszenz- und Heimatroman, der die bürgerliche Welt als schützend und bedroht, liebevoll und düster darstellt.

Axel Milberg, geboren in Kiel, wuchs dort in Düsternbrook auf. Nach dem Abitur an der Gelehrtenschule begann er ein Literaturstudium in Kiel, zog aber bald nach München, wo er von 1979 bis 1981 an der Otto Falckenberg Schule das Schauspielstudium absolvierte. Von Dieter Dorn wurde er direkt an die Münchner Kammerspiele engagiert und spielte die nächsten fünfzehn Jahre fast ausschließlich Theater. Mit den Kinofilmen »Nach Fünf im Urwald«, »Hannah Arendt« und »Rossini« und den Fernsehmehrteilern »Jahrestage« und »Es geschah am helllichten Tage« wurde er einem Millionenpublikum bekannt und ist als Klaus Borowski einer der beliebtesten Tatort-Kommissare. Mit seiner Frau Judith, einer Kunsthistorikerin und Malerin, und ihrem gemeinsamen Sohn lebt er in München. Aus früheren Beziehungen haben sie drei erwachsene Söhne.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextDas Kieler Villenviertel Düsternbrook ist die ganze Welt. Hier wächst Axel behütet auf und fühlt sich doch oft fremd. Wie er versucht, sich zurechtzufinden und die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen, erzählt Axel Milberg mit Empathie, Humor und einem verträumten Ton. Als die populäre Theorie vom Wirken Außerirdischer die Stadt erreicht, scheint sie für Axel viele Merkwürdigkeiten zu erklären. Mit dem rätselhaften Verschwinden einiger Jungen wird die Heimat vollends unheimlich und der Wunsch auszubrechen übermächtig. Ein spannender Familien-, Adoleszenz- und Heimatroman, der die bürgerliche Welt als schützend und bedroht, liebevoll und düster darstellt.

Axel Milberg, geboren in Kiel, wuchs dort in Düsternbrook auf. Nach dem Abitur an der Gelehrtenschule begann er ein Literaturstudium in Kiel, zog aber bald nach München, wo er von 1979 bis 1981 an der Otto Falckenberg Schule das Schauspielstudium absolvierte. Von Dieter Dorn wurde er direkt an die Münchner Kammerspiele engagiert und spielte die nächsten fünfzehn Jahre fast ausschließlich Theater. Mit den Kinofilmen »Nach Fünf im Urwald«, »Hannah Arendt« und »Rossini« und den Fernsehmehrteilern »Jahrestage« und »Es geschah am helllichten Tage« wurde er einem Millionenpublikum bekannt und ist als Klaus Borowski einer der beliebtesten Tatort-Kommissare. Mit seiner Frau Judith, einer Kunsthistorikerin und Malerin, und ihrem gemeinsamen Sohn lebt er in München. Aus früheren Beziehungen haben sie drei erwachsene Söhne.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783492993333
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum02.05.2019
Auflage1
SpracheDeutsch
Dateigrösse2929 Kbytes
Artikel-Nr.4170777
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
3

Hörstörz auf Römö

»Vorsicht bei Abfahrt des Zuges von Gleis 6a. Zurückbleiben!« Die Stimme schepperte in den alten Lautsprechern, während im Kieler Hauptbahnhof der Zug nach Flensburg abfuhr. Der Himmel war grau, Nieselregen setzte ein, Räder rollten, Möwen kreischten.

Mir fielen die Augen zu. Die Möwen, sie sind noch ..., warum streiten Möwen eigentlich immer, immer streiten sie ... es ist doch genug da für alle ...

Schon war ich eingeschlafen.

Da wird es hell, ich sehe leuchtend blauen Himmel, eingerahmt vom Dach meines Kinderwagens, an den oberen Ecken leicht abgerundet, ich liege in einem Weidenkorbgeflecht auf Rädern, und an den Rändern ist dieses mit gestärktem Leinenstoff eingefasst. So sind die Kanten gepolstert, und niemand kann sich stechen.

