Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Was ist ein Apfel?

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
174 Seiten
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am31.03.20191. Auflage
2014 setzte während der Publikation des Romans Judas eine Zusammenarbeit zwischen Amos Oz und der Lektorin Shira Hadad ein. Daraus entwickelten sich intensive Gespräche (die das neueste Buch des israelischen Autors in überarbeiteter Form druckt), in denen, ohne Tabus und falsche Scham, sein Leben und Schreiben zum Thema wird. Da die Lektorin sich nicht auf eine Rolle als Stichwortgeberin beschränkt, sind Kontroversen nicht ausgeschlossen, zumal die jüngere, weibliche Perspektive auf das Tun und Lassen des weltweit anerkannten Schriftstellers zu produktiven Provokationen führt.

Die Rolle des streitbaren öffentlichen Intellektuellen wird in diesen Gesprächen vor dem Hintergrund der privaten Erfahrungen beleuchtet. Wie durchdringen sich beide Sphären? Was führt zur Geburt des Schriftstellers unter neuem Namen angesichts des Selbstmords der Mutter? Wie hat man sich die konkrete Arbeit am Schreibtisch vorzustellen? Welche Veränderungen haben sich im Lauf der Jahrzehnte dabei ergeben? Wie kommt es zu den Stoffen? Kann Fiktion Änderungen auf dem privaten oder öffentlichen Feld hervorrufen? Welche Bedeutung haben erste und letzte Worte bei Romanen? Und so weiter und so fort.

In diesen Gesprächen erzählt Amos Oz von seinem Leben, von privaten und politischen Triumphen und Niederlagen, seiner Zeit im Kibbuz, diskutiert über den Feminismus und spricht über Humor und Fanatismus, über Literatur und Tod. Und der Leser erhält Antworten auf die Fragen, die er schon immer an die Literatur und die Beweggründe dieses Autors stellen wollte: Amos Oz für Anfänger und Fortgeschrittene.

Ein umfassendes Porträt des berühmten Autors und das Vermächtnis des Friedensaktivisten





Amos Oz wurde am 4. Mai 1939 in Jerusalem geboren und starb am 28. Dezember 2018 in Tel Aviv. 1954 trat er dem Kibbuz Chulda bei und nahm den Namen Oz an, der auf Hebräisch Kraft, Stärke bedeutet. Amos Oz war Mitbegründer und herausragender Vertreter der seit 1977 bestehenden Friedensbewegung Schalom achschaw (Peace now) und befürwortete eine Zwei-Staaten-Bildung im israelisch-palästinensichen Konflikt. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1992, dem Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main 2005 und dem Siegfried Lenz Preis 2014. Sein bekanntestes Werk Eine Geschichte von Liebe und Finsternis wurde in alle Weltsprachen übersetzt und 2016 als Film adaptiert.
mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR20,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99

Produkt

Klappentext2014 setzte während der Publikation des Romans Judas eine Zusammenarbeit zwischen Amos Oz und der Lektorin Shira Hadad ein. Daraus entwickelten sich intensive Gespräche (die das neueste Buch des israelischen Autors in überarbeiteter Form druckt), in denen, ohne Tabus und falsche Scham, sein Leben und Schreiben zum Thema wird. Da die Lektorin sich nicht auf eine Rolle als Stichwortgeberin beschränkt, sind Kontroversen nicht ausgeschlossen, zumal die jüngere, weibliche Perspektive auf das Tun und Lassen des weltweit anerkannten Schriftstellers zu produktiven Provokationen führt.

Die Rolle des streitbaren öffentlichen Intellektuellen wird in diesen Gesprächen vor dem Hintergrund der privaten Erfahrungen beleuchtet. Wie durchdringen sich beide Sphären? Was führt zur Geburt des Schriftstellers unter neuem Namen angesichts des Selbstmords der Mutter? Wie hat man sich die konkrete Arbeit am Schreibtisch vorzustellen? Welche Veränderungen haben sich im Lauf der Jahrzehnte dabei ergeben? Wie kommt es zu den Stoffen? Kann Fiktion Änderungen auf dem privaten oder öffentlichen Feld hervorrufen? Welche Bedeutung haben erste und letzte Worte bei Romanen? Und so weiter und so fort.

