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Hier noch wer zu retten?

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
272 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am11.03.2019
Wann ist ein Mensch ein Mensch, und was hat das damit zu tun, ob es ein Mann oder eine Frau ist? Ist Helfen männlich? Weiblich? Menschlich? Ist es am Ende nur ein Schrei nach Liebe?
Buschheuer: »Ich hab auch nie zu einem Partner gesagt: Jetzt streng dich mal bisschen an. Rubbel hier. Rubbel da. Es war immer toll für mich, weil ich ja verliebt war. In Liebesdingen bin ich unverführbar. Es sei denn, jemand kommt und sagt: Ich glaub, ich bin impotent.«
Therapeutin: »Aha, weil du dann denkst, du kannst ihm helfen.«
»Tapfer wie ein Samurai und dazu auch noch komisch zieht Else Buschheuer in die Schlacht um die eigene Seele und rettet so ganz nebenbei die des Lesers.« Doris Dörrie
Sie ist radikal in der Selbsterforschung. Ihre Triebfeder ist unbedingte Ehrlichkeit sich selbst und anderen gegenüber. Wie Kolumbus sucht sie neue Kontinente, geht an die Grenzen der menschlichen Existenz, dorthin, wo es weh tut und sie sich selber spürt: bei den Sterbenden, den Alten, den Dementen, bei Geflüchteten, Gestrandeten, Obdachlosen. Was aber ist ihr Impetus? Fürsorge? Sehnsucht? Kontrollwut? Ist sie einfach nur bekloppt? Muss sie sich vielleicht mal lockermachen?
Mit Selbstironie, Verve und Leidenschaft erzählt Else Buschheuer von einer Reise nach außen, in die Grenzbereiche des Lebens und unserer Gesellschaft, und von einer Reise nach innen, an die Wurzeln von »So-Sein« und Identität. Eine rigorose Selbstsezierung, schonungslos offen, geistreich und pointiert, eine persönliche Bestandsaufnahme, die unvermutet zur Diagnose unserer gesellschaftlichen Verhältnisse wird - und zu der existentiellen Frage: Was ist ein Mensch?

Else Buschheuer wurde 1965 in Eilenburg bei Leipzig geboren; sie war Reporterin, TV-Moderatorin, Kolumnistin und eine von Deutschlands ersten Bloggerinnen. Von 2001-2005 lebte sie in New York City; vielbeachtet waren ihre Berichte über die Anschläge vom 11. September. Heute lebt sie als Schriftstellerin in Berlin. Bisher erschienen: »Ruf! Mich! An!«, »Masserberg«, »Venus«, »Der Koffer«, »Verrückt bleiben!« und »Zungenküsse mit Hyänen«.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR20,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR15,99

Produkt

KlappentextWann ist ein Mensch ein Mensch, und was hat das damit zu tun, ob es ein Mann oder eine Frau ist? Ist Helfen männlich? Weiblich? Menschlich? Ist es am Ende nur ein Schrei nach Liebe?
Buschheuer: »Ich hab auch nie zu einem Partner gesagt: Jetzt streng dich mal bisschen an. Rubbel hier. Rubbel da. Es war immer toll für mich, weil ich ja verliebt war. In Liebesdingen bin ich unverführbar. Es sei denn, jemand kommt und sagt: Ich glaub, ich bin impotent.«
Therapeutin: »Aha, weil du dann denkst, du kannst ihm helfen.«
»Tapfer wie ein Samurai und dazu auch noch komisch zieht Else Buschheuer in die Schlacht um die eigene Seele und rettet so ganz nebenbei die des Lesers.« Doris Dörrie
Sie ist radikal in der Selbsterforschung. Ihre Triebfeder ist unbedingte Ehrlichkeit sich selbst und anderen gegenüber. Wie Kolumbus sucht sie neue Kontinente, geht an die Grenzen der menschlichen Existenz, dorthin, wo es weh tut und sie sich selber spürt: bei den Sterbenden, den Alten, den Dementen, bei Geflüchteten, Gestrandeten, Obdachlosen. Was aber ist ihr Impetus? Fürsorge? Sehnsucht? Kontrollwut? Ist sie einfach nur bekloppt? Muss sie sich vielleicht mal lockermachen?
Mit Selbstironie, Verve und Leidenschaft erzählt Else Buschheuer von einer Reise nach außen, in die Grenzbereiche des Lebens und unserer Gesellschaft, und von einer Reise nach innen, an die Wurzeln von »So-Sein« und Identität. Eine rigorose Selbstsezierung, schonungslos offen, geistreich und pointiert, eine persönliche Bestandsaufnahme, die unvermutet zur Diagnose unserer gesellschaftlichen Verhältnisse wird - und zu der existentiellen Frage: Was ist ein Mensch?

