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Nebelinsel

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am04.11.2019
Neverness ist eine Insel fern aller Landkarten. Die salzige Luft ist schwer vom Duft der Ginsterbüsche, und etwas Mystisches liegt über dem Land. Es ist der Ort wundersamer Geschichten, die von einer alten Inselgemeinschaft erzählen. Ihr Leben ist geprägt von der rauen Natur, archaischen Bräuchen und mythischen Kräften, die in die Realität eindringen. Da ist beispielsweise Verlyn Webbe, der mit einem Flügel statt eines zweiten Arms geboren wurde. Oder Plum, die von einem Mann entführt wird, aus dessen Locken sie winzige Muscheln kämmt. Mit jeder Erzählung taucht man tiefer ein in die Welt von Neverness und verfällt ihrem einzigartigen Zauber.
Weitere berührende Wunderraum-Geschichten finden Sie in unserem kostenlosen aktuellen Leseproben-E-Book »Einkuscheln und loslesen - Bücher für kurze Tage und lange Nächte«

»Nebelinsel« ist Zoe Gilberts erstes Buch. Eine der Erzählungen daraus wurde mit dem renommierten Costa Short Story Award ausgezeichnet. Die Autorin studierte Fiction und Creative Writing an der University of Chichester und ist Mitbegründerin des London Lit Lab. Sie lebt im Süden von London, wo echte und geisterhafte Wälder als Inspiration für ihren nächsten Roman dienen.
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Produkt

KlappentextNeverness ist eine Insel fern aller Landkarten. Die salzige Luft ist schwer vom Duft der Ginsterbüsche, und etwas Mystisches liegt über dem Land. Es ist der Ort wundersamer Geschichten, die von einer alten Inselgemeinschaft erzählen. Ihr Leben ist geprägt von der rauen Natur, archaischen Bräuchen und mythischen Kräften, die in die Realität eindringen. Da ist beispielsweise Verlyn Webbe, der mit einem Flügel statt eines zweiten Arms geboren wurde. Oder Plum, die von einem Mann entführt wird, aus dessen Locken sie winzige Muscheln kämmt. Mit jeder Erzählung taucht man tiefer ein in die Welt von Neverness und verfällt ihrem einzigartigen Zauber.
Weitere berührende Wunderraum-Geschichten finden Sie in unserem kostenlosen aktuellen Leseproben-E-Book »Einkuscheln und loslesen - Bücher für kurze Tage und lange Nächte«

»Nebelinsel« ist Zoe Gilberts erstes Buch. Eine der Erzählungen daraus wurde mit dem renommierten Costa Short Story Award ausgezeichnet. Die Autorin studierte Fiction und Creative Writing an der University of Chichester und ist Mitbegründerin des London Lit Lab. Sie lebt im Süden von London, wo echte und geisterhafte Wälder als Inspiration für ihren nächsten Roman dienen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641242794
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum04.11.2019
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2342 Kbytes
Artikel-Nr.4279749
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


HORCH, WIE DER RHYTHMUS durch das Ginsterlabyrinth rollt. Der Abend dämmert schon, es ist die Zeit zwischen dem letzten Rest Sonne und dem ersten Stern, die Tür des Tages schließt sich; bald wird die Nacht sie endgültig versiegeln. Hämmernde Schritte hallen durch die gewundenen Tunnel im Ginster, Herzen klopfen im Takt dazu, alles überlagert vom Keuchen und Schnaufen der Jungen. Ihre Atemwölkchen verlieren sich über ihnen im Dornendickicht. Sie tragen Ärmel aus Ochsenhaut, haarig und schwarz. Das Leder stinkt. Die Ellenbogen schwitzen. Die weißen Hemden kleben an der Haut, ungeschützt wippen die frisch geschorenen Köpfe zwischen den stacheligen Büschen auf und ab.

Vier Wachstumszeiten, in denen der Ginster seine Stacheln verdoppelt, Kammern und Durchgänge, ja ganze Räume aus Dornen gebildet hat. So grausam hat er sein Labyrinth verwoben und verflochten, dass sich keiner der Jungen den Weg hindurch merken konnte.

Inmitten des Fußgetrappels rennt Crab, dass ihm die lockere Erde unter den Sohlen wegrutscht. Er ist ein schmächtiges Kerlchen und nimmt zum ersten Mal am Ginsterlauf teil. Unter seiner blassen Kopfhaut zeichnet sich der Knochen ab. Er mag der Kleinste sein, aber er ist auch der Schnellste. Wo die letzten gelben Blüten prangen, prescht er schlitternd durch spitze Kurven und vorbei an Hügeln und Buckeln. Im dunkelnden Blau dieser Stunde wirbelt er am Ende der Sackgassen herum, duckt sich durch kratzende Bögen. Hier und da begegnet er anderen Jungen, die ihre lederbewehrten Arme in den Ginster strecken und mit den ungeschützten Fingern darin herumtasten, unter den Stichen der Dornen zusammenzuckend.