In diesen Gesprächen erzählt Amos Oz von seinem Leben, von privaten und politischen Triumphen und Niederlagen, seiner Zeit im Kibbuz, diskutiert über den Feminismus und spricht über Humor und Fanatismus, über Literatur und Tod. Und der Leser erhält Antworten auf die Fragen, die er schon immer an die Literatur und die Beweggründe dieses Autors stellen wollte: Amos Oz für Anfänger und Fortgeschrittene.

Ein umfassendes Porträt des berühmten Autors und das Vermächtnis des Friedensaktivisten





Amos Oz wurde am 4. Mai 1939 in Jerusalem geboren und starb am 28. Dezember 2018 in Tel Aviv. 1954 trat er dem Kibbuz Chulda bei und nahm den Namen Oz an, der auf Hebräisch Kraft, Stärke bedeutet. Amos Oz war Mitbegründer und herausragender Vertreter der seit 1977 bestehenden Friedensbewegung Schalom achschaw (Peace now) und befürwortete eine Zwei-Staaten-Bildung im israelisch-palästinensichen Konflikt. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1992, dem Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main 2005 und dem Siegfried Lenz Preis 2014. Sein bekanntestes Werk Eine Geschichte von Liebe und Finsternis wurde in alle Weltsprachen übersetzt und 2016 als Film adaptiert.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518761298
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum31.03.2019
Auflage1. Auflage
Seiten174 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.4216694
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Pfeildurchbohrtes Herz


Was drängt deine Hand zum Schreiben?

Im Hof des Rechavia-Gymnasiums in Jerusalem stand ein Eukalyptusbaum. Jemand hatte in seine Rinde ein Herz geritzt, das von einem Pfeil durchbohrt wird, und links und rechts des durchbohrten Herzens stand »Gadi« und »Ruthi«. Ich erinnere mich, dass ich schon damals, da war ich vielleicht dreizehn, dachte: Das war bestimmt dieser Gadi und nicht Ruthi. Aber warum hat er das getan? Wusste er nicht, dass er Ruthi liebt? Wusste sie denn nicht, dass er sie liebt? Ich glaube, ich dachte schon damals: Vielleicht hat er selbst bereits irgendwo gewusst, dass das vorübergeht, dass alles vorübergeht, dass es mit dieser Liebe irgendwann aus sein wird. Aber er wollte etwas hinterlassen. Wollte, dass von dieser Liebe etwas bleibt, auch wenn sie selbst vergeht. Das ähnelt ein bisschen dem Drang, Geschichten zu erzählen oder zu schreiben: der Wunsch, etwas den Klauen der Zeit und des Vergessens zu entreißen; das ist das eine. Außerdem der Wunsch, einer Sache, die nie mehr eine zweite Gelegenheit bekommen wird, doch eine zweite Chance zu geben. Eine weitere Kraft, die die Hand zum Schreiben drängt, ist auch der Wunsch, dass etwas nicht ausgelöscht werden soll, so als sei es nie gewesen - und ich meine da nicht unbedingt persönliche Dinge, die ich erlebt habe. Mich zum Beispiel hat nie jemand angestellt, um auf dem Dachboden eines alten Gebäudes zu wohnen und mich stundenlang gegen Bezahlung mit einem behinderten alten Mann zu unterhalten, so wie Schmuel Asch es in Judas tut. Das ist mir nicht passiert. Aber es gab in Jerusalem Leute, die haben wie Gerschom Wald gesprochen. Es hat sie gegeben, und jetzt gibt es sie nicht mehr. Ich wollte, dass das Jerusalem dieser in Begeisterung entbrannten, hochgebildeten Leute nicht vergessen wird, dieser Leute, die mit einem Bein in [Joseph Chaim] Brenners Schriften standen und mit dem andern in der Bibel, mit einem Bein bei Ben Gurion, mit einem andern bei Nietzsche und mit wieder einem bei Dostojewski oder [Wladimir Zeev] Jabotinsky.