Else Buschheuer wurde 1965 in Eilenburg bei Leipzig geboren; sie war Reporterin, TV-Moderatorin, Kolumnistin und eine von Deutschlands ersten Bloggerinnen. Von 2001-2005 lebte sie in New York City; vielbeachtet waren ihre Berichte über die Anschläge vom 11. September. Heute lebt sie als Schriftstellerin in Berlin. Bisher erschienen: »Ruf! Mich! An!«, »Masserberg«, »Venus«, »Der Koffer«, »Verrückt bleiben!« und »Zungenküsse mit Hyänen«.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641229788
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum11.03.2019
Seiten272 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1410 Kbytes
Artikel-Nr.4205235
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


ICH BIN DA, HEINZ

Und die Seele? Fliegt sie hinaus?

Ich besuche meine Tante Uschi in Bitterfeld. Wir sitzen in ihrem Garten. Eine riesige Hornisse attackiert uns. »Mach mal Sterbehilfe«, sagt Tante Uschi, die mich gern neckt, seit ich den Sterbebegleitungskurs beim Hospiz mache, und schiebt mir Paral über den Tisch, ein Insektenspray »mit der natürlichen Kraft der Chrysanthemen«.

Ich lege auf die Hornisse an und schieße so präzise, dass sie, schaumig tropfend, zu Boden rutscht. Sie landet auf dem Sockel eines Gartenzwerges und dreht sich dort um die eigene Achse, ohne allerdings das Brummen zu unterlassen. »Na, mal sehen«, sagt Tante Uschi, zündet sich einen Zigarillo an und betrachtet mit Interesse das zuckende Tier. »Die leidet aber mächtig!«

»Das weiß man nie«, sage ich und muss an Herrn Wetterling denken. Herr Wetterling hatte laut gerasselt und mit den Armen immer wieder ins Leere gegriffen. Einmal hatte er mir dabei eine versetzt, und ich war erschrocken gewesen von dieser jenseitigen Schlagkraft. Ich war außer mir. Ich rief die Ärztin. Der Mann schien entsetzlich zu leiden. Man musste doch etwas tun!

Wetterling war nicht mein erster Sterbender. Ich hatte schon einige Jahre zuvor in Kalkutta im von Mutter Teresa gegründeten »Heim für mittellose Sterbende« von den »Missionarinnen der Nächstenliebe« Todkranke betreut. Aber das war anders gewesen. Die Menschen dort waren im Akkord gestorben. An Unterernährung, Tuberkulose, Hepatitis, Aids. Herr Wetterling war ein Krebspatient. Zur Schmerzeinstellung stationär. Austherapiert, wie es heißt. Final. Ihn betreute ich im Zuge meines Hospizkurses, über den sich Tante Uschi immer lustig macht.

Die Ärztin beruhigte mich. Das In-die-Luft-Greifen sei bei Sterbenden normal, ein Reflex. Herr Wetterling leide möglicherweise gar nicht. Jedenfalls weniger, als es den Anschein habe. Er erlebe jetzt Dinge, über die wir nur mutmaßen können, Sensationen, von denen wir nie erfahren werden, erst in der Stunde unseres Todes. Ich solle mich lieber auf einen Stuhl setzen, nicht auf den Bettrand. Wer weiß, ob Wetterling das wollen würde. Man soll Sterbenden nicht auf die Pelle rücken.

Die Ärztin öffnete das Fenster (Damit die Seele hinausfliegt? Sie verneinte energisch. Für frische Luft!) und ließ mich mit Wetterling allein. Viele Schläuche und Kanülen steckten in seinem Körper. Sein Brustkorb pumpte. Der Puls am Hals zuckte wie wild. Sein Kopf stieß ruckartig in die Luft. Seine entzündeten Augen traten hervor, aus seinem Mund quoll gelblicher Schaum. Der ganze Mann klang wie eine riesige, brodelnde Kaffeemaschine. Es gab Momente, da wollte ich selber sterben. Es gab Momente, da wollte ich schreien: »Stirb doch endlich! Hör auf mit diesen schrecklichen Geräuschen!«

Ähnlich wie die Hornisse erweckte auch Herr Wetterling nicht meinen Brutpflegetrieb. Sterben sieht nicht gut aus, klingt nicht gut, riecht nicht gut. Bei einer Geburt dabei sein, das finden wir schick. Eine Patenschaft für ein Kind in Afrika übernehmen - das ist lobenswert, schön weit weg, überdies niedlich. Aber die Gegenwart eines Sterbenden bringt uns in allergrößte Bedrängnis. Wir wissen nicht, was man tut, was man sagt. Niemand hat uns gelehrt, was man tut, was man sagt.