Es schieben sich langsam kleine weiße Wolken vor das Blau, von einer Seite zur anderen wandern sie, verändern dabei ihre Form, oh, ein Ball, nein, ein Ballon, ein Fischvogel, oh, und verschwinden dann. Grillen zirpen. Oliven, Lorbeer. Es riecht nach Zitronensaft und Teer. Langsam taucht ganz nah das Gesicht meiner schönen Mutter auf, sie macht schlangenartige Bewegungen. Ihre Arme umkreisen ihren Kopf, sie singt in einer fremden Sprache, sie tanzt für mich. Sie hat ein weißes Kleid an, und mit einem Tuch wirbelt sie herum, sie bewegt sich im Rhythmus dunkler, auf Kuhhörnern gespielter Klänge.

Ich kiekse vor Glück, da dreht sie sich noch schneller, lachend wirft sie den Kopf in den Nacken. Ich kann die Augen nicht abwenden, will hochgenommen werden, nimm mich, mir wird schwindlig. Meine Händchen patschen aufeinander. Jetzt schüttelt sie übermütig den Wagen. Nein, hör auf, das ist zu viel.

Mama ist eine strenge Königin, sie regiert, sie liebt und fordert.

Mein Weidenkorb wackelt.

Tuuuuut, schttt.

»Sieh mal da rüber.« Papa rüttelte an mir.

»Papa?« Ich öffnete die Augen.

»Das ist eine Dänin.«

Mein Vater beugte sich zu mir hinunter und flüsterte mir ins Ohr. Meine Augen blieben halb geschlossen, während ich eine Dame musterte, die uns im Zugabteil schräg gegenübersaß. Sie hatte ein elegantes Kleid an, seltsam, das sah ich sofort, ein kompliziertes Kleid, schwarz, aber es war sicher schwer zuzukriegen. Wäre ich schon vierzehn oder sechzehn oder älter gewesen, hätte ich gedacht, dieses Kleid wäre schwer aufzukriegen. Außerdem war die Dame gegenüber richtig alt, vielleicht fünfunddreißig, mindestens aber sechzig, schätzte ich.

»Warum ist sie eine Dänin?«, flüsterte ich zurück, wohl etwas zu laut, denn mein Vater beugte sich wieder zu mir. Diese Nähe gefiel mir, vielleicht hatte ich nur deswegen gefragt.

Er erklärte: »Däninnen rauchen Zigarren, sie rauchen gerne, ja, Zigarren und Zigarillos.«

Unser Zug fuhr bis auf die Insel Rømø in Dänemark. Im Norden von Sylt.

Mama war überarbeitet. Papa hatte seine acht Stunden im Büro und mittags eine Stunde geschlossen, aber Mama hatte nie geschlossen.

Sie halste sich auch zu viel auf. Ich hatte mitbekommen, dass sie die Putzfrau nicht mehr haben wollte. Am Abend hatte sie sich bei meinem Vater über sie beschwert. Und gab ein Gespräch wieder: »Frau Milberg, jetzt sagen Sie mal, soll ich den Staub von links nach rechts oder von rechts nach links wischen?« Nein. Meine Mutter wollte das Geld lieber für was anderes ausgeben. Unsere Kinderkleidung nähte sie, versorgte den Garten, kochte, kaufte ein. Hängte die Wäsche zum Trocknen auf, mangelte die Wäsche und sagte, tja, die Frau Schmeller geht zweimal die Woche zum Friseur, das spare ich lieber für einen Museumsbesuch oder einen Abend in der Oper.

 

Unser Hotel stand auf dem Strand. Bei Ebbe wich das Meer Kilometer zurück, verschwand am Horizont, und manche fuhren mit dem Auto bis auf das knallfeste Watt vor. Den ganzen Strandkram ausladen.

Unser großes Hotel war warm eingepackt in grauem Holz und hatte zur Meerseite einen einstöckigen Vorbau.