Hast du das Gefühl, dass sich deine Beweggründe fürs Schreiben mit der Zeit verändert haben? Oder bleiben sie grundsätzlich dieselben?

Ich weiß nicht, Shira. Ich glaube, das bleibt immer gleich, aber ich bin mir nicht sicher. Ich frag mich fast nie nach meiner Motivation zum Schreiben. Wenn ich mich noch vor fünf Uhr in der Früh hier hinsetze, nach einem Spaziergang durch die leeren Straßen, mit meiner ersten Tasse Kaffee, da frag ich mich nie nach meiner Motivation. Da schreib ich einfach.

Aber fragst du, woher eine Geschichte kommt?

Ja, das schon. Manchmal frag ich, und nicht immer find ich eine Antwort. Ich erzähl dir etwas, was mit deiner Frage zusammenhängt: Ich habe mal ein russisches Gedicht von Anna Achmatowa übersetzt, allerdings aus der englischen Fassung von Stephen Berg, weil ich kein Russisch kann. Und dieses Gedicht hat genau, aber ganz genau mit deiner Frage zu tun. Ich hab es vor Jahren auf der Schreibmaschine getippt, in einer Zeit, als es noch keinen Computer gab. Das Gedicht endet so:


»Und manchmal sitz ich. Hier. Winde vom gefrorenen Meer

blasen durch meine offnen Fenster. Ich steh nicht auf. Schließe

sie nicht. Lass die Luft mich berühren. Erfriere.

Abenddämmerung oder Morgenlicht - derselbe glänzende Wolkenschein,

eine Taube pickt ein Weizenkorn von meiner ausgestreckten Hand,

und diese Weite, grenzenlos, die Weiße des Blatts auf meinem Pult -

ein einsamer, undeutlicher Trieb hebt meine Rechte, leitet mich,

so viel älter als ich, kommt, senkt sich

blau wie ein Lid, ohne Gott, und ich beginne zu schreiben.«


Das ist wunderschön.

Ich bin kein Übersetzer, aber dieses Gedicht wollte ich unbedingt aus dem Englischen übersetzen. Vielleicht ist es auf Russisch noch schöner, das weiß ich nicht.

Ab und zu frag ich mich schon, woher die Geschichten kommen, und habe keine richtige Antwort. Doch im Grunde weiß ich es ja, denn ich führe ja schon immer das Leben eines Detektivs. Das steht in Eine Geschichte von Liebe und Finsternis. Ich belausche die Gespräche anderer, beobachte fremde Menschen; wenn ich Schlange stehe, im Ärztezentrum, auf dem Bahnhof oder auf dem Flughafen - da lese ich nie Zeitung. Statt Zeitung zu lesen, hör ich zu, was die Leute so reden, klaue Gesprächsfetzen und vervollständige sie. Oder ich schau mir ihre Kleider an oder ihre Schuhe - Schuhe erzählen mir immer besonders viel. Ja, ich schau mir die Leute an und ich höre zu.

Mein Nachbar im Kibbuz Hulda, Meir Sibahi, pflegte zu sagen: Bevor ich an dem Fenster vorbeigeh, hinter dem Amos schreibt, bleib ich immer kurz stehn, zieh meinen Kamm raus und kämme mich. So bin ich, falls ich in eine Geschichte von ihm eingehe, wenigstens gekämmt. Eigentlich ganz logisch, aber so funktioniert das bei mir nicht. Vielleicht könnte man es so sagen: ein Apfel. Nehmen wir einen Apfel. Was macht einen Apfel aus? Wasser, Erde, Sonne, ein Apfelbaum und etwas Dünger. Der Apfel ähnelt keinem dieser Dinge. Sie alle machen ihn aus, aber er ist ihnen nicht ähnlich. So ist das mit den Geschichten. Sie bestehen wohl aus der Summe der Begegnungen, der Erfahrungen und aus sehr viel Zuhören.