Wir wollen das nicht miterleben müssen, wir wollen einfach nur weg. Wenn die todkranke Oma fragt: »Muss ich sterben?«, lügen wir: »Ach wo, das wird wieder.« Und geben Fersengeld. Und überlassen sie ihrem Geschick. Und treffen uns nachher auf dem Friedhof wieder.

Ich blieb an Wetterlings Bett, kühlte seine harte gelbliche Stirn, hielt seine blau geäderte Hand und sagte, wenn sein Blick für den Bruchteil einer Sekunde aus weiter Ferne zurückkam: »Ich bin da, Herr Wetterling, Sie sind nicht allein.«

Mehr nicht. Mehr war nicht zu tun. Äußere Ruhe und innere Bewegung. Sein Sterben und mein Nichtstunkönnen wühlten mich auf. Diese Aufwühlung galt es auszuhalten, so lange es eben dauerte. Geduld haben. Stillsitzen. Einfach nur da sein. Nicht meine Stärken. Immer wieder ging ich ins Bad, einfach weil ich mich bewegen musste, unter dem Vorwand, den Waschlappen anzufeuchten.

Doch dann wurde Herr Wetterling unruhig, atmete hastiger, röchelte. Ich nahm das als Indiz dafür, dass er meine Anwesenheit wünschte. Er wollte nicht allein sein. Als ich im Badezimmer des Krankenzimmers seine Utensilien sah, Kulturtasche, Rasierwasser, Seife in Seifendose, Zahnbürste, Zahnpasta, Deo, als mir bewusst wurde, dass er diese Dinge nun nicht mehr brauchen wird, dass sie bald in eine Tüte gepackt und den Hinterbliebenen mitgegeben werden, wurde sein Tod greifbar. Da stirbt ein Mensch. Ich nahm die Fieberkurve und suchte seinen Vornamen: Heinz.

»Also, ich könnte das nicht«, sagt die Schwester, die nach dem Rechten schaut, und verlässt das Zimmer.

Heinz. Ich und Heinz. Ich hielt seine Hand, streichelte seine eingefallenen Wangen und lauschte dem Gurgeln seiner Organe. Ich atmete mit ihm gemeinsam, wie ein mithechelnder Ehemann im Entbindungskurs, in der irrwitzigen Hoffnung, wenn ich immer langsamer atme, dann wird vielleicht auch er langsamer atmen, wird friedlicher werden, einschlafen können. Obwohl er in den folgenden Tagen mehrfach »Ich kann nicht mehr« flüsterte, obwohl es oft so aussah, als sei gleich alles vorbei, schien er am Leben festzuhalten. In seiner Karteikarte war vermerkt »nicht religiös«. Ob er deswegen schwer stirbt? Weil er vor dem Nichts steht? Oder gibt es noch etwas, was er klären will? Steht ein Abschied aus?

»Warum, um Himmels willen, machst du das?«, hatte Tante Uschi fassungslos gefragt, als vor zwei Monaten mein Kurs im Hospiz begann. »Warum machst du nicht was Lebensbejahendes? Ein Weinseminar, einen Kochkurs?«

Uschi, die wohl weiß, dass wir alle sterben müssen, hat ein regelrecht feindseliges Verhältnis zum Tod. Sie ist wütend auf die Schneeglöckchen, die wieder blühen werden, wenn sie längst modert. Sie hasst die Sonne, den Mond, Tag und Nacht, die Jahreszeiten, die Meere und die Berge, alles, was wiederkommt, alles, was ewig ist. Sie will den Tod nicht, der sich unaufhaltsam nähert. Bei sich selbst hält sie jedes Anzeichen von Verfall für vorübergehende Schwäche. Gleichaltrige sind für sie alte Leutchen. Wenn sie noch mal so jung wäre wie ich, dann hätte sie Besseres zu tun als Sterbebegleitung, sagt sie. Und doch studiert sie täglich die Todesanzeigen und erschrickt, wenn sie dort ihr Geburtsjahr findet. Nicht ein späteres, nicht ein früheres - ihres. »Wirst noch mal froh sein, eine Sterbebegleiterin in der Familie zu haben«, hatte ich auf Uschis Tirade geantwortet. Und sie hatte gesagt: »Werd bloß nicht frech!«