Kamen wir vom Strand zurück, sah ich durch die Fenster in den Frühstücksraum, wo wir am Morgen saßen und von unseren Tischen auf das Watt blickten, sah die Strandsegler, kleine Leute konnte ich am Horizont entdecken, das Meer war ein dünner Trennstrich zwischen Himmel und Schlick, wir hörten gedämpftes Rufen nach welchen, die wir nicht sehen konnten, weil sie noch am Haus rumlungerten und ungern den Windschatten verließen, den Wind scheuten, der sonst in den Ohren dröhnte.

Kam man aber von draußen zurück, in diesen Wintergarten hinein, drückte man mit beiden Armen die Holztüre auf und von innen wieder mit beiden Händen zu, damit sie einem nicht aus den Händen gerissen wurde. Staunend vertraute sich der Gast der Stille im Inneren an.

Morgens stand an der Wand des Frühstücksraums ein Morgenmads buffet, ein endloses Angebot. Ich sah Fisch und Fisch. Hering vor allem, in Sahne, mit und ohne Zwiebeln, mit Äpfeln, gebraten, in süß-sauer eingelegt, Krabben, oh Krabben, Mayonnaise, Zitronenscheiben, Kapern, gehackte Zwiebeln, Sahne in Kannen, Rollmöpse durchbohrt mit einem Holzstöckchen, geräucherte Schillerlocken, hart gekochte Eier, schon geschält, es war das Paradies, und man durfte so oft mit dem Teller hin, wie man lustig war.

Die ersten Male gingen wir zögernd zum Buffet, erwarteten, dass uns jemand ansprach, aufhielt, zurechtwies. Aber niemand erhob Einwände.

Doch mit jedem Tage unseres Aufenthaltes ließ unser Hunger nach. Bald kannten wir alle Varianten von Köstlichkeiten, die raren und teuren, die ungenießbaren, und irgendwann gab es nichts, was wir Kinder nicht mal probiert hatten. So bildeten sich Vorlieben und Wiederholungen, gegen Ende war Knäckebrot mit gesalzener Butter mein absoluter Favorit.

Hier waren wir für zwei Wochen mit Mama und meinen Geschwistern.

Beim ersten Mal waren wir alle mit dem Zug auf die Insel gefahren. Dann fuhr Papa mit dem Zug zurück und holte unser Auto aus der Werkstatt. Als er nun wieder da war und wir zum Strand wollten, parkte er die Isabella Borgward natürlich auch auf dem Watt, ein graues geschwungenes Auto mit einer Silberleiste, und meine Geschwister nahmen mich in die Mitte, damit ich nicht weggepustet wurde, oder Mama hielt mich an ihrer Hand, aber auch Papa streckte den Arm aus, über den er seinen schweren Bademantel gelegt hatte, und ich hielt beide fest.

»Wisst ihr, was Pinsebrade ist?« Meine Mutter unterbrach ihn sofort: »Ja, Klaus, du hast jetzt so oft gefragt. Pinsel ist der Dings, äh, also beim Hirsch sein, na ja, der Däne nennt Pfingsten Pinse, es ist also ein Pfingstbraten und nicht vom Rothirsch sein bestes Stück.«

Mama war immer verärgert, wenn jemand von dem Schnippedillerich sprach, also dem Piephahn, sie hatte auch im Medizinstudium bei den anatomischen Prüfungen absichtlich falsch geantwortet, als es zu den Geschlechtsteilen Fragen gab, obwohl sie die Antworten wusste.

 

Dann war Papa wieder zurück nach Kiel gefahren. Nicht mit dem Zug, diesmal hatte er das Auto genommen.

»Kannst du deine Frau nicht leiden, geh zu Milberg, lass dich scheiden.« Diese Reklame hing in den Kieler Straßenbahnen, schmal und lang über den Seitenfenstern, man konnte sie sehen, wenn man nach den Halteschlaufen griff, um in den wenigen Kurven, die Kiel hatte, einen sicheren Stand zu haben.