Mein erster Impuls ist der, zu erahnen, was ich empfinden würde, wenn ich er wäre oder sie: Was würd ich denken? Was würd ich wollen? Wofür würd ich mich genieren? Was zum Beispiel dürfte niemand auf der Welt über mich wissen? Welche Röcke würde ich tragen? Was würde ich essen? Solche Fragen haben mich schon früher begleitet, lang bevor ich anfing, Geschichten zu schreiben, in der Kindheit. Ich war Einzelkind, und ich hatte keine Freunde. Meine Eltern haben mich ins Café in der Ben-Jehuda-Straße in Jerusalem mitgenommen und mir ein Eis versprochen, wenn ich still dabeisitzen würde, während sie sich mit ihren Freunden unterhielten. Eis war in Jerusalem damals eine Seltenheit. Nicht weil es viel Geld kostete, sondern weil alle unsere Mütter durch die Bank - religiöse und unreligiöse, sephardische und aschkenasische - felsenfest glaubten, Eis mache einen roten Rachen, und das bedeutete Entzündung, und Entzündung bedeutete Grippe, und Grippe bedeutete Angina, und Angina bedeutete Bronchitis, und Bronchitis bedeutete Lungenentzündung und Lungenentzündung Tuberkulose. Kurz: Eis oder Kind. Und trotzdem haben sie mir einmal ein Eis versprochen, wenn ich sie niemals in ihren Unterhaltungen stören würde. Dabei haben sie da mindestens siebenundsiebzig Stunden ununterbrochen mit ihren Freunden geredet. Um nicht verrückt zu werden vor Einsamkeit, fing ich eben an, die Nachbartische auszuspionieren. Ich stahl Sätze aus Gesprächen, schaute, wer was bestellte, wer bezahlte, mutmaßte, in welcher Beziehung die dort Sitzenden zueinander standen, versuchte sogar, mir aufgrund ihres Aussehens und ihrer Körpersprache vorzustellen, woher sie kamen und wie es in ihrer Wohnung aussah. Das tu ich bis heute. Aber es ist nicht so, dass ich fotografiere, nach Hause geh, das Foto entwickle, und dann hab ich eine Geschichte. Unterwegs passieren noch viele Verwandlungen. So gibt es in Black Box zum Beispiel einen jungen Mann, der die Angewohnheit hat, sich mit der linken Hand, indem er sie umständlich hinter dem Kopf entlangführt, am rechten Ohr zu kratzen. Eine Frau hat mich mal gefragt, woher ich das hätte. Auch sie kannte jemanden, der sich mit der linken Hand auf diese Art am rechten Ohr kratzt. Ich sagte ihr, ich sei mir ziemlich sicher, dass ich das mal irgendwo gesehen und mir eingeprägt habe. Aber wo? Du kannst dich auf den Kopf stellen, ich weiß es nicht mehr. Das kam aus einer lang verschütteten Erinnerung, es kam nicht aus heiterem Himmel, aber ich habe keine Ahnung woher.

Lass es mich so sagen: Wenn ich einen Artikel schreibe, schreib ich in der Regel aus Wut: Der zentrale Beweggrund ist, dass ich über etwas wütend bin. Wenn ich aber eine Geschichte schreibe, ist einer der Gründe, die die Hand bewegen, Neugier. Eine Neugier, die ich nicht stillen kann. Ich find es wahnsinnig spannend, in die Haut eines anderen zu schlüpfen. Und Neugier ist, glaub ich, nicht nur eine zwingende Voraussetzung für jede intellektuelle Arbeit, sondern auch eine ethische Angelegenheit. Das ist vielleicht die moralische Dimension der Literatur.

Da bin...

mehr

Autor

Amos Oz wurde am 4. Mai 1939 in Jerusalem geboren und starb am 28. Dezember 2018 in Tel Aviv. 1954 trat er dem Kibbuz Chulda bei und nahm den Namen Oz an, der auf Hebräisch Kraft, Stärke bedeutet. Amos Oz war Mitbegründer und herausragender Vertreter der seit 1977 bestehenden Friedensbewegung Schalom achschaw (Peace now) und befürwortete eine Zwei-Staaten-Bildung im israelisch-palästinensichen Konflikt. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1992, dem Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main 2005 und dem Siegfried Lenz Preis 2014. Sein bekanntestes Werk Eine Geschichte von Liebe und Finsternis wurde in alle Weltsprachen übersetzt und 2016 als Film adaptiert.