Crab hat sich noch nicht ins Dickicht gestürzt. Mit den Augen sucht er die dunkelsten Stellen des Ginsters ab. Wenn er findet, was er begehrt, wird er kopfüber hineinspringen, kühner als alle anderen. Ginstermutter, stößt er mit heißem Atem flüsternd hervor.

Schau jetzt bergab, wo die Mädchen warten, unterhalb des stacheligen Waldes mit den flirrend gelben Blüten. Sie trampeln mit ihren Stiefeln im Heidekraut. Sie lassen die Sehnen ihrer langen Bögen schnalzen, als hätten sie Pfeile eingelegt, und dehnen die Sehnen, bis sie reißen. Mit diesen Bögen haben sie echte Pfeile tief in den Ginster geschossen, bis ins dunkelste Dickicht. Die bunt gemusterten Bänder, die daran hängen, heben sich flatternd von den schwarzen Nadeln des Ginsters ab. Manche Mädchen haben ihre Pfeile mit Nägeln beschwert, damit sie weiter fliegen. Alle Mädchen haben ihre Namen auf die Stoffstreifen gestickt. Einige haben noch einen roten Punkt hinzugesetzt, den Faden immer wieder an derselben Stelle eingestochen, bis ein Knötchen entstand, das dem Jungen, der ihren Pfeil findet, verrät, dass ihn bei seiner Rückkehr nicht nur ein Kuss auf den Mund erwartet.

Jedes Mädchen wünscht sich den rötesten Kuss, den Kuss eines Jungen, der sich für ihren Pfeil so tief in die Dornen gewagt hat, dass seine Lippen einem blutigen Nadelkissen gleichen.

Werrity Prowd sammelt die anderen um sich. Ihr Blick ist lauernd, die Lippen zum Schmollmund gespitzt. »Wen willst du küssen?«, fragt sie die Mädchen der Reihe nach: Plum, das Waisenkind, Linnet, die goldblonde Erntekönigin, March und Grey, die mürrischen Töchter des Jägers. Sie lachen und geben flüsternd die Namen preis.

Die Letzte, die sie fragt, ist Madden Lightfoot, das Stallmädchen. Sie ist in diesem Jahr zum ersten Mal bei den Bogenschützinnen dabei. Ihr Band hat die dottergelbe Farbe der Ginsterblüten. »Man kann sich nicht aussuchen, wer den Pfeil findet«, antwortet Madden. »Und ich verrate sowieso nicht, wen ich küssen will.«

Werrity grinst höhnisch und verschränkt die Arme über ihrem runden Bauch. »Bloß weil du hübsch bist, brauchst du dir noch lange nicht einzubilden, dass du den besten Jungen abkriegst. Der ist für mich bestimmt.«

»Schlampe«, faucht Grey.

»Hast du noch nicht genug?«, fragt March und stupst Werrity mit der Spitze ihres Bogens in den Bauch.

Wende dich ab von der Heidekrautflanke des Berges, richte den Blick auf die seewärtige Seite. Atme die Luft ein, rieche den Rauch. Männer und Frauen zünden bereits die Fackeln an und reichen sie weiter. Das ganze Dorf Neverness ist gekommen: Fischer und Bauern, Schäfer und Jäger, Vogelhändler und Fiedler, Brauer und Imker, Näherin, Hebamme, Müller und Barde. Jedes Jahr versammeln sie sich, wenn die Mädchen ihre Pfeile abschießen und die Jungen durch den Ginster rennen, um sie aufzustöbern. Sie lechzen nach Feuer, können es kaum erwarten, aber Brauch ist Brauch. Erst wenn das Spiel der Jungen und Mädchen vorbei ist und sie sich für den Abend zu Paaren zusammengefunden haben - ein Kuss für jedes Seidenband -, werden sie ihre dornige Ginstermutter niederbrennen.

Tritt ein in das Labyrinth, und koste von der Lust, die die Füße immer schneller durch den Ginster treibt. Es ist die Lust der Jungen an der Jagd nach den verborgenen Bändern. Doch es ist auch die Lust nach etwas Dunklerem. Ginstermutter. Die Nacht bricht herein, und in den Augen brennt ein fiebriges Feuer. Bloße Schädel und lederbewehrte Arme wühlen sich unter Gewimmer in die Dornennester. Erregtes Keuchen angesichts der stechenden Schmerzen. Jungen, die sich in den Dornen verfangen, treten panisch um sich und schälen sich aus ihren Hemden. Als einer, seinen bandgeschmückten Pfeil schwenkend, aus dem Labyrinth rennt, heben die anderen nicht einmal den Kopf.

Weiter unten, im Heidekraut, winkt Plum ihn zu sich ins violette Dunkel. Die anderen Mädchen verrenken sich die Hälse nach einem Blick auf seinen Mund, damit Plum nicht mogeln kann, indem sie sich die Lippen selbst blutig beißt.