Der Satz ermutigte manch unzufriedenen Ehemann, dem Angebot eines Kieler Anwalts zu folgen.

Es waren natürlich nicht nur Männer, die mein Vater vertrat, auch Frauen suchten seinen Rat.

Nicht nur bei Scheidungen, keineswegs, auch im Strafrecht war mein Vater als Anwalt gefragt und stand als Verteidiger in seiner schwarzen Robe vor Gericht.

»Ich vertrete gerade einen jungen Vater wegen Totschlags.« »Was hat der denn gemacht, Papa?« »Der hat sein Kind an die Wand geschmissen.« Ich war Papas Kind und dachte, es ist nicht richtig, dass er dem hilft.

»Sooo, dein Vater ist also Rechtsanwalt?«, hatte eines Tages der Lehrer meines Bruders heimtückisch wiederholt: »Soso - und was macht er da den ganzen Tag?« Hans hatte natürlich keinen Schimmer und musste, so wie ihn die ganze Klasse anstarrte, irgendwas sagen. Er dachte lange nach und erinnerte sich schließlich, wie wir alle Papa mit dem Gewehr nach Hause kommen sahen, meist mit einem tropfenden Rucksack, und draußen war es gerade dunkel geworden. Er roch dann nach Zigaretten und Wald. Ja, jetzt war es Hans klar: »Papa geht auf die Pirsch und steht dann rechts an Wald!«

Wir hatten uns den ganzen Tag auf Rømø vor dem Wind versteckt. Mama war besonders empfindlich und schimpfte mit uns, wenn die Kopftücher verrutschten.

Jetzt lag sie im Hotelzimmer auf der einen Seite des Doppelbetts. Wir drei Kinder standen am Fußende und betrachteten sie. Es war still im Zimmer. Ein dänischer Arzt beugte sich über sie. Schnüre hingen aus seinen Ohren, die mattgrau glänzten, auch ein silbernes Metallteil war am anderen Ende, so ähnlich wie bei Papas Isabella Borgward.

Aber der Wagen war nicht da und er auch nicht. Nur wir drei. Und diese liegende Frau, die in ihrer Hinfälligkeit nur wenig an meine Mutter erinnerte.

Das Fußende des Bettes war ein ovales weißes Holz, auf dem Bettkasten aufgesetzt, und bildete einen Schutz, für die Mutter vor ihren Kindern und für uns Kinder vor ihrer Mutter. Stirbt sie etwa? Wir alle hatten große Angst. Das geht ja gar nicht, so plötzlich, sie trug doch auch immer Mütze im Sturm.

Der Arzt nahm die Schläuche aus seinen Ohrlöchern und drehte sich langsam zu uns um. Er schaute besorgt, seine Stirn lag in Falten. Er war hübsch anzusehen. Ihn hatte das lange Vorbeugen hinunter zur Kranken mächtig angestrengt.

»Pludsligt Høretab, ähemm, also, hört ihr jetzt mal, eure Mutter ... Ja, sie ist sehr...
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Axel Milberg, geboren in Kiel, wuchs dort in Düsternbrook auf. Nach dem Abitur an der Gelehrtenschule begann er ein Literaturstudium in Kiel, zog aber bald nach München, wo er von 1979 bis 1981 an der Otto Falckenberg Schule das Schauspielstudium absolvierte. Von Dieter Dorn wurde er direkt an die Münchner Kammerspiele engagiert und spielte die nächsten fünfzehn Jahre fast ausschließlich Theater. Mit den Kinofilmen "Nach Fünf im Urwald", "Hannah Arendt" und "Rossini" und den Fernsehmehrteilern "Jahrestage" und "Es geschah am helllichten Tage" wurde er einem Millionenpublikum bekannt und ist als Klaus Borowski einer der beliebtesten Tatort-Kommissare.Mit seiner Frau Judith, einer Kunsthistorikerin und Malerin, und ihrem gemeinsamen Sohn lebt er in München. Aus früheren Beziehungen haben sie drei erwachsene Söhne.