Sterben macht keinen Spaß. Dem Sterbenden nicht und den Anwesenden nicht. Insofern schickt die Hospizbewegung der Himmel. Dort ist man konsequent aufs Sterben eingestellt und macht es sich zur Aufgabe, es liebend zu begleiten. Sterbende, die sich fürs Hospiz entscheiden, dürfen ihr Haustier mitnehmen, dürfen rauchen, dürfen trinken, dürfen ihre Zimmer dekorieren und endlich alle Fragen stellen, die sie aus Takt der eigenen Familie nicht gestellt haben.

Und doch, Hospiz ist Endstation. Wer ins Hospiz geht, der sagt Ja zu seinem Tod. Er findet sich ab.

Für den normalen Verdränger ist es schwer, sich dauerlächelnden Hospizlern gegenüberzusehen, die vom »schönen Tod« sprechen. Das hat etwas Eingeweihtes, Sektenhaftes. Was bitte kann schön sein am Tod? Der Tod ist doch schrecklich. Endgültig. Tabu. Muss man wirklich darüber reden? Kann man das nicht diskret abwickeln?

Eine Schwester hat mich in das Verabreichen künstlichen Speichels aus dem Sprühfläschchen eingewiesen. Die Patienten nehmen den gern, sagt sie. Man soll Sterbenden nicht viel zu trinken geben. Sie können kaum mehr schlucken. Die Flüssigkeit wird nicht mehr abgebaut, sondern ins Gewebe eingelagert. Ich sprühe Herrn Wetterling halbstundenweise künstlichen Speichel in den ausgetrockneten Mund, um ihm Erleichterung zu verschaffen. Das Geräusch, das er daraufhin macht, nehme ich als Zustimmung. Erst einige Stunden später, nachdem ich mir die Flüssigkeit selbst testhalber in den Mund gesprüht habe, höre ich auf. »Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, Herr Wetterling«, rufe ich, halb lachend, halb weinend, »ich wusste nicht, dass das so eklig schmeckt.« Von da an feuchte ich seinen Mund mit dem Waschlappen an.

Die Stunden vergehen langsam. Die Handschuhe, die mich die Schwester bat anzuziehen, habe ich längst abgestreift. Würde ich von Latex gestreichelt werden wollen in der Stunde meines Todes?

Wetterlings Atem macht mir klar, was für ein ungeheures Pensum so ein menschliches Herz hat. Das Blut durch den Körper zu pumpen. Und die Lunge, dieser unermüdliche Blasebalg. Und die lebensmüden Nieren. Wo fängt ein Sterben an? Versagen die Organe nach und nach? Steigt der Tod von den Füßen aufwärts zum Kopf? Bleibt zuerst das Herz stehen? Bricht es? Und was ist mit der Seele? Gibt es eine? Und, wenn ja, fliegt sie hinaus?

Jetzt hocken wir hier schon mehr als zwei Tage. Da können wir eigentlich du sagen. »Ich bin da, Heinz. Du bist nicht allein. Jetzt hast du´s gleich geschafft.« Dabei kenne ich Herrn Wetterling nicht. Er war schon kaum mehr ansprechbar, als ich ihn traf. Er ist ein Fremder für mich, ich bin eine Fremde für ihn, unsere Begegnung ist vollkommen frei von persönlichem Ballast. Wir begegnen uns als die, die wir im Moment der Begegnung sind. Ich sitze am Bett eines Mannes, der mein Vater sein könnte, der irgendjemandes Vater ist. Vielleicht hat er Kinder. Und wie sind diese Kinder? Und wo sind diese Kinder? Warum sind sie nicht bei ihm? Und warum bin ich bei ihm?

Später wird Wetterlings Familie das Zimmer betreten,...

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Autor

Else Buschheuer wurde 1965 in Eilenburg bei Leipzig geboren; sie war Reporterin, TV-Moderatorin, Kolumnistin und eine von Deutschlands ersten Bloggerinnen. Von 2001-2005 lebte sie in New York City; vielbeachtet waren ihre Berichte über die Anschläge vom 11. September. Heute lebt sie als Schriftstellerin in Berlin. Bisher erschienen: »Ruf! Mich! An!«, »Masserberg«, »Venus«, »Der Koffer«, »Verrückt bleiben!« und »Zungenküsse mit Hyänen«.