Oben stolpert Crab durchs Labyrinth, die Ochsenhautärmel sind ihm auf die Hände gerutscht. Er hat den zerstochenen Schädel des Jungen gesehen, der den Berg hinuntergelaufen ist. Er verreibt die Blutströpfchen, die aus seinen Fingern quellen, und geht auf demselben Weg wieder zurück, tastet nach Wurzeln und knorrigen Stämmen, die ihm bekannt vorkommen, und versucht, den Pfeil zu finden, der sich am tiefsten ins Dickicht gerammt hat.

Da leuchtet ein weißes Band in einer Dornenhöhle, weiter als eine Jungenkörperlänge vom Pfad entfernt. Wenn er es haben will, kostet es ihn mehr als nur Kratzer. Er wird sich die Haut aufreißen. Crab ballt die Fäuste in den Ärmeln und schiebt sich hinein.

Zünde die letzte Fackel an, und folge den Männern und Frauen aus Neverness, die sich mit ihren lodernden, knisternden Flammen am Saum des Ginsters verteilen. Zwischen ihnen huschen boshafte Schatten - alle Wunden, alle Ängste, aller Zorn des vergangenen Jahres -, die die Dorfbewohner an den Haaren ziehen, ihnen ein Bein stellen. Das Ginsterfeuer wird sie ausräuchern und die Luft für die neue Jahreszeit reinigen.

Nur wenige Mädchen warten noch unten im Heidekraut. Grey tritt March gegen die Zehen, und sie stechen einander mit ihren zerbrochenen Bögen. Mit verkniffener Miene hält Werrity Prowd nach den letzten Jungen Ausschau, die noch den Hang herunterkommen müssen. Madden steht abseits und starrt in den Himmel.

»Wie viele noch?«, ruft ihnen ein Mann von weiter oben zu. Der Wind reißt ihm die Frage von den Lippen und ertränkt sie im Meer.

Den ganzen Herbst über hat es Crab, wenn er schlief, in den Beinen gezuckt, ist er im Traum durch das Ginsterlabyrinth geprescht, aber die Pfeile mit den Bändern haben sich seinen Fingern immer wieder entzogen. Erst am Tag vor dem Feuer findet er heraus, was er machen muss, um zu gewinnen.

Als Crab in halsbrecherischem Tempo zur Schenke gelaufen kommt, steht die Falltür zum Keller noch offen, mit einem Keil festgeklemmt. Von unten hallt Jungengeschrei herauf. Er landet in einem wilden Durcheinander: Hemden fliegen durch die Gegend, Ochsenhautärmel dreschen auf Köpfe ein. Im Keller stinkt es nach Tierhaut und Jungenschweiß, nach dem Bierdunst aus den Fässern. Crab bückt sich über den offenen Sack, der auf dem Boden liegt, und greift sich die letzte Rolle Ochsenhaut. Sie ist haarig und schwarz, steif wie Baumrinde.

Dally Oxley, ein Junge, den er kennt, sieht, wie er sich den Ärmel nimmt. »Jetzt brauchst du bloß noch den anderen, dann hast du ein Paar!«, brüllt er über den Tumult hinweg. »Nimm, was du kriegen kannst.«

Crab nickt und zieht sich die Ochsenhaut über. Sie schlackert, ist für dickere Arme als seine bestimmt. Die am kräftigsten gebauten Jungen, die sich die besten Ärmel längst umgeschnürt haben, fechten mit den Unterarmen. Er entdeckt Sandy Rincepan, der breitbeinig auf einem Fass hockt, während ihm Drake, der schneidigste der sieben Webbe-Brüder, eine Klinge durch die Haare zieht. Die ersten Büschel liegen auf dem Boden. Fast alle haben schon blank rasierte Schädel. Dally Oxley zeigt auf seinen kahlen Kopf. »Soll ich sie dir schneiden? Pie hab ich gerade auch schon geschoren.«

Pie ist Dallys Bruder, zwei Jahre älter, aber doppelt so groß und schwer. Crab schüttelt den Kopf. »Ich komme heute Abend unters Messer.«

Plötzlich hören das Kämpfen und Schreien auf. Ein Junge hat entdeckt, dass sie durch die Kellertür beobachtet werden, und bringt die anderen zum Schweigen.

»Wenn Pie Oxley da unten ist, könnt ihr ihm ausrichten, dass ich ihm einen roten Knoten sticke, der so dick ist wie eine Rosine«, sagt eine Stimme.

In der Ecke stößt jemand einen Pfiff aus. Drake Webbe ruft: »Und was ist mit mir, Werrity?«

»Träum weiter«, sagt das Mädchen und verschwindet.

»Die Mädels glauben, es geht dabei bloß um sie«, sagt Dally zu Crab. Er...

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»Nebelinsel« ist Zoe Gilberts erstes Buch. Eine der Erzählungen daraus wurde mit dem renommierten Costa Short Story Award ausgezeichnet. Die Autorin studierte Fiction und Creative Writing an der University of Chichester und ist Mitbegründerin des London Lit Lab. Sie lebt im Süden von London, wo echte und geisterhafte Wälder als Inspiration für ihren nächsten Roman dienen.